Wer ist hier nicht ganz dicht?

Die Metaphorik vom Undichten lässt sich auf verschiedene Art einsetzen. Die »Vatileaks-Affaire« gibt seit einiger Zeit Anlass für den wohl häufigsten Gebrauch: im Zusammenhang mit Geheimnisverrat. Das Satire-Magazin Titanic griff die Metaphorik auf und bezog sie in einer Fotomontage ohne metaphorischen Sinn auf Blasen- und Schließmuskelschwäche des Papstes. Ob die Redaktion dabei selbst ganz dicht war oder an Synapsen-Inkontinenz litt, wird nun seit einigen Tagen diskutiert. Auslöser der Diskussion ist ein Urteil des Landgerichts Hamburg: Es hat einer Klage des Papstes stattgegeben, der seine Persönlichkeitsrechte verletzt sah, und eine einstweilige Verfügung erlassen, die es Titanic verbietet, das Bild weiter zu verbreiten.  

Der Deutsche Journalisten-Verband hat das Urteil kritisiert, er sieht »die Freiheit der Satire« verletzt. Die Darstellung sei legitim, denn: Der Papst »wurde von Titanic als Sinnbild für die Kurie des Vatikan mit satirischen Mitteln an den Pranger gestellt, der die Vatileaks-Affäre anhaftet.« Was da nun mithilfe von Urin und Exkrement genau angeprangert werden soll, ist dem Satz nicht zu entnehmen. Aber was zu erwarten war, ist durch die juristische Behandlung eingetreten: Es geht jetzt um »Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Freiheit der Kunst« (so Chefredakteur Leo Fischer). Nun hat ein Land, dessen Pressefreiheit dadurch bedroht wird, dass keine Fotomontage von einer urinierten Papst-Soutane mehr gezeigt werden darf, offensichtlich kein besonderes Problem mit der Pressefreiheit. In dieser Hinsicht können wir gelassen bleiben.


Seltsame Parallele

Dem Verteidiger von Titanic, der sich in der taz mit dem Beitrag Selige Einnässung zu Wort gemeldet hat, war das nicht möglich. Der Autor, Uli Hannemann, meint, die Titanic-Leute hätten wie er selbst ein Bild vor Augen gehabt, das im Jahr 1992 im Zusammenhang von rassistischen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen durch die Presse ging. Da »hebt ein Betrunkener im Deutschlandtrikot den Arm zum Deutschen Gruß, während sich vorn auf seiner Jogginghose deutlich ein großer Pissfleck abzeichnet« (Bild hier). Vordergründig handle es sich um eine Anspielung auf den Vatileaks-Skandal, doch lägen »die Parallelen zum Lichtenhagener Pogrom klar auf der Hand«:
»Eine Symbolfigur homophober, sexistischer und sonstiger faschistoider Ausgrenzungsstrategien soll durch die schlichte Dokumentation des Faktischen vorgeführt und lächerlich gemacht werden; in der Machart vielleicht nicht ganz fair, doch in der Absicht mehr als ehrenwert.«
Die Wendung »Dokumentation des Faktischen« wird hier in einer Art verwendet, die eine nicht geringe semantische Großzügigkeit verlangt. Eine Fotomontage gilt gewöhnlich nicht als Dokumentation des Faktischen. Der Einfall, den Griff zur Montage darin zu begründen, dass Original-Abbildungen wegen der geschickt platzierten Entourage des Papstes nicht möglich seien, rettet nichts: Wer damit einsteigt, dass hier Parallelen zum Lichtenhagener Pogrom gegeben seien und von einer »Symbolfigur homophober, sexistischer und sonstiger faschistoider Ausgrenzungsstrategien« spricht, kann nicht unterwegs in den Ironie-Modus wechseln. Die konstruierte Parallele bricht zusammen, wenn bei der Dokumentation des Faktischen mit Photoshop nachgeholfen werden muss.

