Sonntagsevangelium (73)

4. Sonntag der Osterzeit (C): Joh 10,27-30

In dem kurzen Abschnitt aus dem Johannes-Evangelium sind wichtige Motive der ganzen Hirtenrede (Joh 10) zusammengefasst. Sie kreisen, im Bild von Schafen und Hirt, um das Verhältnis der Glaubenden zu Jesus. Dieses Verhältnis wird einerseits von den Glaubenden her bestimmt: Sie hören Jesus und folgen ihm nach. Dem entsprechen andererseits Aussagen, die von Jesus her formuliert sind: Er kennt die Glaubenden, gibt ihnen ewiges Leben und lässt sie nicht verloren gehen. Es geht also um die Gemeinschaft zwischen Jesus und seinen Jüngern.

Vor allem das »Kennen« hat im biblischen Horizont diesen Sinn. Das griechische Wort (γινώσκειν) kann zwar auch das Erkennen in kognitivem Sinn bezeichnen, das Erfassen mit dem Verstand  auch im Deutschen die nächstliegende Assoziation. In der biblischen Sprachtradition hat das Wort aber eine primär personale Komponente, ist bezogen auf Gemeinschaft stiftendes und vertiefenden Handeln. Besonders deutlich zeigt sich dies darin, dass auch der Geschlechtsakt mit diesem Verb ausgedrückt werden kann (z.B. Gen 4,1; Lk 1,34). Im Johannes-Evangelium steht erkennen häufig parallel zu glauben (z.B. 6,69; 10,38). Beide Verben erhellen sich gegenseitig, das Erkennen stellt gegenüber dem Glauben keine höhere Stufe dar. Dass sich der Glaube nach Johannes auf die Person Jesu richtet und auf Gemeinschaft mit dem Offenbarer zielt, wird noch verstärkt durch die Zusammenstellung mit dem Erkennen. Wenn es im Bild von Schafen und Hirt heißt »ich kenne sie«, ist also nicht nur gemeint, dass Jesus weiß, wer die Glaubenden sind, sondern: Er ist mit ihnen verbunden und steht in Lebens-Austausch mit ihnen. Die Glaubenden haben deshalb Zugang zum Leben, zum Leben in Fülle (10,10). 

Jesus vermittelt dieses Leben, weil Gott hinter seinem Wirken steht. Diesen Gedanken kann Johannes auf verschiedene Arten ausdrücken: Der Sohn ist vom Vater gesandt oder von ihm ausgegangen (3,17; 8,42); der Vater ist im Wirken des Sohnes gegenwärtig (5,19); der Sohn offenbart den Vater (7,16).  Die intensivste Form begegnet in der Rede von der Einheit zwischen Vater und Sohn. Sie kann umschrieben sein in der Formel vom gegenseitigen Ineinandersein (10,38) oder ausdrücklich zur Sprache kommen – wie in 10,30: »Ich und der Vater sind eins.« 

Das Interesse ist bei diesen Aussagen aber nicht allein auf die Würde Jesu gerichtet. In erster Linie soll durch die Verbindung Jesu mit Gott sicher gestellt werden, dass im Sohn Leben eröffnet ist. Die Einheit zwischen Vater und Sohn ist dem Johannes-Evangelium zufolge nicht in sich abgeschlossen, sondern auf die Rettung der Glaubenden ausgerichtet. Diese können deshalb auch in die Einheit einbezogen werden – wiederum nach außen orientiert: Ihre Einheit soll dazu führen, dass die Welt zum Glauben kommt (17,21). 

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