Sonntagsevangelium (32)
13. Sonntag im Jahreskreis (B): Mk 5,21-43 (oder 5,21-24.35b-43)
Die Erzählung von der Heilung der an Blutungen leidenden Frau (Mk 5,25-34), eingebunden in die Geschichte von der Auferweckung der Tochter des Jairus, nimmt unter den Heilungswundergeschichten eine Sonderstellung ein. Es fehlen einige typische Züge. So gibt es keine Bitte um Heilung; die Heilung wird nicht als Aktion des Wundertäters erzählt; dass sie geschehen ist, wird nicht durch einen demonstrativen Zug unterstrichen; eine Reaktion von Zeugen des Wunders unterbleibt.
Diese Besonderheiten sind natürlich auch durch die Besonderheit der Krankheit bedingt. Anders als bei Gelähmten, Blinden, Taubstummen, Aussätzigen ist die Krankheit der Frau für andere nicht erkennbar. So spielt sich die ganze Geschichte nur zwischen der Frau und Jesus ab. Die Jünger zeigen durch ihren Einspruch nur, dass sie von dem Geschehen nichts mitbekommen (5,31).
Verglichen mit anderen, meist karg erzählten Wundergeschichten der Evangelien ist die Geschichte von der an Blutungen leidenden Frau ungewöhnlich detailreich gestaltet. Wir erfahren etwas von der Vorgeschichte der Krankheit (5,25f) und den inneren Beweggründen der Frau (5,28). Dass Gedanken Jesu mitgeteilt werden (5,30), sprengt den Rahmen des Üblichen ebenso wie der Dialog zwischen Jesus und der Frau nach der Heilung.
Kultische (Un-)Reinheit
Die Krankheit der Frau berührt die Vorstellung kultischer Reinheit. Diese ist dadurch bestimmt, dass die Begegnung mit Gott im Kult wegen Gottes Heiligkeit nur in einem Zustand geschehen kann, der alles Widergötttliche ausschließt. Dieses »Widergöttliche« ist nicht nach moralischen Kategorien definiert, sondern nimmt uralte Tabuvorstellungen auf. Im Hintergrund steht die Erfahrung bedrohlicher Kräfte, die Macht über den Menschen gewinnen können und deshalb zu meiden sind. Dazu zählen vor allem die Sexualität, der Tod, damit zusammenhängend auch das Blut, bestimmte Krankheiten und Tiere. Da archaische Vorstellungen aufgegriffen sind, überrascht nicht, dass Am Beispiel der Totenunreinheit wird der Unterschied zwischen moralischer der Gedanke kultischer Reinheit oder Unreinheit von einer uns heute fremden Dinglichkeit bestimmt ist. Wer im wörtlichen Sinn in Berührung kommt mit einem der genannten Bereiche, wird kultisch unrein; ob dies absichtlich oder unabsichtlich geschieht, spielt keine Rolle: Die Berührung allein entscheidet. und kultischer Reinheit deutlich: Die Pflicht, einem Toten das Begräbnis nicht zu verweigern, führt zum Zustand kultischer Unreinheit. Er ist in diesem Fall moralisch geboten (entsprechend haben die alttestamentlichen Bestimmungen zu sexuell bedingter Unreinheit nichts zu tun mit einer Abwertung der Sexualität).
Die Krankheit der Frau ist so umschrieben, dass sie an Bestimmungen in Lev 12 (zu Wöchnerinnen) und Lev 15,19-30 (Menstruationsblutung und Blutung außerhalb der Regel) erinnert. Die Frage kultischer Reinheit bzw. Unreinheit scheint also im Blick zu sein. Welche sozialen Folgen die Krankheit für die Frau hat, wird im Text selbst nicht deutlich. Dennoch stellt der Blutfluss in jedem Fall eine soziale Behinderung dar: durch den Ausschluss vom Kult und religiösen Festen am Tempel sowie durch den Druck, der durch Ansteckung anderer mit Unreinheit auf der Frau lastet. Auch wenn dies im Text nicht betont wird, könnte es doch durch die genannten Anspielungen auf Leviticus als selbstverständlicher Hintergrund vorausgesetzt sein. Außerdem: Dass die Frau nicht offen an Jesus herantritt, sondern von hinten, könnte gerade mit den kultischen Bestimmungen zusammenhängen. Sie tut etwas, was sie eigentlich unterlassen sollte, da sie durch Berührung die Unreinheit überträgt.
