Sonntagsevangelium (155)

12. Sonntag im Jahreskreis (B): Mk 4,35-41

Die Geschichte von der Stillung des Sturmes ist stark geprägt von Bezügen auf das Alte Testament. Dies zeigt sich zum einen in mehreren Anspielungen und wörtlichen Anklängen an den ersten Teil der Jona-Geschichte.

(1) Bei der Schilderung der Not (Mk 4,37) wird man an Jon 1,4 erinnert. In beiden Fällen begegnet die Reihenfolge »Wind – aufgewühltes Wasser – gefährdetes Schiff«. Außerdem finden wir eine (fast) wörtliche Übereinstimmung:
„Es entstand ein großer Wirbelsturm auf dem Meer.“ (Jon 1,4).
„Und es entsteht ein großer Sturmwind.“ (Mk 4,37)
(2) Der Passagier, der schließlich die Rettung bringt, schläft, als die Gefahr entsteht. Jona steigt in den unteren Schiffsraum, schläft dort und schnarcht (Jon 1,5); Jesus liegt im Heck und schläft auf einem Kopfkissen (Mk 4,38).

(3) In der Bitte um Rettung verwenden die Jünger ein Wort, das auch die Seeleute an der entsprechenden Stelle Jona gegenüber gebrauchen. Nachdem sie Jona geweckt haben, sagt der Kapitän zu ihm:
»Was ist mit dir, du Schläfer? Steh auf und ruf deinen Gott an! Vielleicht wird der Gott sich auf uns besinnen, so dass wir nicht zugrundegehen.« (Jon 1,6; s.a. 1,14).
»Lehrer, kümmert dich nicht, dass wir zugrundegehen?« (Mk 4,38)
(4) Eine wörtliche Übereinstimmung findet sich auch bei dem Verb, das für das Ablassen des Windes verwendet wird – allerdings nicht an der erzählerisch vergleichbaren Stelle. Die Seeleute fragen Jona:
»Was sollen wir mit dir tun, damit sich das Meer legt (von uns weg)?« (Jon 1,11; in Jonas Antwort 1,12 noch einmal dasselbe Wort)
In Mk 4,39 begegnet dieses Wort im Rahmen der Feststellung des Wunders: Der Wind legte sich. An dieser Stelle wählt die Jona-Geschichte eine variierende Formulierung: „Das Meer ließ ab von seinem Wüten“ (Jon 1,15).

(5) Eine letzte Übereinstimmung zeigt sich in der Reaktion auf das Wunder:
»Sie fürchteten sich in großer Furcht.« 
Diese Formulierung erscheint zwei Mal in der Jona-Geschichte (Jon 1,10; 1,16), das zweite Mal an der erzählerisch gleichen Stelle wie in Mk 4,41: als Reaktion auf das Ablassen des Sturmes. Die wörtliche Übereinstimmung ist ein wichtiger Hinweis darauf, dass die Jona-Geschichte im Hintergrund wahrgenommen werden soll.

Ein Bezug auf die alttestamentliche Tradition kann außerdem in der Aufnahme eines theologischen Motivs erkannt werden, das für die Geschichte von der Stillung des Sturms grundlegend ist. Aus alttestamentlichen Texten lässt sich die Vorstellung erheben, dass es Gottes Macht zukommt, über Wind und Wellen zu gebieten. In Ps 104,6f heißt es:
»Die Urflut bedeckte sie (die Erde) wie ein Kleid, die Wasser standen über den Bergen. Vor deinem Anherrschen flohen sie, vor dem Schall deines Donners wurden sie fortgetrieben.«
Der Befehl Gottes drängt die Chaosmacht »Wasser« zurück. Dies bestimmt auch die erste Schöpfungserzählung Gen 1 und weitere Psalmen (Ps 74,12-15; 77,17-20). Auch Ijob 28,25-27; 38,8-11 bietet dieses Vorstellung von der Macht Gottes über die Wasser bei der Schöpfung (s.a. Jer 5,22). Die Sintflutgeschichte basiert auf dem Gedanken, dass Gott über Wind und Wasser gebieten kann. In Ps 107,23-31 ist dies umgesetzt in die Rettung von Menschen aus Seenot. Gott ist der Herr über Wind und Wellen, er lässt sie entstehen und wieder vergehen. Vor dem Hintergrund dieses Motivkreises wird deutlich: Jesus handelt hier in göttlicher Vollmacht. Nicht durch Gebetserhörung, wie in jüdischen Wundergeschichten von Rettung aus Seenot, sondern durch das Handeln Jesu an Gottes Stelle erfolgt die Rettung.

