Prozess gegen den Dialog

Am vorletzten Wochenende fand in Hannover die zweite Runde des Dialogprozesses statt. Anders als im letzten Jahr kann ich nicht als Teilnehmer berichten, sondern nehme nur die Reaktionen auf diese Veranstaltung wahr. In diesem Beitrag soll es nur um die unfreundlichen gehen. Sie werden dadurch verstärkt, dass zur selben Zeit der Kongress »Freude am Glauben«, veranstaltet vom »Forum Deutscher Katholiken«, stattfand. Denn so können die Berichte über dieses Ereignis mit der Kritik am Dialogprozess verbunden werden. 

Kritische Stimmen

Dass Pater Walter Ockenfels auf jenem Kongress keine lobenden Worte zum Dialogprozess fand, überrascht nicht im Übermaß. Was einem Sachargument wenigstens entfernt ähneln könnte, wird in dem kurzen Bericht auf kath.net allerdings nicht mitgeteilt. Es »gebe es bisher keine Rückbesinnung auf den Kern des Glaubens« und da sei »Nichts Neues unter der Sonne, sondern nur viel Schatten«. Die Kirche habe ein »gewaltiges Führungsproblem«, es gebe zu wenig »kritische und wache Bischöfe«. Pater Ockenfels ist mit der Gesamtsituation unzufrieden und dank des inhaltsarmen Berichts können nun alle ähnlich Unzufriedenen in sein polemisches Lamento einfallen (wie z.B. kaiserin: »DANKE,Herr Ockenfels! Jawohl, der deutsche DiaLÜG-prozess ist NUR streng zu verurteilen …«).



Die Überschrift zum Vortrag von Bischof Gregor Maria Hanke setzt gleich einen dialogkritischen Akzent: »Das innere Wesen kirchlicher Einheit ist nicht die Konsensfindung«. Der Vortrag des Bischofs geht auch auf den Dienst ein, den alle Gläubigen durch die verschiedenen Charismen leisten. Allerdings scheinen die Laien doch nicht so recht in die Kirche integriert zu sein, heißt es doch: »Die Kirche erwartet sich von den Laien, dass sie aus gelebter Einheit in der Kirche als Leib Christi heraus handeln und sich senden lassen, nicht im Gegenüberstand zu ihr«. »Die Kirche« hat also eine Erwartung an »die Laien«: wie lässt sich da der »Gegenüberstand« vermeiden? Die Warnung, der Einsatz solle nicht »in Aktionismus« enden und »die Sozialgestalt der Kirche nicht das Schwergewicht« erhalten, ist kaum anders denn als Kritik an Strukturdebatten zu verstehen. Nun wäre es gewiss verfehlt, sich von veränderten Strukturen allein ein intensiveres, lebendigeres und für Außenstehende einladenderes (also missionarischeres) Glaubensleben zu erwarten. Deshalb sind jene Debatten aber nicht schon als in sich verkehrt erwiesen. Vor allem genügt es nicht, als Alternative fromme Allgemeinplätze anzubieten. Wie Kirchesein gehe, so hören wir, könne man im Schauen auf Maria lernen; und: ein Neuaufbruch setze voraus, dass wir uns dem Geist öffnen, der Maria erfüllte. Nicht dass ich widersprechen würde. Aber für etwas genauere Hinweise wäre ich schon dankbar.

Kardinal Walter Brandmüller wird metaphorisch zum Apotheker und verkauft das Jahr des Glaubens als »die lebensrettende Medizin für die ganze Kirche«
, verordnet von Papst Benedikt, dem also die Rolle des Arztes zukommt. Der Kardinal beklagt den »Zustand der Lähmung und Schwäche, in dem zumal der deutsche Katholizismus sich seit Jahrzehnten dahinschleppt«. Wenn es denn so schlimm steht, fragt man sich, wie ein päpstlicher Aufruf  eine derart therapeutische Wirkung entfalten kann. Lassen wir aber dieses Bedenken einmal beiseite und stellen uns der harten Diagnose: Was fehlt dem deutschen Katholizismus? Er erfüllt, so das Urteil des Kardinals, den elementaren Sendungsauftrag der Evangeliumsverkündigung nicht. Stattdessen befasst er sich mit so etwas wie einem Dialog, obwohl doch festzustellen ist: »Vom Dialog ist im ganzen Evangelium mit keinem Wort die Rede.« Nun, dieses Schicksal teilt der Begriff mit vielen anderen: Papst, Enzyklika, Kurie, Unfehlbarkeit, Bischofssynode, Rosenkranz, Menschenrechte, Demokratie. Es ist soviel, von dem »im ganzen Evangelium mit keinem Wort die Rede ist« - und das deshalb noch nicht ins Unrecht gesetzt ist. 

