Reizwort und Machtwort
Bis in die Süddeutsche Zeitung hat es der Streit um einen Vortrag der Tübinger Dogmatikerin Johanna Rahner gebracht, genauer: nicht um einen Vortrag, sondern um einen Satz aus dem Vortrag, den katholisch.de auf der Grundlage einer KNA-Nachricht verbreitet hat. Sie habe geäußert, jeder, der nicht für die Gleichberechtigung von Frauen in der Kirche eintrete, sei ein Rassist. Inzwischen ist das Manuskript des Vortragstextes zugänglich. Liest man den Satz im Kontext, stellt sich die Sache doch etwas anders dar. Rahner greift zurück auf die Analysen der Soziologin Robin DiAngelo zum Rassismus von Weißen, der darin besteht, dass sie, der eigenen Privilegien nicht bewusst, den People of Colour die Verantwortung für die Überwindung des Rassismus überlassen, anstatt aktiv für ein Ende der Diskriminierung einzutreten – sie haben dazu Macht und Möglichkeit. In diesem Sinn fordert Rahner, dass die Männer die Diskriminierung von Frauen in der Kirche benennen und gegen sie eintreten. Und schließlich der Satz: »Wer daran nichts ändern will, ist nichts anderes als ein Rassist.« Das liest sich am Ende der erwähnten Ausführungen doch anders, als wenn man die Aussage isoliert wahrnimmt: Der scharfe Begriff gründet in der Übertragung einer Denkfigur aus der Rassismus-Debatte. Über die konkrete Formulierung (»ist nichts anderes als ein Rassist«) kann man streiten. Mir scheint sie angesichts des unterschiedlichen Gewichts von Diskriminierungserfahrungen nicht glücklich. Das ändert aber nichts daran, dass Johanna Rahner den stärksten Grund hat, sich über die zugespitzte Berichterstattung zu ärgern.
Gegen eine »neue Glaubensregel«
Empört hat sich allerdings der Passauer Bischof Stefan Oster. Auf die Meldung hat er mit einem scharfen Blogpost reagiert, in dem er die Notwendigkeit unterstrichen hat, Grenzen des Katholischen zu markieren – gegen die »neue Glaubensregel«, nach der niemand dem anderen erklären dürfe, was er sage, sei nicht katholisch. Die konstruierte Gegenposition erscheint als einheitliche, einflussreiche und Erlaubnis erteilende Größe:
Spannungen aushalten
Empört hat sich allerdings der Passauer Bischof Stefan Oster. Auf die Meldung hat er mit einem scharfen Blogpost reagiert, in dem er die Notwendigkeit unterstrichen hat, Grenzen des Katholischen zu markieren – gegen die »neue Glaubensregel«, nach der niemand dem anderen erklären dürfe, was er sage, sei nicht katholisch. Die konstruierte Gegenposition erscheint als einheitliche, einflussreiche und Erlaubnis erteilende Größe:
»Dafür aber dürfen die sich in der Mehrheit Wähnenden inzwischen schamlos solche Gläubigen Spalter und sogar Rassisten nennen, die sich der geltenden Lehre verpflichtet wissen« (Hervorhebung von mir).
Hat man über weite Strecken den Eindruck, eine treu dem Lehramt verpflichtete Position stünde einem übermächtigen Goliath gegenüber, der Grenzen des Katholischen schleifend und Spaltervorwürfe schleudernd scham- und respektlos »zum Gegenangriff über[geht]« (wirklich Gegenangriff?), so holt der David am Ende keinen Stein aus seiner Tasche, sondern springt von der Identität des Hirtenjungen in die des königlichen Machthabers. Der kann dann darauf verweisen, wer die Schätze verteilt und die Stellen am Hof vergibt.
