Sonntagsevangelium (35)

16. Sonntag im Jahreskreis (B): Mk 6,30-34

In dem kurzen Stück, das zur Speisung der 5000 führt, greift Markus den Erzählfaden der Jüngeraussendung auf. Die Jünger kehren zurück und berichten von ihren Erfahrungen. Näheres wird allerdings nicht mitgeteilt. Im Grunde wird nur die zusammenfassende Aussage von 6,12f aufgegriffen und im Rückblick noch weiter verkürzt. Das Wirken in Wort und Tat wird nur im Rahmen eines Berichts an Jesus erwähnt, aber nicht für die Leser entfaltet. An solchen Details ist der Evangelist nicht interessiert. Ein plastisches Bild lässt er nur für die Rückkehrszene entstehen: Der Rückzug Jesu mit den Jüngern bringt nicht länger als für die Zeit der Überfahrt im Boot etwas Ruhe, weil die zu Jesus drängende Menge ihnen auf dem Landweg zuvorkommt.


Der Abschnitt enthält so viele Züge, die für das Markus-Evangelium typisch sind, dass man annehmen muss: Der Evangelist hat diese Einleitung im Wesentlichen selbst gestaltet. 


Zu den typischen Motiven zählt der Rückzug an einen einsamen Ort – erfolglos, weil die Menge trotzdem zu Jesus strömt (siehe auch
1,35-37.45; 3,7f). Dass die Jünger keine Zeit zum Essen finden, unterstreicht den Andrang (vgl. 3,20). Das Boot spielt seit einer solchen Andrangszene eine besondere Rolle, als Schutzraum (3,9), als Fahrzeug natürlich (4,35-5,21), aber auch als Ort der Lehre (4,1). Ebenfalls typisch für Markus ist die bloße Notiz, Jesus habe die Menge vieles gelehrt, ohne dass man etwas über den Inhalt der Lehre erfährt (siehe auch 1,21; 2,2; 6,2). Dies fällt gerade in 6,34 auf, weil nicht nur gesagt wird, Jesus habe vieles gelehrt, sondern auch eine Szene vorausgesetzt ist, in der sich die Lehre bis zum Abend hinzieht (s. 6,35). Offensichtlich standen Markus nicht genügend Traditionen zur Verfügung, dass er das Bild Jesu als Lehrer seinem Interesse entsprechend mit Inhalten hätte füllen können. 

Ein Vergleich mit Matthäus kann dies verdeutlichen. Matthäus, der das Markus-Evangelium als Vorlage verarbeitet hat, greift die erste der markinischen Lehrnotizen auf (Mk 1,21f) und fügt an dieser Stelle die Bergpredigt ein, die erste, programmatische Rede Jesu. Sie steht am Beginn des Wirkens Jesu, nach der Berufung der ersten Jünger (Mk 1,16-20; Mt 4,18-22). Und am Ende der Bergpredigt ist aufgrund einer weitgehenden wörtlichen Übereinstimmung erkennbar, dass Matthäus in 7,28f auf Mk 1,22 zurückgegriffen hat. In der Bergpredigt findet sich fast kein markinisches Material, für sie hat Matthäus auf andere Quellen zurückgegriffen. Dass Markus solche Stoffe gekannt, aber nicht in sein Evangelium aufgenommen hätte, wäre gerade angesichts seines Interesses an Jesus als Lehrer nicht zu erklären. 

Dieser Zug des markinischen Jesusbildes setzt ein Gegengewicht zum Wundertäter Jesus. Auch wenn Markus nur begrenzten Zugang zur Überlieferung von Jesusworten hatte, nutzt er die kleine Szene vor der Brotvermehrung doch, um auch dem Lehrer Jesus ein Profil zu verleihen: durch die Rede vom Erbarmen Jesu. Begründet wird dieses Erbarmen mit der biblisch klingenden Wendung, das Volk gliche Schafen, die keinen Hirten haben (siehe z.B. Num 27,17; Ez 34,5). Dadurch erscheint Jesus als der Hirte, der den führungslosen Zustand beendet, wohl als der verheißene endzeitliche Hirt (vgl. Ez 34,23). Seine Fürsorge äußert sich in der folgenden Speisung, aber auch in seiner Lehre. 

Kommentare

Gerhard Mentzel hat gesagt…
Sehr geehrter Herr Prof. Häfner,

auch wenn ich diesen Text wieder lese, dann drängt sich mir die Fragen auf: Gehen Sie wirklich weiter davon aus, dass Markus, Matthäus & Co. nur die Story von einem jungen Junden beschreiben wollten, den sie für was ganz Besonderes hielten? Oder ist Ihnen nicht längst klar, dass es sich hier um eine Christologie in Geschichtsform, eine Theologiegeschichte geht, die mehr ist als der Bericht über die Erlebnisse eines für göttlich gehaltenen Heilspredigers?

