Sonntagsevangelium (38)

19. Sonntag im Jahreskreis (B): Joh 6,41-51

Die Hörer der Brotrede nehmen Anstoß an Jesu Selbstbezeichnung als das vom Himmel herabgestiegene Brot. Sie sehen einen Widerspruch zu der ihnen bekannten irdischen Herkunft Jesu. Ist ihr Fehler, dass sie die irdischen Eltern Jesu zu kennen meinen, während Jesus als Geistgezeugter doch keinen irdischen Vater hat? Das Johannes-Evangelium bietet die Aussage von der geistgewirkten Empfängnis allerdings nicht. In Joh 1,45 stellt Philippus Jesus dem Natanael als denjenigen vor, von dem Mose und die Propheten geschrieben haben, und identifiziert ihn dann als »Jesus, Sohn Josefs, von Nazaret«. Dass Philippus hier etwas Falsches sagte, ist aus dem Zusammenhang nicht zu erkennen. Der Evangelist kann also durchaus von der irdischen Vaterschaft Josefs ausgegangen sein, entscheidend ist aber in seinen Augen, Jesus nicht nach dieser irdischen Herkunft zu beurteilen. Wer Joseph für den Vater hält, hat nicht verstanden, wessen Sohn Jesus in Wirklichkeit ist. Die Murrenden meinen nur, Jesu Vater zu kennen (6,42); tatsächlich haben sie die Herkunft Jesu gar nicht erfasst, und deshalb lehnen sie dessen Anspruch ab, vom Himmel herabgestiegen zu sein.

Der Protest ist so formuliert, dass die Tradition der Wüstenwanderung präsent bleibt. Das Murren (
γογγύζειν) kennzeichnet wiederholt die Widerspenstigkeit Israels gegen die Führung durch Gott (z.B. Ex 16; 17,3; Num 11,1). In Ex 16 folgt daraus die Gabe des Manna, was aber das weitere Murren des Volkes gegen Gott nicht verhindert. So legt Johannes eine Parallele nahe zwischen der Reaktion »der Juden« (so die Bezeichnung ab 6,41) auf Jesu Selbstoffenbarung und dem widerspenstigen Volk zur Zeit der Wüstenwande­rung. Diejeni­gen, die darauf verweisen, dass ihre Väter das Manna in der Wüste gegessen haben (6,30f), empören sich wie ihre Väter gegen Gott und seine Führung.

Die Antwort Jesu auf den Einwand verlässt den Kontext der Brotmetapho­rik. Dem Unglau­ben wird durch eine Besinnung auf den Glauben begegnet, jetzt vor allem akzentuiert auf die Gründung des Glaubens in Gott, mit Gedanken, die an eine Vorherbestimmung zum Glauben anklingen: Niemand kommt zu Jesus, wenn nicht der Vater ihn zieht (6,44). Gedanken über das Verhältnis von Gnade  und Freiheit, von göttlicher Vorherbestim­mung  und menschlicher Glaubensentscheidung  stellt der Evangelist hier wie auch an anderen ähnlichen Stellen (8,47; 10,26.29; 6,65) nicht an. Beide Aus­sagereihen stehen spannungsreich nebeneinander. Letztlich führt nicht prinzipielle theologische Reflexion den Evangelisten zu dieser Dialektik, son­dern die Auseinandersetzung mit einem konkreten Problem: dem Unglauben. Denn stets begegnet man den Aussagen über den gnadenhaften Charakter des Glaubens als Antwort auf die Bestreitung des Anspruchs Jesu.

Dies bedeutet: Wenn Johannes das Glauben als Gnade vorstellt, dann bewegt ihn weniger die Frage, wie es zum Glauben kommen könne, als vielmehr die Frage: wie kommt es zum Unglauben? Diese Verweigerung dem Anspruch des göttlichen Offenbarers gegenüber ist aus dem Handeln bzw. Nichthandeln Gottes selbst zu erklären. Denen, die nicht glauben, ist es nicht von oben gegeben. Dass zugleich in einer anderen Aussagereihe der Unglaube als menschliche Fehlhaltung eingeordnet wird, zeigt: göttliches Handeln und menschliche Schuld können ineinander verwoben sein, ohne dass ein Ausgleich geschaffen wird.

Die besondere Beziehung der Glaubenden zu Gott wird durch ein Schriftzitat unterstrichen. Die prophetische Verheißung, alle würden von Gott gelehrt sein (Jes 54,13 
in 6,45), liefert den Schlüssel für die verlangte Glaubensentscheidung, in der sich das Wirken Gottes äußert. Da allerdings die umfassende Aussage (»alle«) nicht recht passt - szenisch wird ja gerade der Unglaube dargestellt -, fügt Johannes eine Erläuterung an: Es geht nicht, wie in der Jesaja-Stelle, um alle im Gottesvolk, sondern um diejenigen, die zu Jesus kommen (6,45).

Der Evangelist bringt dennoch eine Sicherung ein, die eine unvermittelte Nähe der Glaubenden zu Gott ausschließt. Die Glaubenden können durchaus 
»beim Vater hören« - wenn sie das Wort Jesu hören und annehmen. Sie können ihn aber nicht sehen. Damit wird deutlich auf den Schluss-Satz des Prologs angespielt, der ebenfalls ein Sehen Gottes für alle ausschloss – außer für den, der von ihm aus der himmlischen Welt Kunde gebracht hat (1,18). Für den Gedankengang ergibt sich damit: Dass der Vater wirkt, wenn es zum Glauben kommt (6,44), begründet nicht, dass es am Sohn vorbei zum Glauben kommen könnte.

Im nächsten Abschnitt (6,47-51) wird das Brotwort aus 6,35 noch einmal aufgenommen, aber auch etwas abgewandelt. Zunächst sagt ein Amen-Wort sozusagen im Klartext, worauf das Brotwort zielt: Glaube an Jesus vermittelt ewiges Leben (6,47). Und dies wird dann im Rückgriff auf das Brotwort noch einmal bildlich entfaltet. In der Metaphorik ergibt sich allerdings eine Verschiebung. Erstmals ist jetzt davon die Rede, dass das Lebensbrot gegessen werde. Damit deutet sich wohl noch nicht der eucharistische Sinn an, der ab 6,51c (»Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch, ich gebe es hin für das Leben der Welt«) dominiert. Der Wechsel in der Metaphorik ist vielmehr bedingt durch die Art, wie das Lebensbrot hier mit dem Manna parallelisiert wird. 


Anders als in 6,30-35 ist vom Essen des Manna als Vorgangsbeschreibung die Rede: Die Väter aßen und sind gestorben (6,49). Und entsprechend heißt es dann als Gegensatz: Wer vom Lebensbrot Jesus isst, stirbt nicht (6,50). Da an der früheren Stelle (6,30-35) die personale Wendung auf Jesus hin im Vordergrund steht, entfaltet der dortige  Nachsatz die Bedeutung des Lebensbrotes nicht mithilfe metaphorisch verstandenen Essens, sondern mit Formulierungen, in denen die personale Bindung an Jesus zum Ausdruck kommt (
»zu mir kommen«»an mich glauben«). Aufgrund des dargestellten anderen Kontextes wird in 6,50f »essen« zur Metapher für »glauben«. Bis zum letzten Teil von 6,51 gilt: Nicht die eucharistische Begegnung, sondern die personale Bindung an Jesus vermittelt das Leben, weil sie sich in Jesus an das Leben selbst bindet. Der letzte Abschnitt der Brotrede wird dann das Lebensbrot in eucharistischem Sinn auslegen.

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