Sonntagsevangelium (140)

19. Sonntag im Jahreskreis (A): Mt 14,22-33

Die Geschichte vom Seewandel Jesu ist von zahlreichen Motiven geprägt, durch die die Bedeutung Jesu erzählerisch dargestellt wird. Der Berg ist vom Alten Testament her mit dem Gedanken der besonderen Nähe zu Gott verbunden (z.B. Ex 19,3; Ex 24,15f). Im Matthäus-Evangelium erscheint der Berg als Ort der Lehre Jesu (5,1ff) und als Ort von Heilungen (15,29-31); mit ihm verbindet sich besondere Offenbarung (17,1-9; 28,16-20), in der Geschichte vom Seewandel ist er Ort des Gebetes. Die nachfolgende Erscheinung Jesu auf dem See (in göttlicher Macht) wird vorbereitet durch das Gebet auf dem Berg als dem besonderen Ort der Gottesnähe.

Die Jünger im Boot sind mit mehreren Chaosmächten konfrontiert. Die Motive sind aus den Psalmen bekannt als Bilder äußerster Bedrängnis: Wasser (z.B. Ps 32,6; 69,2f), Nacht (Ps 91,5), Stürme (Ps 107,23-32; Jon 1). Durch die Häufung der Motive hat der Gang Jesu auf dem Wasser auch den Aspekt, dass Jesus den Jüngern im Boot zu Hilfe kommt. Dies wird unterstrichen durch die Zeitangabe zur vierten Nachtwache (14,25), also in der frühen Morgenstunde – im Alten Testament geprägt als Zeit, zu der Gott hilfreich eingreift (s. Ex 14,24; Ps 46,6; Jes 17,14).


Das Gehen auf dem Wasser  ist sowohl im Alten Testament (Ijob 9,8; 2Makk 5,21) als auch in Texten aus der Umwelt des Neuen Testaments als eine göttliche Fähigkeit bekannt: Den Menschen ist solches nicht möglich. Die Aussage »Ich bin es« dient nicht nur der Identifizierung, sondern verweist hintergründig auf die Selbstvorstellung JHWHs als einziger Retter Israels in alttestamentlichen Texten (z.B. Jes 43,10f; Dtn 32,39). Jesus handelt und spricht also in göttlicher Macht und erweist sich darin als Retter für die Jünger.

Während die meisten der genannten Motive auch in der Vorlage des Matthäus belegt sind (Mk 6,45-52), ist die Episode, in der Petrus die Hauptrolle spielt, eine Besonderheit des Matthäus-Evangeliums (14,28-31). Dadurch wird die Erzählung vor allem zu einer Glaubensgeschichte. Ausgangspunkt ist das Vertrauen, das Petrus in Jesus setzt. Er macht sein Handeln ganz von Jesus abhängig, denn er geht nicht von sich aus auf Jesus zu. Erst nachdem Jesus den erbetenen Befehl erteilt hat (»Komm!«), steigt Petrus aus dem Boot und geht über das Wasser.

Aber er hält sein Vertrauen nicht durch. Der Blick auf die drohende Gefahr (»da er den Wind sah ...«, 14,30) lässt ihn den Befehl des Herrn vergessen – er zweifelt (s. 14,31) und droht unterzugehen. In der Beschreibung der Not wie auch im Hilferuf des Petrus finden sich wörtliche Anklänge an Psalm 69. In ihm wird bildlich vom Wasser gesprochen, bezogen auf alles, was Leben und Glauben bedroht. So wird für Matthäus auch der versinkende Petrus zum Bild des Glaubenden in der Bedrängnis. Dass er sein Vertrauen verloren hat, zeigt seinen Kleinglauben (14,31). Dies ist einerseits ein Tadel, bedeutet andererseits aber auch, dass dem zweifelnden Petrus der Glaube nicht ganz abgesprochen wird. Und er, der sich weiter hinausgewagt hat als die anderen Jünger und dabei gescheitert ist, erfährt auch deutlicher als sie die Rettung durch den Herrn.

