Die angebliche Treue zur Botschaft Jesu
Kirchenspaltung droht, ein deutsches Erzbistum sagt sich praktisch los von Rom: Die Nachricht von der »Handreichung zum praxisgerechten Umgang mit geschiedenen Wiederverheirateten« des Erzbistums Freiburg hat die erwartbaren Reflexe ausgelöst. Noch werden verschämte Fragezeichen gesetzt und es gelingt die Formulierung, dass die Handreichung »im offensichtlichen Widerspruch zur Lehre der katholischen Kirche stehen dürfte« (Hervorhebung von mir). Die Stoßrichtung aber ist klar. Auch Erzbischof Gerhard Ludwig Müller wird aufgeboten, um die Tradition der Kirche zur Unauflöslichkeit der Ehe darzulegen. Wo das Eingehen auf pastorale Not als Synonym für »Zeitgeist« gilt, ist Verständnis für die Handreichung ebenso wahrscheinlich wie Packeis im Toten Meer.
Man kann sich auf den Standpunkt stellen, dass die Position der katholischen Kirche zur Frage der Unauflöslichkeit der Ehe bekannt sei, weshalb der Widerspruch gegen den Freiburger Vorstoß nicht nur erwartbar, sondern unvermeidlich sei. Ich habe Zweifel an beiden Aspekten einer solchen Aussage. Zum einen: Ist wirklich allgemein bekannt, dass das kirchliche Eherecht nur eine Form der Ehe für absolut unauflöslich hält: die Ehe unter Getauften, sofern der an sich zur Erzeugung von Nachkommenschaft geeignete Akt vollzogen wurde (das ist die Sprache des Eherechts)? Zum andern: Die Angriffe auf den Freiburger Versuch zu einem neuen pastoralen Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen können sich nicht auf die Eindeutigkeit stützen, die sie so vollmundig ins Feld führen – jedenfalls sofern sie sich auf Jesus und seine Haltung zur Scheidung berufen.
Für Hubert Gindert vom Forum deutscher Katholiken, der die Kirchenspaltung heraufziehen sieht, wurde in der Vergangenheit zu wenig deutlich gemacht, »was die Botschaft Jesu zur Ehe ist«, die Kirche sehe sich »der Botschaft Jesu gegen jede Verweltlichung verpflichtet« (Hervorhebungen von mir). Im Blick auf die orthodoxen Kirchen meint Erzbischof Müller, deren Scheidungspraxis sei »mit dem Willen Gottes, wie er in den Worten Jesu über die Unauflöslichkeit der Ehe eindeutig zum Ausdruck kommt, … nicht zu vereinbaren.« Die Kirche habe »die Vollmacht, zu klären, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit eine im Sinne Jesu unauflösliche Ehe zustande kommt. Sie hat, davon ausgehend, Ehehindernisse festgelegt, Gründe für die Ehenichtigkeit erkannt und ein ausführliches Prozessverfahren entwickelt« (Hervorhebungen von mir).
Man kann sich auf den Standpunkt stellen, dass die Position der katholischen Kirche zur Frage der Unauflöslichkeit der Ehe bekannt sei, weshalb der Widerspruch gegen den Freiburger Vorstoß nicht nur erwartbar, sondern unvermeidlich sei. Ich habe Zweifel an beiden Aspekten einer solchen Aussage. Zum einen: Ist wirklich allgemein bekannt, dass das kirchliche Eherecht nur eine Form der Ehe für absolut unauflöslich hält: die Ehe unter Getauften, sofern der an sich zur Erzeugung von Nachkommenschaft geeignete Akt vollzogen wurde (das ist die Sprache des Eherechts)? Zum andern: Die Angriffe auf den Freiburger Versuch zu einem neuen pastoralen Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen können sich nicht auf die Eindeutigkeit stützen, die sie so vollmundig ins Feld führen – jedenfalls sofern sie sich auf Jesus und seine Haltung zur Scheidung berufen.
