Sonntagsevangelium (37)

18. Sonntag im Jahreskreis (B): Joh 6,24-35

Die Erzählung von der Brotvermehrung endete mit dem Rückzug Jesu von der Volksmenge. Am folgenden Tag kommt es - nach der im Jüngerkreis spielenden Geschichte vom Seewandel (Joh 6,16-21) - wieder zum Zusammentreffen, weil die Menge Jesus sucht (6,22-24). 

Jesus greift diese Suche auf und benennt ihren eigentlichen Grund: Die Leute haben das Wunder der Brotvermehrung nicht als Zeichen verstanden, sondern ist bei dem äußeren Geschehen der Sättigung mit Broten stehen geblieben (6,26). Diese Aussage kann als Schlüssel zur Zeichen-Theologie des Johannes-Evangeliums verstanden werden. Johannes ist der einzige Evangelist, der den Begriff 
»Zeichen« in positivem Sinn für die Wunder Jesu verwendet. Recht verstanden sind ihm zufolge die Wunder dann, wenn sie als Verweis auf den Wundertäter verstanden werden und zum Glauben an ihn führen. Jesus bescheinigt seinen Hörern, dass sie diesen Schritt nicht getan haben. Die Kritik weist, wenn man den Ausgang der Szene kennt (6,41f.60), voraus auf das Scheitern der Kommunikation zwischen Jesus und der Menge. Zunächst scheint die Situation noch offen. Jesus deutet einen hintergründigen Sinn von  »Speise« und  »Sättigung« an (6,27) und benennt auch direkt, was sich mit der Brotmetaphorik verbindet: der Aufruf zum Glauben (6,29).



Dass die Menge das Brotwunder nicht verstanden hat, zeigt sich in der Forderung nach einem beglaubigenden Zeichen (6,30). Die Aussage, Jesus würde nicht gesucht, weil man Zeichen gesehen hat (6,26), bestätigt sich. Die Gesprächspartner Jesu verweisen auf das Manna in der Wüste als 
»Brot aus dem Himmel« und stellen damit selbst (im Blick auf die Glaubensgeschichte Israels) den Kontext der wunderbaren Speisung her, der ihre Suche nach Jesus in der Gegenwart ausgelöst hat. Die Antwort Jesu nimmt die Rede vom  »Brot aus dem Himmel« auf und wechselt die Perspektive grundlegend. Man erwartet nach der Aussage: »nicht Mose hat euch das Brot aus dem Himmel gegeben« als Fortsetzung: »sondern mein Vater«; tatsächlich wird der Vater als Geber des wahrhaftigen Brotes aus dem Himmel in der Gegenwart bezeichnet (6,32).
»Nicht Mose hat euch das Brot aus dem Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahrhaftige Brot aus dem Himmel.«
Damit erscheint das Manna nicht als typologischer Vorverweis auf das jetzt von Gott gegebene Brot; es tritt zu diesem vielmehr in Gegensatz: Es ist gar nicht das Himmelsbrot. Das jetzt gegebene Brot ist das »Brot Gottes«, das als lebensspendend bezeichnet wird (6,33). Wenn das Brot dadurch bestimmt wird, dass es aus dem Himmel herabsteigt, können die Leser des Evangeliums bereits einen Verweis auf Jesus erkennen (s. 1,51; 3,13-15). Die Hörer in der Szene sehen das Brot dagegen noch als Objekt, als erstrebenswerte Gabe und bitten um dieses Brot (6,34). 

Diese Bitte kann doppelsinnig ausgelegt werden. Zum einen halten Jesu Gesprächspartner das Lebensbrot fälschlicherweise für eine Sache, die ihnen von Jesus gegeben werden könnte – wie die Väter in der Wüste das Manna erhielten, nur jetzt ein Brot von höherer Qualität. Zum andern lässt sich aber die Bitte auch hintergründig auslegen als Ausdruck der Tatsache, dass in Jesus die Sehnsucht nach Leben, die die Hörer aussprechen, 
tatsächlich erfüllt wird. Dies liegt auf der Linie der Suche nach Jesus, die sich an die Speisungsgeschichte angeschlossen hat. In Jesus kommt diese Suche zu ihrem Ziel, auch wenn dies von der Menge nicht erkannt wird. Und so kann sich Jesus anschließend an jene Bitte offenbaren: 
»Ich bin das Brot des Lebens.«
Damit ist ausdrücklich die Wende von der Sache zur Person vollzogen. Das Leben schenkende Brot ist Jesus selbst. Die Bedeutung dieses Brotes für die Menschen wird im Nachsatz entfaltet. 
»Wer zu mir kommt, wird nicht hungern. Wer an mich glaubt, wird nie mehr dürsten.«
Entsprechend der personalen Bestimmung des Lebensbrotes wird nicht das Essen des Brotes erwähnt, sondern das Kommen zu Jesus und der Glaube an ihn. Beide Ausdrücke meinen dasselbe, der zweite verdeutlicht den ersten. Der Nachsatz ist gut in den szenischen Kontext eingepasst. Jesus spricht ihn zu denen, die sich auf die Suche nach ihm gemacht haben, die »zu ihm gekommen« sind. Dass man in diesem Fall nicht hungert, hat die wunderbare Speisung gezeigt. Jetzt käme es für die Hörer in der Szene nur darauf an, das Zeichenhafte dieses Vorgangs zu erkennen und zu sehen, dass er auf den Glauben zielt. Diese Einpassung bedeutet aber nicht, dass der Spruch auf die beschriebene Szene beschränkt bliebe. Der Nachsatz ist ganz grundsätzlich gehalten, spricht nicht direkt die Hörer auf der literarischen Ebene an, etwa: »Kommt zu mir, und ihr werdet nicht mehr hungern ...« So können sich auch die Adressaten des Evangeliums unmittelbar angesprochen fühlen. 

