Posts

Stückls Werk und Schäfers Beitrag

Bild
Das Passionsspiel von Oberammergau 2022, die vierte von Christian Stückl geleitete Inszenierung, hat ganz überwiegend ein geradezu begeistertes Echo gefunden. Zum Abschluss hat sich allerdings eine Stimme zu Wort gemeldet, die in diesen Chor nicht einstimmt. Kurz bevor die Friseure in Oberammergau nach der Dernière ihre kürzende Arbeit an den Schauspielern ausführten, hat Peter Schäfer, Judaist von Weltruf, in einem Beitrag in der Süddeutschen Zeitung  das Werk noch radikaler behandelt und kein gutes Haar an ihm gelassen (der Beitrag ist nicht frei verfügbar).  Die Perspektive der Kritik ist inhaltlich sehr fokussiert. Wie das Stück als Bühnenwerk wirkt: im Zusammenspiel von Orchester, Chor, Schauspiel und stehenden Bildern, mit dem Wechsel von Massenszenen (mit dem halben Dorf und allen Altersgruppen auf der Bühne) und ruhigeren Partien oder auch dramatischen Einzelszenen – das wird nicht zum Thema der Besprechung. Im Kern richtet sich die Kritik auf einen Punkt, der gewöhnlich a

Reizwort und Machtwort

Bild
Bis in die Süddeutsche Zeitung hat es der Streit um einen Vortrag der Tübinger Dogmatikerin Johanna Rahner gebracht, genauer: nicht um einen Vortrag, sondern um einen Satz aus dem Vortrag, den katholisch.de auf der Grundlage einer KNA-Nachricht verbreitet hat. Sie habe geäußert, jeder, der nicht für die Gleichberechtigung von Frauen in der Kirche eintrete, sei ein Rassist. Inzwischen ist das Manuskript des Vortragstextes zugänglich. Liest man den Satz im Kontext, stellt sich die Sache doch etwas anders dar. Rahner greift zurück auf die Analysen der Soziologin Robin DiAngelo zum Rassismus von Weißen, der darin besteht, dass sie, der eigenen Privilegien nicht bewusst, den People of Colour die Verantwortung für die Überwindung des Rassismus überlassen, anstatt aktiv für ein Ende der Diskriminierung einzutreten – sie haben dazu Macht und Möglichkeit. In diesem Sinn fordert Rahner, dass die Männer die Diskriminierung von Frauen in der Kirche benennen und gegen sie eintreten. Und schli

Die Bibel als Belegstellen-Discounter

Bild
Kardinal Gerhard Ludwig Müller weiß, wo es langgeht auf dem Weg zum Heil – und auf dem zum Unheil. So haben ihn denn »viele Bischöfe, Priester, Ordensleute und Laien der katholischen Kirche … um ein öffentliches Zeugnis für die Wahrheit der Offenbarung gebeten.« Es gibt keinen Grund, dies zu bezweifeln. Man hat allerdings seit einiger Zeit den Eindruck, dass Kardinal Müller derlei Bitten nicht braucht, um sich zu öffentlicher Äußerung gedrängt zu fühlen. So sieht er denn auch in dem nun publizierten  Glaubensmanifest   eine   erhebliche Bedrohungslage, die eine Belehrung durch den »Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre von 2012-2017« nicht nur auf Nachfrage als angemessen erscheinen lässt: »Heute sind vielen Christen selbst die grundlegenden Lehren des Glaubens nicht mehr bekannt, so dass die Gefahr wächst, den Weg zum Ewigen Leben zu verfehlen.« Zuverlässige Orientierung unter den Bedingungen einer Diktatur – und zwar der derjenigen des Relativismus – gibt der Katechismu

Über Kreuz

Bild
Der Kreuzerlass des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder hat jetzt ein .de bekommen ( kreuzerlass.de ). Der Vorgang gibt sich im Ursprung freilich als eine recht bayerische Angelegenheit zu erkennen. Die »Ökumenische Erklärung katholischer und evangelischer Professoren und Hochschullehrer der Theologie zum bayerischen Kreuzerlass am 1.6.2018« wird nachfolgend präzisiert als eine Erklärung von »aus Bayern stammenden oder in Bayern lehrenden christlichen Theologen« – so werden die Erstunterzeichner vorgestellt. Dass Bayern noch auf eine Weise der Tradition verbunden ist, wie es andere Landstriche nicht mehr kennen, mag ich, ein nicht aus Bayern stammender, aber in Bayern lehrender Theologe, sehr. Der Kreuzerlass dient aber in erster Linie nicht der Stärkung der bayerischen Tradition, sondern der des bayerischen Ministerpräsidenten, dem sichtlich daran gelegen war, dass auch in Ostfriesland niemand den Erlass verpasst. Die Unterzeichner der Theologen-Erklärung bekennen si