Die Schlussfrage in 4,41 (»Wer ist dieser, dass ihm Wind und Meer gehorchen«) entfaltet ihren vollen Sinn erst, wenn man den dargestellten alttestamentlichen Hintergrund einbezieht. Jesus ist mehr als Jona, denn ihm stehen Wind und Meer zu Gebot. Zwar ist der Prophet Jona die Person auf dem Schiff, von der die Stillung des Sturmes abhängt; aber dies gilt nur mittelbar. Jona selbst hat keine Macht über das Meer. Er weiß vielmehr, dass der Sturm um seinetwillen entstanden ist, genauer: dass Gott ihn um seinetwillen hat entstehen lassen. Deshalb muss mit ihm in einer bestimmten Weise verfahren werden, damit Gott den Sturm wieder stillt. Dagegen handelt Jesus als Herr über die Chaosmächte in göttlicher Macht.

Dass Jesus in göttliche Macht eingesetzt ist, gehört zu den wesentlichen Inhalten des Osterglaubens. Jesus ist auferstanden – dies besagt nicht nur die Überwindung des Todes Jesu. Eingeschlossen ist auch der Gedanke der Erhöhung, und deshalb kann der Auferstandene erwartet werden als die für Gericht und Heil entscheidende Person; deshalb kann er auch angerufen werden mit der alttestamentlichen Gottesbezeichnung »Herr« (Kyrios). Dieses Bekenntnis ist in der Geschichte von der Stillung des Sturmes erzählerisch umgesetzt – ein Stück narrativer Christologie. Was der Glaube zu Jesus Christus bekennt, seine Einsetzung in göttliche Macht, wird entfaltet in einer Geschichte, die von der Macht Jesu über Wind und Meer erzählt.

Wenn die Erzählung den Christusglauben der Urgemeinde voraussetzt und in ihrer konkreten Formung auf eine literarische Größe Bezug nimmt (Jon 1), ist ein konkreter Haftpunkt im Wirken Jesu für das Geschilderte nicht wahrscheinlich zu machen. Mk 4,35-41 ist nicht Niederschlag eines Erlebnisses der Jünger mit dem geschichtlichen Jesus. Die Erzählung kann aber trotzdem als Niederschlag von Erfahrung verstanden werden, nämlich als Niederschlag einer Glaubenserfahrung, die die Glaubenden mit dem erhöhten Christus machen: nicht mit dem vergangenen Jesus der Geschichte, sondern mit dem in der Gemeinde gegenwärtigen Christus. Sein Beistand, seine Nähe, die den Glaubenden geschenkt ist, wird umgesetzt in eine Erzählung von Jesus.

Kommentare

Gerhard Mentzel hat gesagt…
Danke Herr Prof. Häfner,

dass Sie erneut deutlich machen, wie die Texte des Neuen Testamentes nicht die Lebensgeschichte eines jungen Heilspredigers, seine Erlebnisse als Seemann schildern. Wie hier vielmehr die Erzählungen des Alten Testamentes aufgegriffen wurden, um den jetzt in Vernunft (im Logos) begründeten bildlosen Monotheismus und den "Mehrwert" des Logos (der Vernunft, in die man in historischer Realität die Hoffnung setzte) gegenüber dem Mythos in der Weise auszudrücken, wie auch Jona Geschichte machte.