Berücksichtigt man diese Überlegungen, wäre mit der Plage, von der die Frau erlöst wird, wohl mehr gemeint als das reine Krankheitsbild. Doch ist zuzugeben, dass der Text hier in der Schwebe bleibt. So wird die Frage nicht bedacht, dass Jesus durch die Berührung selbst unrein werden könnte. In dieser Hinsicht bleibt die Frage kultischer Reinheit ganz ausgeblendet. Jesus ist Träger einer überlegenen Kraft.
Heilung durch Berührung ...
Die Vorstellung, die hinter dem Heilvorgang steht, ist in der Antike verbreitet: Der charismatische Heiler ist mit einer besonderen Kraft geladen, die durch Berührung auf andere übergehen kann (siehe auch 6,56; Apg 19,12). Im Prinzip handelt es sich hier um dieselbe Vorstellung, die hinter dem Heilgestus der Berührung durch den Wundertäter steht (z.B. Mk 1,31.41; 3,10). Ungewöhnlich ist nur, dass die Berührung hier nicht vom Wundertäter ausgeht.
... und Glaube
Dass er quasi als Kraftquelle angezapft wird und es vor der Heilung zu keiner personalen Begegnung kommt, ist nicht einer magischen Vorstellung zuzuschreiben. Dafür spricht schon die betonte Aktivität der Frau und ihr in Jesus gesetztes Vertrauen. Nicht jede Berührung Jesu in der Menge führt dazu, dass Kraft von Jesus ausfährt. Die erstaunte Jüngerfrage in 5,31 geht ja davon aus, dass Jesus ständig berührt wird.
Dass die Haltung der Frau entscheidend ist für die Heilung, klärt dann vollends der Dialog zwischen Jesus und der Frau. »Geh hin, dein Glaube hat dich gerettet.« (5,34) Diese Zusage entspricht dem üblichem Muster von Heilungsgeschichten, nach dem das Wort (oder eine Handlung) Jesu die Heilung bewirkt. Man kann es hier als Interpretationshinweis des Erzählers verstehen: Auch hier soll man den Glauben der Frau als Voraussetzung der Heilung wahrnehmen und keinesfalls an einen irgendwie automatischen Vorgang denken.
Dass Jesus der bereits Geheilten dann noch ausdrücklich die Heilung zusagt (»sei gesund von deiner Plage«), bestärkt diese Deutung. Eigentlich kommt diese Zusage zu spät. Aber auf diese Weise wird deutlich, dass die Heilung nicht unabhängig von der Person Jesu erfolgt.
Kommentare
Doch auch hier muss doch wieder die Frage erlaubt sein, wer war Jesus für die Verfasser? Hat der Hellenist Lukas wirklich nur die Dialoge bei den Heilungswundern eines jungen Magiers detailiert beschrieben hat, wie ihn (nicht nur) Gerd Lüdemann für historisch hält?
Ist dem Verfassern wirklich zu unterstellen, dass er nur einen antiker Heilgestus aufgeschrieben hat, wie er in der Antike üblich war, um die Herrlichkeit eines jungen charismatischen Wunderheiler darzustellen der Heiland sein sollte?
Ich will hier keine Deutung waagen. Doch die Heilung der "kultischen (Un-)Reinheit" oder die Wiedererweckung des Kindes vom "Synaogenvorsteher" verweisen auch hier auf die kulturelle Auseinandersetzung, die am Anfang geschichtlich war, sich historisch nachvollziehen lässt. Und wer hier das Thema bzw. die Kraftquelle, von dem das Heil historisch nachvollziehbar ausging, ist bekannt.
Warum soll daher die aufgeklärte Welt weiter nur Lüdemann & Co. folgen und alles für Humbug halten, der einem jungen Wunderheiler angehängt wurde?