Diese Wendung auf eine ausschließende Instanz hin liegt insofern in der Logik des Beitrags, als es ihm ja um die Notwendigkeit von Grenzen des Katholischen geht. Recht einseitig lauten so auch »die wesentlichen Fragen« der anstehenden Diskussion, »vermutlich«:
»Wie begreifen wir uns tatsächlich als katholische Kirche mit inhaltlichen Verbindlichkeiten? Was kann und soll das Lehramt? Oder wo sind auch Grenzen für Beliebigkeit in der Auslegung dessen, was wir für das Evangelium halten? Und schließlich auch noch: Wo sind im Diskurs verbale Grenzen und was ist wirklich ›rassistisch‹ und wer ›spaltet‹ tatsächlich?«
Theologie, Lehramt, Lehrentwicklung
Wonach nicht gefragt wird: Wie ist das Verhältnis von Theologie und Lehramt zu bestimmen? Wenn es Aufgabe der Theologie ist, den Glauben der Kirche unter den Bedingungen der jeweiligen Zeit zu reflektieren, ist in das Verhältnis von Theologie und Lehramt Dynamik und Spannungspotential eingeschrieben. Was geltende Lehre ist, erklärt das Lehramt. Aber dies ist, solange die Kirche in der Zeit existiert, keine umfassend abschließend definierte Größe, so dass auch zu fragen ist, ob, wie und warum in der Theologie geführte Diskurse lehramtlich rezipiert oder übergangen oder abgelehnt werden. Sicher wird auch eine Lehrentwicklung durch das Lehramt der Kirche festgestellt. Wenn wir aber danach fragen, wie es zu einer solchen Entwicklung kommt, ist die Rolle der Theologie nicht einfach auszublenden. Das ist die Leerstelle im Beitrag von Bischof Oster, wenn er formuliert:
»Und um ein persönliches Wort zu sagen: Ja natürlich hat es immer Entwicklung der Lehre gegeben – und daran bin ich auch interessiert, sofern sie nur immer neu und vertieft verstehen lässt, wie das Evangelium heute angeeignet und in die Welt hinein gesprochen und gelebt werden kann. Aber ich traue dabei dem Lehramt und mit ihm der Gesamtkirche immer noch zu, größer zu sein als ich selbst und einen Horizont zu haben, der weiter ist als mein eigener. Zudem ist dem Petrusnachfolger, durch Schrift und Tradition bestätigt, ein Charisma geschenkt, das in besonderer Weise der Bewahrung der Einheit und der inhaltlichen Integrität des Glaubens dient. Daher orientiere ich mich im kritisch-loyalen Gespräch und zugleich aus innerer Überzeugung heraus in der Frage, wer oder was Kirche ist und was sie lehrt, besonders auch daran.«
Lehrentwicklung geschieht ja, vorsichtig gesprochen, nicht durchweg so, dass von Seiten des kirchlichen Lehramts angesichts grundlegend veränderter Lebensumstände ein vertieftes Verständnis für die Aneignung des Evangeliums proaktiv vorangetrieben wird. Die Begegnung der Kirche mit der Moderne war jedenfalls ein langwieriger und schmerzhafter Prozess. Von Gregor XVI., Pius IX. und Pius X. bis zum II. Vatikanum verlief, in eher verharmlosender Metaphorik gesagt, ein weiter und steiniger Weg. Und er konnte nur gegangen werden, weil sich die Theologie den Vorgaben des Lehramts nicht dauerhaft gefügt hat. Zum »Antimodernismus-Streit« ist das für den Umgang mit der historisch-kritisch arbeitenden Exegese ja alles zur Genüge dokumentiert (s.a. hier die Artikelserie auf diesem Blog). Auf dem II. Vatikanischen Konzil und in dessen Gefolge wurden Positionen lehramtlich rezipiert, die zuvor scharf zurückgewiesen worden waren.
Wenn die Diskussion um die »Aufreger-Themen« nicht zur Ruhe kommt, erleben wir nichts grundsätzlich Neues. Dabei ist es eine unangemessene Individualisierung und Banalisierung des Problems, wenn Bischof Oster eine Einstellung (als unkatholisch) kritisiert, nach der man
»erst dann zufrieden ist, wenn sich das Lehramt nach den eigenen Wünschen und Überzeugungen richtet.«
Es geht nicht um »eigene Wünsche und Überzeugungen« und nicht um den Anspruch, größer zu sein als das Lehramt. Im Kern geht es um grundsätzlich gewandelte Plausibilitäten und die Frage, was dies für die kirchliche Lehre bedeutet. Zur Debatte stehen nicht bloße Moden, sondern durch neue Einsichten geänderte Wertmaßstäbe, die in der Kirche zu kognitiven Dissonanzen führen (wie es Johanna Rahner im Übrigen zu Beginn ihres Vortrags ausgeführt hat). Die Überzeugungskraft dieser Wertmaßstäbe ist nicht durch Verweis auf den »Zeitgeist« zu erledigen, der ja immer nur als solcher bezeichnet wird, wenn man sich in Distanz zu ihm sieht.
