Das Bier im Kühlschrank und die Theologie
Seit dem letzten Post ist nun ein Jahr vergangen. Zeit und Energie haben nicht gereicht, um dieses Blog weiter mit Beiträgen zu beliefern. Nach dieser Pause wage ich einen Neueinstieg in der Hoffnung, dass die beiden genannten Größen in der Zukunft nicht so knapp bemessen sind. Den letzten Anstoß zum erneuten Versuch gab eine Bemerkung, mit der die Naturwissenschaft von Theologie (und Esoterik) abgegrenzt werden sollte. Auf sie bin ich durch das Münsteraner Forum für Theologie und Kirche gestoßen.
Vince Ebert, Diplom-Physiker, Moderator, Kabarettist, fördert nicht nur das Interesse an Naturwissenschaften, sondern bietet auch Sinnstiftung angesichts der Endlichkeit menschlicher Existenz an. Für die Aussicht auf Unsterblichkeit braucht er keinen dreifaltigen Gott, die »drei Hauptsätze der Thermodynamik reichen dafür vollkommen aus« (s. Video hier ab 41:45). Die 1028 Atome, aus denen der Mensch besteht, gehen im Tod nicht verloren; »nichts von uns verschwindet, wir sind einfach nur weniger geordnet«. Welchen Sinn die Rede von »wir« oder »ich« in diesem ungeordneten Zustand haben kann, wird uns nicht mitgeteilt. Hier spricht einer, der so begeistert ist von der Materie, dass es ihm offensichtlich genügt, dass Teile seines Körpers in einen Stein eingehen, in einen Baum oder ein Darmbakterium. Man muss sich also nicht wundern, wenn Ebert für eine konsequent naturwissenschaftliche Weltsicht wirbt und alles nach deren Maßstäben bewertet.
Das unternimmt er seit 2016 als Kolumnist auf Spektrum.de alle 14 Tage. Leider scheint er im aktuellen Beitrag davon auszugehen, es würde die Größe der Naturwissenschaft steigern, wenn er nicht-naturwissenschaftliche Deutungen der Wirklichkeit klein macht (s. hier). Die Furcht vor Vereinfachung quält ihn dabei nicht im Übermaß.
Was ist wissenschaftliches Denken?
Zunächst wird eine sehr einfache Definition von wissenschaftlichem Denken vorgestellt ...
Das Missverständnis
Dass dieses Beispiel wenig glücklich gewählt ist, zeigt sich nicht allein an der Tatsache, dass die Verwendung eines Schlüssels oder Brecheisens zur Öffnung des Kühlschranks nicht in Erwägung gezogen wird. Es muss ein hochkompliziertes Analyseverfahren sein, um irgendwie einen Bezug zur Naturwissenschaft unterzubringen und gleichzeitig Theologen als Deppen und Esoteriker als Lügner dastehen zu lassen. Im Hintergrund des Beispiels scheint ein grobes Missverständnis von Theologie zu stehen: dass sie Aussagen trifft, die auf derselben Ebene liegen wie die naturwissenschaftliche Erklärung der Welt. Was die aufwändige Behandlung des Kühlschranks durch Schütteln, Wiegen usw. herausbekommt, wird von der Theologie einfach behauptet – als ob, auf der Ebene des Beispiels gesprochen, die Theologie sich zum Vorhandensein empirisch nachweisbarer Gegenstände äußern würde oder allgemeiner: als ob es der Theologie um Inhalte ginge, die durch naturwissenschaftliche Experimente und Messungen zu eruieren sind.
