Freie Ketzer - hinterhertrabende Schafe?

In der vergangenen Woche sorgte das Buch von Arnd Brummer »Unter Ketzern« für einigen Wirbel und für eine gewisse ökumenische Missstimmung – noch vor seinem offiziellen Erscheinungstermin am 13. September, da in der Monatszeitschrift Chrismon ein Ausschnitt bereits veröffentlicht wurde (auch online verfügbar: hier). Der Chefredakteur des evangelischen Magazins beschreibt darin seinen Weg in die evangelische Kirche. Als persönliche Geschichte ist das interessant und respektabel und nicht zu kritisieren. Die Missstimmung rührt daher, dass Brummers Weg nicht nur in die evangelische Kirche hinein führte, sondern zuvor aus der katholischen Kirche heraus. Und dies ist mit Enttäuschungen verbunden, die sich in dem Text in einigen, sagen wir, unfreundlichen Passagen über diese verlorene Heimat niederschlagen. 


Ein Schreckensbild  der katholischen Kirche

Hochämter an Weihnachten und Ostern hat Brummer als »Holy Horror Picture Shows« erlebt – ein starkes Wort, das schlimmere Assoziationen weckt als durch die Erläuterung eingelöst wird: eine liturgische Inszenierung ohne Beteiligung der Gemeinde. Was hat er außerdem hinter sich gelassen, das er nicht vermisst?
»Was ich jedenfalls nicht vermisse ist eine überzogene, vergötzende Marienfrömmigkeit, einen Reliquien- und Heiligenkult, die seltsame Logik, dass man im Gespräch mit Gott Heilige als Fürsprecher benötige.«
Ich muss zugeben: das vermisse ich auch nicht. Es gibt wohl in machen Kreisen eine überzogene Marienfrömmigkeit; aber zu ihr ist kein Katholik verpflichtet. Dass man Heilige als Fürsprecher benötigt, kenne ich als katholische Position nicht. Aus dem Nicht-Vermissten folgert Brummer einen schwerwiegenden Vorwurf:
»Das bedeutet entweder, dass dieser Gott nicht in der Lage ist, die Not der Betenden selbst wahrzunehmen, oder dass er, der Unbedingte, gewisse Bedingungen erfüllt sehen will. Beides ist gottlose Relativierung.« (Hervorhebung von mir)
So scharfes Geschütz müsste man nicht auffahren, wenn man zuvor einen Pappkameraden aufgebaut hat. Und auch grundsätzlich kann man fragen: Muss es gleich der Vorwurf der Gottlosigkeit sein? 

Brummer stört sich an der Leuchtturm-Metaphorik, mit der der Papst die Kirche beschreibt. Er setzt ihr die gemeinsame Bemühung derer im Boot entgegen:

»Christsein heißt: mit im Boot sitzen, gemeinsam mit den anderen nach Lösungen suchen, die Ruder ergreifen, die Pinne halten, besonders dann, wenn der Sturm aufkommt.«
Würde das Bild vom Leuchtturm die Wirklichkeit der Kirche umfassend beschreiben wollen, könnte man Brummer kaum widersprechen. Es besteht aber keine Notwendigkeit, eine Orientierungsfunktion der Kirche gegen konkrete pastorale Sorge zu setzen. 


Eine nutzlose Streitfrage 

In all diesen Punkten mag man den Tonfall und manche Verzerrung bedauern, muss aber auch zur Kenntnis nehmen, dass man evangelischerseits ebenfalls scharfe und unfreundliche Äußerungen hinnehmen muss. Brummer deutet das nur an, wenn er fragt: 
»Warum spielt er (=der römische Apparat) die Karte der Abgrenzung und hetzt immer deftiger gegen die Protestanten?« 
Sicher würde man erwarten, dass vor allem das starke Wort vom »Hetzen gegen die Protestanten« etwas näher belegt würde. Dennoch ist ehrlicherweise zuzugeben, dass die Wahrnehmung nicht aus der Luft gegriffen ist. Es ist deshalb sinnlos, darüber zu streiten, wer für die Verschlechterung des ökumenischen Gesprächsklimas verantwortlich ist. Auch muss man keinen gezielten Angriff angesichts des bevorstehenden Papstbesuches sehen. Der Veröffentlichungstermin dürfte eher unter merkantilen Gesichtspunkten gewählt sein und die Aufmerksamkeit für religiöse und näherhin konfessionelle Themen nutzen. Vorabdrucke aus Büchern haben ja generell verkaufsfördernde Funktion. 


