Die Gutmenschen und der Bußprediger Jesus

In einer Artikelserie schildert Christian Sieberer, wie es einem »ganz normalen Pfarrer«, für den der Pfarrer von Ars »Vorbild und Norm« ist, »in einer ganz normalen Pfarre« ergeht. Möglicherweise hängen die Schwierigkeiten, die ein solcher Pfarrer erlebt (s. dazu den 6. Teil der Serie), auch mit einer gewissen Ungleichzeitigkeit zusammen: Kann man die Pastoral am Beginn des 21. Jahrhunderts an einem Vorbild aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ausrichten? Aber das ist hier nicht das Thema.

Im siebten Teil der Serie befasst sich der Autor mit dem Vorwurf, ein derartig normaler Pfarrer sei ein Spalter. Er versucht diesem Vorwurf satirisch zu begegnen, indem er das Auftreten Jesu und die ganze Kirchengeschichte als ein Geschehen beschreibt, dem man Spaltung vorgehalten habe. Wer ist Urheber der Beschwerde? Es sind die Gutmenschen, die sich bereits am »politisch völlig inkorrekten Sendungsbewusstsein« Jesu gestoßen hätten und es nun auch Papst Benedikt XVI. gegenüber tun, »der die unbeschwerte Welt der Relativisten durch seine Diktatur der Vernunft entzweite«. 

Wie in den Nebenwirkungen auf diesem Blog ausgeführt, setzt das Heilmittel der Satire ein bestimmtes Leiden voraus. Da ich offensichtlich nicht an denselben Dingen leide wie Pfarrer Sieberer, kann mir sein Beitrag nicht helfen. Er ist für andere Leute geschrieben. Deshalb will ich nur auf zwei Aspekte eingehen, die mit meinem Fach zusammenhängen. Der erste betrifft den Umgang mit biblischen Texten, der zweite das Bild der Verkündigung Jesu.

Die Gutmenschen von Jerusalem

Unter einem Gutmenschen versteht man gewöhnlich einen Zeitgenossen, der zum Betroffenheitsjargon neigt, auf lästige Weise moralisiert und auf der political correctness besteht. Der relativ junge Begriff (s. dazu hier) wird in Sieberers Artikel auf die Erzählung von den Sternkundigen aus dem Osten Mt 2,1-12 angewandt. Der Stern, der die Geburt Jesu andeutete, 
»lockte einige pfarrexterne Superfromme an, die mit ihren abstrusen Privatoffenbarungen eine ganze heilige Stadt von Gutmenschen in Schrecken versetzten. Der liebevolle Obermachtmensch namens Herodes versuchte daher in bewundernswerter Sorge um die Harmonie der ihm Anvertrauten den Spalter in Babygestalt gleich zu eliminieren.«
Nun kann und muss satirische Überspitzung natürlich verfremden, wenn sie alte Geschichten und gegenwärtige Situation aufeinander beziehen will. Die Konstellation der zugrundeliegenden Geschichte kann aber nicht beliebig überdehnt werden, um eine Beziehung zur aktuellen Situation herzustellen. Das ist freilich der Fall, wenn Mt 2,3 so aufgegriffen wird, dass »eine ganze heilige Stadt von Gutmenschen in Schrecken« versetzt worden sei. Was zeichnet die angegriffenen Gutmenschen aus? An späterer Stelle wird deren Haltung so karikiert: 
»Alle Menschen meinen es im Grunde gut, und sind daher gut. Punkt. Gott ist lieb, hat alle lieb und macht alle lieb, daher kommen am Ende alle, alle, alle in den Himmel. Komma.«
In Mt 2 gibt es für eine solche Haltung nicht den geringsten Anhaltspunkt. Für »Gutmenschen« könnte man hier alles einsetzen, je nachdem, gegen wen man die Geschichte gerichtet sein lassen will. Wer sie gegen Traditionalisten verwenden wollte, müsste nur diesen Begriff mit den »Gutmenschen« tauschen - und schon hätte er ebenfalls die passende verfremdete Geschichte: diejenigen, die sich in ihren hergebrachten Vorstellungen nicht verunsichern lassen wollen, sehen in der Geburt des Messias ihre Welt bedroht und erschrecken. Hier würde ein biblischer Text genauso zu kirchenpolitischen Zwecken missbraucht, wie es bei Sieberers Gutmenschenkritik der Fall ist. Der Bezug auf Mt 2 ist keine satiretypische Übertreibung, da die Angegriffenen nicht karikiert, sondern einfach mit einem Negativ-Muster belegt werden: den Einwohnern Jerusalems, die angesichts der Geburt Jesu erschrecken. Für eine solche Verbindung bieten diese literarischen Figuren aus Mt 2,3 aber keinen besseren Ansatzpunkt als Holland für eine ausgedehnte Bergtour.

Was war anstößig an der Botschaft Jesu?

