Sonntagsevangelium (107)

Dritter Adventssonntag (A): Mt 11,2-11

Den ersten großen Teil zum Wirken Jesu (4,23-11,30) hat Matthäus recht eigenständig aufgebaut und sich dabei nur in geringem Ausmaß an seiner Vorlage (Markus-Evangelium) orientiert. Die Bedeutung Jesu wird entfaltet als »Messias des Wortes« (Bergpredigt: Kapp. 5-7) und als »Messias der Tat« (Wunderzyklus: Kapp 8-9), dessen Wirken sich ausweitet durch die Aussendung der Jünger (Kap. 10). In Kapitel 11 wird in dieser Hinsicht eine »Zwischenbilanz« gezogen. Am Ende erscheint Jesus als der, der allein die Offenbarung Gottes bringt (11,25-30), am Anfang wird er in die Botschaft des Täufers eingeordnet (11,2-6).

Dass der Täufer fragt, ob Jesus der von ihm angekündigte Kommende sei (s. 3,11f), überrascht im Matthäusevangelium insofern, als Johannes die Würde Jesu bereits erkannt hat (3,14). Der Evangelist will kaum andeuten, dass der Täufer in dieser Haltung unsicher geworden sei, die Frage also meine: »Bist du wirklich der Kommende (oder habe ich mich getäuscht)?« Wahrscheinlich nimmt er die Spannung zu der früheren Stelle in Kauf, weil es ihm in erster Linie darauf ankommt, Jesus durch die Antwort auf die Anfrage als die von Johannes angekündigte Gestalt zu präsentieren.


Damit wird ein Bogen zur Vorbereitung des Wirkens Jesu geschlagen (3,1-12), zugleich aber in der Antwort Jesu auch das bisherige Wirken selbst aufgenommen und eingeordnet. Matthäus hat nämlich den ersten Teil zum Wirken Jesu so gestaltet, dass jede Aussage in der Antwort Jesu an den Täufer abgedeckt ist: Blinde sehen (9,27-31: Verdoppelung von 20,29-34 am Ende des Wunderzyklus, ohne Anhalt am Markus-Evangelium); Lahme gehen (9,1-8); Aussätzige werden rein (8,2-4), Taube hören (9,32-34: Verdoppelung von 12,22-24 am Ende des Wunderzyklus, ohne Anhalt in den Quellen); Tote stehen auf (9,18f.23-26: Jesus wird, anders als bei Markus, um eine Totenauferweckung gebeten); Armen wird das Evangelium gepredigt (Bergpredigt); »selig, wer an mir keinen Anstoß nimmt« (Streitszenen in 9,3-5.10-17).

Die Bedeutung der Antwort erschließt sich, wenn man die Anspielung auf alttestamentliche Texte beachtet. Es werden nicht einfach von Jesus gewirkte Wunder aufgezählt, sondern seine Taten als Erfüllung jesajanischer Prophetie verstanden. Was für die Heilszeit verheißen wurde, ereignet sich jetzt. Im Hintergrund steht ein Bündel von Aussagen (Jes 35,5-8; 26,19; 29,18; 61,1), nicht nur ein bestimmter Text.

An die Anfrage des Täufers schließt sich ein Abschnitt an, in dem Johannes selbst in positivem Sinn zum Thema einer Rede Jesu wird (11,7-9). Die an die Volksmenge gerichteten rhetorischen Fragen können wörtlich verstanden werden. In diesem Fall ist gemeint: Ihr seid doch nicht in die Wüste hinausgezogen, um dort so etwas Gewöhnliches wie ein Schilfrohr zu sehen; und ihr seid nicht hinausgezogen, um etwas zu sehen, was es dort gar nicht gibt: einen Menschen in »weichen Kleidern«, einen Höfling.

Man kann die Fragen aber auch bildlich verstehen. Dann enthält das schwankende Schilfrohr eine Anspielung auf einen Menschen, der sich den Gegebenheiten anpasst; und die feine Kleidung ist ein Bild für ein luxuriöses Leben. Beides wird für den Täufer verneint: Er sitzt seines festen Auftretens wegen im Gefängnis (4,12; 14,3f), als Wüstenbewohner ist ihm der Luxus der Paläste fremd (3,4). Zielpunkt der beiden Fragen ist eine positive Aussage über den Täufer: mehr als ein Prophet (11,9). Worin dieses »mehr« besteht, bleibt im Rahmen der Verkündigung Jesu offen. Der urchristliche Glaube deutet es auf die Vorläuferschaft für den Messias Jesus (11,10), Matthäus bezeichnet Johannes ausdrücklich als wiedergekehrten Elija (11,14).

Johannes, heißt es sogar, sei der größte unter den Menschen (11,11a). Dass diese Aussage fortgeführt wird durch das Urteil, der Kleinste im Himmelreich sei größer als Johannes (11,11b), wird häufig als urchristliche Ergänzung verstanden, deren Ziel es gewesen sei, die Überordnung Jesu zu sichern. Wahrscheinlich stellt der Spruch aber eine ursprüngliche Einheit dar. Er weist auf die Größe des Gottesreiches hin: Jeder Mensch ist als solcher kleiner als Johannes der Täufer, größer als dieser ist er aber, sofern er am Reich Gottes teilhat. Es soll also auch nicht der Täufer von der Teilhabe am Reich Gottes ausgegrenzt werden. Dies ergibt sich bei Matthäus dadurch, dass Johannes wie Jesus das angekommene Reich Gottes verkündet (3,2; 4,17). Auch die (im Sonntagsevangelium nicht mehr gelesene) Fortsetzung in 11,12 ist am besten so zu verstehen, dass der Täufer in die Zeit des Reiches Gottes eingeschlossen ist. 

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