Ein auffälliges christologisches Motiv erhält die Erzählung bei Matthäus zum Abschluss durch die Reaktion der Jünger. Anders als in Mk 6,52 werden sie nicht als unverständig bezeichnet. Sie reagieren vielmehr mit einem Bekenntnis zu Jesus als Sohn Gottes und nehmen damit das Bekenntnis des Petrus in 16,16 vorweg (14,33). 

Kommentare

Abaelard hat gesagt…
Ich bin bei der Auslegung von Schriftperikopen zunächst immer am Konzentrat/Succus des Textes interessiert und erst an zweiter Stelle an Details.

Erst wenn ich weiß, worin der hauptsächliche Anspruch eines Textes oder genauer seines Autors besteht (was eben zuvor methodisch-exegetisch erarbeitet werden muss), kann ich die nächste Frage stellen, nämlich ob dieser Anspruch zu Recht, begründetermaßen besteht oder einfach nur autoritär behauptet wird.

Erhebt die Perikope von Jesu Seewandel den Anspruch, dass Jesus im ganz wörtlichen Sinn über den See gegangen sei? Oder wo liegt der Kernanspruch des Textes?

Ich will die Frage schlichter, unkomplizierter formulieren: Welches Ziel hat der Text mit dem Leser? Und welche realen, nachvollziehbaren Gründe legitimieren den Textautor, eben dieses Ziel für den Leser anzustreben?
Gerd Häfner hat gesagt…
Ich weiß nicht, ob ich die Frage richtig verstehe. Das Ziel des Textes ist in erster Linie, den Lesern die Bedeutung Jesu erzählerisch darzustellen: Jesus kommt göttliche Macht zu, deshalb wird von ihm erzählt, wie von der Tradition her eigentlich nur von Gott erzählt werden könnte. Das Recht dazu gründet nicht in dem historischen Wissen, dass Jesus einst über das Wasser gelaufen sei.Entscheidend ist vielmehr, was die Glaubenden über Jesus bekennen. Dieses Bekenntnis wird erzählerisch entfaltet. Wer es nicht teilt, wird durch solche Geschichten kaum überzeugt. Wer an Jesus als in göttliche Macht eingesetzten Messias und Sohn Gottes glaubt, dessen Bekenntnis wird durch solche Erzählungen veranschaulicht. Und durch die Petrus-Episode wird er (oder sie) in die Erzählung gezogen, indem eine Geschichte von Glaube, Zweifel und Rettung erzählt wird, in der sich die Leser entdecken können. Gerade diese Episode zeigt, dass der Evangelist primär kein berichtendes Interesse hat, mit der Geschichte vom Sewandel keinen "Beweis" für das Bekenntnis zu Jesus liefern will.
Abaelard hat gesagt…

@ Prof. Häfner

Wenn ich Ihre Auffassung recht verstehe, erhebt der biblische Text(autor) den Anspruch, Jesu göttliche Macht erkannt zu haben.

Aber dann stellt sich die Frage, warum der Autor nicht einfach präzise beschreibt, worin jene konkreten Machterweise Jesu bestanden, die nach seiner Einschätzung als göttlich zu qualifizieren sind?

Warum eigentlich sollte der Autor die von ihm als göttlich erkannten Machterweise Jesu nicht einfach so beschreiben, wie sie sich tatsächlich zugetragen haben? Warum sollte er statt dessen auf traditionelle Muster der Gottesbeschreibung zurückgreifen?

Wenn Gott nach dem AT über Wasser gehen kann, dann darf ebendiese Fähigkeit Jesus nicht einfach schon deswegen zugeschrieben werden, weil man ihn aus irgendwelchen anderen Gründen für Gott hält.
Sondern dann muss der Autor zunächst die konkreten Gründe benennen, weswegen er Jesus für göttlich hält.
Erst dann - aber wirklich erst dann - mag der Autor auch weiter spekulieren, dass Jesus, eben weil er als göttlich erkannt worden ist, auch das können muss, was der atl. Gott kann: z.B. über Wasser laufen.