Warum kommt in diesem Beispiel die Theologie eigentlich zu einer positiven Antwort (»im Kühlschrank ist Bier«)? Im Hintergrund steht wohl der Gedanke, Theologie sei »Rede von Gott« und setze deshalb die Vorstellung der Existenz Gottes voraus. So wird die ungeprüfte Behauptung von der Füllung des Kühlschranks mit Bier (und nicht dessen Nicht-Existenz) im bildhaften Beispiel zum Charakteristikum des Theologen. Auf diese Weise erklärt sich auch, warum ausgerechnet die Theologie zum Gegenüber des experimentellen Zugriffs auf den Kühlschrank wird und nicht etwa die Literaturwissenschaft, Soziologie oder Altertumskunde. Es geht nicht um das Gegenüber von Natur- und Geisteswissenschaft, sondern um die Bestreitung der theologischen Deutung der Welt. Die Theologie, so der Vorwurf, redet ungeprüftes Zeug über die Welt daher; Gültigkeit aber könne nur beanspruchen, was naturwissenschaftlich nachgewiesen bzw. nicht falsifiziert ist.
Dieses Werturteil wird zwar nicht ausdrücklich gefällt, gibt sich aber hinter dem Beispiel zu erkennen, denn es ist so gewählt, dass eine empirisch zu entscheidende Frage verhandelt und der Theologie vorgehalten wird, diese nicht sachgerecht anzugehen oder anders: nicht Naturwissenschaft zu sein. Naturwissenschaftlich begründen lässt sich dieses Werturteil allerdings nicht.
Was ist Theologie?
Auch wenn das »Bier-im-Kühlschrank-Beispiel« die Gefahr der Albernheit mit sich bringt, nehme ich es auf und versuche an ihm zu zeigen, dass Theologie etwas anderes ist als eine einfache Existenz-Behauptung. Theologie ist ja mit »Rede von Gott« noch nicht zutreffend erfasst, sie ist vielmehr Reflexion der Rede von Gott, die vom Standpunkt des Glaubens aus unternommen wird. Diese Reflexion ist zudem als wissenschaftliche Reflexion zu bezeichnen. Dabei meint »wissenschaftlich« selbstverständlich nicht »naturwissenschaftlich«, aber doch ein methodengeleitetes Vorgehen, das Argumente offenlegt und so zu diskutablen Ergebnissen führt.
Das bedeutet für unser Beispiel: Ein spezifisch theologischer Zugang zur Frage nach dem Bier im Kühlschrank ist mit der Behauptung, das Getränk befinde sich darinnen, noch nicht erfasst. Er würde zwar davon ausgehen, dass Bier im Kühlschrank ist, zugleich aber diese Annahme durchdenken und plausibel zu machen versuchen.
Was würde Theologie tun, wenn es um das Bier im Kühlschrank ginge?
So würde sich die Theologie mit der Frage befassen, in welchen Dokumenten etwas über das Bier zu erfahren ist. Sie ginge dabei von der Annahme aus, dass manche Quellen besonders zuverlässig Auskunft geben könnten über das Bier – eine Annahme, die nicht bewiesen werden, aber sich auf weit zurückreichende Erfahrungen stützen könnte. Großer Aufwand würde getrieben, um diese Quellen angemessen zu verstehen: Sie würden geschichtlich in den Kontext ihrer Entstehung und Überlieferung eingeordnet, unter Berücksichtigung auch materieller Hinterlassenschaften (etwa: was lässt sich aus Glasscherbenfunden für jene Welt lernen, aus der die Dokumente über das Bier im Kühlschrank stammen?). Untersucht würde, wie sich die Annahme, im Kühlschrank sei Bier, durch die Jahrhunderte unter wechselnden geschichtlichen Bedingungen entfaltet hat. Man stünde im Gespräch mit der Philosophie, sofern diese sich über das Wesen von Kühlschrank und Bier und die Existenz des einen im anderen Gedanken gemacht hat. Sie würde versuchen, die Annahme, Bier sei im Kühlschrank, gegen Bestreitungen zu verteidigen; auch gegen die Meinung, es befinde sich ein ganz anderes Bier oder etwas ganz anderes oder gar nichts hinter der geschlossenen Tür. Es ginge der Theologie außerdem darum, die verhandelte Annahme in ihrem geschichtlichen und systematischen Zusammenhang zu entfalten, auch unter dem Aspekt ethisch begründeten Handelns, und ihre heutige Bedeutung zu erschließen – grundsätzlich und im Blick auf das (auch rechtlich geregelte) Zusammenleben all derer, denen es existentiell wichtig geworden ist, dass Bier im Kühlschrank ist.
