Wenn der Papst in Satans Deichsel greift

Wird zur Kennzeichnung der gegenwärtigen kirchlichen Situation ein Klassiker von Bob Dylan, The Times they are a'changing, bemüht und dies auf einem eher traditionsbewussten Portal geradezu euphorisch begrüßt, könnte man sich tatsächlich dem Gedanken hingeben, dass sich die Zeiten ändern. Liest man den Artikel zu Ende, wäre jene Änderung allerdings nur in eine Verfallstheorie einzuordnen: Die Huldigung an Papst Franziskus mündet in einen Unsinn, dem man jenes apokalyptische Ausmaß zuschreiben müsste, von dem der Beitrag in anderem Zusammenhang spricht – wenn es denn so etwas wie ein »apokalyptisches Ausmaß« gäbe.


Eine Sammlung von Papst-Zitaten wird für eine grundsätzliche Kritik der Kirche in Europa ausgewertet:
»Bewirken nicht allein diese paar Sätze, dass 80 Prozent aller europäischen Priester wissen, dass sie nicht genug getan und geglaubt haben? Und dass die Nabelschau der europäischen Kirche endlich erweitert ist auf die (teils größeren) Probleme der Weltkirche? Dass das 'Wohnzimmer-Christentum' derselben Kirche besenrein ausgefegt wird? Was bin ich froh, in diesen Zeiten kein deutscher Bischof zu sein.«
Und was bin ich erst froh, dass der Autor nicht deutscher Bischof ist! Einer, der sich einbildet, ein Urteil über Engagement und Glauben von 80 Prozent aller europäischen Priester fällen zu können, scheint als Bischof fehl am Platz. Da er eine geradezu göttliche Perspektive beansprucht, wäre das Amt wohl auch zu klein für ihn.

Immerhin beweist er auch äußerste schöpferische Kraft in der Verwendung von Metaphern. Das »Wohnzimmer-Christentum« wird »besenrein ausgefegt«. Wenn ein Zimmer ausgefegt wird, ist es hinterher sauber – ein durchaus erstrebenswerter Zustand (wenn auch »besenrein« eine eher oberflächliche Säuberung bedeutet). Ein sauberes Wohnzimmer-Christentum aber schwebt unserem Autor offenkundig nicht vor. Er scheint dieses selbst für den Dreck zu halten, der da ausgefegt wird. Dann würde durch die Besenaktion das Ausgekehrte selbst zum Verschwinden gebracht. Oder wird aus dem Wohnzimmer das Christentum ausgefegt? Da wird einem ganz metaphernschwindlig. 

Und ehe man ins Gleichgewicht zurückfindet, ist über die Kapitalismuskritik des Papstes zu lesen: 
»die Geschwindigkeit, mit der Franziskus die Händlertische umwirft, haben apokalyptisches Ausmaß«. 
Das Umstoßen der Tische geht wohl so schnell, dass der Satz nicht mehr in korrekte Syntax einzupassen ist. An der Stelle, an der das Prädikat erreicht ist, sind schon so viele Tische gefallen, dass sich eine Formulierung im Singular verbietet. So ganz deutlich hat sich allerdings noch nicht gezeigt, dass die Weltwirtschaft das Umstoßen der Tische bereits bemerkt hätte. 

Macht nichts, da nehmen wir ein neues Bild: Franziskus betätigt sich demnach zwar immer noch umstürzlerisch, aber nun
»zerrt [er] an der großen Deichsel, das gesamte kapitalistische 20. Jahrhundert und das halbe 19. Jahrhundert davor wirft er um, greift es an, bis hin zur heutigen Globalisierung (der Gleichgültigkeit).« 
Jetzt scheint der Kapitalismus ein Wagen zu sein, der von irgendjemandem oder irgendetwas gezogen wird oder werden sollte. Was vor der Zugvorrichtung (also der Deichsel) vorgesehen ist, bleibt ungesagt. Wichtig scheint nur, dass einer an ihr zerrt und den Karren umwirft. Warum er dazu an der Deichsel ansetzt, weiß wohl nur der Metaphern-Schmied, vielleicht aber auch er nicht. 