»Dialog« im Neuen Testament

Was den Dialog betrifft, so ist die Sache etwas komplizierter, als es jenes Scheinargument suggeriert. Als Begriff gibt es den Dialog im Evangelium durchaus: als Substantiv (
διαλογισμός/dialogismos) und als Verb (διαλογίζεσθαι/dialogizesthai). Dabei wird der Sinn von »Dialog« aber aber nur teilweise abgedeckt. Das Verb meint gewöhnlich »sich beraten, sich besprechen« (z.B. Mk 8,16; Mt 21,25) und ist damit nicht weit vom heutigen »Dialog« entfernt; es wird allerdings nicht in Zusammenhängen eingesetzt, die als Vorbild für kirchliche Entscheidungsprozesse dienen könnten. Außerdem kann das Verb auch »überlegen, erwägen« bedeuten, also auf innere Vorgänge anspielen (z.B. Mk 2,6; Lk 1,29; 12,17). Das Substantiv hat häufig diesen Bezug auf innere Überlegungen (z.B. Mk 7,21; Lk 2,35; 5,22; 6,8), kann im Einzelfall aber auch Zweifel oder Streit bedeuten (Phil 2,14; 1Tim 2,8). Diese zuletzt genannte Nuance sollte Kritiker des Dialog-Prozesses aber nicht dazu verleiten, sich biblisch bestätigt zu sehen. Weder ist dieser Sinn kennzeichnend für das Neue Testament, noch ist für die Beurteilung jenes Prozesses vom heutigen Sprachgebrauch abzusehen. 

Dialog in der Urkirche

Dass die Urkirche der Sache nach nicht ohne Dialog auskam, ist freilich eine begründete Annahme. Selbst die Apostelgeschichte, die doch großen Wert auf die Autorität der Apostel legt, unterschlägt solche Elemente nicht durchweg. Der Streit um die Witwenversorgung wird nach Apg 6 zwar durch einen Vorschlag der Zwölf beigelegt, doch heißt es auch, dass dieser Vorschlag den Beifall aller fand (6,5). Es geht also nicht nur um eine »von oben« getroffene Entscheidung, die einfach hinzunehmen wäre. Petrus muss angesichts des sich regenden Widerspruches die Taufe des heidnischen Hauptmanns Kornelius vor der Jerusalemer Gemeinde rechtfertigen (11,1-18). Die Frage, ob die in die Gemeinde aufgenommenen Heiden auf die Tora des Mose verpflichtet werden müssen, wird bei einer Zusammenkunft in Jerusalem besprochen. Sicher bietet die Apostelgeschichte nicht das Bild eines »Dialogprozesses«, denn sie ist offenkundig daran interessiert, eine möglichst einmütige Entscheidungsfindung zu präsentieren. Deshalb sprechen nur Petrus und Jakobus, also Vertreter der gesetzesfreien Heidenmission (Apg 15,7-11.13-21; s.a. die Berichtsnotiz zu Barnabas und Paulus in 15,12). Die Gegenposition kommt nicht zu Wort. Historisch muss man sich die Abläufe beim so genannten Apostelkonzil dialogischer und kontroverser vorstellen. 

Dass der Beratungsbedarf größer war als es die Apostelgeschichte darstellt, zeigt der nur von Paulus berichtete antiochenische Zwischenfall (Gal 2,11-14). Dabei ging es um die Frage, ob es den Judenchristen aufgrund ihrer Treue zur Tora des Mose und ihren Speisegeboten unmöglich sei, mit den Heidenchristen Tischgemeinschaft zu halten. Die »Leute des Jakobus« sagen: ja, Paulus meint: nein, Petrus schwankt: zuerst hält er Tischgemeinschaft, nach dem Protest der Jakobusleute zieht er sich zurück (und wird dafür von Paulus kritisiert). Was die Apostelgeschichte als Ergebnis des Apostelkonzils präsentiert, die so genannten Jakobusklauseln (Apg 15,29), ist wahrscheinlich im Gefolge dieser Streitfrage als Lösung gefunden worden: Die Heidenchristen beachten bestimmte Mindeststandards kultischer Reinheit, dann können die Judenchristen mit ihnen Tischgemeinschaft halten. Dass man solche Lösungen nur im Dialog findet, liegt angesichts der skizzierten divergierenden Meinungen auf der Hand. 


