Die Simulation eines Faktenchecks
Zum Jahr des Glaubens haben Peter Seewald und Bischof Gregor Maria Hanke in Kooperation mit L'Osservatore Romano ein Magazin mit dem Titel »Credo« herausgegeben, das großen überregionalen Zeitungen beiliegt und auch online verfügbar ist. In ihm findet sich ein Beitrag mit dem Titel »Jesus: Der Faktencheck« (S.37). Er soll klären, ob »wir wirklich so wenige historisch gesicherte Fakten [haben], wie Kritiker behaupten«. Als zweite Frage soll in den Text ziehen: »Stimmt es, dass die Evangelien immer wieder verändert und manipuliert wurden?« Wenn diese Fragen auf einer halben Heftseite abgehandelt werden, kann man sich von vornherein auf eine eher vereinfachte Beantwortung einstellen. Diese Erwartung wird auf unerfreuliche Weise nicht enttäuscht.
Die dritte Frage, von der zweiten nur schwer abgrenzbar, richtet sich auf die Authentizität der Aufzeichnungen. Dass diese schon zu Lebzeiten Jesu einsetzten, lässt sich, was die Schriftlichkeit betrifft, kaum »mit hoher Wahrscheinlichkeit« festhalten. Grob irreführend ist die Auskunft, eine Abfassungszeit der synoptischen Evangelien »zwischen Anfang der Vierziger- und Ende der Sechzigerjahre« gelte »in der Wissenschaft heute als weitgehend anerkannt«. Damit stehen wir vor einem semantischen Verwirrspiel: Wenn die Begriffe Wissenschaft und weitgehend auch nur annähernd im üblichen Sinn gebraucht sind, scheint Faktencheck soviel wie Märchenstunde zu bedeuten; ist damit aber soviel wie Überprüfung von Tatsachen gemeint, müssen Wissenschaft und/oder weitgehend eine Bedeutung haben, die im Wörterbuch nicht aufzufinden ist. Es ist keine übertrieben kleinliche Forderung, die tragenden Wörter einer Aussage nicht mit Privatbedeutungen zu versehen. Dann ist »in der Wissenschaft weitgehend anerkannt«, dass die Evangelien ungefähr im letzten Viertel des ersten Jahrhunderts entstanden sind (Mk als ältestes Evangelium um 70; zur Datierungsfrage äußert sich in Reaktion auf den Faktencheck ausführlicher Volker Schnitzler in seinem Blog).
Aber warum sich mit Fragen aufhalten, wenn man Antworten dekretieren kann? An den Unterschieden »zwischen christlichem und historischem Jesusbild« arbeitet sich die historische Jesusforschung seit gut 200 Jahren ab, offensichtlich ganz überflüssigerweise, denn: »Der Jesus des Glaubens ist auch der historische Jesus. Es gibt keine 'Formung' der Botschaft Jesu in dritter oder vierter Generation.« Hätte es das Credo-Magazin doch nur viel früher gegeben, wieviel Mühe hätte man sich sparen können! Jedenfalls dann, wenn man sich von den geworfenen Nebelkerzen beeindrucken lässt. »Die Mitteilung über Tod und Auferstehung Jesu reicht unmittelbar an das Datum der Passion Jesu heran.« Das ist richtig, aber für die Frage nach dem Verhältnis von verkündigendem Jesus und verkündigtem Jesus Christus irrelevant.
Ähnliches gilt für die Beobachtung, die Archäologie habe noch nichts zutage gefördert, »was in eindeutigem Widerspruch zur Bibel stand« (Zitat des Archäologen John McRay). Für die Bibel im Ganzen ist das sicher falsch, aber das ist hier nicht der entscheidende Punkt. Die Aussage suggeriert im gebotenen Kontext, dass die Darstellung der Evangelien durch die Archäologie historisch bestätigt werde, wenn nichts gefunden würde, was dieser Darstellung widerspricht. Das ist offensichtlich Unsinn. Im Fall der Evangelien ist es zudem von der Eigenart der Texte her gewöhnlich gar nicht möglich, durch archäologische Funde die Historizität der Erzählungen zu widerlegen. Ein solches Projekt erforderte ein nicht geringes Maß an Phantasie, etwa im Fall der Speisung der 5000: »Unterirdische Bäckerei in Galiläa ausgegraben: Rätsel der Brotvermehrung gelöst«; oder der Auferweckung des Lazarus: »Feuerstelle im Lazarusgrab: der Freund Jesu war gar nicht tot«, oder der Heilung des Blindgeborenen: »Jerusalemer Erde ungeeignet für die Herstellung eines Teigs durch Vermischung mit Speichel: Joh 9,1-7 ist unhistorisch«; oder der Heilung des Bartimäus: »der von Bartimäus weggeworfene Mantel (Mk 10,50) ist in der Nähe von Jericho unauffindbar«. Der Trick des Faktenchecks besteht darin, eine in sich richtige Aussage (»archäologische Funde widersprechen nicht den Evangelien«) als Argument für eine andere erscheinen zu lassen (»die Evangelien sind historisch zuverlässige Dokumente«).