Der entscheidende Punkt: Kirche und Moderne

Die Frage, was Äußerungen im Stil von »Unter Ketzern« für das ökumenische Klima bedeuten, können wir also beseite lassen. Wichtiger scheint mir ein anderer Aspekt, der Einblick gibt in Brummers Sicht des Katholischen. Er bedenkt als eine Möglichkeit, warum man in Rom den Protestanten gegenüber auf die Karte der Abgrenzung setze:
»Oder: In Rom hat man tatsächlich verstanden, dass ein mit der Moderne versöhnter Glaube entweder reformatorisch oder unmöglich ist.«
Das trifft mitten in die Debatten, die zur Zeit unter dem Stichwort »Dialogprozess« in der katholischen Kirche hierzulande laufen. Ganz gleich, ob Brummer »reformatorisch« hier mit streng konfessioneller Bedeutung gebraucht oder im Sinn eines charakteristischen Aspekts - er liegt auf einer Linie mit jenen, die in den Reformbestrebungen eine Protestantisierung der katholischen Kirche befürchten. 

Anscheinend hält Brummer die katholische Kirche nicht für reformfähig. In seiner Sicht ist das durchaus konsequent, hat er sie doch verlassen, um anderswo seine kirchliche Heimat zu finden. Daran ist, wie gesagt, nichts zu kritisieren. Aber dass er der katholischen Kirche grundsätzlich die Möglichkeit eines mit der Moderne versöhnten Glaubens abspricht, scheint mir genauso verfehlt wie der Anspruch auf eine Art Exklusivrecht eines positiven Verhältnisses zur Moderne:
»Es geht in Europa längst nicht mehr um evangelisch oder römisch. In der Alltäglichkeit der Gemeinden hat das evangelische Modell, sich der Moderne zu stellen, die katholische Kirche längst in der Tiefe erfasst. Nicht im organisatorischen Handeln, viel wichtiger: im Glaubensbewusstsein selbst derer, die sich für treue Söhne und Töchter ihrer Kirche halten.«
Sicher hat Rom die positive Begegnung mit der Moderne zunächst abgelehnt; und zweifellos hat die katholische Theologie nach dem Ende des Antimodernismus-Kurses vor allem in der Bibelauslegung sehr viel von der evangelischen Theologie gelernt. Aber ist der Neuaufbruch deshalb Übernahme »des evangelischen Modells« oder doch aus der Einsicht in die Notwendigkeit dieses Schritts für eine glaubwürdige Evangeliumsverkündigung geboren? 

Dass für Brummer Katholizismus und ein mit der Moderne versöhnter Glaube grundsätzlich unvereinbar sind, scheint auch in einer schillernden Formulierung durch: jene Katholiken, die von dem »evangelischen Modell« erfasst seien, hielten sich »für treue Söhne und Töchter ihrer Kirche«. Die Aussage ist zumindest offen für die Folgerung, dass jene Katholiken sich ihre Kirchentreue fälschlicherweise zuschreiben.
 

Nach dem Hohenlied auf offen ausgetragenen Streit bei der Suche nach dem rechten Weg, wie er für die evangelische Kirche typisch sei, erscheint als schlechtere Alternative
»sich als Schaf zu fühlen und einem Oberhirten hinterherzutraben, der allein zu wissen beansprucht, wo es hingehen soll«.
Das sind offensichtlich jene, die Brummer für »richtig« katholisch hält. Wer sich dagegen der Moderne stellt, dem wird zugeschrieben, dass er dem »evangelischen Modell« folgt.

