Sonntagsevangelium (147)
27. Sonntag im Jahreskreis (A): Mt 21,33-44
Das Gleichnis von den bösen Winzern hat Matthäus aus dem Markus-Evangelium übernommen (Mk 12,1-12) und mit einigen Änderungen versehen: So wird nun von Anfang eine Mehrzahl von Knechten gesandt (21,34); die Winzer reagieren darauf schon beim ersten Mal mit der Tötung von Boten (21,35); der schließlich gesandte Sohn wird erst aus dem Weinberg geworfen und dann getötet (21,39). Den Dialog mit den Hörern – nach 21,23 Hohepriester und Älteste, nach 21,45 Hohepriester und Pharisäer – hat Matthäus umgestaltet und erweitert (21,43f).
Der Stoff der Handlung ist prinzipiell der Lebenswelt Palästinas entnommen: Dass Landbesitz zur Bebauung verpachtet wurde und der Besitzer sich an einem anderen Ort aufhielt, war durchaus normal. Pächter von Landgut waren meist am unteren Ende der sozialen Skala angesiedelt (eine Stufe vor den Tagelöhnern). Die Bedingungen der Pachtverträge waren gewöhnlich ungünstig für die Pächter: Sie hatten das Risiko des Ernteausfalls zu tragen; Absicherungen für die Pächter waren nicht vorgesehen. Dennoch: Das Gleichnis ist ganz aus der Perspektive des Verpächters erzählt, die Frage sozialer Ungerechtigkeit wird nicht wachgerufen.
Grundsätzlich ist das Bildfeld also realistisch. Dennoch fallen wenigstens zwei erzählerisch unplausible Züge auf. Zum einen: Wie können die Pächter annehmen, durch ihre brutale Handlungsweise in den Besitz des Weinbergs zu kommen? Zum andern: Warum lässt sich der Herr des Weinbergs die Brutalität der Pächter gefallen, schickt sogar seinen Sohn schutzlos zu ihnen, obwohl ihm doch Machtmittel zur Verfügung stehen, um gegen die Pächter vorzugehen (s. 21,41)?
Solche erzählerischen Unstimmigkeiten in Gleichnissen erklären sich von der angezielten Sachaussage her. Die Pächter handeln nicht so, wie reale Pächter handeln könnten, der Verpächter nicht so wie ein realer Verpächter, weil in die Darstellung dieser Figuren das sachlich Gemeinte eindringt. Anders gesagt: Diese extravaganten Züge weisen auf eine allegorische Dimension im Verhalten der Pächter wie auch des Besitzers. Die Figuren verhalten sich deshalb so seltsam, weil sie und ihr Handeln für etwas anderes stehen.
Die Entschlüsselung fällt im Rahmen der alttestamentlich-jüdischen Tradition nicht schwer. Die Weinberg-Metapher (mit Anklängen an Jes 5 in 21,33) deutet darauf hin, dass eine Geschichte zum Verhältnis Israel-Gott erzählt wird. Das erzählerisch kaum plausible Verhalten des Besitzers erklärt sich, wenn man in ihm Gottes Langmut (21,33-39) und Gerichtsdrohung (21,40f) erkennt. Die Beziehung zwischen Gott und seinem Volk wird als gestörte inszeniert: Israel lehnt die gottgesandten Boten ab. Dieses Bild der Widerspenstigkeit des Gottesvolkes wurzelt in der jüdischen Überlieferung. In ihr gibt es einen Strang, der die eigene Geschichte sehr kritisch betrachtet, gerade im Blick auf das Geschick der Propheten. Weil Matthäus an dieser Tradition ansetzt, spricht er schon zu Beginn von mehreren Knechten (=Propheten), denen es übel ergeht.
Die Sendung des Sohnes weist dann auf Jesus, dessen Wirken auf die Passion zuläuft. Dass die Reihenfolge von Hinauswerfen (aus dem Weinberg) und Töten (21,39) im Vergleich zur markinischen Vorlage vertauscht ist, spielt auf die Hinrichtung Jesu außerhalb der Stadt an. Das gewaltsame Todesgeschick Jesu wird in die Geschichte der Ablehnung der Gottesboten in Israel eingeordnet: Diese schon immer gegebene Verweigerung hat ihren Schlusspunkt in der Ablehnung und Tötung Jesu, des letzten Boten und Sohnes Gottes gefunden.
Im Dialog wird das Gleichnis fortgeschrieben und angewendet (21,40-44). Dass den Adressaten das Reich Gottes genommen und einem anderen Volk gegeben wird (21,43), stellt keinen heilsgeschichtlichen Übergang von Israel zur Kirche dar. Die geprägten Begriffe fallen nicht: weder für die Heiden (die Rede ist von einem »Volk«: ἔθνος/ethnos im Singular, nicht ἔθνη/ethne im Plural) noch für die Kirche (das wäre ἐκκλησία/ekklesia).
