Das verweigerte »Interview«

Dass der Einsiedelner Abt Martin Werlen ein Interview mit kath.net verweigert hat, ist von der Redaktion noch einmal aufgegriffen worden. Dabei wurde bekannt, dass die Absage die Rücknahme einer Zusage war. Nun kann man den Ärger der Redaktion über die Absage insofern besser verstehen, als sie sich mit der Vorbereitung des Interviews Arbeit gemacht hat. Noch besser verstehen kann man allerdings angesichts der nun veröffentlichten Fragen die Interview-Absage: Wie auf der Grundlage dieser Fragen ein Gespräch zustandekommen soll, ist ein Rätsel, das die Kommunikationswissenschaft erst noch lösen muss.

Damit es nicht bei der bloßen Behauptung bleibt, übernehme ich hier einmal fiktiv die Beantwortung des vorbereiteten Fragekatalogs. Natürlich weiß ich nicht, wie Abt Werlen geantwortet hätte. Ich bin mir aber recht sicher: Hätte er so geantwortet, wie nachfolgend vorgeschlagen, wäre das Interview auch nicht erschienen.


Dem Zitat der Frage (kursiv gesetzt) folgt jeweils mein Antwortvorschlag; nicht zufällig sind die Antworten häufig kürzer als die Fragen:

1. „Selbstverständlich können wir nicht alle Fragen angehen. Vielleicht nicht einmal die Wichtigsten“, erklären Sie in Ihrer Schrift. Was sind für Sie wirklich die wichtigsten Fragen und warum wurden sie in Ihrer Veröffentlichung nicht thematisiert? 
Eine etwas seltsame Frage, aber immerhin wenigstens eine Frage. Die zitierte Formulierung sollte eine gewisse Unsicherheit anzeigen. Es ist nicht so eindeutig, was die wichtigsten Fragen sind, und möglicherweise sind sie in der Schrift »Miteinander die Glut unter der Asche entdecken« nicht thematisiert. Aber das Phänomen der Uneindeutigkeit ist Ihnen wahrscheinlich fremd.
2. Sie schreiben: „Wer systematisch dafür sorgt, dass Kritiker verstummen…“ Die Realität scheint jedoch heute eine andere zu sein: jeder, der auf die Kirche verbal einschlägt, hat mit fast keinen Konsequenzen zu rechnen, ganz im Gegenteil, der mediale Applaus ist garantiert. 
Daher unsere Frage: Wen meinen Sie hier genau? Und gibt es solche Bestrebungen nicht gerade in den Kreisen, die Sie „ernst zu nehmende Christen“ nennen, innerhalb derer Stimmen, die explizit römisch-katholisch auftreten, gar kein Gehör bekommen oder sogar lächerlich gemacht werden? 
Zunächst eine Rückfrage: Wenn Sie von denen sprechen, die »verbal auf die Kirche einschlagen« - wen meinen Sie hier genau? Dass Anfragen innerkirchlich abgebügelt werden, ist keine Erfahrung, die sich nur Böswillige ausdenken (betrachten Sie einmal die Haltung, die hinter Ihrem 10. Punkt steht). Im Übrigen beginnt hier die Technik, Fragen vorzutäuschen. »Und gibt es solche Bestrebungen nicht gerade in den Kreisen ...?« heißt eigentlich: »Es gibt doch solche Bestrebungen gerade in den Kreisen ...« Schließlich: Wenn »explizit römisch-katholisch« Auftretende lächerlich gemacht werden, ist das natürlich falsch und bedauerlich, aber kein Argument gegen die Kritik an der Ausschaltung innerkirchlicher Reformbemühungen.
3. Sie beklagen die Polarisierung von „konservativ“ und „progressiv“. Doch nach dem medialen Beifall und Lob u.a. von Hans Küng und anderen „Kirchenkritikern“ bleibt die Frage, ob Sie mit Ihrem Text nicht gerade einen tatkräftigen Beitrag zur Polarisierung leisten, indem Sie diese von Ihnen so wahrgenommenen Strömungen recht horizontal und schwarzweiß malen, wenn Sie davon sprechen, dass „Konservative“ „krampfhaft“, mit „Angst“, ohne „Visionen“ und ohne „Kreativität“ handeln. „Progressive“ Menschen dagegen versuchen einfach, „Menschen zu erreichen“?
Das ist keine Frage, sondern der Vorwurf, mein Text leiste einen Beitrag zur Polarisierung. Ich finde es erstaunlich, dass die Rezeption des Textes durch »Kirchenkritiker« als Beleg dafür gesehen wird, dass ich mit meinem Text zur Polarisierung beitrage. Dies ist ein Indiz dafür, wie polarisiert Sie die kirchliche Situation wahrnehmen. Sollten Sie Ihren Punkt wirklich als Frage verstehen, lautet meine Antwort: Nein.
4. Sie fordern in Ihrem Schreiben mehr Demokratie und weniger Hierarchie in der Kirche, Öffnung des Amtes auch für Verheiratete und für Frauen, flexiblere Antworten auf Zeit- und Mainstreamfragen. Die evangelischen Christen haben vieles davon, dass es dort besser läuft, lässt sich jedoch kaum behaupten. In der letzten EKD-Synode beklagten sich mehrere Delegierte über eine zunehmende Aggression allen christlichen Inhalten gegenüber. Zudem kämpfen gerade auch die evangelischen Christen mit hohem Mitgliederschwund und einer stark rückgehenden Zahl von Theologiestudentinnen und –studenten. Ist hier bei unseren Geschwistern ebenfalls alles „Asche“?
Die Situation in der evangelischen Kirche zu beurteilen ist nicht meine Aufgabe. Aber möglicherweise wollen Sie das auch gar nicht wissen. Vielleicht lesen Sie sich Ihre Frage noch einmal durch und klären dann, was Sie fragen wollen.
5. Sie kritisieren Papst Benedikt XVI., weil er den von den deutschen Bischöfen initiierten Dialogprozess bei seinem Deutschlandbesuch im September 2011 „weder angesprochen noch dazu ermutigt hat“. Es gehe aber darum, so formulieren Sie, dass man „miteinander – alle Getauften – um den richtigen Weg“ ringe. Während aber der Dialog mit progressiven Bereichen und Randbereichen gesucht wird, äußern jene Katholiken des gesamten deutschen Sprachraums, die Sie mit dem Begriff „konservativ“ zusammenfassen, eine wachsende Frustration darüber, dass sie in diesen Dialog nicht mit eingebunden werden und ihr Recht auf Meinungsäußerung mühsam erkämpfen müssen. Was sagen Sie dazu? 
Sie wollten Fragen zu meinem Text stellen. Jetzt fragen Sie, was ich zu Ihrer Einschätzung sage, unter den »Konservativen« mache sich Frustration über die mangelnde Einbindung in den Dialogprozess breit. Wenn diese Schilderung zutrifft und die »explizit Römisch-Katholischen« wirklich einen Dialog führen wollen, dann müsste die Durchführung des Dialogprozesses überdacht werden. Die Beurteilung des Umstands, dass der Papst den Vorgang ganz übergangen hat, ändert sich dadurch aber nicht.
6. Nochmals zum Papst. Sie schreiben: „Es gibt kirchliche Kreise, in denen alles, was der Papst sagt oder tut, nur gelobt werden darf. Sie sind darin päpstlicher als der Papst“. Mal ehrlich: Glauben Sie wirklich, dass dies wirklich ein ernsthaftes Problem jener Kirche ist, in der sich seit Jahren bekannte „Traditionalisten“ und „Progressive“ wie „Wir sind Kirche“ gerne durch ihre Anti-Rom- und Anti-Papst-Haltung profilieren? Sind Menschen, die treu und vernünftig zu Papst und Kirche stehen, nicht eher Mangelware? 
Wieder so eine Pseudo-Frage. Sie tun Ihre Meinung kund, das Problem der Kirche sei die weit verbreitete Haltung gegen Papst und Rom, und treu und vernünftig zur Kirche stehende Katholiken seien Mangelware. Die Formulierung »Mal ehrlich: Glauben Sie wirklich, dass ...« unterstellt, man könne ernsthaft meiner Meinung gar nicht sein. Übrigens fühle ich mich aus der Gruppe der »treu und vernünftig zu Papst und Kirche« stehenden Menschen gar nicht ausgeschlossen.
7. Sie möchten die Mitbestimmung der Diözese bei der Wahl eines Bischofs? Meinen Sie ernsthaft, dass dies zum Wohle der Kirche ist, wenn dann – von Medien angefeuert – jener Kandidat Bischof wird, der möglichst am beliebtesten ist? Ist so eine Forderung nicht unrealistischer Populismus?
Ich meine tatsächlich ernsthaft, was ich sage, frage aber einmal zur Verdeutlichung Ihres Fragestils in derselben Weise zurück: »Meinen Sie ernsthaft, dass es zum Wohl der Kirche ist, wenn – von Intrigen in der Kurie gesteuert – jener Kandidat Bischof wird, der möglichst am stromlinienförmigsten ist? Ist so eine Forderung nicht erbärmliche Kriecherei?« Vielleicht merken Sie, dass es so unmöglich ist, ein Gespräch zu führen.
8. Sie sprechen von einem dramatischen Rückgang der Priesterberufe. Fakt ist aber, dass die römisch-katholische Kirche eine Weltkirche ist und es weltweit mehr als 410.000 katholische Priester gibt, deren Zahl jedes Jahr global ansteigt. Auch bei uns gibt es – insbesondere bei Klöstern und Orden, die treu zur römisch-katholischen Kirche stehen – genügend Seminaristen. Warum wollen Sie hier nicht etwas über den Tellerrand der Schweiz hinaussehen?
Auch wenn ich tausend Kilometer über den »Tellerrand der Schweiz« hinausschaue, sehe ich keine Anzeichen einer Priesterschwemme. Die Probleme in Ortskirchen lassen sich nicht mit Blick auf globale Zahlen relativieren.
9. Sie behaupten, dass sich die Kirche mit dem „Ja zur Frau“ immer noch schwer tue und sich in der Geschlechterfrage unbeholfen und ratlos zeige. Doch wird beispielsweise die Ausbildung für die Berufe Pastoralreferentin und Gemeindereferentin kirchlicherseits intensiv gefördert und beworben. Warum zählt bei Ihnen dieses hauptamtliche, gut qualifizierte und deshalb auch gut entlohnte Engagement von vielen Frauen so wenig? 
Darauf muss man erst einmal kommen: die Forderung nach größerer Beteiligung von Frauen in der Kirche als Geringschätzung der von Frauen geleisteten Arbeit zu deuten. Die Logik, die hier am Werke ist, müsste den Arbeitnehmer, dem gerade eine Beförderung und Lohnerhöhung angeboten wurde, zurückfragen lassen: »Chef, warum sind Sie mit meiner Arbeit unzufrieden?«
10. Spätestens mit dem Erscheinen des Apostolischen Schreibens „Ordinatio sacerdotalis“ (1994) über die „nur Männern vorbehaltene Priesterweihe“ ist das Thema der Frauenpriesterweihe eindeutig geklärt. Der Papst hatte erläutert, dies sei keine rein disziplinäre Frage: „Damit also jeder Zweifel bezüglich der bedeutenden Angelegenheit, die die göttliche Verfassung der Kirche selbst betrifft, beseitigt wird, erkläre ich kraft meines Amtes, die Brüder zu stärken (vgl. Lk 22,32), daß die Kirche keinerlei Vollmacht hat, Frauen die Priesterweihe zu spenden, und daß sich alle Gläubigen der Kirche endgültig an diese Entscheidung zu halten haben“. 
Frage: Warum relativieren Sie diese höchste Ausübung des päpstlichen Lehramts mit der Frage: „Ist das Geschlecht der Person je eine Glaubensfrage? Gehört das zum unveränderbaren Glaubensgut?“ und warum wollen Sie hier nicht die klare Lehre der Kirche zur Kenntnis nehmen?