Es gibt also eine ganze Reihe von Bezugswissenschaften, auf deren Methoden die Theologie zur Reflexion des Glaubens zurückgreift: Philosophie, Geschichts- und Literaturwissenschaft, Humanwissenschaften, Rechtswissenschaft. Was soll da die Aussage, in der Theologie würden »Vermutungen in der Regel nicht überprüft«? Dass dieses Fach ausschließlich nicht überprüfbare, also nicht diskutable Aussagen liefert, kann nur behaupten, wer Theologie und Kinderglaube für Synonyme hält.
Kritik der Arroganz
Mit Recht kritisiert Ebert in den Spuren von Ernst Peter Fischer (»Die andere Bildung«) den begrenzten Begriff von Bildung, der Dietrich Schwanitz' Bestseller »Bildung« mit dem Ausschluss der Naturwissenschaft zugrundeliegt. In ihm zeige sich eine »sehr arrogante Haltung« – also in etwa das, was Ebert selbst an den Tag legt: in der Gleichsetzung von »Wissenschaft« mit »Naturwissenschaft«; in der uninformierten Banalisierung der Theologie; im Erstaunen darüber, dass sich naturwissenschaftliches Denken erst spät (im 17. Jahrhundert) durchgesetzt hat: Sind Durchbrüche erst einmal erzielt, kann man sich leicht über die dunklen Zeiten davor erheben.
Geistige Freiheit
Zustimmen kann ich auch in einem zweiten Punkt:
Dass Erkenntnis ungesichert bleibt, weiß auch, wer mit der Geschichtswissenschaft in Berührung gekommen ist. Dies könnte auch davor bewahren, die vornaturwissenschaftliche Vergangenheit im Glanz der eigenen Erleuchtung allzu dunkel erscheinen zu lassen. Dass noch »vor 400 Jahren … jedes Unwetter und jede Krankheit, alles, was irgendwie außerhalb der Normalität war, als Hexenwerk bezeichnet« wurde, ist jedenfalls eine Aussage, die, der Falsifizierbarkeit sei Dank, keinen Bestand haben dürfte (Hervorhebungen im Zitat von mir).
Vorurteil und Sinnstiftung
Äußert sich in diesem Blog-Beitrag die beleidigte Leberwurst, die es nicht schafft, eine witzig gemeinte Nebenbemerkung mit Humor zu nehmen? Schlüssig entkräften kann ich diesen Verdacht nicht, biete aber eine andere Deutung an: Dass sich der angezielte Lacherfolg bei mir nicht so recht einstellen will, liegt vor allem daran, dass die Bemerkung über den Theologen typische und äußerst abgegriffene Vorurteile bedient. Die sind nicht nur bedauerlich, weil sie aus Unkenntnis erwachsen; sie sind auch ärgerlich, weil es sich um Vorurteile handelt, mit denen die Theologie als Fach an der Universität häufig zu kämpfen hat.
Es ist schön und lobenswert, sich für die Naturwissenschaft einzusetzen. Noch schöner ist es, wenn man dies ohne den Versuch tut, die Theologie lächerlich zu machen. Aber wer die Naturwissenschaft mit der Aufgabe der Sinnstiftung belastet (s.o.), muss die Theologie wohl als Konkurrenzveranstaltung verstehen. Immerhin treffen sich Theologen und Vince Ebert in diesem Fall darin, dass sie keine Naturwissenschaft betreiben. Der Gedanke, die Weiterexistenz der Atome des zerfallenen Körpers sei als Unsterblichkeit zu begreifen, ist Pastoral für Materialisten. Sollte er für diese Zielgruppe tröstlich sein, ließe sich das nicht naturwissenschaftlich begründen.
