Von Fisch, Glaube, Vernunft und Fahrrad
»Quidquid recipitur modo recipientis recipitur«, zu deutsch: »Was aufgenommen wird, wird nach Art des Aufnehmenden aufgenommen.« An dieses scholastische Axiom fühlt man sich erinnert, wenn man die Antworten betrachtet, die Wissenschaftler im Tagesspiegel aus Anlass des Papstbesuchs auf die Frage nach dem Verhältnis von Glaube und Vernunft gegeben haben (»Wie vernünftig ist der Glaube?«). Jeder fasst die Frage und die in ihr enthaltenen Begriffe im Horizont des eigenen Faches auf. Entsprechend fallen die Antworten aus.
Der Mathematiker (Günter M. Ziegler) meint: »Glaube steht immer außerhalb des Vernünftigen, und das ist auch gut so«. Was Vernunft ist, wird nicht näher ausgeführt, aber der Wissenschaftler kommt auf sein Fach zu sprechen und dieses habe »absolute und ewig gültige Einsichten und Erkenntnisse anzubieten«. Es trenne aber auch sauber zwischen »wissen« und »vermuten« und kenne die Grenzen seiner Erkenntnis. Er endet mit dem Seufzer: »Wenn nur Theologen und Moralprediger die Grenzen ihrer Erkenntnis und ihrer Aussagen und Vorschriften ähnlich scharf erkennen könnten...« Ja, wenn sich alles mit mathematischer Gewissheit sagen ließe! Warum aber soll unvernünftig sein, was nicht in diesen Bereich menschlicher Vernunft passt?
Der Hirnforscher (Gerhard Roth) bezieht sich auf die wissenschaftliche Vernunft und definiert sie so, dass sie mit seinen professionellen Arbeitsweisen übereinstimmt: Akzeptiert werden nur solche Aussagen, die »logisch widerspruchsfrei und hinreichend empirisch belegt sind«. Außerdem wird auf die Wahrheitsfindung im wissenschaftlichen Diskurs abgehoben, die »nichts mit überzeitlichen Wahrheiten zu tun« hat. Unvereinbar damit sei ein »institutionalisierter Offenbarungsglaube, wie er von der katholischen Kirche und ihrem Papst vertreten wird«. Dass hier nicht das Verhältnis von Glaube und Vernunft bedacht ist, sondern Geltungsansprüche zurückgewiesen werden, zeigt sich im abschließenden Satz: »Wenn hingegen Glaube als eine individuell-subjektive Überzeugung oder Ahnung verstanden wird (woher diese sich auch immer speisen mögen), dann können Glaube und wissenschaftliche Vernunft wohl nebeneinander bestehen, weil sie unterschiedliche Geltungsbereiche haben.« Vorausgesetzt ist also, dass der »institutionalisierte Offenbarungsglaube« einen Geltungsbereich beansprucht, der eigentlich der Wissenschaft vorbehalten ist. Warum das so ist, deutet der Hirnforscher nur an, wenn er meint, die katholische Kirche bestehe »nach wie vor auf dem 'Opfer des Verstandes' (sacrificium intellectus)«. So gibt sein Statement in erster Linie Einblick in seine Sicht der katholischen Kirche.
Die Soziologin (Nina Degele) versucht sich an einem Vergleich: »Glaube hat so viel mit Vernunft zu tun wie ein Fisch mit einem Fahrrad, nämlich herzlich wenig« (immerhin das »F« ist gleich; es hätte ja auch Kaffeetasse und Ozonloch sein können oder Pazifik und Lederhose). Sie sieht Glaube als »Ausdruck eines menschlichen Bedürfnisses nach Sicherheit und unzweifelhafter Gewissheit«. Die Vernunft dagegen stelle »Rationalität und Zweifel in den Vordergrund«. Das ist eine tiefe Erkenntnis, dass die Vernunft Rationalität betont (man könnte auch sagen: Vernunft hat mit Rationalität so viel zu tun wie ein Fahrrad mit einem Fahrrad). Das war’s dann aber auch schon zu unserem Thema. Es folgt nur noch ein durch Daten unterfütterter Ausblick auf den schwindenden gesellschaftlichen Einfluss der katholischen Kirche, die »mit ihrem Festhalten an Tradition auf dem besten Weg ist, sich als Institution ihr eigenes Grab zu schaufeln«. Fast könnte man meinen, der Soziologin sei eine andere Frage gestellt worden: »Wie sehen Sie die gesellschaftliche Bedeutung der katholischen Kirche? (wenn Sie auch noch etwas zum Verhältnis von Glaube und Vernunft sagen wollen, tun Sie sich keinen Zwang an)«.
