Sonntagsevangelium (143)
23. Sonntag im Jahreskreis (A): Mt 18,15-20
Ein Abschnitt der sogenannten Gemeinderede (Mt 18,1-35) befasst sich mit dem Verhalten dem sündigen Bruder gegenüber (18,15-17). Vorgesehen ist ein mehrstufiges Verfahren der Zurechtweisung bis hin zum Ausschluss aus der Gemeinde. In diesem Sinn ist die Formulierung »er sei für dich wie ein Heide und Zöllner« (18,17) wohl ursprünglich gemeint gewesen.
Ein Abschnitt der sogenannten Gemeinderede (Mt 18,1-35) befasst sich mit dem Verhalten dem sündigen Bruder gegenüber (18,15-17). Vorgesehen ist ein mehrstufiges Verfahren der Zurechtweisung bis hin zum Ausschluss aus der Gemeinde. In diesem Sinn ist die Formulierung »er sei für dich wie ein Heide und Zöllner« (18,17) wohl ursprünglich gemeint gewesen.
Damit gerät der Abschnitt aber in Spannung zu anderen Texten des Matthäus-Evangeliums: Jesus wendet sich den Zöllnern zu, beruft sogar einen von ihnen in den Zwölferkreis (9,9; 10,3); er verbietet zu richten (7,1f) und sagt, erst das Gericht des Menschensohnes führe die endgültige Scheidung von Gut und Böse herbei (13,36-43).
Auch im Zusammenhang der Gemeinderede sind sonst die Akzente anders gesetzt. In 18,21f wird die unbegrenzte Vergebungsbereitschaft gefordert; das Gleichnis vom verlorenen Schaf (18,12-14) ist im Rahmen der Mahnungen zum gegenseitigen Verhalten weniger auf die Begründung des Retterwillens Gottes ausgerichtet (so Lk 15,3-7) als auf die Aufforderung, diesem Retterwillen entsprechend zu handeln – in der grenzenlosen Vergebung, wie anschließend entfaltet wird.
Da die »Ausschlussregel« in 18,17 also ein Fremdkörper bleibt, kann man fragen, ob im Matthäus-Evangelium nicht eine Spur gelegt ist, die auf ein anderes Verständnis dieser Regel weist. Nur an einer weiteren Stelle ist bei Matthäus zusammenhängend von Zöllner und Heiden die Rede: im Rahmen der Antithese von der Feindesliebe. Das dort geforderte Handeln wird ins Verhältnis gesetzt zu dem, was die Zöllner und die Heiden tun:
»Denn wenn ihr liebt, die euch lieben, welchen Lohn habt ihr? Tun nicht auch die Zöllner dasselbe? Und wenn ihr allein eure Brüder grüßt, was tut ihr Besonderes? Tun nicht auch die Heiden dasselbe?« (Mt 5,46f)
Dieses Tun der Zöllner und der Heiden wird nicht als falsch gekennzeichnet, wohl aber als ungenügend. Ihr gutes Handeln beruht auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit; ihre Liebe begrenzt sich auf den Kreis derer, von denen sie selbst geliebt werden. Der Jesus der Bergpredigt aber verlangt mehr: zu lieben, wenn man keine Gegenleistung erwarten kann. Die Maßstäbe von »Heiden und Zöllnern« müssen also überboten werden.
Genau dies könnte auch der entscheidende Gedanke für Matthäus bei der Gemeinderegel in Kapitel 18 sein. Wenn alle Vermittlungsbemühungen scheitern und der sündige und uneinsichtige Bruder also wie ein »Heide und Zöllner« zu betrachten ist, dann ist er als derjenige zu betrachten, der in der Begrenzung seiner Liebe übertroffen werden soll. Der Endpunkt des dreistufigen Verfahrens ist dann nicht der Abbruch der Beziehung, sondern die noch intensivere Bemühung um den Bruder.
Der nachfolgende Kontext klärt, wie diese Bemühung verwirklicht werden kann, wie man das auf Gegenseitigkeit basierende Handeln von »Heiden und Zöllnern« überwinden kann: durch das »Lösen« im Sinne des Freisprechens (18,18), durch das Gebet (18,19f) und vor allem – weil die Rede mit diesem Thema schließt – durch die Vergebung (18,21-35).
Kommentare
Also Ihre Auslegung hat zwar etwas Originelles und Gewinnendes, aber irgendwie ist sie zu schön, um wahr zu sein.
Gewisse Zweifel nähren sich aus der Beobachtung, dass in Mt 5 nicht von sündigen, sondern von mittelmäßigen Zöllnern und Heiden die Rede ist, die quasi noch nicht zur sittlichen Hochform der andrängenden Gottesherrschaft aufgelaufen sind.
In Mt 18 dagegen ist von einem sündigen Bruder die Rede, der etwas nicht näher Genanntes ausgefressen hat und somit in der Wiedergutmachungspflicht steht. Er ist nicht bloß "noch nicht gut genug".
