Wer Wind sät, wird heiße Luft ernten

Den folgenden (hier leicht geänderten) Text habe ich an die Redaktion von kath.net geschickt mit der Bitte um Veröffentlichung auf ihrer Homepage, um den Lesern die polemische Strategie des Interviews mit Peter Seewald (»Wer Wind sät, wird Sturm ernten«) klar zu machen. Eine Antwort habe ich nicht erhalten. 

D as Interview mit Peter Seewald bei kath.net hat in den dortigen Kommentaren ein begeistertes Echo ausgelöst: Endlich zeigt es einmal einer den arroganten Theologen, die da in antikirchlicher und papstfeindlicher Pose auf dem hohen Ross sitzen. Angesichts dieser eindeutigen Haltungen scheint der Versuch aussichtslos, jene Kommentatoren davon zu überzeugen, dass das Anliegen des Memorandums gerechtfertigt sein könnte. Genauso gut könnte man versuchen, eine Kuh dadurch zu einer Reaktion zu bewegen, dass man ihr ins Horn zwickt. Gegner des Memorandums, nicht aufregen! Das war nur einer der rhetorischen Tricks, die Peter Seewald in seinem Interview angewandt hat, als er von der Schleifung des Eiffelturms und der Verwandlung des FC Bayern München in einen Amateurverein sprach: Nimm einfach ein starkes Bild und beziehe es auf Deinen Gegner, ohne zu begründen, warum es sachlich angemessen ist. Mein Ziel ist also nicht die Überzeugung, sondern bescheidener: deutlich zu machen, dass in diesem Interview nichts anderes geboten wird als Stimmungsmache und billige Polemik. Da es nur darauf zielt, die Einstellungen der Leser zu bestärken, verzichtet es auf jede sachliche Auseinandersetzung und schreckt auch nicht davor zurück, dem Memorandum falsche Aussagen zu unterschieben. Starker Tobak? Die Belege folgen. 


1. Es werden abfällige Bemerkungen eingestreut (»beschämend«, »schäbiges Spiel«) und negativ besetzte Begriffe verwendet, auch wenn diese zur Bezeichnung theologischer und kirchlicher Positionen nichts beitragen (»neoliberale Kräfte«). Wo wird im Memorandum gegen den Papst gepöbelt? Was ist »theologischer Stalinismus«? Ein starkes Wort, das nicht zufällig nicht näher erläutert wird: Es kommt ja nur auf die rhetorische Wirkung an. Dasselbe gilt für die Parallele, die zwischen dem Zentralkomitee der Katholiken und dem Zentralkomitee der SED gezogen wird. Auch bei der Charakterisierung von Unterzeichnern werden abfällige Urteile vorgebracht, die ebenso wenig zufällig ohne konkrete Namen bleiben: »Nicht zu vergessen jene Agitatoren, die längst ihre Lehrerlaubnis verloren, weil sie Jahr und Tag nichts unversucht ließen, aus dem Sohn Gottes einen Räuberhauptmann zu machen.« Wer wäre das zum Beispiel? Wer sind die »theologischen Gecken, die Spießer und Wichtigtuer, die in jedes Mikrophon säuseln, das ihnen hingehalten wird.« Ohne Namen bleibt das bloße Stimmungsmache: Ja, ja, so sind sie, die Theologen. 

2. Es wird eine Verschwörung dunkler Kräfte suggeriert, die es nicht ertragen können, dass ein »Jahr mit Papst-Power« bevorsteht. Woher weiß Peter Seewald von diesem Zusammenhang? Auch sonst kann er auf erstaunliche Weise in die Psyche der Unterzeichner blicken. Er berichtet von Krokodilstränen in ihren Augen, spricht von dem, was sie »umso wütender« macht, und er kennt ihre Reaktion auf die hohen Verkaufszahlen von Büchern des Papstes: das schmerze sie. Ich versichere hier ausdrücklich, dass ich mich im selben Maß, in dem ich mich über diese plumpe Polemik ärgere, über jedes verkaufte Buch unseres Papstes freue. Peter Seewald geht aber noch einen Schritt weiter in seiner psychologischen Analyse der Unterzeichner. Er behauptet, dass sie wider besseres Wissen handelten. Dass es mehr Argumente für als gegen den Zölibat gebe, »wissen auch die Gegner«. »Diese Leute wissen sehr wohl, dass hierfür (= die Kirchenkrise) nicht der Zölibat ursächlich ist«. Der rhetorische Effekt ist eindeutig: Was müssen das für üble Typen sein, die sich da im Memorandum wider besseres Wissen äußern? Viele Kommentare zum Interview äußern sich entsprechend abfällig über die Theologen. Wenn die Glocke ertönt, speichelt der Pawlowsche Hund – das war jetzt wieder ein Beispiel für einen rhetorischen Trick (s.o.). Vielleicht wird deutlich: Wenn man die Ansicht nicht teilt, die mit solchen Kniffs verbunden wird, findet man sie gar nicht so lustig.