Die Deichsel aber hat es ihm besonders angetan. Sie wird schließlich auch mit dem »Widersacher« in Verbindung gebracht, den man sich wahrscheinlich als Kutscher vorstellen muss, und zwar (entsprechend dem Image der Bierkutscher) als einen fuchsteufelswilden Kerl: 
»Franziskus greift dem Widersacher dermaßen scharf in die Deichsel, dass der um sich schlägt und schäumt vor Wut.« 
Ein gewisses Verständnis für Satans Rage hat der Autor allerdings, denn der Widersacher ist ein harter Arbeiter, der jetzt mitansehen muss, wie ihm Dinge umgeworfen werden, die er
»in jahrzehntelanger, mühsamer Arbeit auf den Thron gestellt hat.« 
Diese Vorstellung vom ausrastenden Satan ist schon in sich peinlich genug, richtig unerträglich wird es allerdings, wenn mitgeteilt wird, woran man dessen Aktionen erkennen kann:
»... und so sehe ich einen direkten Zusammenhang zu den Unglücken in Santiago, aber auch zu dem Busunfall der Pilgergruppe auf der Rückreise von S. Giovanni Rotondo.« 
Wenn Katastrophen religiös gedeutet werden, wird meist die nächste Katastrophe erzeugt. Beim Hurrikan Katrina im Juli 2005 hat man das erleben können, ganz gleich ob ausdrücklich von der »Strafe Gottes« gesprochen (s. hier) oder dies eher verklausuliert wurde durch Phantasien über die Naturkatastrophe als Folge einer »geistigen Umweltverschmutzung«, die sich in den unbeschreiblich amoralischen Zuständen in der besonders betroffenen Stadt New Orleans zeige (s. hier). 

Wer keine Schwierigkeiten hat mit der Vorstellung eines dreinschlagenden Gottes, der den Tod von Unschuldigen als Kollateralschaden in Kauf nimmt, kann sie im Fall des Zugunglücks bei Santiago und des Busunfalls in Süditalien dennoch nicht anwenden: Es waren ja ausgerechnet fromme Pilger betroffen. Führt man deshalb zur »Erklärung« das Wirken böser Mächte an, wird es aber keineswegs besser. In diesem Fall wird nicht nur eine Vorstellung zugemutet, von der man nicht weiß, wie sie sich mit heutiger Welterfahrung – jedenfalls in unseren Breiten – vermitteln lassen soll: die Welt als Bühne für den Kampf überirdischer Mächte, der sich selbst auf Verkehrsunfälle auswirkt. Es ist auch nicht zu erkennen, wie man dann dem Dualismus entkommen könnte, der ein böses Prinzip gleichgewichtig neben das gute stellt. Man hat dann zwar kein theoretisches Problem mit dem Leid, aber auch keine Verbindung zum Gottesbekenntnis der jüdisch-christlichen Tradition. 

Wenn der Autor Recht hätte mit seiner Deutung, müsste man Papst Franziskus dringend bitten, mit seinen Äußerungen etwas vorsichtiger zu sein und den Widersacher nicht zu weiteren Aktionen zu reizen. Andernfalls würde der Papst alle Versuche zur Erhöhung der Verkehrssicherheit untergraben. Und wer weiß, was sich ein Amok laufender Teufel sonst noch alles einfallen lassen könnte. 

Das Denken in Schwarz-Weiß-Kategorien führt zu dem Schluss, Franziskus ließe »nur radikale Gegnerschaft oder Nachfolge« übrig. Eine seltsame Alternative, für den Autor aber offensichtlich äußerst reizvoll, denn er fährt fort: »Es war in meinem Leben noch nie so interessant.« Dass andere für sein interessantes Leben nach seiner eigenen Einschätzung einen hohen Preis zahlen, scheint ihn nicht zu stören. Wahrscheinlich rechnet er nicht damit, vom nächsten Ausraster des Widersachers getroffen zu werden. 

Kommentare

nina marzouki hat gesagt…
Vielen Dank für diesen Artikel, ein grossartiger Humor, befreiend und ein intellektuelles Vergnügen!

Zum Glück gibt es ausserhalb Europas Bischöfe ,die die Unhaltbarkeit der religiösen Interpretation von Naturkatastrophen betonen. So hat der Bischof von Cayes in Haiti in seinem Aufruf zur Solidarität im Januar 2010 davor gewarnt , das Erdbeben als Strafe Gottes zu sehen, die Erkenntnisse der Naturwissenschaft zu ignorieren und die Angst zur Grundlage der Gottesbeziehung zu machen.(Notre présente désolation n'est pas la conséquence d'une malédiction de Dieu. La science nous montre que la nature a ses lois d'organisation...Nous avons besoin ...non pas d'un culte qui entretient la peur mais d'une prière d'un enfant à son père...révélatrice sur ce que nous devons faire...soyons solidaires pour rebâtir Haiti!)

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