In Mt 18,17 dient die Formulierung »Heide und Zöllner« ursprünglich am ehesten tatsächlich der Abgrenzung: Mit diesen Gruppen soll man nichts zu tun haben. Es sind entweder unzuverlässige (Zöllner) oder gar keine Juden (Heiden), sie halten die Tora nicht und sind deshalb Sünder. Zu dieser Ausrichtung setzt Matthäus aber einen Gegenakzent, indem er von Heiden und Zöllnern in seinem Evangelium anders spricht. Ich behaupte nicht, dass der sündige Bruder aus 18,15-17 in seinem Fehlverhalten mit den Heiden und Zöllner aus 5,46f identisch sei, sondern: Es ist durch die Aussage in der Bergpredigt eine Spur gelegt, die das Entscheidende im Verhältnis zu Heiden und Zöllern nicht in der Abgrenzung sieht (»habe mit solchen Leuten nichts zu schaffen, also auch nicht mit dem uneinsichtigen sündigen Bruder«), sondern im Aufruf, diese in ihrem Verhalten als ungenügend gekennzeichneten Gruppen zu überbieten. Dazu passt nicht nur, was sich über diese Gruppen sonst im Matthäus-Evangelium findet (z.B. 9,9;10,3; 21,31 [Zöllner]; 8,10-12; 28,19 [Heiden]), sondern vor allem der Kontext der Gemeinderede, in dem eine Ausschlussregel ein Fremdkörper wäre.
Danke für die Präzisierung.
Ich hatte offenbar übersehen, worin der entscheidende Vergleichspunkt Zöllner/Sünder - zu beanstandender Bruder liegt.
Dass aber zur sog. Zeit Jesus Denker im Namen der kreativen Vernunft versammelt waren und so die Verschiedenheit der Kulturen (ob Juden, Heiden oder Zöllnern) auf einen zukunftsfähigen Nenner brachten, wird gerade bei den anfänglichen Christen bzw. den sog. Apologeten deutlich.
Man kann sicher die Bibel auf verschiedene Weise lesen. Doch wer die Welt im Glauben von völlig nichtssagendenden und heute höchst unbedeutenden Banalitäten von einem Heilsprediger lässt, der seinen Anhängern Ratschläge über das Verhalten zu Fremden gibt, der braucht sich über die Folgen nicht zu wundern.
Das tut die heutige Theologie, bei der nur ein egal wie gearteter Heilsprediger als der heute Jesus genannte historische Grund bedacht werden darf, die damals definierte und in ihrem Verhältnis zu den Vorstellungen der Tradition heiß diskutierte Vernunft/Logos nicht sein darf, selbst. Genau das kritisiere ich.
Aber warum wundern Sie sich, wenn Woche für Woche deutlich wird, dass die im Kulturwandel der Zeitenwende definierte Vernunft allen natürlichen Werdens als Wort verstanden wurde, Grund der Reformbewegungen war, aus denen der chr. Glaubens hervorging? Es gibt nur eine geschichtliche Wahrheit. Und warum sollte ich von was anderem schreiben?
Seit ich als unvereingenommener Laie vor 25 Jahren die allgemeine Lehrhypothese hinterfragte und dann aufgrund der kritischen Forschung zu ahnen begann, dass es dem anfänglichen Denken nicht um einen Heilsprediger mit Namen Jesus, sondern um die Vernunft/den Logos ging, habe ich unzählige Theologen versucht anzuregen, weiterzudenken. In unserer arbeitsteiligen Welt bezahl ich Steuer und Kirchensteuer, damit ich meinen Beruf und meine Familie nicht vernachlässigen muss, die Freizeit genießen kann.
Doch so groß war das Glück nicht. So dass ich mich immer wieder selbst an die Arbeit machen musste. Zum Glück bzw. "Gott sei Dank" muss ich jetzt nicht mehr zur Kirchenbibiliothek nach Speyer fahren, sondern hilft mir heute das Internet weiter. Wie z.B. jetzt aktuell wieder bei den jüdischen und christlichen Apologeten. Die mich die geschtichtliche Realität der "Auferstehung" (als einen kulturellen Neuverstand, Paradigmenwandel) nachweisen lassen.
Es freut mich zwar, an vielen geschichtlichen Belegen nachweisen zu können, dass ich nicht verrückt bin. Gleichwohl mich mit meiner These völlig neben der heutigen Theologielehre liege und nicht ernst genommen werde. Aber was hat das mit Glück zu tun, wenn jetzt die Arbeit weitergeht, sich niemand für die Aufestehung (das aufgeklärte Verständnis) interessiert, weil jeder denkt zu wissen, dass...?
...und z.B. nachfragten, wer mit den Jüngern in Mt 18,15-20 genau gemeint ist: die Jesusgläubigen ganz allgemein oder solche Jünger, die eine gemeindeleitende Funktion haben?
Da sich die Auferstehung heute als ein geschichtlicher Neuverstand des Wortes nachweisen lässt, dürfte klar sein, wer auch die Jünger nach Mt 18,15-20 waren.
Wenn dann auch noch die, die eine gemeindeleitende Funktion haben, zu Jüngern des universal zu verstehenden kreativen=schöpferischen Wortes werden (oder die leitenden Theologen auch nur mal drüber nachdenken), dann können können wir von Glück sprechen, das ja auch eine kreative Gabe ist.
Deutlich wird in Ihren Kommentaren höchstens Ihre Meinung, nicht aber die Gründe dafür. Sie behaupten immer nur, es sei heute klar, dass ... Mit dem jeweiligen Sonntagsevangelium haben Ihre Ausführungen gewöhnlich nichts zu tun. Es ist immer dieselbe Leier von der schöpferischen Vernunft. Ich mag das nicht mehr lesen, und ich kann mich an keinen Kommentar anderer Leser dieses Blogs erinnern, der Ihre Anregungen erfreut aufgegriffen hätte. Wir wissen schon seit einiger Zeit, was Sie sagen möchten. Sie müssen es nicht immer wiederholen.
@Katharina
In der Gemeinderede wird an keiner Stelle deutlich, dass bestimmte Funktions- oder Amtsträger im Blick wären. Die Jünger sind, wie auch sonst im Matthäus-Evangelium, transparent für die Glaubenden in allgemeinem Sinn.