Sonntagsevangelium (72)

3. Sonntag der Osterzeit (C): Joh 21,1-19

Das 21. Kapitel des Johannes-Evangeliums wird gewöhnlich als Nachtrag eingeschätzt, der nicht mehr vom Evangelisten stammt. Tatsächlich ist die Erscheinung Jesu am See von Tiberias (21,1-14) innerlich kaum mit den vorherigen Erscheinungen verbunden: Die Jünger erkennen Jesus nicht (21,4); sie gehen wieder ihrem Beruf als Fischer nach, als wären sie nicht zuvor von Jesus gesendet worden (20,21). Außerdem ist 20,30f  kaum anders denn als Buchschluss zu verstehen. Dass die Erzählung danach noch weiterläuft, ist nach diesen Bemerkungen, die den Zweck des Werkes angeben, nicht zu erwarten. Wahrscheinlich wurde also das bereits abgeschlossene Evangelium erweitert, vor allem um die Abschnitte über Simon Petrus und den »geliebten Jünger« einzubringen (21,15-24). Die Erscheinungsgeschichte bot dafür einen Anknüpfungspunkt.

In ihrem Zentrum steht das Mahl, zu dem Jesus als Gastgeber einlädt. Auch nach Karfreitag und Ostern haben die Jünger Gemeinschaft mit Jesus, wenn auch anders als zur Zeit seines irdischen Wirkens. Das Mahlhalten des Auferstandenen mit seinen Jüngern dürfte, wie in der Emmaus-Geschichte, eine Anspielung auf die Mahlfeier der Gemeinde enthalten: In ihr wird nach Ostern Gemeinschaft mit Jesus gewährt. 

Auch die Episode vom reichen Fischfang hat wohl symbolische Bedeutung. Sie verweist auf die Kirche aus allen Völkern; das Bild von den Fischen im Netz könnte auch den hintergründigen Sinn haben, dass in der Kirche die zerstreuten Gotteskinder gesammelt sind (siehe 11,52). Eine konsensfähige Erklärung, warum sich ausgerechnet 153 Fische im Netz befinden, ist bislang nicht gelungen. 

Der Dialog zwischen Jesus und Petrus ist hintergründig gestaltet. Die Frage Jesu, ob Petrus ihn liebe, lässt nicht nur durch die Wiederholungen Zweifel an der Antwort des Petrus aufkommen: Offensichtlich gibt sich Jesus mit der Zusicherung der Liebe nicht zufrieden und hakt zweimal nach. Dass Jesus dreimal fragt, erinnert zudem an die Verleugnungsszene in 18,15-18.25-27, ebenso die Tatsache, dass Petrus bei der dritten Frage traurig wird, wie der Erzähler eigens festhält. Für diese Deutung spricht außerdem, dass Jesus beim ersten Mal fragt, ob Petrus ihn mehr liebe, als es die anderen Jünger tun. Anlass zu solcher Frage hatte Petrus selbst gegeben, indem er Jesus zusicherte, sein Leben für ihn zu geben - eine Zusicherung, die Jesus mit der Ansage der Verleugnung beantwortet hat (13,37f). 

Durch diese Szene im Rahmen des letzten Mahles erhält auch die Aufforderung zur Nachfolge eine hintergründige Bedeutung. Jesus gab dort dem Petrus auf dessen Frage, wohin er gehe, die Antwort: »Wohin ich gehe, dahin kannst du mir jetzt nicht nachfolgen; du wirst mir später nachfolgen« (13,36, mit demselben griechischen Verb wie in 21,19: ἀκολουθέω, das geprägte Wort für »nachfolgen«). Der Weggang Jesu bezieht sich deutlich auf seinen Tod, entsprechend erklärt Petrus (voreilig) seine Bereitschaft, Jesus in den Tod zu folgen. Wenn Jesus in der letzten Szene des Evangeliums Petrus auffordert »Folge mir nach!«, dann ist an die angekündigte Nachfolge in den Tod aus 13,36 erinnert. Diese Aufforderung führt also nicht von dem zuvor besprochenen Martyrium des Petrus weg, sondern nimmt es geradezu auf (21,18-19a). Insofern der Auferstandene zur Nachfolge auffordert, ist aber zugleich eine Verheißung über den Tod hinaus ausgesprochen. 

Die Erzählungen des 21. Kapitels bestimmen das Verhältnis des Petrus zum »geliebten Jünger« im Vergleich mit der vorherigen Erzählung noch einmal neu. Jene rätselhafte, namenlos bleibende Gestalt, die nur im Johannes-Evangelium auftritt, ist durch eine besondere Nähe zu Jesus ausgezeichnet: während des letzten Mahls (13,23-26), unter dem Kreuz (19,26), im leeren Grab (20,8). Auch bei der Erscheinung am See von Tiberias ist er es, der als erster den Herrn erkennt (21,7). Das Netz aber mit den Fischen - wie erwähnt, eine Anspielung auf die Kirche - zieht Petrus an Land. Und er ist es, der den Auftrag zum »Weiden der Lämmer« und damit die Aufgabe als Hirte erhält (21,15.16.17). Offensichtlich geht es dem Nachtrag in Joh 21 auch darum, die johanneischen Gemeinden stärker an die in der Gestalt des Petrus repräsentierte »Großkirche« zu binden und dieser wiederum das eigene Christus-Zeugnis zu empfehlen. 