Für Hubert Gindert vom Forum deutscher Katholiken, der die Kirchenspaltung heraufziehen sieht, wurde in der Vergangenheit zu wenig deutlich gemacht, »was die Botschaft Jesu zur Ehe ist«, die Kirche sehe sich »der Botschaft Jesu gegen jede Verweltlichung verpflichtet« (Hervorhebungen von mir). Im Blick auf die orthodoxen Kirchen meint Erzbischof Müller, deren Scheidungspraxis sei »mit dem Willen Gottes, wie er in den Worten Jesu über die Unauflöslichkeit der Ehe eindeutig zum Ausdruck kommt, … nicht zu vereinbaren.« Die Kirche habe »die Vollmacht, zu klären, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit eine im Sinne Jesu unauflösliche Ehe zustande kommt. Sie hat, davon ausgehend, Ehehindernisse festgelegt, Gründe für die Ehenichtigkeit erkannt und ein ausführliches Prozessverfahren entwickelt« (Hervorhebungen von mir).
Ich will hier nicht gegen das Kirchenrecht polemisieren, aber eine Orientierung an der Botschaft Jesu kann ich als Grundanliegen des kanonischen Eherechts nicht erkennen. Und der Anspruch, dessen Normen seien aufgrund der Treue zur Botschaft Jesu unveränderlich, ist angesichts des Befundes in den Evangelien nur schwer erträglich. Besser sähe es für eine solche Position aus, wenn wir uns nicht mit dem wenigen begnügen müssten, das an Jesusworten zur Ehescheidung überliefert ist (Mt 5,32 par Lk 16,18; Mk 10,2-12 par Mt 19,3-12).
Wie müsste die Gestalt der Jesustradition aussehen, die eine so direkte Berufung auf die Botschaft Jesu wie in den oben zitierten Stellungnahmen rechtfertigen könnte? Im Anschluss an das Streitgespräch über die Ehescheidung und das Wort der Jünger »Wenn die Sache des Mannes mit der Frau so steht, so ist es nicht ratsam zu heiraten« (Mt 19,10), könnte man sich folgende Fortsetzung ausdenken:
Nachtrag 21:30: Im Blog kirche&recht gibt es eine Reaktion auf diesen Beitrag mit kirchenrechtlicher Präzisierung und Weiterführung.
Wie müsste die Gestalt der Jesustradition aussehen, die eine so direkte Berufung auf die Botschaft Jesu wie in den oben zitierten Stellungnahmen rechtfertigen könnte? Im Anschluss an das Streitgespräch über die Ehescheidung und das Wort der Jünger »Wenn die Sache des Mannes mit der Frau so steht, so ist es nicht ratsam zu heiraten« (Mt 19,10), könnte man sich folgende Fortsetzung ausdenken:
Jesus beruhigte sie und sprach: »Ihr müsst bedenken, dass nicht für alle Ehen gilt, was ich euch gesagt habe, sondern nur für Ehen zwischen Männern und Frauen, die beide auf meinen Namen getauft sein werden.«
Die Jünger antworteten: »Löse uns dieses Rätselwort auf.« Und Jesus sprach: »Amen, amen, ich sage euch: Nach mir kommt einer, aus Tarsus, der wird die Ehe zwischen Glaubenden anders behandeln als diejenigen, in denen nur ein Partner getauft ist. Deshalb wird man in meinem Namen alle Ehen scheiden können, in denen wenigstens einer der Partner nicht getauft ist.«
Und er rief Petrus zu sich und sprach zu ihm: »Du bist Petrus, der Fels, und auf diesen Felsen werde ich mein Kirchenrecht bauen; und die Pforten des Zeitgeistes werden es nicht überwältigen. Wenn es eine gültige Ehe gibt zwischen Ungetauften, von denen eine(r) eine(n) Katholiken/-in heiraten will, dann darfst du Ehe scheiden – Gen 2,24 hin oder her.«
Das Wort beschäftigte die Jünger und sie fragten Jesus: »Sag uns, Herr, wann ist eine Ehe gültig?« Jesus antwortete und sprach: »Ihr wisst das nicht? Wie wollt ihr da all die anderen Canones verstehen? Versteht ihr nicht, dass in Fällen von nicht hinreichendem Vernunftgebrauch, von schwerem Mangel des Urteilsvermögens hinsichtlich der wesentlichen ehelichen Rechte und Pflichten sowie bei psychisch bedingtem Erfüllungsunvermögen eine gültige Ehe nicht zustande kommt?«
Und mit vielen solchen Canones redete er zu ihnen das Wort, wie sie es hören konnten; ohne Canones redete er nicht zu ihnen. Wenn sie für sich waren, löste er seinen Jüngern alles auf.Man muss also schon ziemlich viel dazuerfinden, um eine Brücke zu schlagen zwischen den Normen des kanonischen Eherechts und den Worten Jesu zur Ehescheidung. Anders gesagt: Die Kirche ist schon immer angesichts neuer Fragen mit jenen Worten kreativ umgegangen und hat sich nicht sklavisch an den Wortlaut gebunden. Von einer Eindeutigkeit der Botschaft Jesu, die eine andere als die derzeitige Praxis im Umgang mit geschiedenen Wiederverheirateten ausschließe, kann man nur sprechen, solange man den Beweis an den Texten nicht antritt.
