Sonntagsevangelium (146)

26. Sonntag im Jahreskreis (A): Mt 21,28-32

Das Gleichnis von den zwei Söhnen, nur im Matthäus-Evangelium zu lesen, mündet in eine Anwendung, die auffälligerweise in einen Dialog eingebunden ist: Im Anschluss an das Gleichnis (21,28-30) stellt Jesus eine Frage, die sich auf den Inhalt der Geschichte bezieht, und erhält die unausweichliche Antwort (21,31a); auf diese Antwort hin erfolgt die Anwendung des Gleichnisses in zwei Stufen (21,31b.32).

Die Erzählung ist einfach aufgebaut: Zwei Söhne werden von ihrem Vater zur Arbeit in den Weinberg geschickt. Der erste weigert sich, besinnt sich dann aber und geht doch; der zweite stimmt zu – und geht nicht. Der Geschichte kommt es nur auf die Gegenüberstellung der unterschiedlichen Verhaltensweisen der beiden Söhne an. Andere, bei der erzählten Konstellation naheliegende Fragen werden nicht berührt. Etwa: Wie reagiert der Vater auf die Weigerung des ersten Sohnes? Erfährt er von dessen Sinneswandel? Sendet er den zweiten Sohn nur, weil der erste sich weigert? All dies wird nicht erwähnt, deshalb darf es auch in der Auslegung keine Rolle spielen.


Häufig wird die Erzählung auf den Gegensatz von Reden und Handeln hin ausgelegt, meist unter Verweis auf Mt 7,21, wo ebenfalls vom Tun des Willens des Vaters gesprochen und dieses Tun dem bloßen Bekenntnis zu Jesus als dem Herrn gegenübergestellt wird. Zweifel an dieser Auslegung drängen sich schon deshalb auf, weil eine Binsenweisheit als Gleichnisstoff denkbar ungeeignet ist. Dass derjenige Sohn den Willen des Vaters erfüllt, der dies nicht nur behauptet, sondern den Auftrag tatsächlich ausführt, ist eine triviale Aussage, die man durch ein Gleichnis kaum verdeutlichen kann.

Auch der Wortlaut des Gleichnisses selbst spricht für ein anderes Verständnis. Das etwas ausführlicher geschilderte Verhalten des ersten Sohnes gibt einen entscheidenden Hinweis: Er hat seine Weigerung nachträglich zurückgenommen. Es geht also nicht einfach darum, dass der erste Sohn »nein« sagt und doch im Sinne eines Ja handelt, sondern dass er sein einmal gesprochenes Nein rückgängig macht. Er vollzieht einen Sinneswandel, und das bedeutet: Sein anfängliches Nein war ein wirkliches Nein, nicht nur das des Wortes, dem das Ja der Tat einfach gegenüberträte. Es geht vielmehr um die Abfolge von Verweigerung, Besinnung und Zustimmung. Entsprechend gilt für den zweiten Sohn: Angezielt ist der Wechsel vom Ja zum Nein, der sich zwischen seiner Antwort an den Vater und seinem Verhalten danach vollzieht, und nicht der Gedanke, dass er das Ja spricht, aber dem Nein entsprechend handelt. Zwar wird dies zum zweiten Sohn nicht ausdrücklich gesagt, aber die zweite Szene soll sicher als genaues Gegenstück zur ersten Szene verstanden werden.

Die Auslegung, die den Ton auf den Sinneswandel der beiden Söhne legt, wird unausweichlich durch die angefügte Anwendung. Hier werden Zöllner und Dirnen den angesprochenen Hohenpriestern und Ältesten (s. 21,23) gegenübergestellt, und der ersten Gruppe wird das Vorangehen in das Reich Gottes zugesprochen. Der Zusammenhang mit dem Gleichnis ist eindeutig zu bestimmen: 21,31b kann nur dann eine Folgerung aus der Parabel sein, wenn die sozial und religiös deklassierten Zöllner und Dirnen im Verhalten des Neinsagers repräsentiert sind. Die Hierarchen dagegen sollen sich im Jasager wiederentdecken, der den Willen des Vaters nicht erfüllt. Diejenigen, die sich um das Tun des göttlichen Willens nicht kümmerten, haben einen Wechsel vollzogen – und zwar in entgegensetzter Richtung zu denen, die ihr Ja zum Willen Gottes, zur Tora, gesprochen haben.

Durch das Einbringen der Zöllner und Dirnen in die Anwendung des Gleichnisses ist es nicht möglich, den Gegensatz von Reden und Handeln zum entscheidenden Punkt des Gleichnisses zu machen. Die »Zöllner und Dirnen« sind deshalb religiös verachtet, weil es ihnen am rechten Tun fehlt, weil sie nicht dem göttlichen Willen entsprechend handeln. Sie haben nicht die falsche Rede hinter sich gelassen, um nun das Richtige zu tun. Sie haben das Nein zu Gott aufgegeben, ein Nein, das durch ihr ganzes Leben dokumentiert war. Die Hohenpriester und Ältesten dagegen haben ihr Ja zum Willen Gottes am entscheidenden Punkt nicht durchgehalten: beim Auftreten Johannes des Täufers, dessen göttliche Sendung sie, anders als die religiösen und sozialen Außenseiter, nicht anerkannt haben (21,32).

