Die eingebildete »Entgöttlichung Christi«

Die Blogpause des vergangenen Jahres war über weite Strecken auch ein kath.net-Sabbatical. Nun kehre ich zurück und finde mich gleich wieder zurecht: Die Theologenbeschimpfung gehört nach wie vor zum Programm des Portals. Es kündigt »Gedanken eines Nichttheologen« an. Zum Teil wird das auch eingelöst, nämlich in der Umschreibung des Autors. Dass für die Rolle des Watschenmanns Kardinal Marx vorgesehen ist, lässt auch nach einer längeren Zeit der Abwesenheit sofort Gefühle der Vertrautheit aufkommen.

Die angebliche Tendenz

Der Kardinal hat etwas gesagt, das in Verbindung mit einer am 3. Fastensonntag gehörten Predigt eine Tendenz belegen soll. Die Predigt legte das Gespräch Jesu mit der Frau am Jakobsbrunnen »als Beispiel einer gelungenen Begegnung zwischen Menschen unterschiedlicher Völker und Religionen« aus. Der Hörer und Autor des Beitrags vermisste den Bezug auf die allein Jesus zukommende Würde. 
»Aber am Jakobsbrunnen begegneten sich doch nicht einfach eine samaritische Frau und ein jüdischer Mann in gegenseitiger Achtung, auch nicht einfach ein psychologisch begnadeter Wanderprediger und eine einfache Frau aus dem Volk mit ihren Sorgen und Wünschen. Hier verkündet Christus der Herr seine Botschaft vom Reich Gottes.« 
Für die Verkündigung des Reiches Gottes wäre es gewiss förderlich, wenn Jesus in der Szene am Jakobsbrunnen vom Reich Gottes sprechen würde. Im Johannes-Evangelium tut er dies tatsächlich aber nur an zwei Stellen im Nikodemus-Gespräch (3,3 und 3,5). Gut, das ist jetzt ein Nebenschauplatz, die Unterschiede zwischen den synoptischen Evangelien und Johannes dürften für unseren Autor keine besondere Rolle spielen. Ihm geht es darum, dass Jesus im Gespräch mit der samaritanischen Frau seine Würde als Christus und Sohn Gottes bezeugt: 
»Wo wir diesen zentralen Aspekt der Geschichte ausklammern, da betreiben wir – wenn auch ganz unbewusst – eine Entgöttlichung unseres Herrn.« 
Diese »Entgöttlichung« geschieht sicher nicht in einer einzelnen Predigt, die ja den Ton auch einmal auf einen ausgewählten Aspekt eines Bibeltextes legen kann. Deshalb ist ganz wichtig dass die Beobachtung »kein Einzelfall« ist. Tatsächlich gibt es auch einen zweiten – meint jedenfalls der Ankläger von Kardinal Marx. Dem Erzbischof von München und Freising wird zur Last gelegt, von der »Figur Jesu von Nazareth« gesprochen zu haben. Mit ihr müsse, so Marx, im Rahmen der notwendigen Evangelisierung die Welt und Kultur der Menschen in Berührung gebracht werden. Das schmeckt unserem Autor nun gar nicht, dennoch muss er sich das 
»… auf der Zunge zergehen lassen. 'Die Figur Jesu von Nazareth'« 
Man könnte statt »Figur« auch »Person« oder einfach »Jesus von Nazareth« sagen, aber auch damit würde man sich den Zorn des Marx-Kritikers zuziehen. Denn der sieht in solcher Rede die programmatische Verweigerung der Göttlichkeit Jesu. Das verrät mehr über seine Sicht der Dinge als die des Kardinals.

Auf den Spuren des Evangelisten Markus

Was soll falsch sein am Versuch, die Menschen mit »Jesus von Nazaret« in Berührung zu bringen? Ein solcher Versuch verläuft immerhin in der Spur des Evangelisten​ Markus. Der spannt einen Bogen vom Auftreten Jesu, der »von Nazaret kommt« (Mk 1,9) bis in die Schlussszene, wo der Engel den Auferstandenen nicht nur als Gekreuzigten, sondern zuvor auch als »Nazarener« bezeichnet (16,6). Mit diesem Wort wird auf Nazaret angespielt (ähnlich wie Maria Magdalena eine Maria aus Magdala ist). Für diesen Zusammenhang spricht auch, dass die Jünger zur Begegnung mit Jesus nach Galiläa geschickt werden, also an die Wirkungsstätte Jesu (16,7). Wer meint, es gehöre zur Evangelisierung, die Menschen mit Jesus von Nazaret in Berührung zu bringen, könnte also die Person sein, die von der kirchlichen Tradition »Markus« genannt und mit dem Verfasser des zweiten Evangeliums Im Neuen Testament identifiziert wurde. 