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Kommentare
Im Übrigen ging es im obigen Beitrag nicht um die Behauptung, dass "jede verbindliche kirchliche Rechtssetzung wortwörtlich biblisch belegbar sein" müsste. Die Verfremdung des Bibeltextes sollte den Abstand deutlich machen, der zwischen der Jesustradition und den Normen des kanonischen Eherechts besteht, so dass die Problematik einer einfachen Berufung auf die "Botschaft Jesu" deutlich wird sowie die Inkonsequenz in der faktisch gegebenen Relativierung des Scheidungsverbots durch die Begrenzung auf sakramentale und vollzogene Ehen.
- Wo findet man denn das Wort Jesu? Nur in der Schrift oder ist es auch unter uns, in seiner Kirche, in ihren anderen geschichtlichen Zeugnissen und v.a. in dem Wort heute lebender Personen (!!) - Hirten genannt - lebendig gegenwärtig?
Die Kirche steht m.E.n. in der Tat per se in Kontinuität zu Jesus. Sie ist von ihrem Wesen her Sakrament seiner Gegenwart. Wer das nicht mitbejaht, dem hilft auch der Verweis auf die Schrift nichts, denn die ist ja "nur" eine Schrift der Kirche, die sie sich einmal für immer ins Gedächtnis geschrieben hat. In die Treue zum wirklichen, zum eigentlichen Jesus (nicht nur zum historischen, d.h. mit den Mitteln der historischen Kritik "rekonstruierten" Jesus) kommt man nur, wenn man sich der Kirche anschließt und ihren Glauben teilt. Und wenn sie ihren Glauben durch ihre bevollmächtigten Vertreter nun mal (seit ziemlich langer Zeit und einhellig) so und so bzgl. Mt 5,32 bekennt, dann wird sie es sicherlich wissen. Es bedarf auch eines gewissen ungesicherten Vertrauens in das Wort der Hirten. Das ist noch lange nicht Fideismus.
Was man versuchen kann, um die derzeitige Praxis der Kirche zu ändern, ist, einen Widerspruch im Glaubenszeugnis der Kirche aufzuweisen, wenn es denn einen solchen gibt. Also zwischen kanonischem Eherecht und biblischer Bezeugung der Ehe. Das haben Sie allerdings mit Ihrem Beitrag nicht getan. Sie haben lediglich "fehlende" Jesus-Tradition für die derzeitige Praxis moniert. - Ab und zu habe ich auch den Eindruck, Sie überschätzen die Möglichkeit der Exegese für die heutige kirchliche Situation. Sie wollen den Schrifttext 1:1 auf heute ohne den Einbezug von Vermittlungsinstanzen - zu denen ich v.a. das Zeugnis der heutigen Hirten zähle - anwenden. Und das kann nur schiefgehen.
Auf die Frage der Ehescheidung gewendet, wäre es sicher angesichts der Bezeugung in den Evangelien nicht gerechtfertigt, die Unauflöslichkeit der Ehe einfach zur Disposition zu stellen und für nebensächlich oder nicht ernst gemeint zu erklären. Auf der anderen Seite ist das Jesuswort zur Ehescheidung nie als starres Gesetz angewendet worden, das unterschiedslos auf alle Ehen anzuwenden wäre und deshalb Scheidung grundsätzlich ausschließen würde. Dass alle nichtsakramentalen und alle sakramentalen nichtvollzogenen Ehen scheidbar sind (wobei, wie ich jetzt gelernt habe, alle sakramentalen nicht empfängnisoffen vollzogenen Ehen zwar als nichtvollzogen gelten, aber dennoch nicht scheidbar sind), ist Entwicklungen verdankt, die sich in der Kirchengeschichte ergeben haben, sich aber nicht aus der Jesustradition begründen lassen – ja, insofern in Widerspruch zu ihr stehen, als die Begründung des Scheidungsverbots aus Gen 2,24 eine solche Differenzierung ausschließt (auf diese Inkonsequenz sollte das „Gen 2,24 hin oder her“ im obigen Beitrag hinweisen).