Für den Evolutionsbiologen (Ulrich Kutschera) ist Glaube grundsätzlich irrational. Er »basiert auf übernatürlichen Wundern, Mythen und Offenbarungen, die der Vernunft widersprechen«. Die Sache ist einfach: »biblische Wundergeschichten widersprechen dem kausalen, logischen Denken, da in dieser mystischen Fantasy-Welt Wirkungen ohne reale Ursachen vorausgesetzt werden.« Immerhin zeigt sich der Wissenschaftler großzügig: »als Lebenshilfe für verzweifelte Gläubige« haben diese Märchen »durchaus ihre Berechtigung«. Was er als Biologe methodisch voraussetzen muss, wird zum philosophischen Bekenntnis: Es gibt nur innerweltliche Ursachen. Und wer diesem Dogma nicht zustimmt, ist unvernünftig - im Einzelfall auch geradezu bösartig wie der Papst, der mit seiner Behauptung von der Vernünftigkeit des Glaubens »verantwortungslose Irreführung seiner Schäfchen« und »dogmatische Hirnwäsche« betreibt. Mir ist nicht bekannt, dass der Papst behauptet, biblische Traditionen (für Kutschera: Märchen) wie Schöpfung oder Auferstehung seien »logisch-rationale Ereignisse und daher mit dem Verstand begreifbar«. In dieser Wiedergabe zeigt sich eher Kutscheras Wirklichkeitsverständnis: wirklich ist nur, was logisch-rational ist; wer also die Wirklichkeit von Schöpfung und Auferstehung annimmt, muss sie für »logisch-rationale Ereignisse« halten. Nun kann sich jeder selbst Grenzen seines Wirklichkeitsverständnisses setzen, er sollte diese Grenzen aber nicht anderen unterstellen.
Die Historikerin (Birgit Aschmann) behandelt das Thema historisch und gibt einen Abriss über die Entwicklung des spannungsreichen Verhältnisses von Glaube und Vernunft seit dem 19. Jahrhundert in der katholischen Kirche. Zum Verhältnis der beiden Größen selbst äußert sie sich nicht. Sie bezieht sich vielmehr auf die Orientierungsfunktion des Glaubens in lebenspraktischer Hinsicht, und dies rein beschreibend: solange der Glaube »plausible Antworten auf ihre zentralen Lebensfragen gibt« wird er »den Menschen ... vernünftig erscheinen«. Und die Bedeutung der Kirche wird davon abhängen, »ob sie diese Antworten in unserer pluralen Gesellschaft authentisch vermitteln kann«. Wer wollte es bezweifeln - aber wie war noch mal gleich die Frage?
Der Historiker und Präsident der Evangelischen Akademie Berlin (Paul Nolte) behandelt das Thema ebenfalls historisch, greift aber weiter aus und sieht den Niederschlag der Spannung zwischen Glaube und Vernunft schon in den Wundergeschichten des Neuen Testaments. Beide Größen seien miteinander verbunden, aber nicht identisch. »Geschichts- und Kulturwissenschaften zeigen immer wieder, dass Moderne und Religion, Glauben und Vernunft zusammengehören – in widerspruchsvollen Mischungen, natürlich«. Der Präsident der Evangelischen Akademie ist der einzige, der sich nicht auf Papst und katholische Kirche bezieht und so bei der Fragestellung bleibt (ähnlich grundsätzlich antwortet nur der Mathematiker). Er ist auch der einzige, der zu einer ausdrücklich positiven Antwort kommt und dabei der Theologie einen Ort zuweist: »Auch hat sich der Glaube vernünftig gemacht, zum Beispiel in der Theologie als Wissenschaft und Kulturleistung.«
Dass es sich bei dieser Würdigung um ein Alleinstellungsmerkmal von Noltes Beitrag handelt, ist aus Sicht der Theologie einer der bedauerlichsten Aspekte der Umfrage.
