Sonntagsevangelium (33)


14. Sonntag im Jahreskreis (B): Mk 6,1b-6

Der Auftritt Jesu in der Synagoge von Nazaret (6,1f) beginnt zunächst wie das erste öffentliche Wirken in der Synagoge von Kapharnaum (1,21f): Jesus lehrt am Sabbat, und die Zuhörer geraten über seine Lehre ins Staunen (diese Reaktion ist im Urtext, anders als in der Einheitsübersetzung, in beiden Fällen mit demselben Wort bezeichnet). Das Staunen führte in Kapharnaum zur positiv gemeinten Frage nach Jesu Lehre und Person (1,27f), in Nazaret dagegen steht am Ende die Ablehnung Jesu (6,3). Die Zuhörer fragen hier nach dem »Woher« von Jesu Weisheit und Machttaten; und da sie über die (irdische) Herkunft Jesu bestens unterrichtet sind, akzeptieren sie nicht, dass Jesus in göttlicher Vollmacht wirkt.

Das Wissen um diese Herkunft wird zunächst durch die Nennung des Berufs Jesu ausgedrückt. Das griechische Wort, das traditionell mit »Zimmermann« übersetzt wird (τέκτων), wäre besser durch »Bauhandwerker« wiederzugeben. Dieser Beruf reiht Jesus in einem gewissen Sinn unter die Armen ein – unter jene, die hart arbeiten müssen für ihren Lebensunterhalt. Er setzt ihn aber nicht an das untere Ende der sozialen Skala. 

Außerdem wird Jesus durch die Zuordnung zu einer bestimmten Familie gekennzeichnet: Sohn der Maria, Bruder von Jakobus, Joses, Judas und Simon; außerdem hat er namentlich nicht angeführte, in der Anzahl unbestimmt bleibende Schwestern. Auch andernorts finden sich Bezüge auf die Familie Jesu (Mk 3,31-35; Apg 1,14; Gal 1,19; 1Kor 9,5). Dem Neuen Testament lässt sich nicht entnehmen, dass es sich hier um Cousins und Cousinen Jesu oder um Kinder Josefs aus einer ersten Ehe handelte. Der entscheidende Grund für diese Einschätzung ist die philologische Tatsache, dass das in diesen Zusammenhängen gebrauchte griechische Wort (ἀδελφός) – abgesehen vom übertragenen Gebrauch abseits jedes verwandtschaftlichen Verhältnisses – immer den leiblichen Bruder meint (vielleicht auch den Halbbruder). Versuche, dieses Wort als Bezeichnung für »Cousin« oder für »Stiefbruder« zu verstehen, lassen sich am neutestamentlichen Sprachgebrauch nicht erhärten. Anders als das Hebräische hat das Griechisch des Neuen Testaments ein eigenes Wort für »Cousin« (ἀνεψιός, s. Kol 4,10); auch der jüdische Schriftsteller Flavius Josephus verwendet dieses Wort und bezeichnet doch Jakobus als »Bruder Jesu« (Ant. XX 200). Entsprechend ist anzunehmen, dass die neutestamentliche Überlieferung unter den Brüdern Jesu leibliche Brüder versteht; dasselbe gilt dann entsprechend für die Schwestern. 

Dass Jesus in Nazaret abgelehnt wird, weil man um seinen früheren Beruf und seine Familie weiß, gründet anders als in Joh 7,27 wohl nicht in der Überzeugung, die Herkunft des Messias müsse unbekannt sein. Der Anstoß besteht im Gegensatz zwischen menschlicher Herkunft und göttlichem Auftrag. In diesem Sinn ist auch der sprichwortartige Kommentar Jesu über die Missachtung des Propheten zu verstehen (6,4). Obwohl die Besonderheit Jesu erkannt wird, in seinen Machttaten und seiner Weisheit, wird sie doch nicht anerkannt, weil man ihn von früher als gewöhnlichen Menschen kennt.

Der Zusammenhang von Wunder und Glaube, der häufig in Wundergeschichten begegnet, erscheint nun negativ gespiegelt: Wo Unglaube herrscht, kann Jesus kein Wunder tun (6,5f). Dies ist eine anstößige Aussage, die der Evangelist Markus dadurch mildert, dass er die Notiz einschiebt, Jesus habe einige wenige Heilungen gewirkt. Matthäus tilgt die Anstößigkeit ganz: Jesus hat in seiner Heimatstadt »wegen ihres Unglaubens« nicht viele Wunder getan (Mt 13,58).