Bild: qimono/pixabay
Vince Ebert, Diplom-Physiker, Moderator, Kabarettist, fördert nicht nur das Interesse an Naturwissenschaften, sondern bietet auch Sinnstiftung angesichts der Endlichkeit menschlicher Existenz an. Für die Aussicht auf Unsterblichkeit braucht er keinen dreifaltigen Gott, die »drei Hauptsätze der Thermodynamik reichen dafür vollkommen aus« (s. Video hier ab 41:45). Die 1028 Atome, aus denen der Mensch besteht, gehen im Tod nicht verloren; »nichts von uns verschwindet, wir sind einfach nur weniger geordnet«. Welchen Sinn die Rede von »wir« oder »ich« in diesem ungeordneten Zustand haben kann, wird uns nicht mitgeteilt. Hier spricht einer, der so begeistert ist von der Materie, dass es ihm offensichtlich genügt, dass Teile seines Körpers in einen Stein eingehen, in einen Baum oder ein Darmbakterium. Man muss sich also nicht wundern, wenn Ebert für eine konsequent naturwissenschaftliche Weltsicht wirbt und alles nach deren Maßstäben bewertet.
Das unternimmt er seit 2016 als Kolumnist auf Spektrum.de alle 14 Tage. Leider scheint er im aktuellen Beitrag davon auszugehen, es würde die Größe der Naturwissenschaft steigern, wenn er nicht-naturwissenschaftliche Deutungen der Wirklichkeit klein macht (s. hier). Die Furcht vor Vereinfachung quält ihn dabei nicht im Übermaß.
Was ist wissenschaftliches Denken?
Zunächst wird eine sehr einfache Definition von wissenschaftlichem Denken vorgestellt ...
»Banal gesagt ist wissenschaftliches Denken eine Methode zur Überprüfung von Vermutungen.«... und durch ein Beispiel mit ähnlichem Komplexitätsgrad erläutert, nämlich der Frage, ob im Kühlschrank Bier sei. Anhand der Haltung zu dieser Frage werden dann Wissenschaftler, Theologen und Esoteriker charakterisiert: Theologen geben sich normalerweise mit nicht überprüften Vermutungen zufrieden und behaupten einfach, ohne nachzusehen, im Kühlschrank sei Bier; Esoteriker dagegen sehen nach, finden nichts und behaupten dennoch: »Es ist Bier drin!« Naturwissenschaftler dagegen untersuchen selbst einen abgeschlossenen Kühlschrank mit allen möglichen Methoden: vom Schütteln, Wiegen über das Durchleuchten mit Röntgenstrahlen bis hin zum Abfackeln des Geräts mit anschließender Untersuchung der Rückstände.
Das Missverständnis
Dass dieses Beispiel wenig glücklich gewählt ist, zeigt sich nicht allein an der Tatsache, dass die Verwendung eines Schlüssels oder Brecheisens zur Öffnung des Kühlschranks nicht in Erwägung gezogen wird. Es muss ein hochkompliziertes Analyseverfahren sein, um irgendwie einen Bezug zur Naturwissenschaft unterzubringen und gleichzeitig Theologen als Deppen und Esoteriker als Lügner dastehen zu lassen. Im Hintergrund des Beispiels scheint ein grobes Missverständnis von Theologie zu stehen: dass sie Aussagen trifft, die auf derselben Ebene liegen wie die naturwissenschaftliche Erklärung der Welt. Was die aufwändige Behandlung des Kühlschranks durch Schütteln, Wiegen usw. herausbekommt, wird von der Theologie einfach behauptet – als ob, auf der Ebene des Beispiels gesprochen, die Theologie sich zum Vorhandensein empirisch nachweisbarer Gegenstände äußern würde oder allgemeiner: als ob es der Theologie um Inhalte ginge, die durch naturwissenschaftliche Experimente und Messungen zu eruieren sind.