Der Mathematiker (Günter M. Ziegler) meint: »Glaube steht immer außerhalb des Vernünftigen, und das ist auch gut so«. Was Vernunft ist, wird nicht näher ausgeführt, aber der Wissenschaftler kommt auf sein Fach zu sprechen und dieses habe »absolute und ewig gültige Einsichten und Erkenntnisse anzubieten«. Es trenne aber auch sauber zwischen »wissen« und »vermuten« und kenne die Grenzen seiner Erkenntnis. Er endet mit dem Seufzer: »Wenn nur Theologen und Moralprediger die Grenzen ihrer Erkenntnis und ihrer Aussagen und Vorschriften ähnlich scharf erkennen könnten...« Ja, wenn sich alles mit mathematischer Gewissheit sagen ließe! Warum aber soll unvernünftig sein, was nicht in diesen Bereich menschlicher Vernunft passt?
Der Hirnforscher (Gerhard Roth) bezieht sich auf die wissenschaftliche Vernunft und definiert sie so, dass sie mit seinen professionellen Arbeitsweisen übereinstimmt: Akzeptiert werden nur solche Aussagen, die »logisch widerspruchsfrei und hinreichend empirisch belegt sind«. Außerdem wird auf die Wahrheitsfindung im wissenschaftlichen Diskurs abgehoben, die »nichts mit überzeitlichen Wahrheiten zu tun« hat. Unvereinbar damit sei ein »institutionalisierter Offenbarungsglaube, wie er von der katholischen Kirche und ihrem Papst vertreten wird«. Dass hier nicht das Verhältnis von Glaube und Vernunft bedacht ist, sondern Geltungsansprüche zurückgewiesen werden, zeigt sich im abschließenden Satz: »Wenn hingegen Glaube als eine individuell-subjektive Überzeugung oder Ahnung verstanden wird (woher diese sich auch immer speisen mögen), dann können Glaube und wissenschaftliche Vernunft wohl nebeneinander bestehen, weil sie unterschiedliche Geltungsbereiche haben.« Vorausgesetzt ist also, dass der »institutionalisierte Offenbarungsglaube« einen Geltungsbereich beansprucht, der eigentlich der Wissenschaft vorbehalten ist. Warum das so ist, deutet der Hirnforscher nur an, wenn er meint, die katholische Kirche bestehe »nach wie vor auf dem 'Opfer des Verstandes' (sacrificium intellectus)«. So gibt sein Statement in erster Linie Einblick in seine Sicht der katholischen Kirche.
Die Soziologin (Nina Degele) versucht sich an einem Vergleich: »Glaube hat so viel mit Vernunft zu tun wie ein Fisch mit einem Fahrrad, nämlich herzlich wenig« (immerhin das »F« ist gleich; es hätte ja auch Kaffeetasse und Ozonloch sein können oder Pazifik und Lederhose). Sie sieht Glaube als »Ausdruck eines menschlichen Bedürfnisses nach Sicherheit und unzweifelhafter Gewissheit«. Die Vernunft dagegen stelle »Rationalität und Zweifel in den Vordergrund«. Das ist eine tiefe Erkenntnis, dass die Vernunft Rationalität betont (man könnte auch sagen: Vernunft hat mit Rationalität so viel zu tun wie ein Fahrrad mit einem Fahrrad). Das war’s dann aber auch schon zu unserem Thema. Es folgt nur noch ein durch Daten unterfütterter Ausblick auf den schwindenden gesellschaftlichen Einfluss der katholischen Kirche, die »mit ihrem Festhalten an Tradition auf dem besten Weg ist, sich als Institution ihr eigenes Grab zu schaufeln«. Fast könnte man meinen, der Soziologin sei eine andere Frage gestellt worden: »Wie sehen Sie die gesellschaftliche Bedeutung der katholischen Kirche? (wenn Sie auch noch etwas zum Verhältnis von Glaube und Vernunft sagen wollen, tun Sie sich keinen Zwang an)«.
