Sonntagsevangelium (108)

Vierter Adventssonntag (A): Mt 1,18-24

Matthäus erzählt die Ankündigung der Geburt Jesu aus der Perspektive Josefs. Ihm, nicht Maria, erscheint ein Engel und offenbart den Ursprung des Kindes (1,20). Außerdem erhält Josef den Auftrag zur Namensgebung. Der Name »Jesus« wird erklärt mit Hinweis auf die Erlösung von den Sünden (1,21). Das trifft nicht ganz den Sinn des zugrundeliegenden hebräischen Namens: Jeschua bedeutet »Jahwe ist Hilfe/Rettung«. Der Bezug auf die Erlösung von den Sünden wird in der Abendmahlstradition aufgenommen. Als einziger Evangelist erwähnt Matthäus, das Blut Jesu werde vergossen zur Vergebung der Sünden (26,28) – eine Formulierung, die aus der Täufertradition (s. Mk 1,4; Lk 3,3) an diese Stelle versetzt ist. Dass der Name Jesu, konkreter als von der Ethymologie gedeckt, auf die Sündenvergebung bezogen wird, schlägt also einen Bogen, der bis in die Passionsgeschichte reicht, und unterstreicht die programmatische Bedeutung der Erzählung von der Ankündigung der Geburt Jesu.
       
Der bei der Ausdeutung des Jesus-Namens noch fehlende Bezug auf Gott begegnet ausdrücklich im Zusammenhang mit dem zweiten Namen, der für Jesus in der Geschichte genannt wird: Immanuel. Diese Bezeichnung ist allerdings als Titel zu verstehen, wie sich nicht nur aus der Tatsache ergibt , dass Jesus nicht Immanuel heißt. Deutlich wird dies auch an der Änderung, die der Evangelist am Jesaja-Zitat vornimmt. In Jes 7,14 heißt es, auf den König Ahas bezogen: »Du wirst ihn Immanuel nennen« (in der Fassung der Septuaginta), Matthäus schreibt: »Sie werden ihn Immanuel nennen«. Damit sind die Glaubenden gemeint, die bekennen, dass in Jesus »Gott mit uns« ist (1,23). So spannt sich ein Bogen bis zum letzten Jesuswort des Evangeliums: »Ich bin mit euch bis zur Vollendung der Welt« (28,20) – und in Jesus ist auch »Gott mit uns«.


Im Zitat von Jes 7,14 folgt Matthäus bis auf die genannte Änderung dem Wortlaut der Septuaginta, der griechischen Übersetzung des Alten Testaments, in der das hebräische almah wiedergegeben wurde  mit παρθένος. Mit almah wird gewöhnlich eine junge Frau zwischen dem Eintreten der Geschlechtsreife und der Geburt des ersten Kindes bezeichnet; Jungfräulichkeit kann also eingeschlossen sein, dies ist aber nicht zwingend. Was aber im hebräischen Text von Jes 7,14 nicht naheliegt, ist die Schwangerschaft der almah als Jungfrau. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Schwangerschaft und Geburt nicht auf natürlichem Weg zustande kommen würden. Zwar bleibt im Text für sich betrachtet durchaus offen, wer der Vater des Kindes ist; selbst die Identität der bezeichneten Frau wird nicht deutlich. Daraus ergibt sich aber kein Hinweis auf eine Besonderheit bei der Zeugung des verheißenen Kindes.

Für die Fassung der Septuaginta ergeben sich etwas andere Voraussetzungen. Zum einen gewinnt hier das Kind, dessen Geburt verheißen wird, abweichend vom hebräischen Text Züge eines Heilbringers (7,15f: Das Kind wird das Gute gewählt haben, ehe es das Gute vom Bösen unterscheiden kann). Zum andern ist durch den Einfluss hellenistischer Kultur nicht unwahrscheinlich, dass bei der Übersetzung Vorstellungen von göttlicher Zeugung wirksam waren und in Entsprechung zu diesen Vorstellungen die Jungfrau (παρθένος) in den Text kam – auch wenn die konkrete Aussage einer Zeugung aus heiligem Geist in der Septuaginta-Fassung von Jes 7,14 nicht belegt ist. 

In der hellenistischen Welt war die Vorstellung verbreitet, dass Heroen der vorgeschichtlichen Zeit, Herrschern oder Geistesgrößen unmittelbare göttliche Abkunft zuzuschreiben ist. Der Grundgedanke: Die Besonderheit einer großen Gestalt erklärt sich aus der Besonderheit ihres Ursprungs. Man kann also nicht sagen, dass es einfach durch eine Fehlübersetzung zur Aussage von der Jungfrauengeburt gekommen sei. Vielmehr greift Matthäus auf die Gestalt der Immanuel-Verheißung zurück, die sich als Verheißung einer jungfräulichen Geburt verstehen ließ und vielleicht von den Übersetzern auch so gedacht war. 

Diese Stelle war der wahrscheinliche Anknüpfungspunkt für die theologische Aussage von Jesu jungfräulicher Empfängnis und Geburt. Mehrere Überlegungen sprechen für diese Einschätzung (vgl. A. Vögtle, Unnötige Glaubensbarrieren, Stuttgart 1998, 133f). Der Text bot (1) die Ankündigung einer Geburt, die selbst nicht mehr erzählt wird, ohne dass (2) die Mutter des Kindes namentlich genannt würde. Man konnte ihn also als Verheißung auf die Endzeit lesen und Maria in der genannten Jungfrau erkennen. (3) Der Name des Kindes ließ sich titular deuten (s.o.). (4) Die Verheißung, eine Jungfrau werde gebären, eignete sich, um die Besonderheit der Herkunft Jesu auszusagen; Jesus überbietet in dieser Hinsicht die großen Gestalten aus der Geschichte Israels. 
 
In der Aussage von der »Jungfrauengeburt« geht es in erster Linie darum, die Bedeutung Jesu auszudrücken. Durch Ostern kamen die ersten Christen zur Überzeugung, dass Gott an Jesus das Wunder der endzeitlichen Totenerweckung gewirkt hat; dass er Jesus eingesetzt hat in göttliche Macht, so dass er angerufen werden kann als Sohn Gottes und Herr; dass Jesus die entscheidende Gestalt für die Rettung der Menschen ist, der alle vorherigen Propheten überbietet. Diese Bedeutung Jesu wird von einem Zweig der urchristlichen Überlieferung dadurch ausgedrückt, dass die Besonderheit seiner Empfängnis erzählt wird: Jesus ist Sohn Gottes, denn er verdankt seine menschliche Existenz dem Wirken des Gottesgeistes (nur in Mt 1; Lk 1 mit Reflex in Lk 3,23). Um die Bedeutung Jesu als Messias und Sohn Gottes geht es also im Kern. Auch wer die Jungfrauengeburt nicht in biologischem Sinn annimmt, kann das Wesentliche der Glaubensaussage festhalten. 

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