Kommentare

Roland Breitenbach hat gesagt…
In die ganze Welt
Eine weitere Ostergeschichte

Einige der Jünger glaubten nicht an die Botschaft, dass Jesus lebe, wie eini-ge, vor allem die Frauen, behaupteten. Enttäuscht verließen sie Jerusalem und gingen nach Hause an den See. Über zwei Jahre waren sie mit Jesus ge-gangen. Es war eine gute Zeit. Sie hatten viel für sich und für ihr Leben mit den Menschen gelernt. Doch mit dem grausamen Tod Jesu am Kreuz war al-les aus. Ein Sturm, stärker als alles, was sie je am See erlebten, hatte alle ihre Erwartungen hinweggefegt.

Als Fischer nahmen sie ihre gewohnte Arbeit wieder auf. Doch sie hatten es schwer, auf dem See wie im Dorf. Die einst so vertrauten Menschen sahen sie von der Seite an und tuschelten hinter ihrem Rücken. Was blieb ihnen anders als zu viert zusammenzuhalten und die Vergangenheit zu vergessen. Wenn das nur so einfach wäre.

Die Worte Jesu waren noch immer in ihnen lebendig. Bei den verschiedens-ten Gelegenheiten hörten sie IHN sprechen:

„Liebt einander wie ich euch geliebt habe.“
„Wer mich sieht, sieht den Vater.“
„Unter euch soll es nicht so sein wie bei den Machthabern.“
„Ich bin mitten unter euch wie ein Kind.“
„Wer groß sein will, soll sich ganz klein machen.“
„Selig die Armen.“
„Wo zwei oder drei in meinem Namen beisammen sind …“

„Und wir sind zu viert“, hörten die anderen drei auf dem Boot Andreas sa-gen. Hatte er in diesem Augenblick das Gleiche gedacht wie sie?

Wieder einmal hatten sie die ganze Nacht auf dem See verbracht und nichts gefangen. Es war wie verhext.

„Nur der See bleibt sich gleich“, sagte Philippus, als sie in der Morgenfrühe erfolglos an Land gingen. „Wir sind nicht mehr die gleichen. Was wird wer-den?“

Er bekam keine Antwort. Die anderen hatten sich bereits daran gemacht, die Netze zu flicken, die einige Jahre unbenutzt liegen geblieben waren.
Nathanael mühte sich ab, den zerspreißelten Rand des schweren Netzes auszubessern und zitierte laut ein Wort Jesu: „Eher geht ein Schiffstau durch ein Nadelöhr …“

Wie mit einer Stimme antworteten die anderen drei: „… als ein Reicher in das Land Gottes.“

„Er lässt uns einfach nicht los.“ Philippus sagte es, und es klang ein wenig Hoffnung aus seiner Stimme.

Plötzlich erhob sich ein sanfter Wind, der vom Land her auf den See hinaus blies. Ungewöhnlich war das für diese Tageszeit. Der Wind blähte die wei-ßen Segel.

Spontan sprang Nathanael ins Boot. „Kommt, wir fahren noch einmal hin-aus!“

Die drei anderen wateten durch das knietiefe Wasser zum Boot. „Verrückt, jetzt, am hellen Tag. Aber los!“, sagte Philippus und lachte dabei. Zum ers-ten Mal nach langer Zeit lachte er wieder.

Kaum hatten sie den Fischerhafen verlassen, da warf der kleine Jakobus im großen Schwung das Netz aus, das sie gerade repariert hatten.

Die drei anderen hatten Mühe es ans Boot zurück zuziehen. So viele Fische hatten sich verfangen, dass das Netz bei weitem nicht alle fassen konnte.

Sie ruderten langsam gegen den Wind in den Hafen zurück, zogen das Netz ans Land. Dort sortierten sie die Fische, warfen die kleinen in den See zu-rück und zählten die großen. Es waren 153.

„Wisst ihr, was das uns sagen will? 153 Fische? So viele Fischarten sind uns aus den Meeren der Erde bekannt. 153 Fische, das Zeichen für die ganze Welt.“

Philippus hatte ein Feuer gemacht. Er legte fünf Fische auf die heißen Stei-ne und wollte gerade gehen, um Brot zu kaufen. Da sah er zwei Fladenbrote auf dem Felsblock, der den Fischern als Tisch diente.

„Von jetzt an werdet ihr Menschen fangen. Geht hinaus in alle Welt“, zi-tierte der kleine Jakobus in seiner fröhlichen Art Jesus: „Wenn das kein Zei-chen des Lebenden ist! Auf, wir gehen nach Jerusalem zurück. Jesus geht mit uns.“ ©rb

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