3. Erstaunlich ist, dass Seewald zur Anti-Senioren-Karte greift, um einen vermeintlichen Trumpf auszuspielen. Er spricht von einer »Rebellion im Altenheim«, um der Sache des Memorandums die Zukunft zu bestreiten. Eigentlich müsste diese menschenverachtende Rhetorik die Leser von kath.net auf die Barrikaden treiben. Mit welchem Recht wird eine Sache diffamiert, weil sie von der älteren Generation vertreten wird? Dahinter verbirgt sich kein Sachargument. Nur nebenbei: in der Zeit, aus der das Neue Testament stammt, hat man wichtige Botschaften als letzte Worte vor dem Tod stilisiert. Nicht mehr nebenbei: die Behauptung von der »Rebellion im Altenheim« stimmt nicht. Etliche Unterzeichner des Memorandums sind jedenfalls um einiges jünger als Herr Seewald. Wären sie Altenpfleger, könnten sie ihm einst vielleicht die Schnabeltasse reichen (der dritte billige Trick nach seinem Vorbild – ziemlich geschmacklos, gewiss).

4. Kommt das Memorandum nur 10 Jahre zu früh? Immerhin kann sich Peter Seewald vorstellen, dass sich die Frage des Zölibats in zehn Jahren »erneut checken« ließe. So grundsätzlich verkehrt kann zumindest eine der Anfragen des Memorandums dann gar nicht sein – oder will der Autor nur den Tod Papst Benedikts abwarten, weil der sich ja inzwischen eindeutig geäußert hat? Das mag man sich gar nicht vorstellen. 

5. Warum soll die Diskussion um den Zölibat eine Beleidigung jener sein, die in der Nachfolge Christi ehelos leben? Hier werden die Argumentationsebenen verschoben. Niemand, der fragt, ob die Verpflichtung der Priester auf die ehelose Lebensform fortgeführt werden soll, muss deshalb bestreiten, dass diese Lebensform »großartige Priesterge­stalten und Ordensleute hervorgebracht« hat. Diese Frage steht gar nicht zur Debatte. Und umgekehrt wird doch niemand behaupten wollen, dass jene großartigen Gestalten nur deshalb so groß wurden, weil sie durch die Koppelung von Amt und Ehelosigkeit um diese Lebensform nicht herumkamen (für die von Peter Seewald genannte Edith Stein kann das schon von den Voraussetzungen her nicht zutreffen). 

6. Der Angriff auf das Memorandum bedient – wie Kommentare zeigen: erfolgreich – Ressentiments gegen die Professorenschaft. Was legitimiert die Unterzeichner?, fragt wissbegierig der Interviewpartner. Und er erhält die Antwort: »Ja, das fragt man sich in der Tat. Ein auf Lebenszeit gesicherter Lehrstuhl, auf dem sie für ein fürstliches Salär Zwist und Zweifel säen dürfen.« Ja, so sind sie, die Professoren: Querulanten, die aus gesicherten Positionen eine rein professionelle Kritik üben, ohne dass sie die Sache irgendetwas kostet. Eine ernsthafte Sorge, so der gewünschte Eindruck, kann gar nicht hinter dem Memorandum stehen. Wie wenig diese Leute ernst zu nehmen sind, will Peter Seewald noch mit einem absurden Vergleich unterstreichen. Hinter ihren Särgen werden weniger Menschen gehen, als sich zur Beerdigung Johannes Pauls II. versammelt haben. Das wird stimmen, auch wenn wir die Trauergesellschaften der Beerdigungen aller Unterzeichner addieren. Nur: Welches Argument soll sich daraus ergeben? Das ganze Bild funktioniert im Übrigen allein deshalb, weil Seewald zuvor die Kölner Erklärung so zugespitzt hat, dass Johannes Paul II. »zum Totengräber der Kirche« erklärt worden sei. In dieser scharfen Form ist die damalige Kritik natürlich nicht formuliert worden. Aber, was soll’s, wird sich Peter Seewald sagen: man wird ja wohl mal unterstellen dürfen (das war jetzt der rhetorische Trick, in die Psyche des Gegners zu blicken und Handeln wider besseres Wissen zu behaupten).