Dass an dieser Stelle der Täufer genannt ist und nicht Jesus, überrascht. Es erklärt sich durch das spezifisch matthäische Täuferbild: Matthäus akzentuiert Johannes als Vorläufer Jesu dahingehend, dass er ihn mit Jesus parallelisiert. So ist der Täufer z.B. bereits Bote der angebrochenen Herrschaft Gottes (Mt 3,2; vgl. 4,17). In unserem Gleichnis zeigt sich diese Parallelisierung darin, dass der Täufer auf dieselbe Ablehnung trifft wie Jesus. Andes gesagt: In der Ablehnung des Täufers, des Vorläufers, zeichnet sich schon die Ablehnung Jesu ab. Die beiden folgenden Gleichnisse führen dies aus (21,33-46; 22,1-14).

Kommentare

Abaelard hat gesagt…
@Prof Häfner

Ich kann immer noch nicht ganz von der Vermutung lassen, dass V. 29 eben doch eine Anspielung auf Mt 7,21 ist.
Zu auffällig scheint mir, dass in V. 29 der Ja-Sager seinen eigenen Vater in betonter Devotion mit "Herr" anredet, vergleichbar den "Herr, Herr"-Sagern von 7,21.

Wenn sich nun die Hierarchen, zu denen Sie offenbar auch die Ältesten zählen, in jenem Jasager wiederentdecken sollen, der offenbar auch ein Herr-Sager ist, stellt sich die Frage:

Wo und wie konkret bekundet denn die Hierarchie ihr Jasagen zum Willen Gottes bzw. ihr "Herr, Herr"-Sagen?
Etwa im Kult? Oder wo sonst?

"Herr"-Sagen oder "Herr,Herr"-Sagen ist ja letztlich auch nichts anderes als dem Angeredeten huldigen: Du sollst das Sagen haben.
Hieronymus hat gesagt…
ad abälard

Hohepriester und Älteste sollten sich im kritischen Gleichnisspiegel Jesu als Ja- und Herrsager wiedererkennen.

Mir scheint es naheliegend, dass der Ort des Ja- und Herrsagens der Hohenpriester im Tempelkult gewesen sein muss (wo sonst könnten sie ihre Bejahung der Tora und die Anerkennung Gottes als des Herrn/Gebieter kundtun?) oder aber - wenn es um das synedriale Richterkollegium "Hohepriester + Älteste" geht, könnten Gerichtsverhandlungen jene Orte gewesen sein, in denen sie ihr Ja- und Herrsagen zu Gott und dessen Willen/Tora
öffentlich demonstrieren konnten.

Falls diese Überlegungen zutreffen, hätte Jesu Gleichnis vom Ja- und Neinsager vielleicht sogar eine kultkritische Spitze.
Aber so etwas darf man ja seit der Überwindung von Herbert Haags Auffassung, wonach Jesus nicht gerade ein Kult- und Liturgiefreak war, nicht (mehr) sagen.
Heute scheint in der Exegese eher en vogue, dass Jesus letztlich und eigentlich nur wegen der zisterziensischen Liturgie in die Welt gekommen ist.
Zumindest könnte man bei Klaus B. diesen Eindruck gewinnen.
katharina hat gesagt…
Ach, wissen Sie, Hieronymus, in Sachen biblischer Kultkritik kommen die Fachleute auf keinen grünen Zweig:
Liest man etwa online den Satz der Schweizer Liturgiekommission:
"Die prophetische Kultkritik richtete sich zu allen Zeiten nicht gegen den Kult als solchen, sondern gegen die auf seiner rituellen Praxis beruhenden Selbstsicherheit",
so behauptet das wibilex unter "Kultkritik":
"In der Forschung wird gestritten, ob die Kritik am Kult prinzipieller Art sei oder sich nur auf Missstände beschränke, den Kult als solchen aber nicht in Frage stelle."

Man möchte fragen: Ja was jetzt? Ist die Frage nun geklärt (wie CH-Liturgiekomm. behauptet) oder ist sie nicht geklärt (wie wibilex behauptet)???????
Savonarola hat gesagt…
@hieronymus

"hätte Jesu Gleichnis ... sogar eine kultkritische Spitze"

Jesus der Kultkritik zu verdächtigen ist Kulturprotestantismus pur!
Vielmehr ging es Jesus um nichts anderes als um die Ehre Gottes, und die drückt sich unüberbietbar im liturgischen Kult aus.
Für Jesus bezeugt die Bibel eine Höchstschätzung von Tempel und Liturgie.
Und, Hieronymus, wenn Sie sich schon den nickname eines großen Kirchenvaters zulegen, dann sollten Sie auch wissen, dass nach der Lehre der Kirche nicht Tugendboldigkeit die Höchstform kirchlichen Lebens ist, sondern die eucharistische Liturgie: DIESE ist Quelle und Höhepunkt kirchlichen Lebens.



Gerhard Mentzel hat gesagt…
Wieso der Sohn, der ja sagt und nichts tut, besser sein soll, als im umgekehrten Fall, scheint schwer verständlich. Was der später als Matthäus bezeichnete jüdisch-monothistische Grieche, der aus einer von natürlicher Schöpfung ausgehenden Vernunft (oder dem wahren, einzigen Sohn) dieses Gleichnis ableitet, damit sagen will, scheint schwer verständlich.

Fest steht jedoch, dass es auch bei diesem Gleichnis nicht um den Mitschnitt von schlauen Sprüchen eines jungen jüdischen Guru ging, der durch seinen Vorgägnger im Jordan getauft bzw. zum wahren Sohn ausgerufen, als Minaturgottt/-schöpfer gesehen wurde.

Und in diesem Sinne wird auch verständlich, warum die als Dirnen und Zöllner bezeichneten eher dem schöpferischen Willen folgen, als die, die auch heute der Welt das den auf das lebendige Wort/die Jesus genannte schöpferische Wirklichkeit als Schwachsinn verkaufen, wonach nur ein göttlicher Guru große Töne spuckte.

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