Sonntagsevangelium (119)

1. Fastensonntag (A): Mt 4,1-11

Die Versuchungsgeschichte knüpft unmittelbar an die zuvor geschilderte Offenbarungsszene an: Der auf Jesus herabgekommene Geist (3,17) führt ihn in die Wüste. Matthäus bietet eine Fassung dieser Erzählung, die in vielem parallel läuft zu Lk 4,1-13. Der markanteste Unterschied liegt in der Abfolge der zweiten und dritten Versuchung. Wahrscheinlich hat Lukas wegen seines Interesses an Jerusalem und dem Tempel die Reihe der Versuchungen dort enden lassen. Auch passt besser in die Dramaturgik sich steigernder Versuchungen, dass der Versucher wie bei Matthäus erst am Schluss zu seiner Verehrung auffordert. 

Die einzelnen Versuchungen sind nach demselben Schema aufgebaut: (1) Der Teufel, wie eine gewöhnliche Erzählfigur eingebracht, handelt: Er tritt heran, nimmt Jesus mit nach Jerusalem oder auf einen Berg. (2) Er fordert Jesus zu einer Handlung auf: Steine zu Brot werden zu lassen, sich vom Tempel hinabzustürzen, den Teufel zu verehren. (3) Jesus weist dies jeweils mittels eines Zitats aus dem Buch Deuteronomium ab.

Bei seinem ersten Auftreten in 4,3 wird der Teufel über seine Tätigkeit in den folgenden Szenen eingeführt: als Versucher, als derjenige, der Jesus auf die Probe stellt. Um wen es sich handelt, ist den Lesern der Geschichte klar (s. 4,1 »... um vom Teufel auf die Probe gestellt zu werden«), nicht aber der Erzählfigur Jesus, die erst in der dritten Szene den Versucher identifiziert.

Die erste Versuchung besteht darin, dass Jesus seine Vollmacht als Sohn Gottes einsetzt, um sich aus der Situation des Mangels zu befreien. Jesu Entgegnung (»Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt«: 4,4) ist wohl nicht so zu verstehen, dass der Gehorsam dem Wort Gottes gegenüber wichtiger sei als die Suche nach materieller Nahrung, sondern: Gott hat die Macht, den Menschen auch ohne Brot am Leben zu erhalten. Dieses Verständnis liegt auf der ursprünglichen Sinnlinie des Spruches (Dtn 8,3) und wird vor allem durch den Kontext des Matthäus-Evangeliums gestützt. Dies gilt zum Ersten in einem weiteren Sinn: Dem Vorschlag des Teufels zu folgen hieße, das Vertrauen auf Gott preiszugeben, der weiß, was die Menschen brauchen (Mt 6,25-34). Dies gilt zum Zweiten auch im Rahmen der Versuchungsgeschichte: Jesus, der die Versuchungen bestanden hat, wird von Engeln bedient (4,11) – ein Hinweis auf die Versorgung mit Nahrung.

Dass Jesus seine Vollmacht nicht für sich selbst einsetzt, sondern für andere, erscheint in der Kreuzigungsszene in signifikanter Verbindung mit dem Gottessohn-Titel, wenn auch gebrochen durch die Verspottung des Gekreuzigten (27,40.42: »rette dich, wenn du der Sohn Gottes bist ... andere hat er gerettet, sich selbst kann er nicht retten«). Das Bestehen der ersten Versuchung weist voraus auf das Wirken Jesu als eines Einsatzes für andere – bis hin zum Lebenseinsatz.

Der Tempel ist als Ort der zweiten Versuchung wohl deshalb gewählt, weil er mit der Vorstellung der Gegenwart Gottes verbunden ist. Es geht in der Versuchung ja um die Frage von Gottes Schutz für seinen Sohn. Der Teufel zitiert nun selbst die Schrift (Ps 91,11f), jedoch unangemessen. Was falsch ist an seiner Aufforderung, ergibt sich aus der Antwort Jesu: Eine Situation herbeizuführen, in der Gott die Gültigkeit der Verheißung des Schutzes für seinen Sohn beweisen müsste, heißt, Gott auf die Probe zu stellen. Matthäus macht durch Verknüpfungen zur Passionsgeschichte deutlich, dass ein solches Tun für den nicht angemessen sein kann, dessen Weg nach Gottes Willen ans Kreuz führt (s. 26,53f). Auch hier führt wieder eine Spur in die Kreuzigungsszene: Diejenigen, die den Gekreuzigten verspotten, meinen, als Sohn Gottes hätte Jesus Anspruch auf Gottes Eingreifen (27,43). Der in der zweiten Versuchung vorgebrachte Gedanke würde deutlich der Passion widersprechen. 

Die dritte Versuchung ist anders strukturiert als die ersten beiden. Der Teufel macht Jesus ein Angebot und knüpft dies an die Erfüllung einer Forderung. Dass der Teufel weltliche Herrschaft verleihen kann, ist ein Gedanke, der aus der Apokalyptik bekannt ist: Gott lässt die Macht des Bösen gewähren für eine bestimmte Zeit. Satans Forderung offenbart die Tiefendimension der vorherigen Versuchungen: Es ging darum, den Sohn Gottes aus seiner Verbindung mit Gott zu lösen. Jetzt spielt der Versucher mit offenen Karten und wird von Jesus auch als Satan identifiziert. Mit der Verheißung der Macht provoziert Satan den offenen Abfall des Gottessohnes von Gott.

Verbindungen ergeben sich vor allem zu zwei Stellen. (1) In 16,23  weist Jesus den Einspruch des Petrus gegen die Passion mit denselben Worten ab wie in 4,10: »Geh weg, Satan!« Satan bietet also Herrschaft am Kreuz vorbei an. (2) Durch den Bezug auf das Thema der Herrschaft wird eine Verbindung zu 28,18  hergestellt, wo der Auferstandene sagt, ihm sei alle Macht im Himmel und auf der Erde gegeben. Es wird in der dritten Versuchung also nicht einfach der Gehalt der zweiten wiederholt, sondern das Passionsthema überstiegen im Blick auf die Auferstehung. Indem Jesus das Angebot Satans zurückweist, bejaht er seinen Weg durch das Leiden zur Herrlichkeit des erhöhten, bevollmächtigten Herrn. Die Zurückweisung des Angebots geschieht mit dem Grundbekenntnis Israels (Dtn 6,13), auf das hin der Satan weichen muss.

Die Engel, deren Sendung Jesus in der zweiten Versuchung nicht provoziert hat, kommen nach dem Verschwinden des Versuchers (4,11). Das Vertrauen auf Gott, das sich im Widerspruch gegen die satanischen Versuchungen geäußert hat, läuft nicht ins Leere – zugleich ein Hinweis auf das Geschick Jesu in der Auferweckung. 

Kommentare

Gerhard Mentzel hat gesagt…
Sehr geehrter Herr Prof. Häfner,

ich möchte nicht lästig werden. Doch auch in diesem Texte drängt sich auf, dass Matthäus nicht von einem Heilsprediger handelt, wie er heute als historisch gilt.

Auch hier beschreibeit Mattäus keinen fiktiven Dialog eines jungen Juden mit dem Teufel, sondern die damals definierten Vernunft allen Werdens, die als schöpferische Wirklichkeit verstanden wurde, Wort war: Josua, gr. Jesus.

Auch der hier beschriebene Dialog lässt sich theologisch-philosophisch von Vernunft ausgehend verstehen bzw. erklären. Der, zu dem heute der historische Jesus reduziert wird, der kommt an keiner Stelle des NT vor.


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