Debatten durch Machtwort beenden?
Dass in der Frage der Diskriminierung von Frauen in der Kirche Kämpfe stattfinden, muss nicht verwundern. Wie erdgeschichtlich betrachtet die Spezies Homo sapiens erst kürzlich aufgetreten ist, so ist die asymmetrische Bestimmung des Geschlechterverhältnisses in kirchengeschichtlicher Perspektive erst kürzlich fraglich geworden. Die kirchlichen Strukturen haben sich zu Zeiten gebildet, in denen eine solch asymmetrische Sicht zu den nicht befragten Selbstverständlichkeiten gehörte, und sie haben sich über Jahrhunderte etabliert. Es ist von vornherein nicht zu erwarten, dass die Frage, ob Eingriffe in diese Strukturen die Identität der Kirche berühren, ohne Auseinandersetzungen ablaufen. Ein Abblocken der Debatten ist allerdings keine nachhaltige Lösung. Die Erfahrung lehrt, dass unerledigte Fragen durch bloßes Machtwort nicht zur Ruhe kommen.
Das hat sich auch in der Rezeption von Ordinatio sacerdotalis zur Frage der Zulassung von Frauen zum Priesteramt deutlich gezeigt. Das Ziel, die Frage abschließend zu erledigen (»dass sich alle Gläubigen der Kirche endgültig an diese Entscheidung zu halten haben«), wurde nicht erreicht. Dies ist nicht darin begründet, dass lehramtliche Entscheidungen nur dann akzeptiert werden, »wenn sich das Lehramt nach den eigenen Wünschen und Überzeugungen richtet«. Es geht um ernsthafte theologische Debatten. Das apostolische Schreiben nennt, wie zuvor Inter Insigniores (Erklärung der Kongregation für die Glaubenslehre), Gründe für das Urteil, die Kirche habe keine Vollmacht, Frauen zur Priesterweihe zuzulassen. Diese Gründe werden im theologischen Diskurs hierzulande ganz überwiegend als nicht durchschlagend angesehen. Eine andere Bewertung der der Kirche in der verhandelten Frage gegebenen Vollmacht wird durchaus für möglich gehalten. Deshalb ist diese Diskussion nicht beendet worden, nicht weil man meint, es wären
»diejenigen, die sich mit der Erarbeitung solcher Texte in Rom befassen, einschließlich des ihm zustimmenden Papstes, lauter Leute, deren Horizont auf keinen Fall größer und weiter, sondern in jedem Fall enger und kleiner sei als all derer, die sich schon lange das wünschen, was sie ›Weiterentwicklung‹ nennen« (auf die Reaktionen zum Responsum der Glaubenskongregation zur Frage der Segnung homosexueller Paare zielend).
Spannungen aushalten
Was den einen als Respektlosigkeit vor dem Lehramt erscheint, ist den anderen Treue zu ihrem Auftrag der Glaubensreflexion unter den gegebenen kulturellen Rahmenbedingungen. Dass der Glaube auch eine inhaltliche Bestimmtheit hat, wird durch die Wahrnehmung dieses Auftrags nicht bestritten. Freilich gehört zu dieser Bestimmtheit auch, dass sich Grenzverläufe im Laufe der Geschichte verschieben können. Wir stehen wieder in Zeiten, in denen wenigstens in unseren Breiten zum Verhältnis von Theologie und Lehramt eine nicht unerhebliche Spannung gehört. Solange sie sich nicht lösen lässt, ist es das Beste, sie auszuhalten – und weiter zu diskutieren.
Diese Diskussion kann aber nicht darin bestehen, dass Johanna Rahner aufgefordert wird, das Reizwort, das den Streit ausgelöst hat, zurückzunehmen (s. hier) und so indirekt das Machtwort ins Recht zu setzen. Die inhaltliche Debatte über das hinter dem streitbaren Begriff stehende Anliegen ist nicht zu umgehen.
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