Meine Aufgabe als Exeget ist es, das Zeugnis der Schrift zur Geltung zu bringen. Das bedeutet nicht, „den Schrifttext 1:1 auf heute … anzuwenden“. Dies geht schon deshalb nicht, weil die Schrift ein zu vielgestaltiges Gebilde ist, das sich nicht im genannten Sinn anwenden lässt; und weil gerade die Exegese den zeitlichen Abstand der Schrifttexte betont, ihre Verortung in einer fernen geschichtlichen Situation. Ich sehe nicht, was ich bei Ihrer Forderung nach Beachtung der Vermittlungsinstanzen als Exeget noch zu tun hätte. Das bedeutet nicht, die kirchliche Autorität zu missachten. In der Frage nach dem rechten pastoralen Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen ist es im Übrigen recht offensichtlich, dass auch Träger der kirchlichen Autorität die bisherige Praxis nicht für angemessen halten.
Ja!
Zumindest ist das meine persönliche Meinung.
Sie gründet in einem Fallbeispiel, das nicht erfunden ist.
Ein katholisch verheirateter Ehemann ringt seiner Frau das Einverständnis ab, in ein Trappistenkloster eintreten zu dürfen. Die zuständige vatikanische Stelle gibt grünes Licht für die Ablegung der Mönchsprofess. Diese schließt meines Wissens das Gelübde der Ehelosigkeit ein, zumindest darf der Mönch seine Ehe nicht mehr vollziehen. Er muss also seine Ehe erst einmal loswerden.
Das geschieht, indem er durch die Mönchsgelübde dem Vollzug seiner Ehe für den Rest des Lebens abschwört, was einer faktischen Aufkündigung der Ehe gleichkommt.
Da die Profess ein kirchenrechtlicher Akt ist, könnte man im gegenständlichen Fall von einer kirchlich euthanasierten Ehe sprechen. Es ist ja nicht so, dass die Ehe dabei bloß auf Eis gelegt würde und allenfalls wiederbelebt werden kann, denn das Professversprechen schließt jeden zukünftigen Vollzug der Ehe aus.
Behaupten zu wollen, dass zwischen dem ins Kloster eingetretenen Ehemann und seiner Frau trotzdem weiterhin ein Eheband bestehen würde, erscheint so unsinnig, wie wenn zwei Freunde zueinander sagen wollten: Das Band unserer Freundschaft bleibt aufrecht, nur wollen wir künftig unsere Freundschaft nicht mehr leben und pflegen. Als ob nichtgelebte Freundschaft nicht eine tote Freundschaft wäre, also eine Freundschaft, die gar nicht mehr existiert.
In diesem Sinn: Jawohl, die katholische Kirche scheidet Ehen!
Einerseits segnet sie - wie "antihypocrit" darlegt - die faktische Auflösung einer Ehe ab, sobald der Ehemann erklärt, er wolle ins Kloster eintreten und seine Ehe für alle Zukunft nicht mehr vollziehen,
andererseits wird dieselbe Kirche nicht müde, die angeblich absolute Unauflöslichkeit der Ehe zu behaupten und wiederverheirateten Geschiedenen ihre "Ungeordnetheit vor Gott" unter die Nase zu reiben, und zwar selbst dann, wenn diese ihre Altlasten aus erster Ehe so gut und menschlich wie möglich geregelt haben und in der neue Ehe Werte wie Treue und gegenseitige Verantwortungsbereitschaft durchaus leben, so dass man auch Sakramentalität zugestehen kann.
Jetzt fehlt mir nur noch, dass die Kirche dahersophistereit,
die Ehe des ins Kloster eingetretenen Ehemannes werde ja eigentlich gar nicht beendet, sie bleibe eine Wirklichkeit (ein von Gott unauflösbar geknüpftes Band), aber halt eine Wirklichkeit ohne Wirksamkeit, dh. fortan ohne verwirklichten ehelichen Akt und ohne konkret und leibhaftig mit seiner Frau geteiltes Alltagsleben.
Wäre ihr eine solche Veräppelung ihrer Schäfchen nicht zuzutrauen?