Sie wissen, dass es auch bei der Jona-Geschichte nicht um die Erlebnisse eines vergötterten Menschen ging, der im Maul eines Fisches landete und nach drei Tagen lebendig ausgespuckt wurde. Wie vielmehr der anfängliche Monotheismus im Wort (Vernunfthandlung in schöpferischer Realität, Exil, prophetisches Weiterdenken Zarathustras oder der Theologie Ägyptens...) begründet wurde. Daher werden Sie sicher auch nicht unterstellen wollen, dass hier nur ein hingerichteter Heilspredgier mit zufälligem Namen Jesus das Thema war, verherrlicht oder als herrlicht gesehen wurde.

Oder wollen Sie ernsthaft den anfänglichen Denkern der antiken Hochzivilisation weiter nur Schwärmerei bzw. Schwachsinn unterstellen, in dem sich die Zeiten-/Kulturwende nicht begründen lässt?

G hat gesagt…
Wiki:

Entstehung des Buches Jona

Sprachliche, religions- und motivgeschichtliche Beobachtungen sprechen deutlich für eine sehr viel spätere Entstehung, dass die überwiegende Mehrheit der Fachleute das Buch in die persische oder hellenistische Zeit, also in das 5.−3. Jahrhundert v. Chr., datieren.

Wer unter Wiki nachschaut, dem wir auch deutlich, dass es sich bei der Jonageschichte nicht um die Verherrlichung eines Propheten mit diesem Namen Handelt, sondern hier eine universal gültige monotheistische Theologie der Exilszeit das Theama ist.

Wie kann man daher den Verfaassern des Neuen Testamentes, gar den anfänglichen Christen (die von einem im Logos auf neue Beine gesellten universalen Monotheismus ausgingen) unterstellen wollen, es wäre nur um einen Junghandwerker gegangen, der als göttlich gesehen, gar als Logos hellenisiert, erhöht wurde?
Abaelard hat gesagt…
1.
Für mich stellt sich die Frage: Wenn ich die Geschichte von der Stillung des Seesturms wörtlich verstehen wollte, würde mir dann der Verfasser "Markus" antworten: "Du verstehst die Geschichte nicht so, wie ich sie gemeint habe"?
2.
Ein konkreter Haftpunkt im Wirken Jesu sei nach Prof. Häfner nicht wahrscheinlich zu machen.
Wie hätte denn Mk die Geschichte erzählen müssen (im Unterschied zu der jetzt vorliegenden Textgestalt), wenn er die Stillung des Seesturmes ganz konkret und wörtlich verstanden hätte wissen wollen?
3.
Am schwersten tu ich mich mit Herrn Häfners hermeneutischem Schlüssel zum Verständnis der Geschichte: sie sei zu lesen als Niederschlag einer "Glaubenserfahrung", die die Glaubenden mit dem erhöhten Christus machen. Darunter kann ich mir eigentlich nichts Rechtes vorstellen. "Erfahrung" ist wohl noch ein verständliches Wort: Ich fahre mit meinen Sinnen, z.B. mit dem Gesichtssinn eine Landschaft ab oder ich fahre mit der Nase über eine Tasse frisch gebrühten Kaffees und gewinne so sinnliche Eindrücke. Aber "Glaubenserfahrung", was ist das? Noch dazu als Erfahrung mit einem Verstorbenen, der zwar nicht zurückgekehrt ist, aber dennoch leben soll? Mir stellen sich Fragen wirklich in dieser penetrant naiven Form!
Gerhard Mentzel hat gesagt…
Dass es nicht um einen wörtlich zu verstehenden Bericht geht, hat Prof. Häfner mit seinem Bezug auf Jona mehr als klar gemacht.

Und dass es um ein konkretes Geschichtsgeschehen geht, das jedoch nichts mit einem nicht zu See gefahrenen Heilspreidger zu tun hat, sondern bei dem die Heilswirkung der Vernunft im mythischen Stil bzw. der Stillung des Seesturmes durch Jona vermittelt wurde, war auch schon Thema.

