Zwangsjogging? Oder: Warum sollte mich jemand nötigen, eine Meile mit ihm zu gehen (Mt 5,41)?
Unter der Aufforderung, demjenigen, der auf die rechte Wange schlägt, auch die andere Wange hinzuhalten (Mt 5,39), können wir uns auch heute unmittelbar etwas vorstellen. Dagegen gehört, nicht nur wegen des ungewohnten Längenmaßes, »das Zwingen zu einer Meile« nicht zu unserer Lebenswelt. Auch der zum Ausdauertraining angehaltene Sportler wird sich in dem Satz kaum entdecken können, und das aus zwei Gründen. Erstens heißt es: »... geh mit ihm zwei (Meilen)«; der Trainer müsste also mitlaufen, was höchst unwahrscheinlich ist. Zweitens würde ohne Angaben von Gründen das Laufpensum unterwegs verdoppelt, und das widerspricht heutigen genau ausgeklügelten Trainingsplänen.
Die uns nicht unmittelbar zugängliche Aufforderung aus Mt 5,41 erklärt sich aus der Lebenswelt der neutestamentlichen Zeit. Sie ist ein schönes Beispiel dafür, wie die biblischen Texte in einer bestimmten geschichtlichen Situation verwurzelt sind. Das für »zwingen« verwendete Verb (angareuein) hat einen ganz spezifischen Sinn. Es bezieht sich auf Frondienste, zu der die Provinzbevölkerung gezwungen werden konnte. Unter den Römern schloss dies auch Transporte und Leistungen für das Militär ein. Auf einen solchen erzwungenen Transportdienst bezieht sich also das Wort aus der Bergpredigt (s.a. die erzwungene Transportleistung des Simon von Kyrene in Mk 15,21).
Für sich betrachtet könnte man als Zielrichtung dieses Wortes annehmen: Feindschaft soll dadurch überwunden werden, dass man dem Gegner etwas Gutes tut. Allerdings steht der Spruch in Verbindung mit zwei anderen, in denen dieser Zusammenhang fehlt: Hinhalten der anderen Wange (Mt 5,38); in einem Pfändungsprozess das Hergeben des nicht über Nacht pfändbaren Mantels (V.39). Vielleicht sind diese Worte vor allem aktiver Protest, provokativer Kontrast gegen die Gewalt, die die Welt beherrscht (vgl. U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus, EKK I/1, Düsseldorf/Neukirchen-Vluyn 2002 (5. Aufl.), 386-389).
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