Sonntagsevangelium (47)
28. Sonntag im Jahreskreis (B): Mk 10,17-30 (oder 10,17-27)
Die Geschichte vom Mann, der fragt, wie das ewige Leben zu gewinnen sei, nimmt überraschende Wendungen. Zunächst verweist ihn Jesus auf die Gebote (10,19), in freier Wiedergabe der »zweiten Tafel«, also jener Gebote des Dekalogs, die sich auf das Verhältnis zu den Mitmenschen beziehen (vgl. Ex 20,12-17). Damit ist gesagt: Die Antwort auf die Frage nach dem Gewinn des ewigen Lebens kann nur in der Erfüllung des Willens Gottes liegen. Der Fragesteller lebt den Geboten Gottes entsprechend, also könnte er zufrieden sein – da erhält er ungefragt eine zweite Antwort. Nun erst kommt der Reichtum des Mannes ins Spiel, außerdem die Nachfolge Jesu, nach der er nicht gefragt hatte. So wird die Episode zur Geschichte eines Nachfolgerufes, der am Reichtum des Gerufenen scheitert.
Es schließt sich, typisch für das Markus-Evangelium, eine Jüngerbelehrung zum angeschnittenen Thema an. Die Reichtumskritik gipfelt im Wort vom Kamel und Nadelöhr (10,25), das in seiner Schärfe nicht abzuschwächen ist.
Solche Versuche hat es gegeben. Die Deutung des Nadelöhrs auf ein kleines Stadttor in Jerusalem ist erst seit dem Mittelalter belegt; für die Zeit Jesu ist eine solche Bezeichnung nicht nachzuweisen. Diese Deutung zielt klar darauf, den anstößigen Spruch zu mildern – wohl deshalb hat sie sich bis in die Gegenwart hartnäckig gehalten. Nach einer älteren Erklärung ist das »Kamel« (κάμηλος / kamelos) durch eine Verwechslung in den Spruch gekommen. Eigentlich sei die Rede vom »Tau« (κάμιλος / kamilos) gewesen: Eher geht ein Schiffstau durch ein Nadelöhr ... Da beide Worte im Griechischen gleich ausgesprochen wurden (kamilos), wäre dies zwar prinzipiell denkbar. Doch scheint es sich hier eher um eine Angleichung des Bildfeldes zu handeln. Das Paradoxe des Spruches bliebe im Übrigen auch bei diesem Wortlaut erhalten. Wahrscheinlicher aber ist, dass das größte Tier Palästinas der kleinsten Öffnung gegenübergestellt werden soll (vgl. Ulrich Luz, Das Evangelium nach Matthäus, Bd. III, Neukirchen-Vluyn/Ostfildern 2012 [2. Aufl.], 128).
Jesus spricht also von der Unvereinbarkeit von Reichtum und Teilhabe am Reich Gottes. Dies ist wohl im Sinne eines Selbstausschlusses zu verstehen: Wer seine Lebenssicherung auf den Reichtum baut, bringt sich selbst um die Teilhabe am Reich Gottes. Auf Seiten der Jünger führt das Wort zu Erschrecken: »Wer kann dann errettet werden?« Hier scheint sich nicht mehr die Situation der mit Jesus umherziehenden Jünger zu spiegeln, sondern die der sesshaften Gemeinden in der Zeit nach Ostern. Petrus weist als Sprecher der Jünger im Anschluss ja gerade darauf hin, dass sie für die Nachfolge alles verlassen haben (10,28). In den urchristlichen Gemeinden aber gab es auch Reiche, so dass Jesus-Worte wie das vom Kamel und Nadelöhr schockieren konnten.
Die Lösung, dass bei Gott alles möglich sei (10,27), könnte sich demnach urchristlicher Verlegenheit angesichts der Reichtumskritik Jesu verdanken. Möglicherweise hat aber auch Jesus selbst gesehen, dass das Reich Gottes sich durchsetzt – auch gegen Widerstände, die sich von menschlicher Seite erheben. Wir finden bei Jesus kein ethisches System, in dem die einzelnen Aussagen, fein aufeinander abgestimmt, ein ausgewogenes Ganzes ergeben. Dazu passt, dass Jesus trotz der herben Kritik am Reichtum offensichtlich nicht grundsätzlich Besitzverzicht gefordert hat (s. z.B. Lk 8,3).
Die Geschichte vom Mann, der fragt, wie das ewige Leben zu gewinnen sei, nimmt überraschende Wendungen. Zunächst verweist ihn Jesus auf die Gebote (10,19), in freier Wiedergabe der »zweiten Tafel«, also jener Gebote des Dekalogs, die sich auf das Verhältnis zu den Mitmenschen beziehen (vgl. Ex 20,12-17). Damit ist gesagt: Die Antwort auf die Frage nach dem Gewinn des ewigen Lebens kann nur in der Erfüllung des Willens Gottes liegen. Der Fragesteller lebt den Geboten Gottes entsprechend, also könnte er zufrieden sein – da erhält er ungefragt eine zweite Antwort. Nun erst kommt der Reichtum des Mannes ins Spiel, außerdem die Nachfolge Jesu, nach der er nicht gefragt hatte. So wird die Episode zur Geschichte eines Nachfolgerufes, der am Reichtum des Gerufenen scheitert.