Außerdem ist zu beachten, wem der Spruch gesagt ist: nicht dem Volk als ganzem, sondern den »Hohepriestern und Pharisäern« (21,45). Das Verhältnis zwischen Volk und Führung wird im Matthäus-Evangelium differenziert dargestellt. Das Volk hat zu Jesus eine positive Einstellung und wendet sich erst im Prozess gegen ihn – auf Anstiftung der Hohenpriester (27,25). Auch diese Szene ist aber nicht als Ablehnung des Messias Jesus durch »ganz Israel« zu verstehen, sondern als Ablehnung der Jerusalemer Volksmenge, die beim Prozess vor Pilatus anwesend ist (vgl. Matthias Konradt, Die Sendung zu Israel und zu den Völkern im Matthäusevangelium im Lichte seiner narrativen Christologie, ZThK 101 [2004], 397-425, hier 413f).
Es passt in dieses Bild, dass die Differenzierung zwischen Volk und Führung über die Passion hinausreicht: Dem Volk wurde, so Mt 28,11-15, durch den Betrug der Hohenpriester die Osterbotschaft vorenthalten. Dieser Text ist nicht historisch auswertbar, aber er bestätigt, dass für Matthäus Israel heilsgeschichtlich keineswegs abgeschrieben ist, sondern Adressat des Evangeliums bleibt (s.a. 10,23).
Zurück zum Gleichnis: Die Aussage in 21,43 gibt auch unabhängig von der Frage der Adressierung keinen Anlass für ein kirchliches Überlegenheitsbewusstsein gegenüber dem Judentum. Die Übergabe des Reiches Gottes an das »Volk, das seine (des Reiches) Früchte bringt« (21,43), ist nicht als reine Feststellung zu lesen, sondern auch als Mahnung, jene Früchte zu bringen, und das heißt für Matthäus: den Glauben im Tun zu bewähren.
Das Gleichnis von den bösen Winzern hat Matthäus aus dem Markus-Evangelium übernommen (Mk 12,1-12) und mit einigen Änderungen versehen: So wird nun von Anfang eine Mehrzahl von Knechten gesandt (21,34); die Winzer reagieren darauf schon beim ersten Mal mit der Tötung von Boten (21,35); der schließlich gesandte Sohn wird erst aus dem Weinberg geworfen und dann getötet (21,39). Den Dialog mit den Hörern – nach 21,23 Hohepriester und Älteste, nach 21,45 Hohepriester und Pharisäer – hat Matthäus umgestaltet und erweitert (21,43f).
Der Stoff der Handlung ist prinzipiell der Lebenswelt Palästinas entnommen: Dass Landbesitz zur Bebauung verpachtet wurde und der Besitzer sich an einem anderen Ort aufhielt, war durchaus normal. Pächter von Landgut waren meist am unteren Ende der sozialen Skala angesiedelt (eine Stufe vor den Tagelöhnern). Die Bedingungen der Pachtverträge waren gewöhnlich ungünstig für die Pächter: Sie hatten das Risiko des Ernteausfalls zu tragen; Absicherungen für die Pächter waren nicht vorgesehen. Dennoch: Das Gleichnis ist ganz aus der Perspektive des Verpächters erzählt, die Frage sozialer Ungerechtigkeit wird nicht wachgerufen.
Grundsätzlich ist das Bildfeld also realistisch. Dennoch fallen wenigstens zwei erzählerisch unplausible Züge auf. Zum einen: Wie können die Pächter annehmen, durch ihre brutale Handlungsweise in den Besitz des Weinbergs zu kommen? Zum andern: Warum lässt sich der Herr des Weinbergs die Brutalität der Pächter gefallen, schickt sogar seinen Sohn schutzlos zu ihnen, obwohl ihm doch Machtmittel zur Verfügung stehen, um gegen die Pächter vorzugehen (s. 21,41)?
Solche erzählerischen Unstimmigkeiten in Gleichnissen erklären sich von der angezielten Sachaussage her. Die Pächter handeln nicht so, wie reale Pächter handeln könnten, der Verpächter nicht so wie ein realer Verpächter, weil in die Darstellung dieser Figuren das sachlich Gemeinte eindringt. Anders gesagt: Diese extravaganten Züge weisen auf eine allegorische Dimension im Verhalten der Pächter wie auch des Besitzers. Die Figuren verhalten sich deshalb so seltsam, weil sie und ihr Handeln für etwas anderes stehen.
