Ist der »ungläubige Thomas« wirklich ungläubig?

Der »ungläubige Thomas« ist sprichwörtlich geworden. Thomas ist zwar nicht ausdrücklich zum Schutzpatron der Zweifler erhoben, inoffiziell aber könnte er durchaus diese Funktion wahrnehmen. Nun wäre ein solcher Heiliger gewiss nicht ohne Reiz; fraglich aber ist, ob sich diese Figur auf den Thomas des Johannes-Evangelium zurückführen ließe. Dessen Geschichte lässt sich auch anders lesen als unter dem Stichwort des Zweifels und »Unglaubens«.

Thomas übernimmt nicht leichtfertig die Botschaft von der Begegnung mit dem gekreuzigten Herrn, sondern sucht Vergewisserung. Nur scheinbar verlangt er mehr als das, was auch den anderen Jüngern zuteil wurde. Seine Forderung nach Berührung von Wundmalen und Seite Jesu (20,25) geht zwar über die erste Erscheinung hinaus, da die Jünger die Wundmale Jesu nur gesehen haben (20,20). Die zweite Erscheinung wird aber nicht so erzählt, dass Thomas seine vorherige Forderung ausführte und daraufhin zum Glauben käme. Als Jesus kommt, ist die Berührung nicht mehr nötig; schon auf die Einladung Jesu hin spricht Thomas das Glaubensbekenntnis: »mein Herr und mein Gott« (20,28).

Jesus entspricht der Forderung des Thomas, ohne ihm einen Vorwurf zu machen. Thomas wird die Vergewisserung angeboten, nach der er verlangt hatte. Erst nach diesem Angebot erfolgt die Aufforderung, nicht ungläubig zu sein, sondern gläubig. Thomas wird also für seine Bedingung (»wenn ich nicht an seinen Händen die Male der Nägel sehe ...«) nicht kritisiert. Diese wird vielmehr ernst genommen als Station auf dem Weg zum Glauben, zu dem der Auferstandene den Jünger führt. So ist es Thomas, der von den Figuren des Johannes-Evangelium das ausdrucksstärkste Bekenntnis spricht: »mein Herr und mein Gott«.

Auch der Spruch »Selig, die nicht sehen und doch glauben« (20,29b) muss nicht als Tadel des Thomas gelesen werden. Als Osterzeuge beruht sein Glaube (wie auch der der anderen Jünger) auf dem Sehen (20,29a); dies ist eine Feststellung, kein Vorwurf. Anders die Situation der späteren Glaubenden: Sie haben keine Ostererscheinung, können aber trotzdem zum Glauben kommen und sind deshalb selig zu preisen. Vor allem um dies zu betonen, wird die Geschichte von Thomas erzählt, nicht um den Glauben zu kritisieren, der auf dem Sehen gründet.

Kommentare

Volker Schnitzler hat gesagt…
Thomas wird nicht getadelt, jedoch werden wohl all die Menschen, die ohne Ostererscheinung zum Glauben kommen positiv herausgestellt. Wieviel einfacher ist es doch, nach einer Erscheinung den Glauben anzunehmen. Wie steht diese Periope gegenüber dem Jüngerunverständnis im Markusevangelium? Gibt es diesen Ansatz auch bei Johannes?
Gerd Häfner hat gesagt…
Es gibt zwar im Johannes-Evangelium auch Hinweise auf mangelndes Verstehen der Jünger (s. 14,5-11), dies lässt sich aber mit dem Jüngerunverständnis bei Markus nicht vergleichen, da es nicht in die Kreuzestheologie eingebunden ist (nach Mk können die Jünger Jesus nicht verstehen, weil sie seinen Weg noch nicht bis zum Ende mitgegangen sind).

Für Johannes geht es in der Thomas-Geschichte in erster Linie tatsächlich um die positive Aussage über das Glauben derjenigen, denen keine Erscheinungen zuteil wurden: die Glaubenden der späteren Generationen. Deren Situation (Glauben nach dem Weggang Jesu) wird ja auch in den Abschiedsreden (Kap. 14-17) ausführlich bedacht: im Geist kommt Jesus bleibend zu den Seinen.
Stefan Wehmeier hat gesagt…
Ockhams Gesetz

Wenn die einfachste Theorie alles erklärt und zudem ganz ohne irrationale Annahmen auskommt, während alle anderen Theorien eigentlich gar nichts erklären und im Grunde nur irrationaler Unfug sind, ist davon auszugehen, dass die einfachste Theorie die richtige ist:

(NHC II,2,001) Wer die Erklärung dieser Worte findet, wird den Tod nicht schmecken.
(NHC II,2,044) Wer den Vater lästern wird, dem wird man vergeben; wer den Sohn lästern wird, dem wird man vergeben; wer aber den heiligen Geist lästern wird, dem wird man nicht vergeben, weder auf der Erde noch im Himmel.
(NHC II,2,055) Wer nicht seinen Vater hasst und seine Mutter, wird mir nicht Jünger sein können. Und wer seine Brüder nicht hasst und seine Schwestern und nicht sein Kreuz trägt wie ich, wird meiner nicht würdig sein.
(NHC II,2,105) Wer den Vater und die Mutter kennen wird, er wird Sohn der Hure genannt werden.
(NHC II,2,106) Wenn ihr die zwei zu einem macht, werdet ihr Söhne des Menschen werden. Und wenn ihr sagt: "Berg, hebe dich hinweg!", wird er verschwinden.
(NHC II,2,113) Seine Jünger sagten zu ihm: "Das Königreich, an welchem Tag wird es kommen?" Jesus sagte: "Es wird nicht kommen, wenn man Ausschau nach ihm hält. Man wird nicht sagen: "Siehe hier oder siehe dort", sondern das Königreich des Vaters ist ausgebreitet über die Erde, und die Menschen sehen es nicht." ***

Mutter = Summe aller Ersparnisse
Hure = Finanzkapital
Brüder und Schwestern = Sachkapitalien
Berg = Rentabilitätshürde
Tod = Liquiditätsfalle
Vater (der Kultur) = Kreditangebot
Sohn = Kreditnachfrage
heiliger Geist = umlaufgesichertes Geld
(heilig = gesichert; Geist = Geldumlauf)
Königreich des Vaters = Natürliche Wirtschaftsordnung

*** Silvio Gesell (Vorwort zur 3. Auflage der NWO) "Die Wirtschaftsordnung, von der hier die Rede ist, kann nur insofern eine natürliche genannt werden, da sie der Natur des Menschen angepasst ist. Es handelt sich also nicht um eine Ordnung, die sich etwa von selbst, als Naturprodukt einstellt. Eine solche Ordnung gibt es überhaupt nicht, denn immer ist die Ordnung, die wir uns geben, eine Tat, und zwar eine bewusste und gewollte Tat.

Der Kurzsichtige ist selbstsüchtig, der Weitsichtige wird in der Regel bald einsehen, dass im Gedeihen des Ganzen der eigene Nutz am besten verankert ist."

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