Die sechste Bitte

Bild
Die Zahl derer, die der sechsten Bitte des Vaterunsers in unserer Medienwelt Schlagzeilenpotential zugetraut haben, dürfte überschaubar sein. Tatsächlich hat es Papst Franziskus mit seiner Kritik an Übersetzungen dieser Bitte  sogar auf die Titelseite der Bild am Sonntag geschafft. »Führe uns nicht in Versuchung« sei eine schlechte Übersetzung, weil nicht Gott den Menschen in Versuchung stürze: »Ein Vater tut so etwas nicht; ein Vater hilft sofort wieder aufzustehen. Wer dich in Versuchung führt, ist Satan«. Ob eine Übersetzung gut oder schlecht ist, entscheidet sich freilich nicht an der Übereinstimmung mit einer theologischen Überzeugung, sondern am Text, der übersetzt wird. In Mt 6,13 und Lk 11,4 heißt es: μὴ εἰσενέγκῃς ἡμᾶς εἰς πειρασμόν. μὴ εἰσενέγκῃς ist verneinter Imperativ, gebildet mit dem Konjunktiv Aorist von εἰσφέρω (hineinbringen, hineintragen), also: »bringe nicht hinein«. ἡμᾶς ist Personalpronomen, und zwar 1. Person Plural im Akkusativ: »bringe uns nicht hinein«. D

In der Fertigungshalle einer Eklatfabrik

Bild
» Erneut Eklat um katholisch.de-Mitarbeiter Odendahl « so wird ein Aufreger angekündigt, der zeigt, wie man einen Eklat dadurch produziert, dass man über ihn schreibt. Es geht um eine Diskussion auf Facebook, die von einem Kommentar des früheren Sprechers des Bistums Limburg, Martin Wind, ausging. Der hatte in Reaktion auf eine Meldung über den neuen »Social Media Codex« im Bistum Augsburg geschrieben: »Es gibt ein vorgeblich katholisches Portal, dem wäre manches erspart geblieben, hätten die Mitarbeiter (einer beleidigte AfD-Wähler und -mitglieder via Twitter als "Arschlöcher") und andere Subalterne (schrieben herablassend-rassistisch über Christen Afrikas und versuchen permanent römisch-katholische Christen der Lächerlichkeit auszusetzen) zumindest diese Richtlinien beachtet, wenn schon ihre Erziehung solche Entgleisungen nicht verhindern konnte ...« Diese recht unfreundliche Wortmeldung hat einer der Angegriffenen ebenfalls unfreundlich kommentiert: »Herr Wind, da ha

Osterwitz-Figur Nikodemus

Bild
In den letzten Tagen hat ein Osterwitz in verschiedenen Variationen die Runde gemacht: Nikodemus versucht entweder Josef von Arimathäa zur Herausgabe seines Familiengrabes für die Beisetzung Jesu zu gewinnen oder sich vor seiner Frau zu rechtfertigen, dass er selbst das Familiengrab für diesen Zweck hergegeben hat. Entscheidendes Argument in beiden Fällen: »Es ist ja nur für das Wochenende« (wahlweise: »nur für drei Tage)«. Zuerst habe ich gelacht, dann meldete sich der Exeget und sagte: »Eine interessante Fortschreibung der johanneischen Figurenzeichnung!« Man muss Exegeten nicht dafür bedauern, dass sie Osterwitze nicht ohne Hintergedanken genießen können. Wie sich zeigen wird, kann man Osterwitze auch exegetisch ausschlachten. Aber der Reihe nach: Schauen wir uns die Nikodemusfigur im Johannes-Evangelium etwas näher an. Das nächtliche Gespräch mit Jesus Erstmals taucht Nikodemus in 3,1 auf. Nachts besucht er Jesus. Dabei soll er als Vertreter einer Gruppe wahrgenommen werd