Warum kommt in diesem Beispiel die Theologie eigentlich zu einer positiven Antwort (»im Kühlschrank ist Bier«)? Im Hintergrund steht wohl der Gedanke, Theologie sei »Rede von Gott« und setze deshalb die Vorstellung der Existenz Gottes voraus. So wird die ungeprüfte Behauptung von der Füllung des Kühlschranks mit Bier (und nicht dessen Nicht-Existenz) im bildhaften Beispiel zum Charakteristikum des Theologen. Auf diese Weise erklärt sich auch, warum ausgerechnet die Theologie zum Gegenüber des experimentellen Zugriffs auf den Kühlschrank wird und nicht etwa die Literaturwissenschaft, Soziologie oder Altertumskunde. Es geht nicht um das Gegenüber von Natur- und Geisteswissenschaft, sondern um die Bestreitung der theologischen Deutung der Welt. Die Theologie, so der Vorwurf, redet ungeprüftes Zeug über die Welt daher; Gültigkeit aber könne nur beanspruchen, was naturwissenschaftlich nachgewiesen bzw. nicht falsifiziert ist.
Dieses Werturteil wird zwar nicht ausdrücklich gefällt, gibt sich aber hinter dem Beispiel zu erkennen, denn es ist so gewählt, dass eine empirisch zu entscheidende Frage verhandelt und der Theologie vorgehalten wird, diese nicht sachgerecht anzugehen oder anders: nicht Naturwissenschaft zu sein. Naturwissenschaftlich begründen lässt sich dieses Werturteil allerdings nicht.
Was ist Theologie?
Auch wenn das »Bier-im-Kühlschrank-Beispiel« die Gefahr der Albernheit mit sich bringt, nehme ich es auf und versuche an ihm zu zeigen, dass Theologie etwas anderes ist als eine einfache Existenz-Behauptung. Theologie ist ja mit »Rede von Gott« noch nicht zutreffend erfasst, sie ist vielmehr Reflexion der Rede von Gott, die vom Standpunkt des Glaubens aus unternommen wird. Diese Reflexion ist zudem als wissenschaftliche Reflexion zu bezeichnen. Dabei meint »wissenschaftlich« selbstverständlich nicht »naturwissenschaftlich«, aber doch ein methodengeleitetes Vorgehen, das Argumente offenlegt und so zu diskutablen Ergebnissen führt.
Das bedeutet für unser Beispiel: Ein spezifisch theologischer Zugang zur Frage nach dem Bier im Kühlschrank ist mit der Behauptung, das Getränk befinde sich darinnen, noch nicht erfasst. Er würde zwar davon ausgehen, dass Bier im Kühlschrank ist, zugleich aber diese Annahme durchdenken und plausibel zu machen versuchen.
Was würde Theologie tun, wenn es um das Bier im Kühlschrank ginge?
So würde sich die Theologie mit der Frage befassen, in welchen Dokumenten etwas über das Bier zu erfahren ist. Sie ginge dabei von der Annahme aus, dass manche Quellen besonders zuverlässig Auskunft geben könnten über das Bier – eine Annahme, die nicht bewiesen werden, aber sich auf weit zurückreichende Erfahrungen stützen könnte. Großer Aufwand würde getrieben, um diese Quellen angemessen zu verstehen: Sie würden geschichtlich in den Kontext ihrer Entstehung und Überlieferung eingeordnet, unter Berücksichtigung auch materieller Hinterlassenschaften (etwa: was lässt sich aus Glasscherbenfunden für jene Welt lernen, aus der die Dokumente über das Bier im Kühlschrank stammen?). Untersucht würde, wie sich die Annahme, im Kühlschrank sei Bier, durch die Jahrhunderte unter wechselnden geschichtlichen Bedingungen entfaltet hat. Man stünde im Gespräch mit der Philosophie, sofern diese sich über das Wesen von Kühlschrank und Bier und die Existenz des einen im anderen Gedanken gemacht hat. Sie würde versuchen, die Annahme, Bier sei im Kühlschrank, gegen Bestreitungen zu verteidigen; auch gegen die Meinung, es befinde sich ein ganz anderes Bier oder etwas ganz anderes oder gar nichts hinter der geschlossenen Tür. Es ginge der Theologie außerdem darum, die verhandelte Annahme in ihrem geschichtlichen und systematischen Zusammenhang zu entfalten, auch unter dem Aspekt ethisch begründeten Handelns, und ihre heutige Bedeutung zu erschließen – grundsätzlich und im Blick auf das (auch rechtlich geregelte) Zusammenleben all derer, denen es existentiell wichtig geworden ist, dass Bier im Kühlschrank ist.