Die Entschlüsselung fällt im Rahmen der alttestamentlich-jüdischen Tradition nicht schwer. Die Weinberg-Metapher (mit Anklängen an Jes 5 in 21,33) deutet darauf hin, dass eine Geschichte zum Verhältnis Israel-Gott erzählt wird. Das erzählerisch kaum plausible Verhalten des Besitzers erklärt sich, wenn man in ihm Gottes Langmut (21,33-39) und Gerichtsdrohung (21,40f) erkennt. Die Beziehung zwischen Gott und seinem Volk wird als gestörte inszeniert: Israel lehnt die gottgesandten Boten ab. Dieses Bild der Widerspenstigkeit des Gottesvolkes wurzelt in der jüdischen Überlieferung. In ihr gibt es einen Strang, der die eigene Geschichte sehr kritisch betrachtet, gerade im Blick auf das Geschick der Propheten. Weil Matthäus an dieser Tradition ansetzt, spricht er schon zu Beginn von mehreren Knechten (=Propheten), denen es übel ergeht.
Die Sendung des Sohnes weist dann auf Jesus, dessen Wirken auf die Passion zuläuft. Dass die Reihenfolge von Hinauswerfen (aus dem Weinberg) und Töten (21,39) im Vergleich zur markinischen Vorlage vertauscht ist, spielt auf die Hinrichtung Jesu außerhalb der Stadt an. Das gewaltsame Todesgeschick Jesu wird in die Geschichte der Ablehnung der Gottesboten in Israel eingeordnet: Diese schon immer gegebene Verweigerung hat ihren Schlusspunkt in der Ablehnung und Tötung Jesu, des letzten Boten und Sohnes Gottes gefunden.
Im Dialog wird das Gleichnis fortgeschrieben und angewendet (21,40-44). Dass den Adressaten das Reich Gottes genommen und einem anderen Volk gegeben wird (21,43), stellt keinen heilsgeschichtlichen Übergang von Israel zur Kirche dar. Die geprägten Begriffe fallen nicht: weder für die Heiden (die Rede ist von einem »Volk«: ἔθνος/ethnos im Singular, nicht ἔθνη/ethne im Plural) noch für die Kirche (das wäre ἐκκλησία/ekklesia).
Außerdem ist zu beachten, wem der Spruch gesagt ist: nicht dem Volk als ganzem, sondern den »Hohepriestern und Pharisäern« (21,45). Das Verhältnis zwischen Volk und Führung wird im Matthäus-Evangelium differenziert dargestellt. Das Volk hat zu Jesus eine positive Einstellung und wendet sich erst im Prozess gegen ihn – auf Anstiftung der Hohenpriester (27,25). Auch diese Szene ist aber nicht als Ablehnung des Messias Jesus durch »ganz Israel« zu verstehen, sondern als Ablehnung der Jerusalemer Volksmenge, die beim Prozess vor Pilatus anwesend ist (vgl. Matthias Konradt, Die Sendung zu Israel und zu den Völkern im Matthäusevangelium im Lichte seiner narrativen Christologie, ZThK 101 [2004], 397-425, hier 413f).
Es passt in dieses Bild, dass die Differenzierung zwischen Volk und Führung über die Passion hinausreicht: Dem Volk wurde, so Mt 28,11-15, durch den Betrug der Hohenpriester die Osterbotschaft vorenthalten. Dieser Text ist nicht historisch auswertbar, aber er bestätigt, dass für Matthäus Israel heilsgeschichtlich keineswegs abgeschrieben ist, sondern Adressat des Evangeliums bleibt (s.a. 10,23).
Zurück zum Gleichnis: Die Aussage in 21,43 gibt auch unabhängig von der Frage der Adressierung keinen Anlass für ein kirchliches Überlegenheitsbewusstsein gegenüber dem Judentum. Die Übergabe des Reiches Gottes an das »Volk, das seine (des Reiches) Früchte bringt« (21,43), ist nicht als reine Feststellung zu lesen, sondern auch als Mahnung, jene Früchte zu bringen, und das heißt für Matthäus: den Glauben im Tun zu bewähren.
Kommentare
auch hier stimme ich Ihnen zu: Den Glaube im Tun bewähren. Und wie Sie sagen, sind die Pharisäer bzw. Amtstheologen die Adressaten, hat dieser Text nichts mit Sozialverhalten bzw. einer Moralpredigt zu tun, sondern auch mit heutiger Theologielehre:
Und als die Hohenpriester und Pharisäer seine Gleichnisse hörten, erkannten sie, dass er von ihnen redete.
Und sie trachteten danach, ihn zu ergreifen; aber sie fürchteten sich vor dem Volk, denn es hielt ihn für einen Propheten...
Und wer die biblischen Propheten im persischen Exil bzw. an der Schule Zarathustras waren, welches Wort sie als Anfang des bildlosen Monotheismus verkündeten, wird gerade durch ihren Lehrer im Exil deutlich gemacht:
Der historische Zarathustra spricht, tritt als Re-visor auf.