Wer sich auf Jesus von Nazaret bezieht, »entgöttlicht« Jesus nicht, denn mit solchem Bezug wird nicht der Anspruch erhoben, die Bedeutung Jesu umfassend zu bestimmen. Gesagt wird allerdings: Die Jesus zukommende Würde lässt sich nicht angemessen erfassen, ohne seine Geschichte einzubeziehen. Das ist genau die Position, die der Evangelist Markus in das urchristliche Bekenntnis eingebracht hat: Zum Evangelium von Jesus Christus, dem Sohn Gottes (Mk 1,1) gehört auch die Erzählung vom Wirken Jesu, das von Nazaret seinen Ausgang nahm und so durch den Titel »Jesus von Nazaret« wachgerufen wird. Dies schließt die Botschaft von Tod und Auferweckung ein, aber eben als Teil der ganzen Geschichte Jesu, nicht in paulinischer Konzentration auf Ende und Ausgang des Lebens Jesu. 

Der Spieß des Häresie-Vorwurfs lässt sich auch umdrehen: Wer es für kritikwürdig hält, dass den Menschen »die Figur Jesu von Nazaret« nahegebracht wird, könnte ein Problem mit der Menschheit Jesu haben. Warum empfindet man die Rede von »Jesus von Nazaret« als Reduktion des christlichen Bekenntnisses und nicht als Ansatzpunkt für eine Begegnung mit diesem Bekenntnis? Weil man es grundsätzlich für falsch hält, an der menschlichen Geschichte Jesu anzusetzen? Der Verdacht drängt sich auf, dass der Bezug auf die Menschheit Jesu bereits als »Entgöttlichung Christi« verstanden wird. Mein Interesse am Schwingen der Häresie-Keule ist gering; aber wenn einer meint, er könne die Rede von »Jesus von Nazaret« ausschlachten, um Kardinal Marx eine Verkürzung des christologischen Dogmas vorzuwerfen, kann man schon einmal auf ausgefallenere Ideen kommen.

Diese Theologen!

Nun ist die beklagte Tendenz der »Entgöttlichung Christi« mit zwei Fallbeispielen recht schwach belegt, deshalb muss noch eine allgemeine Klage über das schwindende Gottesbewusstsein her und irgendetwas gegen »die Theologen«. Denen wurde als Gruppe bis dahin in dem Beitrag zwar noch nichts nachgewiesen, aber diesem Gesindel ist doch alles zuzutrauen – wenn nicht jetzt, dann in nicht allzu ferner Zukunft: 
»Bald einmal werden wir soweit sein wie böse Zungen behaupten: 'Unsere Theologen könnten sehr gut auf Gott verzichten, wenn sie sich dann immer noch Theologen nennen dürften.'« 
Die »bösen Zungen« scheinen in dumpfen Köpfen zu stecken. Warum sollten sich Theologen Theologen nennen wollen, wenn sie »sehr gut auf Gott verzichten« können? Als Ehrentitel gilt »Theologe« in der heutigen Zeit ja nicht, wie wir gerade unlängst bestätigt sehen konnten (s. hier). Wahrscheinlich geht es gar nicht um die Bezeichnung »Theologen«, sondern um das Klischee der saturierten und gutbezahlten Staatsbeamten, die nur diesen Status nicht verlieren wollen – an Gott, Glaube oder Kirche liege ihnen aber nichts oder nicht viel. Sicher: Gesagt wird das nicht, aber so lässt sich dem zitierten Satz wenigstens irgendein Sinn abgewinnen.