Im letzten Schritt wird dann die unveränderte Überlieferung der Evangelien durch die Zeit festgestellt: »Wurden die Evangelien im Laufe der Jahrhunderte modifiziert oder manipuliert?« Sofern es darum geht, den Text der Evangelien (oder des ganzen Neuen Testaments) als gesichert darzustellen, kann man die Frage mit Recht verneinen. Der Faktencheck vermittelt freilich den Eindruck, dass damit die historische Zuverlässigkeit der Evangelien bestätigt wird. Nach allem, was gesagt wurde, sollen die Leser aus der »etwa 99,5 prozentigen Übereinstimmung mit den Ursprungstexten« denselben Grad des historischen Werts der Evangelien erschließen.
Dass Kritik an der Kirche nicht selten an der historischen Jesusforschung ansetzt, mag eine Verteidigungshaltung befördern, die die historische Rückfrage zurückweist. Dies ist aber eine kurzsichtige Strategie: Sie verstärkt gerade den (unbegründeten) Verdacht, der christliche Glaube hänge daran, dass es keine Unterschiede zwischen dem historischen Jesus und dem Christus des Glaubens geben dürfe. Wer sich »an die Ränder bewegen möchte« (so Peter Seewald im Vorwort, im Anschluss an Papst Franziskus), tut gut daran, bestehende Fragen nicht einfach abzubügeln. All diejenigen, die auch nur ein wenig von historischer Jesusforschung gehört haben, werden sich durch diesen »Faktencheck« weniger zum »Licht der Welt« (Joh 8,12) als hinters Licht geführt fühlen.
Die erste Frage lautet: »Welche Dokumente stehen zur Verfügung?« Bezug genommen wird auf »mannigfaltige außerbiblische Texte«. Mit »außerbiblisch« ist anscheinend »außerchristlich« gemeint; jedenfalls spielen im Folgenden allein nichtchristliche Zeugnisse eine Rolle. Diese schlössen Zweifel an der Existenz Jesu und seiner Verehrung als Messias aus. Zwar sind die nichtchristlichen Zeugnisse keineswegs »mannigfaltig« (heißt es deshalb zu Beginn trickreich »außerbiblisch«?), aber das Urteil trifft zweifellos zu: Die Existenz Jesu und seine christliche Verehrung sind historisch sicher verbürgt – im Übrigen auch ohne die nichtchristlichen Zeugnisse. Abgeschlossen wird die Antwort durch den Hinweis auf »rund 30 000 historische Fragmente der Schriften des Neuen Testaments«. Damit soll wohl die handschriftliche Überlieferung des Neuen Testaments gekennzeichnet werden (die allerdings nicht nur aus Fragmenten besteht). Was an den Fragmenten »historisch« ist, bleibt unklar. Soll betont werden, dass die Fragmente alt sind (eine Selbstverständlichkeit), oder soll suggeriert werden, ihr Inhalt sei historisch zuverlässig? Und wie kommt man auf die Zahl von 30.000? Wie auch immer – der Hinweis auf die Menge von neutestamentlichen Handschriften liegt auf einer ganz anderen Ebene als derjenige auf nichtchristliche Autoren. Die große Zahl ist bedeutend für Textkritik und Textgeschichte, sie sagt etwas aus über die Wertschätzung des Textes. Für einen Faktencheck zum historischen Jesus ist sie unerheblich.
»Wie glaubwürdig ist das Zeugnis der Evangelien?« So lautet die zweite Frage. Die Antwort orientiert sich an altkirchlichen Zeugnissen über die Verfasser der Evangelien: Augenzeugen oder Mitarbeiter von Augenzeugen. Es wird allerdings behauptet, eine »kritische Überprüfung« führe zu diesem Ergebnis – als würde nicht gerade die seit längerer Zeit stattfindende kritische Überprüfung Zweifel an der traditionellen Sicht begründen. Dass zwei der angeblichen Augenzeugen (Matthäus und Johannes) ein so unterschiedliches Bild von Botschaft und Wirken Jesu zeichnen, erscheint nicht als Anfrage an diese Sicht. Vielmehr weiß man, dass die Evangelisten »nicht nur eigenes Erleben berichtet, sondern auch frühe Texte ausgewertet und Zeugen befragt [haben], ohne dabei aus Angst vor Widersprüchen die Botschaft zu entschärfen«. Ein netter Versuch, das Problem der Widersprüche dadurch zu verschleiern, dass man sie der Schärfe der Botschaft zuordnet. Inwiefern hier ein Zusammenhang bestehen soll, bleibt allerdings dunkel. Außerdem wird behauptet, die überlieferten Details stimmten mit den historischen Realitäten überein. Das lässt sich leicht sagen, solange man den Beweis für eine derart pauschale Aussage nicht antritt. Wer als Bestätigung ein Zitat von Marie-Joseph Lagrange anführt, sollte den Lesern nicht vorenthalten, dass dieser gewiss verdienstvolle katholische Exeget in den Zeiten des Antimodernismus gearbeitet hat und nicht als Repräsentant des heutigen Forschungsstandes gelten kann (Todesjahr: 1938).