Die Erfahrung des Auferstanden spielt schon eine Rolle. Doch dabei geht es nicht um einen von seinen Anhängern erhöhten Guru, der nach im Geist bzw. der Glaubenserfahrung seiner Anhänger erschien, sondern der aufgeklärte Verstand des Alten bzw. dessen, was am Anfang als Christus galt.
G. Küppers, Köln hat gesagt…
@Abaelard:
Markus hat wohl kaum darüber nachgedacht, ob es sich bei der Legende um ein nach modernen Maßstben "historisches" Ereignis handelt oder nicht. Warum sollte er das getan haben? Er wusste es vermutlich auch gar nicht. Ich denke nicht, dass er die Geschichte anders erzählt hätte, wenn sie einen hist. Hintergrund oder Kern gehabt hätte. An der Erzählweise des Evangelisten kann man glaube ich nicht festmachen, ob es sich um nach heutigen Maßstäben "wirkliche" Ereignisse handelt oder nicht. Er trägt halt Überlieferungen zusammen. Was an denen dran ist, kann man vermutlich nur anhand von außerredaktioneller Gesichtspunkten prüfen, weil Mk keinen Unterschied macht zwischen historischen und unhistorischen Geschichten. Sie sind für ihn alle gleich wahr. Im Grunde hat er damit ja auch recht und die hist.-krit. Rückfrage ist interessant und auch aufschlussreich, aber sicher nicht der zentrale Punkt.
Abaelard hat gesagt…
@Küppers

Das Erste, wonach ich bei jedem vorliegenden Text frage, ist:
Was will der Autor mit dem Text, wo liegt sein Anspruch?

Will er den Leser einfach nur informieren? Will er beim Leser eine Verhaltensänderung bewirken? Will er mit dem Text nur absichtslos spielen? Will er den Leser zur Annahme eines religiösen Bekenntnisses bewegen? Und so fort. Denkbar wäre auch, dass ein ursprünglich sinnvoller Text so verderbt überliefert ist, dass der arme Exeget aus einem Nonsense-Text unbedingt etwas Sinnvolles herausbekommen will. Und Exegeten schaffen das! Prof. Häfner hat Humor genug, um dieses kleine Exegese-bashing zu ertragen.

Erst nachdem ich mich vergewissert habe, auf welcher Ebene der Anspruch des Textautors liegt, kann ich sinnvollerweise fragen, ob er wahrheitsgemäß informiert, eine Verhaltensänderung berechtigterweise erreichen will, ob sein Textspiel unterhaltsam ist oder kunstlos, ob sein religiöses Bekenntnis, für das er wirbt, begründet oder nicht nachvollziehbar ist, etc.

Wenn ich nun Prof. Häfner recht verstehe, erhebt der Autor von
Mk 4,35-41 den Anspruch, über eine wahre gläubig-religiöse Einschätzung Jesu zu verfügen, die der Leser teilen möge, nämlich: dass dieser Jesus Gott sei, zumindest mit göttlicher Macht ausgestattet.

Das ist also der Anspruch des Autors: Er will behaupten, dass in Jesus göttl. Macht wirksam ist und dass der Leser diese Überzeugung teilen möge.

Nun sagt Hr. Häfner, der sachliche Grund für den genannten Anspruch sei die Ostererfahrung, d.h. Erfahrung des getöteten Jesus als Auferweckten, der zu göttlicher Machtstellung erhoben wurde.

Obwohl DAS (!) für den Autor der Grund war, sein Jesusbekenntnis vorzutragen, benenne er aber nicht diesen eigentlichen u. wahren Grund, sondern einen anderen, den es möglicherweise historisch gar nie gegeben habe, nämlich die Stillung des Seesturmes.
SACHGRUND für sein Bekenntnis "Jesus ist Gottes Gegenwart" sei also die Ostererfahrung, aber das sprachliche Mittel, das der Autor verwendet, um dieses sein Bekenntnis dem Leser schmackhaft zu machen, ist nicht - wie man erwarten möchte - der Verweis auf die Osterfahrung, sondern die Zuschreibung von naturbeherrschenden Kräften an Jesus, obwohl sie möglicherweise an Jesus gar nie zu beobachten waren. Im AT seien solche Kräfte Gott zugeschrieben worden, und wenn nun der Autor Jesus als Gott ausgeben will, na muss er die Eigenschaften des atl. Gottes eben auf Jesus übertragen?