Es schließt sich, typisch für das Markus-Evangelium, eine Jüngerbelehrung zum angeschnittenen Thema an. Die Reichtumskritik gipfelt im Wort vom Kamel und Nadelöhr (10,25), das in seiner Schärfe nicht abzuschwächen ist.
Solche Versuche hat es gegeben. Die Deutung des Nadelöhrs auf ein kleines Stadttor in Jerusalem ist erst seit dem Mittelalter belegt; für die Zeit Jesu ist eine solche Bezeichnung nicht nachzuweisen. Diese Deutung zielt klar darauf, den anstößigen Spruch zu mildern – wohl deshalb hat sie sich bis in die Gegenwart hartnäckig gehalten. Nach einer älteren Erklärung ist das »Kamel« (κάμηλος / kamelos) durch eine Verwechslung in den Spruch gekommen. Eigentlich sei die Rede vom »Tau« (κάμιλος / kamilos) gewesen: Eher geht ein Schiffstau durch ein Nadelöhr ... Da beide Worte im Griechischen gleich ausgesprochen wurden (kamilos), wäre dies zwar prinzipiell denkbar. Doch scheint es sich hier eher um eine Angleichung des Bildfeldes zu handeln. Das Paradoxe des Spruches bliebe im Übrigen auch bei diesem Wortlaut erhalten. Wahrscheinlicher aber ist, dass das größte Tier Palästinas der kleinsten Öffnung gegenübergestellt werden soll (vgl. Ulrich Luz, Das Evangelium nach Matthäus, Bd. III, Neukirchen-Vluyn/Ostfildern 2012 [2. Aufl.], 128).
Jesus spricht also von der Unvereinbarkeit von Reichtum und Teilhabe am Reich Gottes. Dies ist wohl im Sinne eines Selbstausschlusses zu verstehen: Wer seine Lebenssicherung auf den Reichtum baut, bringt sich selbst um die Teilhabe am Reich Gottes. Auf Seiten der Jünger führt das Wort zu Erschrecken: »Wer kann dann errettet werden?« Hier scheint sich nicht mehr die Situation der mit Jesus umherziehenden Jünger zu spiegeln, sondern die der sesshaften Gemeinden in der Zeit nach Ostern. Petrus weist als Sprecher der Jünger im Anschluss ja gerade darauf hin, dass sie für die Nachfolge alles verlassen haben (10,28). In den urchristlichen Gemeinden aber gab es auch Reiche, so dass Jesus-Worte wie das vom Kamel und Nadelöhr schockieren konnten.
Die Lösung, dass bei Gott alles möglich sei (10,27), könnte sich demnach urchristlicher Verlegenheit angesichts der Reichtumskritik Jesu verdanken. Möglicherweise hat aber auch Jesus selbst gesehen, dass das Reich Gottes sich durchsetzt – auch gegen Widerstände, die sich von menschlicher Seite erheben. Wir finden bei Jesus kein ethisches System, in dem die einzelnen Aussagen, fein aufeinander abgestimmt, ein ausgewogenes Ganzes ergeben. Dazu passt, dass Jesus trotz der herben Kritik am Reichtum offensichtlich nicht grundsätzlich Besitzverzicht gefordert hat (s. z.B. Lk 8,3).
Kommentare
Doch Gott sei Dank hat der Papst bei seiner Bundestagsrede die "schöpferische Vernunft", die er ständig als mit Verstand einsehbares und bereits in griechischer Welterklärung definiertes Wesen der chr. Religion hinstellt und als Grund des Rechtes bzw. menschlichen Verhaltens zu bedenken gegeben.
Nur Schade, dass die kath. Wissenschaftler weiter nur einen aufgeblasenen Wanderprediger durch Palästina jagen wollen, statt über das in antiker Aufklärung definierte/diskutierte lebendige Wort bzw. die heute neu zu definierende schöpferiche Vernunft nachzudenken, die Jesus in menschlicher Person (Rolle/Aufgabe) war.
Wie sollen da heute mündige Menschen ernst nehmen, was eine von Schöpfung ausgehende Vernünftigkeit gebietet und letztlich dem entspricht, was auch bei Markus zu lesen ist.
(Zwei Wochen im Süden habe ich nicht nur dicke Wälzer über die Geschichte des chr. Glaubens bzw. das heute bei kath. Wissenschaftlern vorhandene Wissen ausgewertet, sondern auch, wie z.B. die Begründung des Monotheismus bei Paulus mit Philo oder der Stoa in Verbindung gebracht wird. Wer bei all dem Wissen, das wir heute haben, einen Wanderprediger, wie er allgemein als historisch gilt, als einzige Hypothese an den Anfang stellen will, wie kann der sich als Wissenschaftler auf der Suche nach der Wahrheit im Kontext der Kulturgeschichte verstehen wollen?)