Macht damit deutlich, wie schwachsinn es wäre, auch der Matthäusgeschichte einen jungen Guru zu unterstellen, der mit den Amtsträgern gesprochen hat und dem diese daher nach dem Leben trachteten.
Und zweitens: Ist denn zweifelsfrei an einen Pachtvertrag gedacht?
Könnten die georgoi nicht als angestellte Landarbeiter verstanden werden, denen die Bewirtschaftung des Weinbergs übertragen (exedeto) wurde?
Dass Landarbeiter den Ertrag abliefern müssen, könnte man verstehen, nicht aber, dass Pächter das tun müssen. Denn ein Pächter sucht aus dem Pachtgut möglichst viel für sich selbst herauszuwirtschaften. Abliefern tut er allein den vereinbarten Pachtzins.
Für das Gleichnis ist entscheidend, dass die Winzer keine Früchte abliefern. Dass es nach der Erzählung ungeklärt scheint, ob dies an der Faulheit oder der Habgier der Bauern liegt, hängt damit zusammen, dass es für die Sachaussage unerheblich ist. Es kommt allein darauf an, dass sich die Winzer gegen den Herrn des Weinbergs auflehnen, ihm die Früchte verweigern. Es sind nach Matthäus »seine Früchte« (Mt 21,34); Markus spricht davon, dass er »von den Früchten des Weinbergs« erhalten wolle (Mk 12,2). Der Herr kann nicht den ganzen Ertrag verlangen, jedenfalls wenn man vom Pachtsystem ausgeht, da dieses die Pächter über einen Anteil am Ertrag entlohnt.
Dass man vom Pachtsystem ausgehen muss, ergibt sich aus der Tatsache, dass es keine andere Form der Arbeitsorganisation gab, die die Konstellation des Gleichnisses erklären könnte: ein Besitzer, der selbst nicht auf seinem Gut oder in der Nähe wohnt und die Bearbeitung anderen überlässt. »Angestellte Landarbeiter« gab es nicht, Tagelöhner erhielten ja nicht auf längere Sicht Arbeit. Ein Pächter muss einen im Vorhinein festgelegten Teil der Ernte (oder einen bestimmten Geldbetrag) abliefern. Was er über diesen Teil hinaus aus dem Gut herausholt, ist sein Gewinn bzw. seine Lebensgrundlage. Das Gleichnis geht davon aus, dass die Pächter dem Besitzer den ihm zustehenden Teil des Ertrags verweigern.
Ihren Erläuterung konnte ich gut folgen.
E i n e Frage brennt mir allerdings noch unter den Nägeln:
"... lasst uns ihn töten und sein Erbgut an uns bringen" (38b)
Ist diese Passage als Vorwurf Jesu an die Hohenpriester/Ältesten/Pharisäer gemeint, dass diese sich zu Herren/Eigentümern über Israel, den Weingarten Gottes, aufschwingen und sich damit an die Stelle Gottes setzen würden?
Ein Vorwurf an die rel. Autoritäten Israels, sie würden in ihrer Pflege des Weingartens selbst Gott spielen (und etwa Menschensatzungen für Gotteswillen ausgeben), anstatt am eigentlichen Besitzer des Weingartens (Gott) Maß zu nehmen bzw. am Juniorchef (Jesus)?
Also ein Vorwurf der Usurpation, vielleicht vergleichbar der klerikalistischen Versuchung, die Kirche nicht das Eigentum Christi und seines Geistes sein zu lassen, sondern zum Eigentum Petri (des Papstes) oder Bischöfe zu erklären?
Jesus bezeichnet die auf Petrus aufzubauende Kirche als "seine Kirche", nicht als "Kirche Petri". Sie bleibt das ausschließlich Eigentum Jesu.
Jesus bezeichnet die auf Petrus aufzubauende Kirche als "MEINE Kirche", nicht als "Kirche Petri".
ich bin zwar nicht vom Fach,
aber ich könnte mir denken, dass Jesus in seinem Gleichnis auf
das Lied vom unfruchtbaren Weingarten Israel in Jes 5 anspielt. Dann würde er davon ausgehen, dass die Pächter den Weinberg so vernachlässigten, dass nur unbrauchbare saure Trauben wuchsen, die nicht an den Weinberg-Herrn übergeben werden konnten, weil dieser sich von einem vorbildlich angelegten Weinberg gute Früchte erwarten durfte.
Aber insgesamt trägt die Frage, ob Früchte zwar dagewesen wären, aber nur nicht weitergegeben wurden, für die eigentliche Aussageabsicht nichts aus, wie schon Herr Häfner erläuterte.