Es gibt also eine ganze Reihe von Bezugswissenschaften, auf deren Methoden die Theologie zur Reflexion des Glaubens zurückgreift: Philosophie, Geschichts- und Literaturwissenschaft, Humanwissenschaften, Rechtswissenschaft. Was soll da die Aussage, in der Theologie würden »Vermutungen in der Regel nicht überprüft«? Dass dieses Fach ausschließlich nicht überprüfbare, also nicht diskutable Aussagen liefert, kann nur behaupten, wer Theologie und Kinderglaube für Synonyme hält.
Kritik der Arroganz
Mit Recht kritisiert Ebert in den Spuren von Ernst Peter Fischer (»Die andere Bildung«) den begrenzten Begriff von Bildung, der Dietrich Schwanitz' Bestseller »Bildung« mit dem Ausschluss der Naturwissenschaft zugrundeliegt. In ihm zeige sich eine »sehr arrogante Haltung« – also in etwa das, was Ebert selbst an den Tag legt: in der Gleichsetzung von »Wissenschaft« mit »Naturwissenschaft«; in der uninformierten Banalisierung der Theologie; im Erstaunen darüber, dass sich naturwissenschaftliches Denken erst spät (im 17. Jahrhundert) durchgesetzt hat: Sind Durchbrüche erst einmal erzielt, kann man sich leicht über die dunklen Zeiten davor erheben.
Geistige Freiheit
Zustimmen kann ich auch in einem zweiten Punkt:
»Das größte Geschenk der Wissenschaft besteht darin, dass sie uns etwas über den Gebrauch geistiger Freiheit lehrt. Lernen, die richtigen Fragen zu stellen; überprüfen, welche Gründe verlässlich sind; und sich bewusst sein, dass man vieles nur sehr unzulänglich weiß.Allerdings folgt auch hier eine Einschränkung. Aus dem Duktus des Beitrags schließe ich, dass hier die Naturwissenschaft im Blick ist. Aber das genannte Geschenk wird auch von anderen Wissenschaften überreicht – eingeschlossen die Theologie und ihre Reflexion des Glaubens, die Gewissheiten und Autoritäten erschüttern, neue Fragen zu stellen und Argumente zu prüfen lehren kann.
Dass Erkenntnis ungesichert bleibt, weiß auch, wer mit der Geschichtswissenschaft in Berührung gekommen ist. Dies könnte auch davor bewahren, die vornaturwissenschaftliche Vergangenheit im Glanz der eigenen Erleuchtung allzu dunkel erscheinen zu lassen. Dass noch »vor 400 Jahren … jedes Unwetter und jede Krankheit, alles, was irgendwie außerhalb der Normalität war, als Hexenwerk bezeichnet« wurde, ist jedenfalls eine Aussage, die, der Falsifizierbarkeit sei Dank, keinen Bestand haben dürfte (Hervorhebungen im Zitat von mir).
Vorurteil und Sinnstiftung
Äußert sich in diesem Blog-Beitrag die beleidigte Leberwurst, die es nicht schafft, eine witzig gemeinte Nebenbemerkung mit Humor zu nehmen? Schlüssig entkräften kann ich diesen Verdacht nicht, biete aber eine andere Deutung an: Dass sich der angezielte Lacherfolg bei mir nicht so recht einstellen will, liegt vor allem daran, dass die Bemerkung über den Theologen typische und äußerst abgegriffene Vorurteile bedient. Die sind nicht nur bedauerlich, weil sie aus Unkenntnis erwachsen; sie sind auch ärgerlich, weil es sich um Vorurteile handelt, mit denen die Theologie als Fach an der Universität häufig zu kämpfen hat.