Auch wenn ich keine allegorische Auslegung wagen will, so ist möglicherweise die Tochter des Synagogenvorstehers und deren Heilung - evlt. auch die der kultischen Un-reinheit, als historische Relität zu sehen.
In "Die Geschichte des Christentums" lese ich gerade bei kath. Wissenschaftlern im Herderband vom intellektuellen Schmelztiegel der ersten Jahrunderte bzw. von denen, die sich der zahlreichen Jesustexte in den bekannten antiken Metropolen bedienten und als Christen verstanden. Auch wenn sie teilweise in ihrem Bemühen, neue Lösungen für das Problem Mensch, Gott und Welt zu suchen, gegensätzlicher Ansicht waren. Wie auch bei vom jüdisch-bildlosen Monotheismus begeisterten Denkern die strenge synogale Observanz bzw. die Tradition abgelehnt oder wie bei Philo im allegorischen Verständnis des AT auf die Tradition aufgebaut wurde. Wie aber immer abstraktere und vielgestaltige Wesenheiten den Grund der neuen Glaubensformen oder Christologien bestimmten: Was die Kulturen nicht versöhnen konnte, nicht heilvoll war.
Wie ein gemeinsamer Nenner im Begriff der Erkenntnis (Gnosis)die anfängliche christologische Diskussion bestimmte und Jesus auch bei den dieser verwirrenden Vielfalt und teilweise weltabgewandten oder dualistischen Abstraktheit entgegentretenden Kirchenvätern, die Vernunft mit Namen Jesus als ein hoheitliches historisches Wesen der Grund einer in ihren Augen einzig wirklich heilsvollen Ausdrucksweise der neuen - somit erst wahren - Erkenntis war.
Ist es daher bei all diesem Wissen heute heilsvoll, nur einfach die Geschichte von einem Wunderheiler darzustellen, die dann nicht nur für Lüdemann & Co., sonder für die aufgeklärte Welt Humbug um einen wundersamen Heilsprediger ist. Der zwar das Herz der Religiösen wärmt, der modernen Welt jedoch nicht wirklich was zu sagen hat?
Warum sollte es keine wissenschaftliche Auf-gabe sein, nicht nur die Vernunft in heutiger Sprache/Welterkärung zu vergegenwärtigen, die am Anfang mit Namen Jesus das Thema war. Vielmehr auch den Heilungsprozess, den die klare Ausdruckweise im Kanon der kath. Kirche gegenüber vielältigen abstrakten gnostisch-philosophischen Wesenheiten (innerhalb der anfänglichen Christen, wie philosophische Hellenismus der Kaiser) oder konservativer Synagogentradition hatte?
Wenn wir doch wissen, dass die Texte, aus denen wir einen wundertätigen Heilsprediger als historisch herauslesen wollen, ebenso wie apogryphe Texte im intellektuellen Schmelztiegel der ersten Jahrhunderte entstanden sind, in griechisch geschrieben und dann teilweise später in koptisch-christliche Sprache übertragen (als christlich gesehen) wurden, können wir dann die Hypthese vom wundertätigen Heilsprediger weiter als einzige historische Denkweise hinstellen?
Ist es den Kirchenvätern, wie dem Platonisten Justin, später Irrenäus von Lyon, der den vielfältigen Religionsformen des Rhonetales gegenübertrat, Origenes, Tertullian, Clemens von Alexandrien..., wirklich nur um einen Wunderheiler gegangen, wenn sie vom Logos bzw. dem lebendigen Wort/der Vernunft in seiner Person sprachen und sich gegen abstrakte Formen des christlichen Glaubens zur Wehr setzten? (Von den phil. Lehrern, deren vielfältige abstrakte Ausdruckweisen des Logos mit Namen Jesus abgelehnt wurden, ganz zu schweigen.)
Wenn die Heilung von kultischer Unreinheit eine historische Realität war, dann ist das möglicherweise in der klaren Ausdrucksweise der Person Jesus in Kanon und Kirche gegen alle vielfältigen, abstrakten bzw. sich von der jüdischen Tradition abspaltenden Logoslehren belegen, die heilvoll war und bis zur Aufklärung getragen bzw. diese hervorgerufen hat.