Auch zu Jesu Auftreten gelingt die satirische Analogie nicht recht.
»Tiefreligiöse Menschen ließen es sich schließlich nicht mehr länger bieten, ständig zur Veränderung ihres fehlerfreien Lebens aufgerufen zu werden.«
Hier diktiert die gegenwärtige Situation die Art und Weise, wie die Verkündigung Jesu charakterisiert wird. Der Pfarrer hat Schwierigkeiten damit, dass seinen Schäfchen das Sündenbewusstsein fehlt (s. dazu nochmals den 6. Teil), und deshalb wird auch Jesu Botschaft zum Anstoß erregenden Umkehrruf stilisiert. Sicher gehört die Aufforderung zur Umkehr in die Reich-Gottes-Verkündigung Jesu; aber sie steht nicht an erster Stelle, sondern ist Konsequenz aus der vorgängigen Annahme der Sünder durch Gott. Genau daran haben die Frommen Anstoß genommen: nicht dass man sie zur Umkehr aufruft, sondern dass Sündern das Reich Gottes zugesagt wird - deshalb der Vorwurf an Jesus, »Freund der Zöllner und Sünder« zu sein (Lk 7,34). Im Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15,11-32) vertritt der ältere Bruder diese Kritik der Frommen, im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1-16) die Arbeiter der ersten Stunde. Jeweils wird das gütige Verhalten (des Vaters, des Weinbergbesitzers) als anstößig und ungerecht empfunden. Jesus wirbt mit diesen Gleichnissen dafür, diesen Widerspruch zu überwinden und die Botschaft vom zuvorkommend gütigen Gott zu akzeptieren. Deshalb enden auch beide Gleichnisse offen: Die Hörer sollen anstelle des älteren Sohnes bzw. der Arbeiter der ersten Stunde reagieren.

Jesus wurde nicht von Leuten abgelehnt, deren Haltung irgendeine Ähnlichkeit mit dem »Gutmenschentum« aufgewiesen hätte. Er ist auch nicht deshalb beseitigt worden, weil er den Standards einer political correctness nicht genügt hätte. Wer solche Kampfbegriffe auf das Wirken Jesu anwendet, zeigt nur, wo er selber steht, wen er angreift und auf wessen Autorität er sich berufen will. Ein sachlich begründeter Bezug oder gar ein Argument in gegenwärtigen Debatten entsteht so nicht.

Kommentare

Andreas Metge hat gesagt…
Ich zweifle, ob es sich beim Text des Herrn Sieberer wirklich um Satire handelt. Es liest sich teilweise kurios, gewiss. Allein: Ist es nicht eine detaillierte Beschreibung der Erfahrung der Einsamkeit und des Unverstanden-Seins eines Menschen, dessen mentale Denkmodelle nicht übereinstimmen mit denen der vorgefundenen anderen? das Leiden am Anders-Sein?
In soweit ist es vielleicht eine Art Real-Satire, aber mit der Betonung auf dem ersten Teil: so kann ein Pfarrer, der sich als Pfarrer von Ars versteht, die Welt beschreiben. Denn verstehen kann er sie - natürlich - nicht!
Anonym hat gesagt…
Hallo Herr Häfner,
ich lese Ihre Kommentare zu den Tradi-Argumentationsweisen meist mit gewissem Gewinn, aber am "profitabelsten" sind Ihre Beiträge immer dann, wenn Sie bliblisch-historische Befunde heranziehen oder auf solche zurückverweisen und damit zur Versachlichung der Diskussion beitragen und Fehlinterpretationen aufdecken.

So auch hier: Die Frage "Was war [eigentlich] anstößig an der Botschaft Jesu?" aus NT-Sicht anzusprechen, ist ein großartiger Beitrag zu dem ganzen Gerede vom "Schwert" und von der "Spaltung" und gegen das so gen. "Weichspülchristentum", die man von konservativen Katholiken immer wieder hört, wenn sie vermeintlich "liberale" oder "gutmenschliche" Positionen oder Praktiken kritisieren oder aber manche pastorale Lieblosigkeiten verteidigen.

G. Küppers, Köln
Volker Schnitzler hat gesagt…
Vielen Dank für diesen Artikel, Herr Häfner. Ich denke auch, dass sich Hirten wie Herr Sieberer wieder stärker am Beispiel Jesu orientieren sollten. Dieser geht auf die Menschen zu, gerade auf die Sünder und Ausgestoßenen. Er setzt sich nicht in den Tempel und wartet, dass die Menschen zu ihm kommen. Er geht dahin, wo es weh tut, zu Prostituierten, zu Kranken, zu Zöllnern und Sündern, so dass sich das Reich Gottes auch für diese Menschen eröffnet. Dabei kümmert er sich nicht um religiöses Beiwerk, das für den Kern des Gottesglaubens unnötig ist. Er stellt sich einfach darüber. So ist er kein Mitglied der 12, er macht die 12 zu seinen auserwählten Begleitern, eine - meiner Meinung nach - unzweifelhafte Botschaft, die sein Handeln notfalls auch gegen Tora und Gesetz erklärt.

Wir brauchen Priester, die genau dies leben. Die sich nicht an Kirchengesetzen klammern, sondern zu den Menschen gehen, die Ihrer Hilfe bedürfen. Dann sind diese Priester bei Frauen, die mit dem Gedanken an eine Abtreibung ringen, bei Homosexuellen, die als Gläubige Christen mit ihrer sexuellen Veranlagung ringen, bei Geschiedenen, die an den Rand der Kirche gedrängt werden, bei Frauen, die sich zum Priesteramt berufen fühlen und unter der Unmöglichkeit leiden, bei all den Menschen, die sich eben nicht von einer lebendigen Gemeinde getragen wissen.

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