Es ist schön und lobenswert, sich für die Naturwissenschaft einzusetzen. Noch schöner ist es, wenn man dies ohne den Versuch tut, die Theologie lächerlich zu machen. Aber wer die Naturwissenschaft mit der Aufgabe der Sinnstiftung belastet (s.o.), muss die Theologie wohl als Konkurrenzveranstaltung verstehen. Immerhin treffen sich Theologen und Vince Ebert in diesem Fall darin, dass sie keine Naturwissenschaft betreiben. Der Gedanke, die Weiterexistenz der Atome des zerfallenen Körpers sei als Unsterblichkeit zu begreifen, ist Pastoral für Materialisten. Sollte er für diese Zielgruppe tröstlich sein, ließe sich das nicht naturwissenschaftlich begründen.
Bild: qimono/pixabay
Kommentare
Das Thema Theologie und Naturwissenschaften und ihr Verhältnis zueinander beschäftigt mich auch immer wieder und in verschiedenen Diskussionen fällt mir dabei auf, dass oft nicht verstanden wird, dass Naturwissenschaft und Theologie zwei verschiedene Fragestellungen bzw. Sichtweisen auf die Welt haben. Die Antworten darauf fallen naturgemäß unterschiedlich aus, müssen sich aber nicht ausschließen. Ich halte es aber für wichtig, dass beide Disziplinen sich mit der jeweils anderen beschäftigen, um nicht im jeweiligen Elfenturm stecken zu bleiben. Mich beschleicht dabei immer mehr das Gefühl, dass sich die Naturwissenschaften dem immer mehr verschließen und die Theologie da offener ist (zumindest habe ich das im Studium so erlebt).
Viele Grüße von einer Theologin und Ingenieurin/Naturwissenschaftlerin, die sehr glücklich darüber ist, beide Sichtweisen in sich vereinigen zu können.
es ist sicher nicht die "Leberwurst", die sich hier mit dem naturwissenschaftlich-naturalistischen Weltbild auseinandersetzt, das den Anspruch erhebt, selbst den Sinn des Seins noch erklären zu wollen. Macht der Beitrag doch mehr als deutlich, wo die heutigen Probleme liegen. Da erklärt die moderne Naturwissenschaft nicht nur wie alles in Vernunft (hebr. Wort) geworden ist, zusammenhängt, aus einem Ursprung hervorgegangen ist, sondern macht auch den gemeinsamen Grund deutlich, den die Alten Herr oder Vater nannten. Und die Theologen schauen im Buch nach und behaupten, es wäre Bier im Kühlschrank.
Aber wer den Grund des christlichen Glaubens nicht in der Vernunft bedenken will, die nicht nur für die antike Aufklärung, das gesamte Denken der Zeitenwende galt, sondern hellenistische Juden an der Quelle des NT als das verstanden, was den Hebräern als Wort galt, den Hellenisten die Göttersöhne waren und so mit Zeus indendifiziert wurde, der darf sich über nicht wurdern. Wenn der Logos (heute z.B. Öko-logie, nat. schöfperische Wirklichkeit) der bekanntlich auch Thema aller frühchristlichen Lehren, der Kirchenväter oder christlichen Kaiser war, keine Rolle spielt, liegt es auf der Hand, dass die Naturwissenschaft eigene Wege geht und in den Naturalismus abrutscht. Auch dass gleichzeitig im Namen Gottes Aberglaube und mit dem Glaube Missbrauch betrieben wird, geht auf dieses Konto.
Naturwissenschaft und Theologie allein in sich zu vereinen, ist zu wenig. Damit haben sich die jüdisch-hellenistischen Denker der sog. Zeit Jesus, die in der Vernunftlehre den neuen Josua (lat. Jesus) sahen, nicht zufrieden gegeben. Wer beispielsweise Philo von Alexandrien über die Schulter schaut, erkennt, wie dort (im Gegensatz zum Marcionismus) das AT mit dem Weltbild naturwissenschaftlicher Kinderstube auf einen Nenner gebracht, damit inhaltlich belegt wurde, warum wirklich das biblisch berichtete Bier im Kühlschrank ist. Denn allein die biblische Behauptung, die aus dem Mittelalter bis zur Aufklärung getragen hat, bring heute so wenig, wie die rein naturwissenschaftliche Welterkärung.