Sonntagsevangelium (39)

20. Sonntag im Jahreskreis (B): Joh 6,51-58

Am Ende von 6,51 kommt es innerhalb der Brotrede zu einem grundlegenden Wechsel der Brotmetaphorik. (1) Hieß es bislang, Jesus sei das Brot, so wird nun ohne jede nähere Erläuterung gesagt, er werde dieses Brot geben. Dass er sich als Lebensbrot selbst gebe, ist in der Brotrede bis zu dieser Stelle nicht vorbereitet und würde die bis dahin erkennbare Metaphorik verengen. (2) Nun ist nicht mehr 
»Brot« der prägende Begriff, sondern »Fleisch« und »Blut« des Menschensohnes. Eine innere Verbindung zur Brotrede ergibt sich höchstens in der Gleichsetzung von »Brot« und »Fleisch«; dass man das Blut des Menschensohnes trinken müsse, ist ein neuer Gedanke. (3) War bislang in der Stellung zu Jesus als dem Lebensbrot der Glaube entscheidend, so ist dieses Stichwort im »eucharistischen Abschnitt« (6,51c-58) abwesend. Hier geht es nur um das Essen des Fleisches und Trinken des Blutes. Diese Beobachtungen legen nahe, dass der Abschnitt 6,51c–58 ein späterer Zusatz ist, auf den die Brotrede nicht ursprünglich angelegt ist.

Am Ende von 6,51 wurde also, wahrscheinlich sekundär, das Lebensbrot mit dem Fleisch Jesu identifiziert. Damit ist das Stichwort gegeben, das den letzten Abschnitt der Brotrede bestimmt. Parallel zum Murren in 6,41 ist nun die Rede vom Streiten der Juden. Zwar bleibt die Widerrede relativ zurückhaltend und inszeniert nicht das Erschauern angesichts der Vorstellung, das Fleisch eines Menschen zu essen. Dass aber das zuletzt gesprochene Wort Jesu zurückgewiesen wird, kann nicht zweifelhaft sein. Es handelt sich um ein typisch johanneisches Missverständnis: 
»Die Juden« meinen, Jesus wolle im wörtlichen Sinn sein Fleisch geben: sie erkennen nicht die eucharistische Dimension der Aussage.

Überraschend ist die Ausschließlichkeit, mit der das Leben nun an das Herrenmahl gebunden ist, nicht nur weil dieser Gedanke in solcher Schärfe sonst im Neuen Testament nicht belegt ist: Bislang war in der Brotrede, wie bereits festgestellt, der Glaube entscheidend für den Lebensgewinn (oder das Essen des Lebensbrotes als Metapher für den Glauben). Meist wird angenommen, dass der Evangelist bzw. die spätere Redaktion sich in direkter innerchristlicher Frontstellung befindet: gegen Positionen, die die Eucharistie relativierten. Anders lässt sich der neue Akzent wohl nicht erklären, da auch an späterer Stelle im Johannes-Evangelium nicht mehr auf die Eucharistie eingegangen wird – auch nicht im Rahmen des Abschiedsmahles.

Mit dem Bezug auf die Eucharistie ist zugleich der Tod Jesu eingebracht. Bestärkt wird diese Interpretation durch den Gebrauch des Menschensohn-Titels. Er ist im Johannes-Evangelium besonders mit der
 »Erhöhung« Jesu verbunden – und damit auch mit dem Tod am Kreuz. Dass im Kontext in genau dieser Perspektive vom Menschensohn gesprochen wird (6,61f), passt sich ausgezeichnet in dieser Ausrichtung des Textes ein.

