Sonntagsevangelium (20)

Die Feier der Osternacht: Mk 16,1-7


Aus den Texten der Osterfeiertage greife ich das Evangelium aus der Feier der Osternacht heraus, da hier der Abschluss der markinischen Passionsgeschichte gelesen wird und sich so ein Bogen zum Evangelium vom Palmsonntag ergibt. Die folgenden Überlegungen basieren auf der Auslegung, die mein Lehrer Lorenz Oberlinner zu Mk 16,1-8 vorgetragen hat (vgl. Lorenz Oberlinner, Zwei Auslegungen: Die Taufperikope (Mk 1,9-11parr) und die Grabeserzählung (Mk 16,1-8parr), in: A. Raffelt (Hg.), Begegnung mit Jesus? Was die historisch-kritische Methode leistet, Düsseldorf 1991, 42-66). 

Die Geschichte von der Auferweckungsbotschaft im leeren Grab (16,1-8) ist nicht nur der Abschluss der Passionsgeschichte, sondern auch des Markus-Evangeliums. Der Abschnit 16,9-20 ist nachträglich angefügt worden, weil man das Ende mit dem Satz »Und sie sagten niemandem etwas, denn sie fürchteten sich« als unbefriedigend empfand, sicher aufgrund des Vergleichs mit den anderen Evangelien. Auch die liturgische Leseordnung spiegelt dieses Unbehagen, denn der gelesene Abschnitt endet mit der Botschaft des Engels in V.7.


Historische Probleme

Die tragende Rolle als menschliche Akteure spielen die Frauen, die auch als Zeuginnen des Todes Jesu vorgestellt wurden (Mk 15,40f). Unter historischem Aspekt ist ihr Verhalten in wenigstens dreifacher Hinsicht erstaunlich: die Salbungsabsicht nach der Beerdigung ist höchst ungewöhnlich, zumal zwei Tage nach dem Tod – unter den klimatischen Bedingungen Palästinas kaum vorstellbar. Die Frauen machen sich zum Zweiten etwas spät Gedanken über den Grabverschluss. Wenn die Frauen den Leichnam salben wollten, hätten sie sich doch etwas früher darüber klar werden müssen, wie sie in das Grab hineinkommen könnten. Sie haben ja gesehen, dass das Grab mit einem Stein verschlossen wurde (15,47). Und drittens ist auch die Reaktion der Frauen auf die Botschaft des Engels in historischer Perspektive höchst ungewöhnlich: sie schweigen. Ausgangspunkt der Erzählung ist also höchstwahrscheinlich kein Erlebnis von Jüngerinnen am Sonntag nach dem Tod Jesu. Dafür spricht auch die Zentrierung der Geschichte auf die Botschaft des Engels. Wenn es wesentlich darum geht, dass die Kunde von der Auferweckung Jesu laut wird, dann ist auch anzunehmen, dass das Bekenntnis zur Auferweckung Jesu den Ausgangspunkt der Erzählung darstellt.

Das Zentrum: die Botschaft von der Auferweckung

Dass die Botschaft des Engels im Zentrum steht, zeigt auch die Gestalt der Erzählung. Sie ist so aufgebaut, dass die Frauen zunächst unterwegs zum Grab sind, aber schon von Anfang an beabsichtigen, in das Grab zu gehen. Dort treffen sie auf den göttlichen Boten, der ihnen die Kunde von der Auferweckung ausrichtet. Und auf diese Kunde reagieren die Frauen, wenn sie mit Furcht und Zittern vom Grab fliehen. Die Bewegung zum Grab, der Aufenthalt dort und das Fliehen vom Grab – alles ist auf die Botschaft des Engels bezogen.

An dieser Botschaft fällt die ausführliche Identifizierung Jesu auf: »Ihr sucht Jesus, den Nazarener, den gekreuzigten?« Die ausdrückliche Kennzeichnung Jesu als Nazarener bildet eine Klammer zum ersten Auftreten Jesu, wo es vor der Taufe Jesu betont heißt: Es kam Jesus von Nazaret in Galiläa (1,9). Erinnert wäre dann an das »Bekenntnis« der Himmelsstimme nach der Taufe, das Jesus als Sohn Gottes vorstellt. Möglich ist daneben aber auch, dass ein Rückblick auf das Wirken Jesu im Ganzen angezielt ist. Denn in diesem Rahmen kommt die Bezeichnung Nazarener ebenfalls vor, vom öffentlichen Auftreten (1,24; 10,47) bis in die Passionsgeschichte (14,67, im Rahmen der Verleugnung des Petrus). Es geht also um diesen Jesus von Nazaret, der in Galiläa und Umgebung auftrat, der verkündete und heilte, der in Jerusalem schließlich verhaftet wurde.