Gefühlte Wahrheit

Um mit dem Theologen-Bashing Wirkung zu erzielen, ist, wie sich zeigt, die Schlüssigkeit der Darstellung kein zwingendes Erfordernis. Michael Schneider-Flagmeyer meint, der Beitrag habe 
»anschaulich dargelegt, wie die Entgöttlichung Christi über die Theologie in der ganzen Kirche – und nicht nur in der katholischen – das Denken, Rede und Predigt überwältigt hat.« (s. hier
Die Aussage bezieht sich tatsächlich auf den hier besprochenen Artikel und seine zwei (angeblichen) Belege für die »Entgöttlichung Christi«. Daraus wird die anschauliche Darlegung eines Sachverhalts »in der ganzen Kirche – und nicht nur in der katholischen«. In solch kühnem Sprung zeigt sich die Macht bestehender Deutemuster. Durch sie weiß man schon, was richtig ist, und dieses Wissen ergänzt, was an Argumenten fehlt. 

Oder anders: Die eigene Meinung hält man halt immer für gut begründet.

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photo credit: Lawrence OP St Mark the Evangelist via photopin (license)

Kommentare

Gerhard Mentzel hat gesagt…
Sehr geehrter Herr Prof. Häfner,

den nach ihrer dankenswerter Weise beendeten Pause aufgegriffenen Worwurf, der entgöttlichung Jesus, brauchen Sie sich nicht gefallen zu lassen, wenn sie auf den Jesus zurückgreifen, der für die hellenistisch-jüdischen Literaten wie Markus galt.

Dass der Kühlschrank für die heutige Theologie übrigens völlig leer ist, habe ich mir als Gasthörer erklären lassen. Der junge kath. Priester hat bei der modernen Gotteslehre auf der Spur seines Lehrers Markus Striet, die er im Seminar Lehranwärtern beibrachte, nicht nur vor den Gefahren des Glaubens und dessen auch im christlichen Lager zu beobachten reaktionären Missbrauch gewarnt, dass ihren "Freunden" von kath.net der Hut hochgegangen wäre. Ohne dass logischerweise der angeblich von seinem Freund wegen Blutgeld verratene junge Mann (oder dort, wo der als historisch gilt, der Logos heutiger Aufklärung, Vernunftlehre) eine Rolle gespielt hätten, wurden neuzeitliche Gottesbilder vorgestellt, wie sie bei auch bei Vorgrimmer nachzulesen sind. Die stehen heute völlig jenseits natürlicher Welterkärung. Mit dem, was die Naturwissenschaft erklärt, hat das moderne Gottesbild angeblich nichts zu tun. Das was den Alten was die Alten am Himmel oder in der Regelmäßigkeit fruchtbarer Natur beoachteten, auf kreative Weise wesentlich war und auch in menschlicher Kultur wesentlich wäre, damit philosophischen/theologischen Denkens, kommt bei den freiheitlichen Gottesvorstellungen, die mit der Taschenlampe unter dem Tisch sucht, werden nicht vor. Gläubigen soll ein freiheitliches Gottesbild als eine Hoffnung in heutiger Bedrängnis (eine persönliche Einbildung als angeblich letzte Relevanz christlicher Religion) geben werden. Für das Verhalten wäre das völlig unrelevant. Womit auch so der christliche Glaube grundlos gewordener ist.

Doch der Tisch ist gedeckt, die für menschliche Kultur maßgebende schöpferische Wirklichkeit nicht im biblischen Kühlschrank oder gar unter der modernen theologischen Eckbank versteckt. Einige Hundert Meter von der Universität weg, im Plantetarium Mannheim, habe ich mich zumsammen mit meinem kleinen Enkel Gestern Abend bei "Evolution des Kosmos" von der Geschichte des Sternenstaubes bis zu Darwin, dem vollen Kühlschrank in seiner über alle Galxien, damit Zeit und Raum hinausgehenden Kreativität begeistern lassen. Als wir dann auf dem Wasserturm waren, haben ich meinem kleinen Enkel erklärt, dass er im Planetarim die in der Bibel beschriebene schöpferische Wirklichkeit gesehen hätte. Und dass bereits vor 2000 Jahre jüdische Denker, die dann auch Matthäus genannt wurden in der Literatur ihrer Zeit geschrieben, wie die Weihsheit im Prozess aufgrund überkommener Vorstellungen verurtelit wurde, aber immer wieder aufgeklärt zu verstehen sein wird. So dass sie nicht dies nur für Christen gilt, sondern auch die vielen anders denkenden oder gläubigen Menschen, die auf der Wiese vor dem Wasserturm lagen. Gott sei Dank.

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