Wie kann die heutige Wissenschaft bei all dem gegebenen Wissen um die verschiedenen christologischen Anfänge weiter als einzige Hypothese davon ausgehen bzw. die Welt im Glauben lassen, am Anfang wäre eine Art religiöser Rattenfänger gewesen?

Wie er leider hinten herauskommt, wenn man weiter auf buchstäbliche Weise die Welt im Glauben lässt, dass Markus über einen besonders charismatischen oder sonst wie gearteten Wanderprediger berichtet, der sich vor seinen Anhängern auf sein Boot zurückziehen musste.

Ist den anfänglichen Denkern bei allem dem Wissen um vielfältige Definitionen der damals in anfänglicher Wissenschaft monistisch erklärten schöpferischen Wirklichkeit bzw. des Logos wirklich zu unterstellen, sie wären dem nachgelaufen, der heute als historischer Jesus gilt und hätten darauf einen neuen, nun universalen bildlosen Monotheismus gegründet?

Kann dem Hellenisten Lukas und all den sehr viefältigen intellektuellen Denkern (über Apologeten, aus der Phil. kommenden Kirchenväter bis zu den in der Stoa ausgebildeten, vormals selbst die kosmische Ordnung verkörpernden Flavierkaisern, von denen dann die Mission der westlichen Welt ausging), die seinen Text nutzen und weitertrugen: ob in anfänglicher Auseinandersetzung zwischen kirchlich-richtiger und falscher urchr. Gnosis, zwischen Ablehnung der altjüd. Gottesvorstellung/Gesetz und dessen Einbindung, in Auseinandersetzung mit gr. Phil, pantheistischem Montheimus oder Götterpantheon, inmitten der dann folgenden Debatten über das Wesen des als Josua, gr. Jesus definierten Logos (damaliger Welterkärung, Sinn, Wort, Vernunft)... einfach unterstellt werden, die alle hätten den historischen Jesus vor Augen gehabt, wie er heute gelehrt wird?
Gerhard Mentzel hat gesagt…
Wie soll mein vierter Enkel, der Gestern das Licht der Welt erblickt hat, diese einmal in kausaler Erkärung als schöpferische Wirklichkeit verstehen können, danach (christlich getauft bzw. in westlich-chr. Kultur erwachsen) "im Namen Jesus" seine "schöpferische" Vernunft-Bestimmung bzw. Sinn sehen, den er mit der Gabe seiner menschlichen Vernunft bzw. kultureller Vorgaben und Paraktiken umzusetzen hat, wenn neutestamentliche Wissenschaft trotz allen Wissens, dass das nicht gewesen sein kann, einem wundertätigen Guru als Grund chr. Glaubens hinstellt?
Hannes Bräutigam hat gesagt…
... ich bin selbst erstaunt darüber, wie wenig doch Markus in diese vier Verse theologisch hineingeschrieben hat bzw. aus diesen herausgelesen wird. Da fehlt ja fast das ganze NT (also bis auf vier Verse). Wie soll da der Glaube für die Nachwelt erhalten bleiben...
Gerhard Mentzel hat gesagt…
Es mag so scheinen, wie wenn Markus in diesen Text wenig Theologie gepackt hätte. Doch klar ist: Nur um die Erlebnisse eines Heilspredigers, dem seine Grupies nicht von den Versen wichen und der daher auf Boot flüchten musste, kann es dem vom jüdischen Glauben begeisterten Hellenisten hier so wenig gegangen sein, wie bei den vorstehenden Versen oder der folgenden Speisung der 5000.

Man kann die Augen vor dem Wissen verschließen, dass auch das Markusevangelium eine Theologie- bzw. Christologiegeschichte von allegorisch das AT lesenden und so schreibenden Verfassern ist, die dem Evangelium (der frohen Botschaft) vom menschlichen Messias-Augustus aus Rom entgegengestellt wurde. Oder dass antike Weisheitslehrer den Logos bzw. die Weltvernunft als Herkulus in teilweise gleichen Redewendungen auf ähnliche Weise der Welt vermittelten, wie Markus & Co. dies in Josua, gr. Jesus taten, weil sie an den bildlosen Monotheimus anknüpften. Am besten, man wirft dann auch die ganze über das Wesen des Logos diskutierende Kirchengeschichte über Bord und die dicken Bände in den Mülleimer, wo junge Theologen in ihren Dissertationen die großartige Theologie der Geschichten nachblättern und bestätigen, dass die Evangelien vom lebendigen Wort/schöpferischer Weisheit/Vernunft bzw. dem ausgingen, was damals statt Göttersöhne als wahrer Sohn des Unsagbaren gesehen wurde und kein Guru gewesen sein kann.