Kommentare

Gerhard Mentzel hat gesagt…
Die Hand soll mir abfaulen, Herr Prof. Häfner, wenn hier der sonst Theologie/Christologie in Geschichtsform verdichtende Hellenist Lukas die Story von einem in Synagogen predigenden Junghandwerker und seiner Cusinen oder Stiefbrüder aufgeschrieben hat.

Mir ist es zu Mühsam, mich mit den Kritikern zu beschäftigen, die nicht nur die Geschichten und insbesondere die Bedeutungsaussagen von Lukas als Lügenmärchen hinstellen wollen oder die vielfältige frühen christlichen Denkerweisen auszuwerten, die eindeutig auf den Logos/die Vernunft allen Werdens, als das in der menschlichen Person (Rolle/Aufagabe)Jesus lebendige Wort hinweisen.

Klaus Berger, den ich in zahlreichen unter "theologie-der-vernunft.de" zu findenden Briefen bat, die von ihm betonte Hoheitlichkeit des historischen Jesus nicht einfach als postmodernen Mythos bewahren zu wollen, sondern im Logos nachdenken zu lassen, hat mir mal geschrieben: Ich solle nicht nur auf Logos insistieren, sondern mich mit den biblischen Texten befassen.

Entschuldigen Sie daher, wenn ich hier auf den Geist gehe und in den biblischen Texten lese: Z.B. wie damals das prophetische Wort (hebr. Vernunft), auf dem der Monoth. gegen menschengemachte Götterbilder gründete, von denen abgeleht wurde, die es ständig im Munde führten.

Und selbst die beschriebenen Verwandschaftsbeziehungen, die wie viele andere Aussagen mit einem jungen Prediger vor Augen mit jeder Übersetzung immer mehr banalisiert wurden und sie aufgrund ihrer Sprach- und sonstigen Kenntnis weit besser deuten könnten als ich, weist m.E. auf das lebendige Wort, den Logos in Gestalt hin, der bei denen, die Lukas in ihren Kanon aufnahmen, auf hochphilosophische Weise definiert und diskutiert wurde.

Nein, von einem jungen Heilsprediger, der wegen seiner handwerklichen Herkunft nicht akzeptiert wurde, davon handelt das NT "Gott sein Dank" nicht.

Die gesamte Literatur, die gerade wieder um mich herum liegt, ob über die antiken Städte als Orte der frühen Christen und ihrer Auseinandersetzungen mit Heil- und Mysterienkulten, kaiserlicher Philosophie... von Martin Ebner, die apostolischen Väter und ihre an jüdische Vorstellungen anknüpfende Vernunftdefinitionen, die Apologeten und Häresien, aber ebenso auch die in der antiken Philosophie hervorgebrachten Weisheitstexte, die als Worte Jesus zu finden sind, machen mich gewiss:

Auch wenn die, die das ständig beschreiben und sich darauf berufen nichts davon wissen wollen, weil sie nach bisher buchstäblicher Hypothese ihre gesamte wissenschaftliche Lehre oder ihren persönlichen Glauben auf einen guten Jungen gebaut haben, nichts davon wissen wollen.
Der christliche Glaube gründet nicht auf einen jungen Guru, wie er heute als historisch gilt, sondern das lebendige Wort/die schöpferische Vernunft in Person, die auch Markus hier auf kulturvernünftige Weise zum Ausdruck gebracht hat.
Gerhard Mentzel hat gesagt…
Entschuldigung, aber so viel noch: Das lebendige Wort, das von den Seinen (wie wir aus dem NT, von den Schriftgelehrten und aus den Geschichtsbüchern zu Genüge wissen)nicht akzeptiert wurde und das auch damals jüdisch-gesetzliche Brüder, wie hellenistisch-philosophische Cousinen hatte, ist dem Schöpfer sei Dank kein spekulatives Phantasieprodukt des persönlichen Glaubens bzw. ein panchristliches/panentheistisches Gottesersatzprodukt.