»Wie glaubwürdig ist das Zeugnis der Evangelien?« So lautet die zweite Frage. Die Antwort orientiert sich an altkirchlichen Zeugnissen über die Verfasser der Evangelien: Augenzeugen oder Mitarbeiter von Augenzeugen. Es wird allerdings behauptet, eine »kritische Überprüfung« führe zu diesem Ergebnis – als würde nicht gerade die seit längerer Zeit stattfindende kritische Überprüfung Zweifel an der traditionellen Sicht begründen. Dass zwei der angeblichen Augenzeugen (Matthäus und Johannes) ein so unterschiedliches Bild von Botschaft und Wirken Jesu zeichnen, erscheint nicht als Anfrage an diese Sicht. Vielmehr weiß man, dass die Evangelisten »nicht nur eigenes Erleben berichtet, sondern auch frühe Texte ausgewertet und Zeugen befragt [haben], ohne dabei aus Angst vor Widersprüchen die Botschaft zu entschärfen«. Ein netter Versuch, das Problem der Widersprüche dadurch zu verschleiern, dass man sie der Schärfe der Botschaft zuordnet. Inwiefern hier ein Zusammenhang bestehen soll, bleibt allerdings dunkel. Außerdem wird behauptet, die überlieferten Details stimmten mit den historischen Realitäten überein. Das lässt sich leicht sagen, solange man den Beweis für eine derart pauschale Aussage nicht antritt. Wer als Bestätigung ein Zitat von Marie-Joseph Lagrange anführt, sollte den Lesern nicht vorenthalten, dass dieser gewiss verdienstvolle katholische Exeget in den Zeiten des Antimodernismus gearbeitet hat und nicht als Repräsentant des heutigen Forschungsstandes gelten kann (Todesjahr: 1938).
Die dritte Frage, von der zweiten nur schwer abgrenzbar, richtet sich auf die Authentizität der Aufzeichnungen. Dass diese schon zu Lebzeiten Jesu einsetzten, lässt sich, was die Schriftlichkeit betrifft, kaum »mit hoher Wahrscheinlichkeit« festhalten. Grob irreführend ist die Auskunft, eine Abfassungszeit der synoptischen Evangelien »zwischen Anfang der Vierziger- und Ende der Sechzigerjahre« gelte »in der Wissenschaft heute als weitgehend anerkannt«. Damit stehen wir vor einem semantischen Verwirrspiel: Wenn die Begriffe Wissenschaft und weitgehend auch nur annähernd im üblichen Sinn gebraucht sind, scheint Faktencheck soviel wie Märchenstunde zu bedeuten; ist damit aber soviel wie Überprüfung von Tatsachen gemeint, müssen Wissenschaft und/oder weitgehend eine Bedeutung haben, die im Wörterbuch nicht aufzufinden ist. Es ist keine übertrieben kleinliche Forderung, die tragenden Wörter einer Aussage nicht mit Privatbedeutungen zu versehen. Dann ist »in der Wissenschaft weitgehend anerkannt«, dass die Evangelien ungefähr im letzten Viertel des ersten Jahrhunderts entstanden sind (Mk als ältestes Evangelium um 70; zur Datierungsfrage äußert sich in Reaktion auf den Faktencheck ausführlicher Volker Schnitzler in seinem Blog).
Aber warum sich mit Fragen aufhalten, wenn man Antworten dekretieren kann? An den Unterschieden »zwischen christlichem und historischem Jesusbild« arbeitet sich die historische Jesusforschung seit gut 200 Jahren ab, offensichtlich ganz überflüssigerweise, denn: »Der Jesus des Glaubens ist auch der historische Jesus. Es gibt keine 'Formung' der Botschaft Jesu in dritter oder vierter Generation.« Hätte es das Credo-Magazin doch nur viel früher gegeben, wieviel Mühe hätte man sich sparen können! Jedenfalls dann, wenn man sich von den geworfenen Nebelkerzen beeindrucken lässt. »Die Mitteilung über Tod und Auferstehung Jesu reicht unmittelbar an das Datum der Passion Jesu heran.« Das ist richtig, aber für die Frage nach dem Verhältnis von verkündigendem Jesus und verkündigtem Jesus Christus irrelevant.
