Sonntagsevangelium (81)

11. Sonntag im Jahreskreis (C): Lk 7,36-8,3 (oder 7,36-50)

Im Lukas-Evangelium gibt es drei Gastmahlszenen, in denen Jesus von einem Pharisäer eingeladen wird (7,36-50; 11,37-52; 14,1-24). Auch wenn in diesen Szenen Differenzen anklingen oder, wie in 11,37-52, auch sehr deutlich formuliert werden, ergibt sich bei Lukas im Ganzen doch der Eindruck, dass das Verhältnis von Jesus und Pharisäern nicht nur durch Gegnerschaft bestimmt ist. Dies gilt besonders für die Geschichte von der Salbung Jesu durch die Sünderin, in der der Pharisäer sogar einen Namen hat (Simon).

Die Frau bleibt namenlos. Die Identifizierung mit Maria Magdalena, die nachfolgend in 8,2 unter den Begleiterinnen Jesu genannt wird, hat zwar die Rezeptionsgeschichte bestimmt, aber keinen Anhalt im Lukas-Evangelium. Dort ist durch nichts nahegelegt, dass Maria die Frau aus der vorangegangenen Erzählung sein soll. Eine solche Gleichsetzung eröffnet sich nur dann, wenn man die johanneische Fassung der Salbungsgeschichte einblendet, in der eine Maria Jesus salbt (Joh 12,1-8). Sie wird allerdings nicht als Maria von Magdala gekennzeichnet, sondern als Schwester von Marta und Lazarus. Um die Magdalenerin als salbende Frau zu identifizieren, ist also mehr nötig als eine harmonisierende Lektüre der verschiedenen Salbungsgeschichten: wohl das Interesse an dieser in der Jesustradition besonders profilierten Frau.

Von der Frau heißt es, sie sei eine Sünderin (7,37). Diese Charakterisierung nimmt zunächst der Erzähler vor, so dass die Frau nicht nur in den Augen des Pharisäers Simon als Sünderin erscheinen soll (7,39). Weniger interessiert die Frage, welches Verhalten die Frau zur Sünderin macht. Weil es sich um ein bekanntes Faktum handelt - die Formulierung in 7,37 kann an ein stadtbekanntes Faktum denken lassen -, wird die Frau meist als Dirne charakterisiert. Im Text selbst erscheint diese Kennzeichnung nicht. Es kommt also nur darauf an, dass die Frau als Sünderin erscheint, aber nicht auf ihre besonderen Lebensumstände. 

Anders als in den übrigen Evangelien hat die Salbung keinerlei Bezug auf Tod und Begräbnis Jesu. Die Aktion der Frau (7,38) wird zunächst detailliert beschrieben und erst im Dialog Jesu mit Simon gedeutet als Ausdruck großer Liebe zu Jesus (7,47). Dieser Dialog wird eingeleitet durch eine Überlegung des Pharisäers, die sich primär auf die Würde Jesu richtet, aber zugleich das Thema von Sünde und Vergebung vorbereitet: Jesus würde sich als Prophet erweisen, wenn er die Frau als Sünderin durchschaute (vorausgesetzt ist, dass Jesus als Fremder die Frau nicht kennt). Erzählerisch subtil wird gegen diesen Zweifel Jesus in der Folge als Herzenskenner dargestellt. Er weiß nicht nur, dass die Frau eine Sünderin ist, sondern auch, was Simon denkt. Nicht der Pharisäer eröffnet das Thema von Sünde und Vergebung, sondern Jesus (7,40).

Der nun folgende Dialog kreist um das Thema »Sündenvergebung und Liebe«, ohne die beiden Größen einander eindeutig zuzuordnen. Eine Linie setzt die Erfahrung der Vergebung an die erste Stelle, als Grund der erwiesenen Liebe. Dieser Gedanke ist im Gleichnis von den zwei Schuldnern zu finden (7,41-43) sowie im zweiten Teil von 7,47: »Wem wenig vergeben wird, der liebt wenig.« Die zweite Linie kehrt das Verhältnis um: Erwiesene Liebe führt zur Vergebung der Sünden. Davon ist die Vergebungszusage durch Jesus bestimmt (7,48.50), mit der Jesus auf das Verhalten der Frau reagiert. Auch der erste Teil des Verses 7,47 lässt sich auf dieser Linie deuten: »Ihre vielen Sünden sind ihr nachgelassen, denn sie hat viel geliebt.« Die Liebe ist dann als der Realgrund der Vergebung verstanden. Der Satz lässt sich aber auch im Sinn der erste Linie dahingehend deuten, dass die erwiesene Liebe der Erkenntnisgrund der Vergebung ist. Dann wäre der Satz so wiederzugeben: »Ihr müssen viele Sünden nachgelassen worden sein, denn sie hat viel geliebt.«

Wahrscheinlich zeigen sich in der dargestellten Spannung die Spuren eines überlieferungsgeschichtlichen Wachstums. Vergebung als Reaktion auf erwiesene Liebe dürfte am ehesten der Hand des Lukas zuzuschreiben sein. Er zeigt auch an anderen Stellen besonderes Interesse an dem Gedanken, dass Gott den umkehrenden Sünder annimmt (15,7.10; s.a. 5,32). Ursprünglich war also die Geschichte vom Gedanken der vorgängigen Vergebung Gottes bestimmt. Der Evangelist lässt die durch die Erweiterung entstandene Spannung stehen. Für ihn sind deshalb beide Pole von Bedeutung: die Liebe Gottes zu den Menschen, offenbart im barmherzigen Wirken Jesu, und die Verantwortung des Menschen für sein Heil. Das Verhalten der Frau ist so zugleich Erweis und Grund der erfahrenen Vergebung. 

Kommentare

Regina hat gesagt…
http://www.youtube.com/watch?v=3uPMYwCk8HM&list=PLsRNoUx8w3rPD5WaV5VmQMkdwvdHLPPcR


Aus feministssich-theologisch-historisch-exegetisch-kritischer Sicht !

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