Nun gründet die angebliche Parallele nicht nur auf dem Urinfleck, sondern auch darin, dass der Papst als die genannte Symbolfigur bezeichnet wird. Der Begriff Symbolfigur ist nicht unpassend, denn für eine solche ist weniger entscheidend, was sie ist, sondern für was sie angesehen wird. Der Papst gilt als Vertreter »homophober, sexistischer und sonstiger faschistoider Ausgrenzungsstrategien«. Das Praktische an solchen Zuschreibungen ist, dass man ihre Berechtigung nicht nachweisen muss. Es gibt immer Leute, die der Einschätzung zustimmen (und manche Kommentare zum Artikel bestätigen das). Welche Einstellung genau mit homophob bezeichnet wird oder mit sexistisch, muss man nicht definieren. In diesen beiden Fällen hat man ja noch eine Idee, an was der Autor denkt. Wenn er aber von »faschistoiden Ausgrenzungsstrategien« spricht, wüsste man gern Näheres. Man erfährt es nicht, denn es kommt nur darauf an, einen Begriff fallen zu lassen, der den Einstieg mit dem Lichtenhagener Pogrom rechtfertigt (faschistoid), und darauf zu vertrauen, dass die Vorurteile der Leserschaft ein Nachfragen verhindern. Man muss nicht katholisch und kein glühender Verehrer des Papstes sein, um den Vergleich mit einem betrunkenen, hitlergrüßenden, rassistischen Nationaltrikotträger für mehr als »in der Machart vielleicht nicht ganz fair« zu halten.

Das Paradox: Verbreitung durch das Verbot der Verbeitung Andererseits kann man dem Autor zustimmen, wenn er meint, dass man mit etwas mehr Gelassenheit an die Sache hätte herangehen können: »Was kümmert es die stolze Eiche, wenn sich ein Schmierfink an ihr wetzt?« So haben Klage und Urteil die Medienlawine erst ins Rollen gebracht. Das Heft lag schon 14 Tage am Kiosk, ohne dass es kommentiert worden wäre. Jetzt, da die weitere Verbreitung verboten ist, kennt halb Deutschland die urinierte Papst-Soutane. Sicher kann man sich auf den Standpunkt stellen, man müsse sich nicht alles gefallen lassen. Den Klageweg einzuschlagen hat allerdings immer den unerwünschten Nebeneffekt, dass eine noch größere Öffentlichkeit geschaffen wird für das, was man (aus durchaus nachvollziehbaren Gründen) aus der Welt haben will. Auf diese Weise macht man sich zum Werkzeug des Provokateurs. Es ist zwar nicht gänzlich auszuschließen, dass die Macher von Titanic das inkriminierte Cover witzig fanden. Wahrscheinlicher steht hinter der Idee aber ein Kalkül, das die Empörung einplant und so auf erhöhte Aufmerksamkeit zielt. Eine gerichtliche Auseinandersetzung, die unter dem Banner der Pressefreiheit geführt werden kann, noch dazu gegen den höchsten Vertreter der katholischen Kirche, die die Pressefreiheit bekanntlich nicht erfunden hat - das ist der größte PR-Glücksfall.

Bärendienste

Auch die Verteidigung des Papstes gegen die Fäkal-Satire trägt ebenso ungewollt wie unvermeidlich zu deren Verbreitung bei. Sie hat aber noch andere Tücken. Thomas Goppel, Sprecher der Christsozialen Katholiken, würde am liebsten die Lizenz zum Schreiben entziehen. Damit gibt er eine Steilvorlage für die Klage über Zensur und Knebelung der Presse. Man kann sich schon vorstellen, wie gegen seinen Vorschlag Schiller zitiert wird: »Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire!« Und das wird man nicht mit dem Hinweis aus der Welt schaffen, das Cover von Titanic sei doch schon von Gedanken frei. 
Timo Stein ironisiert im Cicero-Blog pc Goppels Vorschlag: »Wo kämen wir denn auch hin, wenn man seine Meinung frei äußern dürfte?« Dass es auch in einer Demokratie die Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und der Wahrung von Persönlichkeitsrechten gibt, spielt keine Rolle mehr, wenn Schreibverbote vorgeschlagen werden. Wenn außerdem dem Papst ein besonderer Status als Mensch zuerkannt wird (»So geht man mit Menschen nicht um, mit dem Papst schon gar nicht«), macht man es dem Satireverteidiger leicht, das Thema zu wechseln und ein Recht auf Blasphemie und das Ende des Sonderstatus von Religionen zu fordern - als ob es bei dem Rechtssreit darum gegangen wäre. Der Sprecher der Christsozialen Katholiken hat dem Papst einen Bärendienst erwiesen. 