Ähnliches gilt für die Beobachtung, die Archäologie habe noch nichts zutage gefördert, »was in eindeutigem Widerspruch zur Bibel stand« (Zitat des Archäologen John McRay). Für die Bibel im Ganzen ist das sicher falsch, aber das ist hier nicht der entscheidende Punkt. Die Aussage suggeriert im gebotenen Kontext, dass die Darstellung der Evangelien durch die Archäologie historisch bestätigt werde, wenn nichts gefunden würde, was dieser Darstellung widerspricht. Das ist offensichtlich Unsinn. Im Fall der Evangelien ist es zudem von der Eigenart der Texte her gewöhnlich gar nicht möglich, durch archäologische Funde die Historizität der Erzählungen zu widerlegen. Ein solches Projekt erforderte ein nicht geringes Maß an Phantasie, etwa im Fall der Speisung der 5000: »Unterirdische Bäckerei in Galiläa ausgegraben: Rätsel der Brotvermehrung gelöst«; oder der Auferweckung des Lazarus: »Feuerstelle im Lazarusgrab: der Freund Jesu war gar nicht tot«, oder der Heilung des Blindgeborenen: »Jerusalemer Erde ungeeignet für die Herstellung eines Teigs durch Vermischung mit Speichel: Joh 9,1-7 ist unhistorisch«; oder der Heilung des Bartimäus: »der von Bartimäus weggeworfene Mantel (Mk 10,50) ist in der Nähe von Jericho unauffindbar«. Der Trick des Faktenchecks besteht darin, eine in sich richtige Aussage (»archäologische Funde widersprechen nicht den Evangelien«) als Argument für eine andere erscheinen zu lassen (»die Evangelien sind historisch zuverlässige Dokumente«).
Im letzten Schritt wird dann die unveränderte Überlieferung der Evangelien durch die Zeit festgestellt: »Wurden die Evangelien im Laufe der Jahrhunderte modifiziert oder manipuliert?« Sofern es darum geht, den Text der Evangelien (oder des ganzen Neuen Testaments) als gesichert darzustellen, kann man die Frage mit Recht verneinen. Der Faktencheck vermittelt freilich den Eindruck, dass damit die historische Zuverlässigkeit der Evangelien bestätigt wird. Nach allem, was gesagt wurde, sollen die Leser aus der »etwa 99,5 prozentigen Übereinstimmung mit den Ursprungstexten« denselben Grad des historischen Werts der Evangelien erschließen.
Dass Kritik an der Kirche nicht selten an der historischen Jesusforschung ansetzt, mag eine Verteidigungshaltung befördern, die die historische Rückfrage zurückweist. Dies ist aber eine kurzsichtige Strategie: Sie verstärkt gerade den (unbegründeten) Verdacht, der christliche Glaube hänge daran, dass es keine Unterschiede zwischen dem historischen Jesus und dem Christus des Glaubens geben dürfe. Wer sich »an die Ränder bewegen möchte« (so Peter Seewald im Vorwort, im Anschluss an Papst Franziskus), tut gut daran, bestehende Fragen nicht einfach abzubügeln. All diejenigen, die auch nur ein wenig von historischer Jesusforschung gehört haben, werden sich durch diesen »Faktencheck« weniger zum »Licht der Welt« (Joh 8,12) als hinters Licht geführt fühlen.
Kommentare
Siehe auch den Kommentar zu Ihrem Kommentar
in "NUR EIN KREUZKNAPPE"
Können Sie das präzisieren? Mir ist bekannt, dass Jesu Lehre den Anbruch des Gottesreichs verkündete; nach Ostern wurde darüber hinaus Jesus selbst zum Glaubensinhalt der Christen.
Dass es da zu Unterschieden gekommen ist, ist für mich absolut nachvollziehbar. Gleichzeitig ist es ja ein Fundament des christlichen Glaubens, dass sich in diesem Jesus von Nazaret (eben aus christlicher Sicht dem Christus) Gott in der Geschichte offenbart hat. Die oben zitierte Bemerkung habe ich aber (wohl fälschlicherweise) erst so aufgefasst, dass die Unterschiede zwischen historischem Jesus und dem Christus des Glaubens beliebig groß sein dürfen, was dem Offenbarungscharakter widersprechen würde. Können Sie die zitierte Passage etwas genauer erläutern?
Ich glaube, Sie haben in diesem Blog bereits einmal erwähnt, es gebe Unterschiede, aber nicht (zwangsläufig?) Widersprüche. Ist das Zitat so gemeint?
Ich hoffe, Ihre Frage in dem heutigen Beitrag beantwortet zu haben. Sie müssen aber bis kurz vor Schluss durchhalten: http://www.lectiobrevior.de/2013/07/noch-einmal-der-credo-faktencheck.html