Anstatt allzu viel Energie in die Empörung über solche schroffen Gegenüberstellungen zu investieren, wäre es verlockender, diesen den Boden durch die Praxis zu entziehen: dadurch dass sich die katholische Wirklichkeit in einer Weise entwickelt, die Brummer ihr offensichtlich nicht zutraut und für exklusiv evangelisch hält. Wer meint, dies sei nicht möglich ohne Verlust der Identität des Katholischen, gibt Brummer zwar nicht im Stil, aber in der Sache recht.

Kommentare

IWe hat gesagt…
Ich bin weder katholisch noch evangelisch - gehöre auch keiner anderen christlichen Gemeinschaft an. Chrismon habe ich quergelesen, weil das Heft eine Beilage meiner Tageszeitung war. Der Artikel - und die "Denke", die dahinter steht - waren mir zu undifferenziert, und ich habe mich sehr nach den Zeiten zurückgesehnt, in denen sich die evangelische Kirche eine anspruchsvolle Wochenzeitung namens "Deutsches allgemeines Sonntagsblatt" leistete. Jetzt leistet sie sich "chrismon" und einen Chefredakteur wie Herrn Brummer, der in seiner Undifferenziertheit und Stereotypenbildung auch bei anderen Themen schon zugeschlagen hat, wie bei diesem Artikel. Man mag als Außenstehender nur hoffen, daß dieser Artikel nicht mehr über Zustände innerhalb der evangelischen Kirche im Hinblick auf ökumenische Wahrnehmung und ökumenischen Dialog sagt, als über die katholische Kirche.
Lina S. hat gesagt…
Da steckt natürlich auch immer der etwas undifferenzierende Eifer eines Konvertiten hinter. Mit einrichten im "neuen" Umfeld und dem Schaffen einer evangelischen (oder katholische, oder was auch immer)Identität, also Sich klare Eckpfeiler seiner Position zu suchen, geht meist eine krasse negativ Überzeichnung der "alten Heimat" einher.
Ich habe das Gefühl, dass viele diesen krassen Graben brauchen, um sich die Richtigkeit ihrer Wahl zu bestätigen. Differenzierte betrachtungen der Grautöne und unterschiedlichen Lager könnte Sie in über ihre Wahl verunsichern.
Ich sehe das häufig bei katholischen Spätkonvertiten, zumeist vorher Konfessionslose, die dann z.B. eine extreme Papstfrömmigkeit an den Tag legen oder sich in z.T. recht konservativen Kreisen bewegen.
Ich vermute mittlerweile, dass ein solches Verhalten für die Anfangszeit (um die Konservsion herum) allgemein recht menschlich ist. Inwiefern später eine differenzierte Position angenommen wird, hängt dann auch sehr von der Disposition der jeweiligen Person ab. Manche z.B. brauchen die gewonnene Sicherheit so sehr, dass sie sich krampfhaft an ihren extremen Situationen festhalten.
IWe hat gesagt…
Wenn Herr B. in den letzten fünf Jahren konvertiert wäre, dann könnte ich Ihnen zustimmen, denn bei "Frischkonvervierten" - egal welcher Art - kann man oft das Phänomen der Überidentifikation erkennen. Übrigens wird in meiner Religionsgemeinschaft, die sich eines ziemlich großen Konvertitenzustroms erfreut, genau hingeschaut, wie die Konversionswilligen zu ihrer "alten" Religion stehen. Und wer über diese nur Schlechtes zu sagen hat, sie abwertet oder gar herzieht, hat gaaanz schlechte Karten.
Ich habe durch meine Kurse einige evangelische kirchliche Mitarbeiter erlebt mit katholischer Vergangenheit, die alle sehr differenziert und einzelne Aspekte ihrer katholischen Vergangenheit würdigend - damit umgingen. Und gerade in einer so exponierten Position wie der eines Chefredakteurs eines kirchlichen Blattes würde ich das erst recht erwarten.
Volker Schnitzler hat gesagt…
Ein schönes Beispiel dafür, wie man konstruktiv mit dem Thema umgehen kann:

http://www.christ-in-der-gegenwart.de/aktuell/artikel_angebote_detail?k_beitrag=3112470&campaign=MFTHK

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