Dialogkritik und Katechismuslob

Dass der Begriff »Dialog« derzeit unter Beschuss kommt, passt zu der Tendenz, die Bedeutung des Katechismus hervorzuheben. An die Stelle von Austausch und gemeinsamem Überlegen tritt das Vorgegebene und fest Umrissene. Häufig hört man die Klage, wesentliche Glaubensinhalte seien heute nicht mehr bekannt und müssten in der Katechese vermittelt werden. Diese Einschätzung trifft grundsätzlich sicher zu; schwierig aber wird es, wenn sie sich mit der Überzeugung verbindet, die Glaubens- und Kirchenkrise sei vor allem in mangelndem Glaubenswissen begründet und könne durch die inhaltliche Präsentation der ganzen Lehre der Kirche behoben werden. Ich sehe nicht, wie der Plausibilitätsverlust, den diese Lehre erfahren hat, durch eifriges Katechismus-Studium wettgemacht werden könnte.

Die Ausrufung des »Jahres des Glaubens« scheint sich allerdings mit großen Hoffnungen auf solches Studium zu verbinden. Sowohl im Motu proprio »Porta fidei« als auch (und in noch stärkerem Maß) in der »Note mit pastoralen Hinweisen zum Jahr des Glauben« der Kongregation für die Glaubenslehre fällt jedenfalls auf, wie stark neben den Beschlüssen des II. Vatikanums auf den Katechismus abgehoben wird, während jeder Verweis auf Bibellektüre fehlt. Offensichtlich erwartet man sich von ihr in Rom keine geistlichen Impulse für das »Jahr des Glaubens«. Gilt die Tatsache, dass hier Texte begegnen, die nicht einfach auf eine vorzulegende Lehre zu reduzieren sind, als störendes Element?

Kommentare

Volker Schnitzler hat gesagt…
Ist es nicht auch ermutigend, zu sehen, dass eben auch im Urchristentum gestritten und um die richtigen Positionen gerungen wurde. Beim antiochenischen Zwischenfall ist von Einheit und Harmonie wirklich nichts zu spüren. Und es ist gerade Petrus, der hier schwankt und unsicher ist. Vielleicht sollte man dies gar nicht als Defizit betrachten?!
Gerhard Mentzel hat gesagt…
Dass es, wie auf der Konferenz beklagt, bei der Rückbesinnung auf den Kern des Glaubens nichts Neues unter der Sonne gäbe und man sich so auch schwer im Dialog tut, liegt mit daran, dass Wissenschaftler die Augen verschließen, statt das schöpferisch gegebene Wissen auszuwerten.

Denn über was im Urchristentum gestritten wurde, war alles Andere als das, was heute als historischer Jesus hinterlassen wird. Der antiochenische Zwischenfall scheint da nur ein kleines Bild abzugeben von dem, was in den wilden Jahrhunderten des chr. Anfangs bzw. der Entstehung von Kanon und Kirche das Thema war. Wie ich gerade wieder bei Herder in der "Geschichte des Christentums" in drei dicken Bänden die Realgeschichte nachblättere.

Auch wenn die Geschichte dort aus altem Blickwinkel geschrieben ist. Wer weiter davon ausgeht, dass sich das Christentum Missionaren verdankt, die von einem göttlichen Wanderprediger schwärmten, dass die anfänglichen chr. Denker einen jungen Juden vor Augen hatten, als sie über das Wesen des Logos stritten und sich gegenseitig der Häresie beschuldigten, dass Konstantin & Co. oder später die arianischen (somit auch chr.) Gotenkaiser von dem ausgingen, der heute als geschichtlicher Jesus gilt bzw. einem jüdischen Reformer als Gott, dem scheint alles Wissen umsonst gegeben.

Der braucht sich dann aber nicht zu beklagen, dass es beim Grund des chr. Glaubens nichts Neues bzw. Brauchbares gäbe.
Adrián Taranzano hat gesagt…
Hat der Kardinal Brandmüller die Enzyklika "Ecclesiam suam" vergessen, die sich im 4. Kapitel eben mit dem "Dialog" beschäftigt?
Anonym hat gesagt…
Ist nicht die Bibel überschwemmt mit dem, was Dialog meint?
Anonym hat gesagt…
Herr Mentzel,
ich danke Ihnen von ... Herzen ..., dass Sie "ES" (wir sollten nur in Großbuchstaben davon sprechen!) noch einmal betonen: jener, von dem wir und der gewiss in der Antike oder auch bis heute jedenfalls danke, dass Sie "ES"! nicht auf plumpe Weise (wären die antiken Schriftstellerinnen nicht auch ... emport ...???) unter die mensa der Eucharistie zu fallen, welche doch klar ahnbar hinweist, dass der logos etc.pp.

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