Der Papst hat die schöpferische Vernunft bei seiner Bundestagsrede in wissenschaftlicher bzw. ökologischer Welterkärung zu bedenken gegeben. Der Regen, wie die sich gerade wieder durchsetzende Sonne gehören dazu. Und wenn die Physiker in Genf jetzt nachweisen, wie ein Teilchen in seiner Wechselwirkung Masse erzeugt, was Teil des Stoffes ist, der uns leben lässt, die Welt in ihrem Innersten zusammen hält, dann haben sie die vernünftige Kreativität des Kosmos belegt: schöpferische Vernunft. Damit ist das "gottverdammte" Teilchen (und nicht weil es unerklärlich oder geheimnisvoll, sondern offenbar), doch eine Art Gottesteilchen.

Doch wie sollen moderne mündige Menschen im erklärten Weltganzen ihre über biologische Gen(esis)maximierung hinausgehende "schöpferische" Bestimmung" (Wort/Weisheit) verstehen und sich als Christen dabei auf Jesus berufen, wenn die Neutestamentler nur auf einen Jundhandwerker setzen, der dem Buch nach Gott sein soll? Was sie dann selbst meist nicht mehr ernst nehmen.

Vom bedrängten Oberhaupt der Katholiken, das auch selbst trotz aller Kenntnis der hochtheologischen Begründung der Kirche, den Lehren der Apologeten und Kirchenväter... seit seiner Kindheit Jesus als einen Heilsprediger sah zu verlangen, dass er in seinen dritten "Jesus" über dessen Kindheit die gleiche schöpferische Vernunft zu bedenken gibt, deren Cousinen heute in ökologischer oder evolutionärer Welterkärung lebendig sind, ist zu viel.

Um der schöpferischen Vernunft als lebendigem Wort in Jesus wieder die Geltung zu geben, auf die unsere Enkel angewiesen sind, sind Wissenschaftler gefragt, die die kath. Lehre ernst nehmen.
Anonym hat gesagt…
Jetzt antworten Sie sich zunehmend öfter selbst auf Ihre eigenen, langatmigen Kommentare, Herr Mentzel...
Ameleo hat gesagt…
@ Anonym: Es liest sie ja auch keiner mehr...
Stefan Kraft hat gesagt…
Sehr geehrter Herr Häfner,

auch ich möchte mich für Ihre wöchentlichen Kommentare zum Evangelientext bedanken. Es steckt jeweils sicherlich viel Arbeit dahinter.

Interessant finde ich persönlich die Stelle "Der Anstoß besteht im Gegensatz zwischen menschlicher Herkunft und göttlichem Auftrag. ... weil man ihn von früher als gewöhnlichen Menschen kennt." Schon vor 1900 Jahren stellte der Evangelist die Frage an seine Leser, für wen man den Menschen aus Nazaret wirklich hält, auch wenn man von seiner irdischen Herkunft weiß. Die gleiche (oder ähnliche) Frage stellt man sich heute noch, auch vor dem Hintergrund der 200-jährigen Forschung zum historischen Jesus, die einem die (zunächst einmal?) irdische Herkunft Jesu zeigt. (Mir ist klar, dass der Vergleich etwas hinken mag, ich finde den Gedanken trotzdem interessant.)

Etwas "off-topic" (der Artikel auf diesem Blog über das Markusevangelium liegt schon etwas länger zurück) noch ein Hinweis auf den Podcast über das Markusevangelium von virtualtheology.net unter http://virtualtheology.net/?p=99 .
Für viele der Leser dürfte fast alles im Podcast bekannt sein, er stellt aber wohl eine gute Einführung dar. Den Vergleich am Anfang, welchen der modernen Superhelden man dem jeweiligen Evangelisten zuordnen kann, fand ich als Comicfan äußerst nett. (Während Johannes für Superman steht - ein Ursprung von ganz woanders, Abbild vom Lichte - steht Markus eher für Batman - Leidenschaft, auch Wut, echte Gefahr, der man gegenübersteht. Ich würde vielleicht Wonder Woman für Lukas vorschlagen, ist sie doch das "mitfühlendste Wesen des Universums". Und Green Lantern, den Weltraum-Gesetzeshüter, für Matthäus?)

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