DAS DARF DER NTL. AUTOR TUN? UNABHÄNGIG DAVON, OB JESUS TATSÄCHLICH NATURGEBIETERISCHE FÄHGIKEITEN ERWIESEN HAT ODER NICHT???
Warum rekurriert der Autor nicht auf die Ostererfahrung als den eigentlichen Grund seines Bekenntnisses? Außerdem: Wo und wie hat sich der atl. Gott als naturüberlegen erwiesen? Ist es die Natur, die den wellenpeitschenden Wind zurücknimmt, oder ist es Gott?
G. Küppers, Köln hat gesagt…
Hallo Abaelard!
Ich denke, das liegt daran, dass der Evangelist ein ganz anderes Verständnis von historischer Faktizität besaß als ein kritischer Historiker der Neuzeit. Der Anspruch, den Sie da stellen (darf er das tun etc.), wäre für Mk meine ich kaum nachvollziehbar. Er hatte ja gewiss nicht die Vorstellung, er würde etwas erzählen, was nicht wirklich stattgefunden hat.

Die Motive, die Häfner dem Autor nach Ihrer Lesart zuschreibt, darf man m.E. nicht als bewusst manipulativ oder erfinderisch begreifen. Markus wollte ja keine fiktionale Literatur schaffen wie ein (antiker oder moderner) Romanautor, sondern die frohe Botschaft aufschreiben. Dabei bedient er sich der Mittel und Wege, die er für geeignet und angemessen und der Wahrheit zuträglich hält. Dazu gehörte natürlich auch eine gewisse Kreativität (bspw. das Erfinden einer Rahmenhandlung oder die redaktionelle Anordnung des Stoffs, das Glätten von Überlieferungsfehlern etc.). Aber die Legende vom Sturm auf dem See hat sich Markus selbst ja wohl kaum ausgedacht, sondern er hat sie irgendwie vorgefunden und weiterverarbeitet, weil sie seiner Vorstellung von Jesus gut entsprach.

Eine Ostererfahrung im direkten Sinne hatte Markus sicherlich nicht. Er hatte nur die Berichte der anderen und kannte vielleicht sogar noch den ein oder anderen persönlich, der eine Erscheinung hatte. Wie Markus sich diese Erscheinungen erklärte oder vorstellte, wissen wir nicht so genau. Aber jedenfalls ging er sicher von ihrer Echtheit aus. Das Gleiche gilt für Wundergeschichten. Hätte Markus ein von ihm berichtetes Wunder für unglaubwürdig gehalten, dann hätte er es gewiss nicht in sein Evangelium aufgenommen.

Dass Jesus über Naturgewalten gebieten konnte, war für den Evangelisten sicher keine Frage. Warum sollte er also nicht davon ausgegangen sein, die von ihm berichtete Episode sei wirklich passiert? Ausgedacht hat er sie sich wie gesagt bestimmt nicht, sondern sie wurde herumerzählt und er hat sie aufgegriffen und so in sein Sammelwerk eingeordnet, dass sie seiner Erzählintention (das ist im Grunde genommen: sein Bild von Jesus Christus) am besten dienlich ist. Ich finde nicht, dass das etwas Weltbewegendes ist. Uns ist natürlich klar, dass diese Geschichte wohl eher legendär sein dürfte und nicht wirklich so passiert ist. Aber woher sollte Markus das wissen?

So stelle ich mir das vor. Ob Häfner das auch so sieht, weiß ich aber nicht.
Gerd Häfner hat gesagt…
Es hat etwa gedauert, bis ich mich auch mal wieder melde, aber seit einiger Zeit habe ich kaum noch Freiräume, um mich wie früher dem Blog zu widmen.