Ist Jesus tatsächlich über Wasser gegangen?
Ich weiß es nicht. Und glauben kann ich es kaum, scheint es mir doch viel zu mirakulös. Aber das gilt auch für die Auferstehung Jesu aus dem Tod. Da meldet sich fürs Erste auch sofort die innere Evidenz: "Unmöglich, völlig ausgeschlossen."
Ich meine, auch der Auferstehungsglaube ist im Grunde echter Zauberglaube, d.h. Zutrauen, dass Liebe zaubern kann.

Sollte Jesus aber tatsächlich über Wasser gegangen sein, was spräche dann dagegen, dieses Mirakel als Aufblitzen von Gottes Schöpfermacht, als Überlegenheit Gottes über die Materie zu deuten?
Gerhard Mentzel hat gesagt…
Danke Herr Prof. Häfner,

dass Sie auch heute wieder deutlich machen, dass es dem Matthäus genannten Verfasser nicht um einen auf wundersame Weise (oder doch nicht) übers Wasser gelaufenen Wanderguru ging. Wie hier vielmehr Aussagen des AT aufgegriffen wurden, um die schöpferische Funktion des christlichen Glaubensgrundes als wahren Gottessohn und erhofften Messias zu verdeutlichen.

Doch wie können Sie die Welt im Glauben lassen, es wäre den theologischen Denkern dabei um einen jungen Guru gegangen? Sie wissen sicher, was Ihr holländischer Kollege Von den Berg van Eysinga bereits 1951 in seinen Studien "Jesus Christus der Logos" verdeutlichte: Dass Seneca die damals geltende/verschieden definierte Vernunft (Logos) in Gestalt des Herakles in gleicher Weise übers Wasser gehen ließ, wie das im NT geschildert ist.

Doch Seneca wusste mit Sicherheit, dass es in seiner Geschichte um die damals in ihrem Wesen heiß diskutierte und das Denken bestimmmende kreative Weltvernunft (Logos) ging. Eine Vernunft, die dem entspricht, was im AT als schöpferisches Wort/Bestimmung galt. Und die heute z.B. als Ökologie, Weltökonomie definiert und über die auf Weltfriedens- oder Klimakonferenzen gestritten wird.

Wie können Sie daher die Welt im Glauben lassen, dass im erneuerten chr. Monotheismus bzw. im Matthäustext nur ein junger Halbstarker als Miniaturgott gesehen oder gar aufgemotzt wurde?

Wenn die Hoffnungen des damals allegorisch gelesenen AT als erfüllt gesehen wurden, dann kann es doch bei ernsthafter Betrachtung nur um das Wesen der Vernunft allen Werdens (dem schöpferischen Wort) gegegangen sein, die in im Kulturwandel vom Mythos zum Logos das Thema unzähliger Lehren war, die die Götterwelt ablösten.

Eine theologische Wissenschaft, die bei allem, was wir über die vielzähligen phil.-theologischen Denkweisen und Diskussionen im Wandel vom Mythos zum Logos antiker Aufklärung weiß und weiter nur einen Wanderprediger als historisch gelten lässt, ohne die kulturelle Vernunft dieser Ausdrucksweise zu bedenken. Die dann auch noch die Welt im Glauben lässt, der junge Guru wäre von orientalischen Intellektuellen als Mohammed ausgegeben bzw. sein syroaramäisches Evangelium zum Koran weiterentwickelt worden. Und die so die Aufkärung über den gemeinsamen Vernunft-Grund der Geschwister verhindert. Sollte sie sich nicht freiwillig zum Kampf gegen die Isiskrieger melden?

Oder wird der Kopf doch noch zum kreativen Denken gebraucht?

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