Da über das metaphorisch naheliegende »nicht mehr hungern« hinaus auch von »nicht mehr dürsten« die Rede ist, wird vorgeschlagen, dass der Text auf weisheitliche Vorstellungen (Spr 9,5; Sir 24,21) und prophetische Heilsverheißung (Jes 49,10) anspielt. Insofern sich der 
Nachsatz zum Brotwort auf menschliche Grundbedürfnisse bezieht, sind solche möglichen Verbindungen aber nicht notwendig, um die Gestalt des Textes zu erklären. 

Kommentare

Gerhard Mentzel hat gesagt…
Danke Herr Prof. Häfner, dass sie erneut deutlich gemacht haben, dass Johannes und damit auch das NT nicht nur von einem jungen wundertätigen Heilsprediger handelt, der seine Anhänger durch mitgebrachtes oder in Hokuspokus herbeigezaubertes Brot abspeiste. (Wie er heute als historischer Jesus gilt. Für Kritiker ein religiöser Rattenfänger, der von seinen Anhängern verlangte, dass sie an ihn glauben.)

Sie wissen, dass es auch bei der Speise des Moses, die auf Jesus hinzielt nicht um Brot ging, das auf zauberhafte Weise vom Himmel fiel. Wie sich hier in Mitten von Hochkulturen, am Beginn des Hellenismus bzw. wenige Jahrhunderte vor Jesus in antiker Aufklärung auf den Spuren Eschnatons bzw. der Theologie Ägyptens, im Weiterdenken der damaligen Glaubensvorstellungen, zu denen nicht allein Zarathustra gehörte, ein neuer bildloser Monotheismus herausbildete. Ein prohetischer Glaube, der die menschlichen Götterbilder für die Probleme verantwortlich machte und auf das Wort (hebr. Vernunft)allen Werdens gründete.

Sie wissen auch, dass bereits zu Zeiten, als das NT verfasst wurde, das AT (dessen Geschichten wie Ihnen bekannt, eine Rückprojektion der sog. Exilszeit sind) auf allegorische Weise verstanden wurde. Wie die Propheten, die sich auf die in den jüd. Königen personifizierte Weisheit beriefen, als die wahren Philosophen gesehen wurde, die noch vor den Griechen jenseits eines Götterglaube dachten.

Nachdem Sie Johannes nicht wie viele Ihrer Kollegen als einen frei vom historischen Jesus schreibenden Verfasser sehen, sondern ihn oft im Gleichklang mit den Synoptikern nennen und nun deutlich machen, dass es im Text um die Frage ging, wer der war, der sich als das wahre himmlische Brot ausgab, werden Sie sicher nicht weiter glauben wollen bzw. ihrer Leser und Studenten im Glauben lassen wollen, dass da ein wundertätiger Heilsprediger war, der sich gegenüber seinen Anhängern als eine Art Gott ausgegeben wollte.

Sie wissen, dass das Volk Brot und Spiele, Bilder und Mythen bzw. Mittlergestalten braucht. Doch denken sie wirklich, dass das die Realität der chr. Relgion wäre?
Gerhard Mentzel hat gesagt…
Es gibt drei Möglichkeiten:

Freitag:

"Johannes hatte nicht alle Tassen im Schrank": Er hat einen Heilsprediger, der seine Anhänger mit wassertragenden Sandalen beeindruckte oder dem Seewandel und Brotvermehrung nur nach dem AT angedichtet wurden, auf wunderbare Weise beeindruckt, damit sie ihn als Gott anbeten.

Zur gleichen Zeit, als Seneca die Geschichte vom Seewandel in fast gleichen Worten von Hercules beschrieb, in dem der heidnische Weisheitslehrer die Vernunft ausdrückte, hat Johannes einen jungen Juden in den Himmel gehoben, als Brot der Welt ausgegeben.

Samstag:

Johannes hat nicht vom historischne Jesus gesprochen. Es handelt sich hier um eine Art Gnosis, die ein hoheitlich-göttliches Wesen beschreibt, das mit dem jungen Heilsprediger in Wirklichkeit nichts zu tun hat, allenfalls im Glaube an ihn geschrieben ist. (Dann wieder Freitag)

Ostersonntag:

Johannes wird ernst genommen, wenn er im Prolog bereits sagt, dass er vom lebendigen Wort/Weltvernunft in Gesetz-/Geschichte- bzw. fleischgewordener Person schreibt, die anfänglich als Gott galt.

Es geht nicht um einen jungen Juden und nicht darum, an die Vernunft allen nat. Werdens zu glauben, die nicht der Gott der Väter selbst sein kann und war. Vielmehr ist die Logik/Vernunft allen kosmsichen und kulturellen Werdens als das zu verstehen, was für die Väter als Wort galt und als einzige Selbstaussage dessen versanden wurde, der Unsagbar war und sein wird: Brot für die gesamte Welt, als das auch schon im anfänglichen Monotheismus bzw. bei Eschnaton und Moses das Wort (hebr. Vernunft) galt.

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