Feige? Nicht glücklich muss man auch über den mehrfach abgelaufenen Reflex sein, der den Titanic-Machern Feigheit vorwirft, weil sie den Papst, nicht aber Mohammed zu verhöhnen wagen. Offensichtlich hat man nicht die Archive durchstöbert, um diesen Vorwurf zu stützen. Vielmehr scheint es sich einfach um eine Kombination von zwei Eindrücken zu handeln: von einem Mohammed-Skandal um Titanic ist nichts bekannt, jetzt wurde der Papst aufs Korn genommen - also trauen sich die Satiriker nicht, muslimisches Empfinden zu attackieren. So hatte es der Chefredakteur recht leicht, den Vorwurf zurückzuweisen (hier). Unabhängig davon aber zielt der Feigheitsvorwurf ins Leere: Zum einen würden die Kritiker das Papst-Titelblatt kaum besser ertragen, wenn eine ähnliche Darstellung mit Mohammed oder einem Imam erschiene; zum andern beansprucht das Satire-Magazin ja nicht, besonders mutig zu sein. Ob ihre Macher feige sind oder nicht, ist für die Beurteilung des Sachverhalts völlig irrelevant.

Wer ist der Schwache?

Die heftigen gegensätzlichen Reaktionen hängen wohl auch mit unterschiedlicher Wahrnehmung von Machtverhältnissen zusammen. Wer meint, die Kirche werde in den einflussreichen Medien ständig attackiert, wird einen satirischen Angriff auf sie (unabhängig von dessen Qualität) nicht als Stich gegen eine etablierte Institution empfinden, sondern als Dreinschlagen des Mächtigen auf den Verfolgten. Wer die Kirche dagegen für eine Institution hält, deren Einfluss viel zu stark sei und zurückgedrängt werden müsse, empfindet die Klage gegen das Satire-Magazin als Kampf von Goliath gegen David, in dem bitte der mit der Steinschleuder gewinnen möge. Die einen sehen sich  als Opfer von »antikatholisch gleichgeschalteten Linksmedien«, erkennen eine »gegen Papst Benedikt XVI vereinte linksliberale, protestantisch-laizistisch beherrschte Presse« und wohnen in einem Land, »wo sich in einer reformatorisch-neoatheistischen Medienlandschaft die antikatholischen Medienleute die Klinken wechselseitig in die Hand geben.«  (Kommentare von Silvio und Idemar, nicht im Zusammenhang des Titanic-Titelblatts: hier) Und solche Medien machen sich auch noch über den Papst lustig! Die anderen erkennen in der Fotomontage, die einen Mächtigen trifft, einen subversiven Akt: »Ein gelber Fleck genügte, um aus dem König den Hofnarr zu machen«. (Timo Stein, der hier wahrscheinlich nicht auf die Funktion des Hofnarren anspielt, dem Herrscher die Wahrheit vorzuhalten). So hat jeder sein Raster, in das er die Vorgänge einordnen kann.

Die Klage gegen das Fäkal-Cover wird daran auch für den Fall, dass sie juristisch endgültig Erfolg hat (was noch nicht sicher ist: hier), nichts ändern. Sie mag eine gewisse Befriedigung in den eigenen Reihen erzeugen (»jetzt wird es den bösen Medien endlich einmal gezeigt!«), nach außen wirkt sie auf Kirchenkritik verstärkend. Und sie erzeugt durch die Herstellung von Aufmerksamkeit zweifelhafte Fürsprecher. Der Papst muss nicht über alle glücklich sein, die sich da für ihn stark machen. Denn was ist schlimmer: von Titanic verhöhnt oder von Franz Josef Wagner verteidigt zu werden?


Im Umgang mit Satire, auch mit schlechter, ist das genannte Modell »Eiche, unbekümmert ob des Schweins, das sich an ihm kratzt« das bessere. 

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