Die Frage »warum wollen Sie hier nicht die klare Lehre der Kirche zur Kenntnis nehmen?« meint eigentlich: »Jetzt nehmen Sie doch endlich die klare Lehre der Kirche zur Kenntnis!« Möglicherweise liegt in solcher Haltung der Grund dafür, dass die »explizit römisch-katholisch« Auftretenden im Dialogprozess einen schweren Stand haben. Über die Klarheit der »klaren Lehre der Kirche« kann man mitunter streiten. Was würde es bedeuten, wenn sich die Kontinuität der Überlieferung seit den Ursprüngen nicht ganz so eindeutig nachweisen lässt, wie in Ordinatio sacerdotalis vorausgesetzt? Wie auch immer - der Verzicht darauf, uns die »klare Lehre« um die Ohren zu hauen, scheint mit zukunftsträchtiger und muss nicht als mangelnder Respekt vor dem Lehramt betrachtet werden. 
11. Abschließende Frage: Sie haben sehr viele Fähigkeiten, die Sie ja auch medial einsetzen. Doch hat man das Gefühl, dass Sie Ihre Fähigkeiten in den letzten Jahren vor allem dann verwenden, wenn es darum geht, der Kirche etwas auszurichten oder auch die Lehre der Kirche in Frage zu stellen und zu relativieren. Aber warum erklären Sie den Menschen nicht die wunderbare Frohbotschaft der Kirche, aber ohne Wenn und Aber?
Natürlich weil ich ein Evangeliums-Verkürzer und ein Wenn-und Aber-Liebhaber bin! Im Ernst: Was erwarten Sie als Antwort auf eine solche »Frage«? Das war jetzt wieder eine Frage in Ihrem Stil, ich erwarte keine Antwort, denn eigentlich ist meine Botschaft: Wenn wir so miteinander reden, kommen wir nicht ins Gespräch. 

Zum Schluss


Soweit die notwendigerweise fiktive Unterhaltung. Das Erstaunlichste an dem Vorgang ist, dass die Redaktion sich der Illusion hingibt, sie hätte
»versucht, mit Abt Werlen ein sachbezogen-kritisches Interview über seine Schrift zu machen« (s. hier am Ende des Beitrags). 
Na gut, versucht hat man es, ist aber an der Formulierung der Fragen gescheitert. Dass der Abt für eine Interview-Simulation nicht zur Verfügung stand, ist ihm nicht zu verdenken.

Kommentare

deep thought hat gesagt…
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Volker Schnitzler hat gesagt…
Bravo! Sie haben die manipulativ-arroganten Fragestellungen präzise aufgedeckt!
Ameleo hat gesagt…
Wo ist der "like!"-Button? Danke!
Teresa_von_A. hat gesagt…
danke für die antworten. gute laune am frühen morgen.

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