Linzer Literarkritik

Zu den Methoden der Exegese gehört die Literarkritik. In diesem Schritt wird die Kohärenz eines Textes untersucht und der Blick auf Spannungen, Brüche, Widersprüche, Wiederholungen gerichtet. Erweist sich der Text als einheitlich oder lassen sich verschiedene Schichten in ihm erkennen? Wendet man diese Methode auf die Meldung von kath.net zum Abschlussdokument der Bischofssynode an, müsste man nicht wissen, dass Überschriften immer Sache der Redaktion sind, um die Schichtung des Textes zu erkennen. Man fragt sich sogar, ob die Überschrift über dem richtigen Text steht. Sie lautet (s. hier):
»Roma locuta - Die Synode sagt Nein!« 
Zu was die Synode »nein« sagt, wird dann im Vorspann zur Meldung ausgeführt:
»zu einer liberaleren Linie beim Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen und Homosexualität«. 
Liest man den Text weiter, erfährt man:
»In der Abstimmung über das Abschlussdokument verfehlten die betreffenden Passagen des Textes am Samstagnachmittag die erforderliche Zweidrittelmehrheit«. (Hervorhebung von mir)

Das als ein »Nein« zu interpretieren erinnert an einen Witz aus Zeiten der Sowjetunion, nach dem das Ergebnis eines Zweikampfs zwischen Leonid Breschnjew und Jimmy Carter, der zugunsten des amerikanischen Präsidenten ausging, folgendermaßen mitgeteilt wurde. »Bei einem internationalen Wettkampf belegte Breschnjew einen ehrevollen zweiten Platz, Carter wurde Vorletzter«. Die Synode hat nicht laut genug  »ja« gerufen. Dies kommt einem jedenfalls in den Sinn, wenn man die Meldung bei katholisch.de liest. Dort lautet die Fortsetzung des zuletzt zitierten Satzes aus der KNA-Meldung:
»Demnach erhielten sie nur eine absolute Mehrheit.« (Hervorhebung von mir)
Die Nachricht mit »Roma locuta« zu überschreiben und damit zu assoziieren, die Sache sei nun erledigt – »causa finita« ist ja die nicht mehr zitierte Fortsetzung des Spruches – widerspricht nun direkt dem Inhalt der Meldung, heißt es doch zu den Äußerungen des Vatikansprechers:
»Lombardi hob hervor, dass es sich nicht um eine lehramtliche Äußerung, sondern nur um ein Arbeitspapier für die weitere Debatte handele.« 
Die Diskussion geht also weiter, es gibt kein »Nein« aus Rom. Wesentlich treffender scheint demnach die Überschrift auf katholisch.de:
»Keine Einigung bei strittigen Themen erzielt«.
Führt kath.net seine Leser bewusst an der Nase herum? Oder ist man von der eigenen Position derart überzeugt, dass man sie unbemerkt in Texte hineinliest? In dieser Frage traue ich mir kein Urteil zu. In einer anderen schon – und damit komme ich wieder auf literarkritische Fragen zurück: Der Umgang mit der Meldung zum Abschlussdokument ist kohärent mit der Art und Weise, wie dieses Nachrichtenportal die Bischofssynode begleitet hat und deshalb ein durchaus passender Schlusspunkt.

Kommentare

Juergen hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
Gerd Häfner hat gesagt…
@ Jürgen Niebecker

Eine nicht ausreichende Mehrheit als »Nein« darzustellen würde ich auch in dem von Ihnen angeführten Beispiel als irreführend bezeichnen. Sollte im Falle einer Grundgesetzänderung die erforderliche Zweidrittelmehrheit nicht erreicht und dies als Ablehnung berichtet werden, so wäre das zwar nicht falsch, aber als Nachricht doch ergänzungsbedürftig – wie in dem Breschnjew-Witz nichts Falsches gesagt wird, aber durch Unterschlagung doch die zutreffende Information unterbleibt. Im Übrigen: In dem Abschlussdokument ging es nicht um Änderungen an einem bestehenden, sondern um die Einigung über einen neu zu formulierenden Text. Dabei haben drei Punkte nicht die nötige Mehrheit erreicht. Das ist doch etwas anderes als eine Grundgesetzänderung, wo es darum geht, ob ein konkreter Änderungsvorschlag akzeptiert wird oder nicht.

Außerdem wissen wir nichts Näheres über die Hintergründe der Ablehnung der genannten drei Punkte. Vielleicht hat mancher Bischof nicht zugestimmt, weil er Homosexuellen gegenüber kein Mitleid ausgedrückt wissen wollte? Ich weiß das natürlich nicht und will es nicht behaupten. Es geht mir nur darum, was man zur Zeit mit einiger Sicherheit sagen kann, und dies ist: Die fraglichen Formulierungen haben keine Zweidrittelmehrheit gefunden, aber nicht: Es wurde »nein« gesagt zu einer liberaleren Linie beim Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen und Homosexualität.

Dies verbietet sich vor allem deshalb, weil die Synode ja gar keine Entscheidung gefällt hat und dies vom Vatikansprecher auch ausdrücklich mitgeteilt wurde. Hier von »Roma locuta« und »nein« zu sprechen, halte ich nicht für seriös. Treffend ist dagegen die Formulierung »keine Einigung bei strittigen Themen«.

Der Satz, dass nicht laut genug »ja« gerufen wurde, ist eine überspitzte Umkehrung der kath.net-Meldung und deshalb genauso falsch wie sein Bezugspunkt. Er sollte nur zeigen, wie man auch formulieren kann, wenn man die Nachricht über das Abschlussdokument im »Ja- oder Nein-Modus« zu liberaleren Positionen wahrnimmt.
Unknown hat gesagt…
Mir scheint, der Herr Niebecker demonstriert uns hier nicht nur die typischen Denkmuster der intendierten Zielgruppe von kath.net, sondern bewirbt sich mit seinem hiesigen Kommentar auch durchaus aussichtsreich als Autor dortselbst.
Anonym hat gesagt…
Wie dem auch sei: Linzer Torte gefällt mir besser! ;-)
G. Küppers, Köln hat gesagt…
Ich finde Jürgens Kritikpunkt an sich stichhalti. Die grds. Kritik an dem kath.net-Bericht berührt er aber nicht.

Dass die "modernistische Agenda" (um mal den in trad. Medien gern verwendeten Propagandaausdruck zu benutzen) in der Abstimmung durchgefallen ist, ist ja offenkundig.
Der wichtige Hinweis, dass es beim HS-Thema vermutlich auch Nein-Stimmen gab, denen die ggü. dem Entwurfsdokument vom letzten Montag abgeschwächte Formulierung nicht gefiel, erwähnt übrigens auch Noé höchstpersönlich in der Kommentarspalte.

Die groteskere Fehldeutung findet sich aber natürlich in dem lustigen Titel des kath.net-artikels "Roma locuta ..."
Noé möchte die Pattsituation unter den Bfen. zu einem Erfolg, ja sogar einer Art 'Enderfolg', für die andere "Agenda" umdeuten, um die seine Leser in der verg. Woche so gezittert hatten. Das ist natürlich völlig verfrüht und an der Sache vorbei.

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