Dann kann man sich freuen über einen Text, der keine Theologie enthält, einen guten Jungen (für Religionsgegner Rattenfänger) angeblich auf einfache Weise darstellt ohne christologische Einfärbung, nachösterliche Erhöhung... Aber ob das wissenschaftlich ist bzw. weiterbringt?
Hannes Bräutigam hat gesagt…
...leider wurden die tags aus meinem Kommentar entfernt, also die (ironimodus)[...](/ironiemodus)
Gerhard Mentel hat gesagt…
Um den mir wohl bewussten Ironiemodus fortzusetzen:

Wahrscheinlich hat Prof. Häfner mit einer theologischen Deutung der Verse hinterm Berg gehalten, um unbequeme Fragen zu vermeiden bzw. nicht Antworten zu müssen.

Denn er würde so wieder bestätigen, dass die Tat-sache, um die es Markus geht, eine theologische bzw. christologische ist. Es auch bei den Synoptikern bzw. der sog. zweiten Quelle um ein hoheitlich-schöpferisches Wesen in menschlicher Person (Rolle/Aufgabe) geht. Und nicht die Story vom einem Heilsprediger, den er mir als buchstäbliche Hypothese entgegenhält.

Doch letztlich liegt das doch längst auf dem Tisch. Wenn seine meist dogmatischen Kollegen in ihren dicken Büchern deutlich machen, dass der Gottessohn das Thema des NT ist, die Evangelien vom Christus bzw. Auferstandenen ausgehen, sagen sie das ebenso: Der Wanderguru, der heute für historisch gehalten wird, war nicht das Thema des NT.

Und wenn dem Papst von Neutestamtlern vorgehalten wird, dass er in seinem hoheitlichen Jesusdeutungen sich nur an den "biblischen" halten bzw. gar nur von seinem Lebensthema, der "schöpferischen Vernunft" in Person schreiben würde, bestätigen sie auch, worum es nicht nur in der Bibel, sondern der Glaubensgeschichte geht: Der junge Heilsprediger, dessen soziales Umfeld als große Errungenschaft derzeit wissenschaftlich untersucht werden soll, ist ein Hirngespinst der Halbaufklärung. Den hat es nie gegeben bzw. der ist zumindest nicht das Thema des NT oder des anfänglichen chr. Glaubens.

Doch um Ironie geht es mir keineswegs. Denn die Zukunft von klein Jakob, wie meinen/unseren weiteren Enkeln, wird wesentlich davon abhängen, ob neutestamentliche Wissenschaft ihre Hausaufgaben macht und das gegebene Wissen auf eine unvoreingeommene Weise auswertet. Die weder dem Kirchenoberhaupt, noch z.B. dem nur nach Bewahrung eines hoheitlichen Wesens als postmodernem Jesus-Myhtos rufenden Klaus Berger möglich ist. Der all in all seinen unzähligen Büchern und Lehren auf einen jungen Heilspredigers setze und von ihm auf eine hoheitliche Weise sprach, die auf den jungen Guru bezogen, einfach nicht mehr haltbar ist, den chr. Glauben lächerlich macht.

Denn es macht schon einen gewaltigen Unterschied, ob die westliche Welt ihre kulturellen Wurzeln in einem zum Gottesbild hochstilisierten Wanderpediger bzw. kirchlichen Konstrukt sieht oder im lebendigen Wort/schöpferischer Vernunft (in kulturvernünftiger Menschlicher Ausprägung), wie sie heute auf wissenschafliche Weise erklärt wird. (In anderen Denksystemen nur andere Namen hat.)

Die Versöhnung der Weltbilder, von Wissen und Glaube und die Wahrnehmung eines "schöpferischen" Verant-wort-ung durch mündige Menschen in der Weltgegenwart, wie sie weder politische Gesetze und Parolen, noch die nach Habermaß nur kommunikativ vereinbarte oder z.B. eine ökologisch einsehbare Vernunft geben können, hängt davon ab, ob Neutestamentler ihre Aufgabe ernst nehmen.

Keine modernen natürlichen Theologien oder neue Christologien und phil. Systeme bzw. Ideologien führen weiter, wenn die Aufklärung über die Wurzel der westlichen Kultur ausbleibt, nicht auf den Bezug genommen werden kann, der für Markus auch in den hier beschriebenen Versen Jesus war.

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