Der Rückblick auf das Ende der Geschichte Jesu kommt dann noch deutlicher in der zweiten Charakterisierung zum Tragen: der Gekreuzigte. Die Botschaft von der Auferweckung ist nicht am Kreuz vorbei zu haben. Markus betont also: der Erhöhte bleibt der Gekreuzigte, »nur in dieser Verknüpfung ist das christologische Bekenntnis richtig« (Lorenz Oberlinner, Auslegungen 60).

Aus dieser Akzentsetzung ergibt sich eine wichtige Folgerung. Das Verhalten der Frauen, ihr Gang zum Grab wird nicht kritisiert. Es wird ihnen nicht vorgeworfen, dass sie Jesus am falschen Ort suchen, ihre Suche im Grab nicht als töricht oder als Ausdruck mangelnden Glaubens bezeichnet. Jesus wurde gekreuzigt, er ist gestorben und wurde begraben. Der Gang zum Grab ist Nachfolge des Gekreuzigten und wird in der Geschichte nicht negativ gewertet. Zwar finden die Frauen Jesus nicht so, wie sie erwartet hatten; aber daraus erwächst kein Vorwurf an sie. »Die Frauen 'finden' Jesus, sie begegnen ihm, allerdings nicht so, wie sie ihn aufgrund ihrer menschlichen Kenntnisse und Erwartungen zu finden hoffen; sie begegnen Jesus ... im Wort der Verkündigung des Engels« (Lorenz Oberlinner, Auslegungen 62).

Konfrontation mit der Osterbotschaft

Dies ist auch die Form der Osterereignisse, mit der die Adressaten des Markus-Evangeliums in Berührung kommen können. So wird die Darstellung der Frauen transparent für die Situation der späteren Zeit - bis heute. Markus nutzt die literarischen Figuren, die Jüngerinnen Jesu, um die Hörerinnen und Hörern seiner Zeit mit der Osterbotschaft zu konfrontieren. Von diesem Anliegen her erklären sich auch die beiden auffälligen Besonderheiten des Abschlusses der Erzählung. Dies ist zum Ersten die erzählerisch nicht eingelöste Ankündigung einer Erscheinung. Im Rückgriff auf 14,28 heißt es: »Geht, sagt seinen Jüngern und dem Petrus, dass er euch vorangeht nach Galiläa, dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat« (16,7). Die Erscheinung wird angekündigt, aber nicht erzählt. Der Evangelist weiß um die Erscheinungen des Auferstandenen, die ja schon die alte Formel 1Kor 15,3b-5 bezeugt. Aber er interessiert sich nicht in erster Linie dafür, weil dies den Blick auf die Vergangenheit allein lenken würde. Deshalb begnügt er sich mit der Nennung der Ostererscheinungen und lässt sein Werk anders enden, nicht mit dem Blick auf das Damals, sondern auf die eigene Gegenwart. Deshalb ist die Darstellung darauf konzentriert, wie die Frauen auf das Wort von der Auferstehung reagieren. Die Botschaft von der Auferweckung ist entscheidend, nicht das Empfangen von Erscheinungen, das den Osterzeugen gewährt wurde.

So erklärt sich zum Zweiten auch das Verhalten der Frauen, nachdem sie aus dem Grab gegangen sind. Furcht und Entsetzen hat sie gepackt, und aus Furcht sagen sie niemandem etwas (V.8). Diese Reaktion scheint in Widerspruch zu stehen zum Auftrag des Engels, den Jüngern vom Vorangehen nach Galiläa zu erzählen. Aber die Jünger sind gar nicht mehr recht im Blick. Es heißt, die Frauen sagten niemandem etwas. So geht es im Abschlussvers wohl gar nicht mehr um den Auftrag, der sich auf die Jünger richtet (V.7). Bezugspunkt des Schweigens ist vielmehr die Botschaft von der Auferweckung (V.6). Das Schweigen hängt zusammen mit der Furcht (»sie fürchteten sich nämlich«), Furcht ist die typische Reaktion des Menschen auf die Begegnung mit der göttlichen Welt. Die Frauen haben verstanden, dass sie konfrontiert wurden mit einer Gottesoffenbarung; in Furcht und Schweigen zeigen sie, dass sie genau dies verstanden haben. 


Mit diesem Schluss gelingt es Markus, die Geschichte, und das heißt: seine ganze Jesus-Geschichte, offen in die Welt der Adressaten münden zu lassen. Sie stehen in derselben Situation wie die Frauen, werden konfrontiert mit der ungeheuren Botschaft von Jesus von Nazaret, dem Künder der Gottesherrschaft, der vor allem in Galiläa gewirkt hat, verkündend und heilend, der gekreuzigt wurde, den Gott aber auferweckt hat von den Toten. Zu dieser Botschaft sollen die Hörer des Evangeliums Stellung beziehen. 

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