Zur obigen Debatte kann ich den Ausführungen von G. Küppers grundsätzlich zustimmen. Mein Münchener Kollege Knut Backhaus hat im Blick auf die antike Historiographie von »Spielräumen der Wahrheit« gesprochen, die sich anders und weiter bemessen als im Rahmen moderner Geschichtswissenschaft. Vielleicht kann man sich das am deutlichsten an der Gestaltung von Reden vor Augen führen, die in der antiken Historiographie und Biographie vom Autor des Werkes stammen, der sie seinen Figuren in den Mund legt. Dahinter steht nicht der Anspruch, eine solche Rede sei in dieser Form gehalten worden – Sallust kann den Catilina eine Rede halten lassen, deren Hörer alle wie auch der Redner selbst umkommen –, wohl aber, dass sie so hätte gehalten werden können und den Sinn des Geschehens trifft.

Was Markus selbst gedacht hat über die Sturmstillung als Ereignis, weiß ich nicht. Möglicherweise hat er es im faktischen Sinn verstanden. Entscheidend ist nicht, wie ein Evangelist über die Historizität seines Stoffes denkt, sondern worauf der Text hinauswill. Die getroffenen Beobachtungen sprechen dafür, dass es in erster Linie um eine Aussage über die Identität Jesu geht, und nicht um einen Bericht über ein Ereignis bei einer Fahrt Jesu mit seinen Jüngern über den See Gennesaret. Deshalb die Bezüge auf die Jona-Geschichte und das Motiv der Vollmacht über Wind und Meer, auf das die Erzählung in der Schlussfrage auch hinausläuft (und ziemlich wenig, was man einem Erlebnisbericht zuschlagen könnte). In der Geschichte wird die Wahrheit, die der Glaube zu Jesus bekennt, nicht abstrakt formuliert, sondern erzählerisch entfaltet.

Wenn die Geschichte als Niederschlag einer Glaubenserfahrung bezeichnet wurde, dann war damit nicht die Ostererfahrung der ersten Zeugen gemeint, die offensichtlich etwas erlebt haben, das sie als Auferweckung Jesu von den Toten deuteten. Dieses war der historische Grund für die Verkündigung des Gekreuzigten und Auferweckten. Diejenigen, die aufgrund der Botschaft der frühen Zeugen zum Glauben kamen, machen aber auch Erfahrungen – nicht mit einem Verstorbenen, sondern mit einem, den sie als Herrn bekennen, anrufen und in ihrer Versammlung als gegenwärtig erfahren. So kann Paulus sagen, Christus lebe in ihm (Gal 2,20; s.a. Röm 8,10: »Christus in euch«); der Geist des Sohnes Gottes ist in unsere Herzen gesandt (Gal 4,6); der Auferstandene verheißt im MtEv den Jüngern, bei ihnen zu sein bis zur Vollendung der Welt (Mt 28,20). Im JohEv ist ein ganzer Komplex der Frage gewidmet, wie nach dem Weggang Jesu die Gemeinschaft mit ihm aufrecht erhalten bleibt (Kapp. 14-17). Wenn dies nicht nur leere Formeln sind, können sich Erfahrungen von Gegenwart und Beistand des erhöhten Herrn in solchen Erzählungen wie der Stillung des Seesturms verdichten. Ihre Wahrheit liegt, auch wenn sie als vergangenes Geschehen inszeniert wird, nicht auf der Ebene des historischen Ereignisses, sondern auf der des Bekenntnisses: Der Sinn der Geschichte Jesu, wie er sich dem Glauben erschließt, wird in einer solchen Erzählung eingefangen.
Abaelard hat gesagt…
Danke für die Stellungnahmen.

