Sonntagsevangelium (48)

29. Sonntag im Jahreskreis (B): Mk 10,35-45 (oder 10,42-45)

Unmittelbar im Anschluss an die dritte Leidensweissagung (10,32-34) richten Jakobus und Johannes die Bitte an Jesus, die Plätze zu seiner Rechten und Linken in der himmlischen Herrlichkeit zu erhalten. Zum dritten Mal folgt damit auf die Ankündigung der Passion eine unangemessene Reaktion von Jüngerseite. Zunächst hatte Petrus gegen das Leiden des Messias protestiert (8,32), beim zweiten Mal stritten die Jünger, wer von ihnen der Größte sei (9,34). Wenn es jetzt um die himmlischen Ehrenplätze geht, soll Jakobus und Johannes kaum insofern Einsicht zugeschrieben werden, als sie keine irdische Hoheitsstellung anzielen. Viel stärker erscheint der Kontrast zwischen den Aussagen über die Erniedrigung des Menschensohns und dem direkt darauf folgenden Wunsch nach himmlischer Ehre. Dazu passt, dass Jesus die beiden Brüder auf das ihnen bevorstehende Leiden verweist (in der metaphorischen Rede von Kelch und Taufe), Zusagen für die angestrebten Plätze aber verweigert (10,41).

Die anschließende Belehrung Jesu über das Dienen (Mk 10,42-45) greift einen bereits geäußerten paradoxen Spruch über wahre Größe auf (9,35). Neu ist, dass der Aufruf zum Dienen mit dem Dienst Jesu begründet wird - ein Dienst, der allein im Blick auf die Passion entfaltet ist (10,45). In das Verständnis des Todes Jesu wird nun ebenfalls ein neuer Akzent eingebracht. 

In den bisherigen Leidensankündigungen (8,31; 9,31; 10,33f) war allein davon die Rede, dass der Weg des Menschensohns in die Passion und zur Auferstehung führen müsse. Dieses muss (gr. δεῖ) bezieht sich auf den Willen Gottes. Warum dieser Wille aber Kreuz und Auferstehung einschließt, wird in den Leidensankündigungen nicht gesagt. Das Leiden Jesu bleibt dort als Rätsel stehen, erhält keine Sinndeutung. 

Anders im Spruch vom Dienst des Menschensohns, der sein Leben als Lösegeld gibt (10,45). In ihm wird der Gedanke des Loskaufs eingebracht. Hintergrund dieses Bildes ist wahrscheinlich der Freikauf von Sklaven. Demnach eröffnet der Tod Jesu Befreiung von den Mächten, die den Menschen gefangenhalten. Das Bild vom Freikauf lässt sich aber nicht glatt auf den Tod Jesu anwenden. So wird etwa nicht gesagt, an wen das Lösegeld gezahlt wird. Solche Bilder zeigen das Ringen um die Deutung des Todes Jesu in der urchristlichen Tradition an. 

Markus hat das Wort wohl im Rahmen des Sühne-Gedankens verstanden, wie er im Kelchwort der Abendmahlstradition ausgedrückt ist (14,24) - der einzigen weiteren Stelle in seinem Evangelium, an der dem Tod Jesu Heilsbedeutung zugeschrieben wird. In der Sühne geht es um die Vergebung der Sünden, die Gott im Tod Jesu schenkt. Dabei ist nicht gemeint, dass Gott diesen Tod als Voraussetzung der Vergebung gefordert habe, weil er nicht anders vergeben könne als durch den Tod seines Sohnes. Vielmehr: Gott hat den (von Menschen herbeigeführten) Tod Jesu am Kreuz zu dem Ort bestimmt, an dem er Vergebung von Sünden gewährt; als den Ort, an dem sich die Sünde mit ihren Negativfolgen endgültig ausgewirkt hat. Im Licht von Ostern eröffnet sich ein solches Verständnis des Todes Jesu: Wenn Gott Jesus von den Toten erweckt hat, ist es auch möglich, das Kreuz als Ort des Handelns Gottes für die Menschen zu erkennen. 

Kommentare

Gerhard Mentzel hat gesagt…
Wie in den Texten der Vorwochen deutlich wurde, dass dort kein Heilsprediger (wie Jesus heute als historisch gilt), besondere Verhaltensregeln aufgestellt, sondern genau die von Schöpfung ausgehende Vernunft gesprochen hat, die der Papst in Bezug auf das "hörende Herz Salomos" vor dem Bundestag in heutiger Welterkärung als Rechtsgrundlage (auch Grund chr. Glaubens) zu bedenken gab, so wird auch heute wieder deutlich: Markus spricht beim Menschensohn, der sich mit den Vorstellungen seiner Jüngern und seinem Leidensweg auseinandersetzt, nicht von einem jungen Guru, den seine Freunde für einen Messias halten oder doch nicht. Auch hier spricht der Logos bzw. das in allem Werden lebendige Wort, die Vernunft in menschlicher Person.

Danke daher Prof. Häfner, dass er den Markustext in seiner hoheitlichen Bedeutung als Worte des Messias auslegt und nicht im historisch-kritischen Kurzschluss verkürzen oder als spätere Verherrlichungsrede verkaufen will.

Doch wie wir bei all dem Wissen über das hoheitliche Wesen, über dessen Wesen am Anfang des chr. Glaubens in vielfätligen philosophisch-theologischen bzw. hochintellektuellen Bewegungen heftig diskutiert wurde und das Thema des Neuen Testamentes ist, die Welt im Glauben lassen, Markus würde von einem jungen Jundenmenschen, der als Messias, Menschensohn... gelten sollte, das ist mir ein Rätsel.

Macht doch gerade die hoheitliche Deutung des Markustextes wieder deutlich, dass kein Heilsprediger mit seinen Freunden diskutiert hat, wer neben ihm im Himmel sitzt oder warum er Sterben und auf. Wie vielmehr an jeder Stelle des NT ein hoheitliches Wesen spricht und handelt, das kein als Gott gesehender junger Jude gewesen sein kann.

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