7. Damit komme ich zu dem Punkt, an dem die Unredlichkeit dieses Interviews kaum noch zu ertragen ist. Dem Memorandum werden Aussagen unterschoben, die es nicht trifft. Die Strategie ist bemerkenswert. Ein oben bereits zitierter Satz ist ziemlich raffiniert formuliert: »Diese Leute wissen sehr wohl, dass hierfür (= die Kirchenkrise) nicht der Zölibat ursächlich ist«. Damit kann man zum einen Handeln wider besseres Wissen unterstellen (s.o. 2.). Zum andern wird der Eindruck erweckt, dass die Position vom Zölibat als Ursache der Kirchenkrise im Memorandum vertreten wird, ohne diese Falschaussage ausdrücklich zu behaupten. Ein anderer Satz zeigt diese Raffinesse nicht mehr. Seewald behauptet, das Memorandum argumentiere mit den Missbrauchsfällen, die in dem Text tatsächlich aber als Einstieg für die Kennzeichnung der gegenwärtigen problematischen Lage der Kirche in Deutschland dienen. Und so wird der angebliche Kausalzusammenhang »katholische Sexualmoral plus Zölibat ist gleich Missbrauch« im Memorandum nicht behauptet. Seewald aber unterstellt, jene Kausalkette würde »aus der Kiste geholt«. Und wer dies tue, zeige »eine demagogische Absicht«. Das ist grandios: der Gegenseite Demagogie vorwerfen und selber dabei demagogisch sein. Die Rede vom »aus der Kiste ziehen« suggeriert, dass es um eine hoffnungslos veraltete Sache gehe, die es gar nicht mehr hervorzuholen lohnt, weil doch schon alles geklärt und bewältigt ist. Ich bin in dieser Frage weniger zuversichtlich. Wichtiger aber: die Formulierung unterstellt, dass der behauptete ursächliche Zusammenhang im Memorandum vertreten wird ‑ und das ist falsch. Mir ist nicht bekannt, dass Leidenschaft für oder gegen eine Sache vom Gebot der Wahrhaftigkeit dispensieren würde. 

Ich komme zum Schluss. »Vieles hätte ich euch noch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht ertragen« (Joh 16,12). Ein sachfremder Bibelbezug? Ganz richtig, genauso willkürlich wie der Bezug auf 2Tim 4,3 in Seewalds Interview. Oder sollte uns dieser Journalist doch ganz erheblich voraus sein? Immerhin weiß er Näheres über das Innenleben Jesu und die Motive der Inkarnation, die einem gewöhnlichen Theologen nicht so ohne Weiteres zugänglich sind. Nichts habe Jesus »so sehr erzürnt wie das Versagen der Gotteslehrer und der bestellten Hirten. Es war nachgerade der Grund, für das Eingreifen Gottes, die Erscheinung des Sohnes.« Vielleicht hat er das ja im 2. Brief des Paulus an die Epheser gelesen, den er in seinem Buch »Jesus Christus. Die Biographie« erwähnt (Regensburg 2009, S.25). Wer in seiner Bibel diesen Brief auffindet, möge es mitteilen. Ich kenne ihn mit der Mehrheit der Bibelleser nicht und würde mich über die Erweiterung meines Neuen Testaments freuen. Das war jetzt ein Trick, für den ich kein unmittelbares Vorbild in Seewalds Interview gefunden habe: greif deinen Gegner bei einem Fehler an und bestreite ihm so, unterstützt durch Einsatz von Ironie, die Kompetenz. Zwar bestreitet auch Seewald den Theologen die Kompetenz; auf einen sachlichen Fehler seiner Gegner kann er aber dabei nicht bauen. 

Man kann unterschiedlicher Auffassung sein, was der Kirche in unserer Zeit am meisten nützt. Aber die Auseinandersetzung muss fair bleiben. Ressentiments zu bedienen, Aussagen zu verzerren oder zu unterstellen ist jedenfalls kein Weg, der die Kirche in die Zukunft führt. Dass die Kirche einen dramatischen Glaubensverfall erlebt, ist offenkundig. In dieser Einschätzung müssen sich Unterzeichner und Gegner des Memorandums nicht unterscheiden. Die umstrittene Frage ist, warum es zu dieser Situation gekommen und wie am besten auf sie zu reagieren ist. Ich will in diesem Beitrag, wie eingangs gesagt, nicht für die Sicht des Memorandums werben. Aber dass sie nicht mit billigen polemischen Mitteln als antikirchlich und unlauter diffamiert wird, ist keine übertriebene Forderung.

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