Es bleibt das Problem:
Wenn Mk mit seiner Geschichte von der Stillung des Sturmes mich glauben machen will, dass Jesus göttliche Macht hat, dann muss er mir schon auch sagen, worin konkret diese göttliche Macht sich gezeigt hat.
Wenn es die Stillung des Sturmes auf sein Wort hin nicht ist, was Jesu göttliche Macht erwiesen hat, was dann?
Solange er das nicht sagt, ist Begriff und Bekenntnis zur göttlichen Macht Jesu so gut wie inhaltslos.
Gerhard Mentzel hat gesagt…
Es bleibt festzuhalten, der später Markus bezeichnete Verfasser eines Kultlesetextes hat keinen historischen Bericht im banal-buchstäblichen Sinne abgegeben. Er hat eine Aussage über den Grund des neu-jüdischen Glaubens getroffen, der eine schöpferische (göttliche) Person (Rolle/Aufgabe) war, die als Jesus Geschichte machte.

Doch dabei kann es so wenig um einen jungen Mann gegangen sein, wie er heute leider als einzig historisch hinterfragt wird, wie der anfängliche Monotheismus durch einen legendenhaft im Maul eines Fisches verschwundenen und doch lebendigen Propheten zu begründen wäre.

Wie kann eine theologische Wissenschaft, der bekannt ist, wie sich Monotheismus von Anfang an aus der Betrachtung der Weltrealitäten ableite, von Echnatons Sonnenkult über die ägyptischen Theologiemodelle und Zarathustras Betrachtung des kreativen Geistes des Ganzen bis zu den Hebräern und Propheten, dann weiter einen mehr oder weniger göttlichen Mann als historische Erneuerung ins Rennen schicken wollen? Da kann doch nur heiße Luft als religiöse Glaubensrede rauskommen.

Gerhard Mentzel hat gesagt…
Wo von einem Christus gesprochen wird, einem hoheitlichen Wesen, das Thema des Neuen Testamentes sei, dem Auferstandenen... ohne dass dabei die Vernunft bedacht wird, die damals das theologische Thema war, wird leider nur heiße Luft verbreitet.

Und wenn das zu allem Übel als christlicher Glaube hingestellt wird, braucht sich niemand zu wundern, dass weder Theologie, noch der christliche Kult ernst genommen wird, er gesellschaftliche Relevanz hat, die ein Verhalten in kreativer Vernunft bewirkt.

Ich sehe ein, dass es für die Schriftgelehrten schwer ist, ihr eigenes Lebenswerk in Frage zu stellen. Doch mit jedem geschichtlichen oder theologischen Werk, ja mit jeder Wochenexegese wird doch mehr als deutlich, dass es um einen jungen Juden mit göttlicher Macht nicht ging.

Es ist nicht nur Wahnsinn, dies den anfänglichen Denkern unterstellen zu wollen, die in ihrer Reform wahr Juden sein wollten. Wo heute dann von der göttlichen Macht eines jungen Mannes (gar einer schöpferischen Funktion) gesprochen wird, ohne die kreative Wirklichkeit zu bedenken, das lebendige Wort, sichtbare Vernunfthandlung allen wissenschaftich beschriebenen Werdens, die nicht nur in der Antike Offenbarung/einzige Erklärung eines sonst unsagbaren, allem gemeinsamen, universalen kreativen Grundes war, wird der jüdische Monotheismus auf den Kopf gestellt. So werden Notdürftigkeiten als Wort Gottes verbreitet.
Thomas Schwaiger, Pfarrer hat gesagt…
Ich bin leider kein ausgefuchster Exeget; aber was mich schon immer interessierte:
Das mit dem "Schlafen" verstehe ich: aber wo kommt in der harten Männerwelt der Seefahrt ein KISSEN her? KIssen an Bord! Für mich ein spiritueller Imperativ!
Castitas hat gesagt…
@Pfarrer Schwaiger

Woher das Kissen?

Ja gehen Sie denn davon aus, dass Boote "in der harten Männerwelt der Seefahrt" nicht für gelegentliche Schäferstündchen ausgerüstet waren?
l.z. hat gesagt…
Also mein Kommentar lautet:

Was die Welt dringend braucht, sind gute Menschen, nicht religiöse.
Religiös war ein Hitler auch. lz

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