Eigentlich ist mit 6,53 schon alles gesagt: 
»Amen, amen, ich sage euch: Wenn ihr nicht das Fleisch des Menschensohns esst und sein Blut trinkt, so habt ihr kein Leben in euch.« Was folgt, sind Variationen und Entfaltungen des eucharistischen Themas. In einem Fall geht es um Profilierung als Mahl (6,55), ansonsten wird die Eucharistie mit verschiedenen Ausdrucksformen johanneischer Christologie in Verbindung gebracht. Dreimal wird ausgeführt, welche Verheißung dem gilt, der das Fleisch Jesu isst und sein Blut trinkt (beim dritten Mal ist die Parallelität aufgegeben und allein vom Essen die Rede).

Zunächst geht es in 6,54 um die Vermittlung des ewigen Lebens. Was in 6,40 dem ver­heißen wurde, der 
»den Sohn sieht und an ihn glaubt«, gilt nun demjenigen, der »mein Fleisch isst und mein Blut trinkt«»er hat ewiges Leben und ich werde ihn auferwecken am letzten Tag«. Offensichtlich soll die Teilhabe am eucharistischen Leib und Blut Christi zum Glauben als der Voraussetzung für die Gabe des ewigen Lebens hinzutreten. 

In 6,56 wird der Empfang des Herrenmahls mit dem gegenseitigen Ineinandersein verbunden. Dies ist anders als im zuvor behandelten Fall im Kontext nicht vorbereitet. Diese Ausdrucksweise des gegenseitigen Verhältnisses von Jesus und den Glaubenden (und dem Vater) wird erst an späterer Stelle entfaltet – in den Abschiedsreden. Dass es also hier ge­wissermaßen verfrüht kommt, verstärkt den Eindruck des sekundären Charakters unseres Abschnitts: Eigentlich ist diese innige Einheit Sache des 
»Binnenverhältnisses« und deshalb in den Abschiedsreden richtig platziert. Offensichtlich sollte eine bestehende Aussageweise johanneischer Christologie (das durch Christus vermittelte gegenseitige Ineinander­sein von Sohn, Glaubenden und Vater) auch an die Eucharistie gekoppelt werden. 

Zum Dritten wird in 6,57 die Eucharistie mit der Sendung Jesu durch den Vater ver­bunden. Im gesandten Sohn ist das Leben Gottes zugänglich. Er lebt durch den Vater und kann dieses Leben vermitteln.

Die Aussagereihe zu den Verheißungen, die sich mit dem Empfang von Fleisch und Blut des Menschensohnes verbinden, wird in 6,55 unterbrochen durch eine Aussage über jenes Fleisch und Blut. Es wird als 
»wahre Speise« und »wahrer Trank« bestimmt. Dabei dürfte auf die Realität des Essensvorgangs abgehoben sein. Fleisch und Blut des Menschensohnes werden also nicht in einem rein spirituellen Sinn verzehrt, sondern in den eucharistischen Gaben von Brot und Wein. Sie sind wirkliche Speise, wirklicher Trank. Dieser Bezug auf die Realität der Speise schließt andere Nuancen aber nicht aus. Das Attribut kann die Speise auch in dem Sinn als »wahr« bestimmen, dass es sich um eine zuverlässige Speise handelt, die das bewirkt, was Nahrung bewirken soll: sie erhält am Leben. Und das heißt für die Eucharistie: sie vermittelt ewiges Leben. 

Den letzten Vers (6,58) kann man als Resümee der ganzen Brotrede verstehen. Nach dem eucharistischen Exkurs wird Jesus noch einmal als das aus dem Himmel herabgestiegene Brot präsentiert (wie 6,33.38.41.50.51). Dessen Leben schaffende Wirkung wird mit dem Essen der Väter kontrastiert, das deren Tod nicht verhindert hat. In der vorangegangenen Rede kam die Manna-Tradition zur Sprache, zunächst als Bezugspunkt für die an Jesus gerichtete Zeichenforderung (6,30f), dann in Form eines Satzes, auf den sich das Resümee direkt bezieht: 
»Eure Väter haben in der Wüste das Manna gegessen und sind gestorben« (6,49). Dagegen vermittelt das aus dem Himmel herabgestiegene Brot ewiges, unzerstörbares Leben (s. 6,51.58). 

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