Vielen Dank für diese (wie immer) interessante Auslegung. Diese Erzählung habe ich sehr oft als Berufungsgeschichte interpretiert gehört, wobei es darauf hinauslief , dass rech sein darf,wer nicht persönlich zur Armut berufen ist und dass nur einige zu radikalem Verzichtin Ordensgemeinschaften aufgerufen sind. Ich habe mich dabei oft gefragt , ob man die Reichtumskritik Jesu wirklich so abschwächen und ob man andererseits den Ruf zur radikalen Nachfolge mit klösterlichem Leben gleichsetzen kann.Ihre Erklärungen helfen da, den Text besser zu verstehen.
Ein Punkt überzeugt mich allerdings (ausnahmsweise) nicht ganz:Die Unvereinbarkeit des Reichtums mit der Botschaft Jesu scheint mir weniger in einem falsch plazierten Vertauen (das gibt es auch bei aarmen Leuten wie ich bei den Familen meiner Sch¨ler immer sehe und oft finde ich ,man kannes ihnen eigentlich nicht verdenken) als vielmehr in der Verweigerung der Brüderlichkeit zu bestehen.
Dazu würde auch die Passage aus dem Ebionitenevangelium ( sie wird in meiner Bibel als Fussnote zitiert) passen: Wie kannst du sagen,ich habe das Gesetz ..befolgt? Während im Gesetz steht, dass du deinen Nächsten lieben sollst wie dich selbst, sind hier viele deiner Brüder,......die vor Hunger sterben und dein Haus hat Güter im Überfluss und nichts kommt hinaus für sie!
Ich finde (vielleicht etwas unwissenschaftlich), dass passt auch gut zu der Betonung der N¨chtenliebe und der Gebote der zweiten Tafel durch Jesus die für mich die Vangelien so wichtig, einladend und überzeugend machen.
Nochmals vielen Dank für Ihr Blog!
Nina Marzouki
das Wort von den Reichen, die nur schwer ins Reich Gottes kommen, ist wegen seiner Offenheit nicht leicht zu deuten. Wenn Sie auf die fehlende Solidarität mit den Armen hinweisen, dann hat das im Ablauf des mk Textes einen Anhaltspunkt: In der vorherigen Szene wird ja der reiche Mann zum Verkauf seiner Güter zugunsten der Armen aufgefordert. Der Spruch für sich betrachtet ist offener, schließt Ihre Interpretation aber keineswegs aus. Sie könnte sich insofern in die im obigen Beitrag vertretene Auslegung einfügen, als die Lösung angesichts des Erschreckens der Jünger gerade jene Fälle im Blick haben könnte, in denen Reichtum und Besitz für andere eingesetzt wird (wie die Lk 8,3 genannten Frauen in der Jesusbewegung oder im Rahmen des Urchristentums jene Begüterten, die ihre Häuser für die Gemeinde zur Verfügung stellen). Und das wären dann auch Reiche, die ihre Lebenssicherung nicht auf den Reichtum (und dessen stetige Vermehrung) bauen.
Doch Gott sein Dank können wir als aufgeklärte Denker heute wissen, dass hier das Wort, die in aller Schöpfung/Natur und Geschichte wirksame und von Schöpfung ausgehende/kulturell umgesetzte Verünftigkeit (wie sie der Papst vor dem Bundestag zu bedenken gab) gesprochen hat und daran auch unser heutiges Verhalten ausrichten.
Doch nicht nur die Verschärfung der Verhaltensregeln und die Ablehnung der traditionellen Gesetzlichkeit als Rechtsgrundlage: "Ich aber sage Euch". Allein schon die urchristlichen Lebensweisen, die weit über das auch von vormaligen jüdischen Denkern geforderte Liebesgebot oder den Lehren der Stoa zur Zeit Jesus hinausgingen, u.A. zu einer Gütergemeinschaft anfänglicher Christen führte, teilweise auch zu gnostischen Verirrungen, die gar die Ehe ablehnten...
All das ist ein Beleg dafür, dass hier nicht nur den Lehren eines rebellisch-wundertätigen Heilspredigers gefolgt wurde, als der Jesus heute gilt, sondern dem, was der Papst in Bezug auf das "Hörende Herz des Salomo" vor dem Bundestag als "schöpferische Vernunft" in kultureller Umsetzung bezeichnete und was in Person (Rolle/Aufgabe) Jesus Diskussionsgegenstand am Anfang der Christenheit war. Lt. Benedikt XVI. aus gr. Philosophie weitergedachtes Wesen des jüd.-chr. Glaubens und in heutiger Welterkärung mit Verstand zu realisieren wäre...
...wenn Neutestamentler das gegebene Wissen auswerten und nicht weiter auf rein schriftgelehrte Weise buchstäblichen Götterbildern opfern würden, in die sie dann meist nur ihre Ethik oder konservative Haltung hineinlesen.