Für den Evolutionsbiologen (Ulrich Kutschera) ist Glaube grundsätzlich irrational. Er »basiert auf übernatürlichen Wundern, Mythen und Offenbarungen, die der Vernunft widersprechen«. Die Sache ist einfach: »biblische Wundergeschichten widersprechen dem kausalen, logischen Denken, da in dieser mystischen Fantasy-Welt Wirkungen ohne reale Ursachen vorausgesetzt werden.« Immerhin zeigt sich der Wissenschaftler großzügig: »als Lebenshilfe für verzweifelte Gläubige« haben diese Märchen »durchaus ihre Berechtigung«. Was er als Biologe methodisch voraussetzen muss, wird zum philosophischen Bekenntnis: Es gibt nur innerweltliche Ursachen. Und wer diesem Dogma nicht zustimmt, ist unvernünftig - im Einzelfall auch geradezu bösartig wie der Papst, der mit seiner Behauptung von der Vernünftigkeit des Glaubens »verantwortungslose Irreführung seiner Schäfchen« und »dogmatische Hirnwäsche« betreibt. Mir ist nicht bekannt, dass der Papst behauptet, biblische Traditionen (für Kutschera: Märchen) wie Schöpfung oder Auferstehung seien »logisch-rationale Ereignisse und daher mit dem Verstand begreifbar«. In dieser Wiedergabe zeigt sich eher Kutscheras Wirklichkeitsverständnis: wirklich ist nur, was logisch-rational ist; wer also die Wirklichkeit von Schöpfung und Auferstehung annimmt, muss sie für »logisch-rationale Ereignisse« halten. Nun kann sich jeder selbst Grenzen seines Wirklichkeitsverständnisses setzen, er sollte diese Grenzen aber nicht anderen unterstellen.
Die Historikerin (Birgit Aschmann) behandelt das Thema historisch und gibt einen Abriss über die Entwicklung des spannungsreichen Verhältnisses von Glaube und Vernunft seit dem 19. Jahrhundert in der katholischen Kirche. Zum Verhältnis der beiden Größen selbst äußert sie sich nicht. Sie bezieht sich vielmehr auf die Orientierungsfunktion des Glaubens in lebenspraktischer Hinsicht, und dies rein beschreibend: solange der Glaube »plausible Antworten auf ihre zentralen Lebensfragen gibt« wird er »den Menschen ... vernünftig erscheinen«. Und die Bedeutung der Kirche wird davon abhängen, »ob sie diese Antworten in unserer pluralen Gesellschaft authentisch vermitteln kann«. Wer wollte es bezweifeln - aber wie war noch mal gleich die Frage?
Der Historiker und Präsident der Evangelischen Akademie Berlin (Paul Nolte) behandelt das Thema ebenfalls historisch, greift aber weiter aus und sieht den Niederschlag der Spannung zwischen Glaube und Vernunft schon in den Wundergeschichten des Neuen Testaments. Beide Größen seien miteinander verbunden, aber nicht identisch. »Geschichts- und Kulturwissenschaften zeigen immer wieder, dass Moderne und Religion, Glauben und Vernunft zusammengehören – in widerspruchsvollen Mischungen, natürlich«. Der Präsident der Evangelischen Akademie ist der einzige, der sich nicht auf Papst und katholische Kirche bezieht und so bei der Fragestellung bleibt (ähnlich grundsätzlich antwortet nur der Mathematiker). Er ist auch der einzige, der zu einer ausdrücklich positiven Antwort kommt und dabei der Theologie einen Ort zuweist: »Auch hat sich der Glaube vernünftig gemacht, zum Beispiel in der Theologie als Wissenschaft und Kulturleistung.«
Dass es sich bei dieser Würdigung um ein Alleinstellungsmerkmal von Noltes Beitrag handelt, ist aus Sicht der Theologie einer der bedauerlichsten Aspekte der Umfrage.
Kommentare
Er sieht Definitionen eher skeptisch, da sie eingrenzen und ausschließen.
"Die Suche nach einer Definition freut mich nicht besonders, da auf diese Weise stets eine konzeptionelle Grenze ins Leben gerufen wird. Sie könnten mich auch fragen: Was ist ein Tisch? Und meine Antwort wäre: Ein Tisch hat vier Beine und einen flachen Deckel, auf den Kinder draufspringen können. Jetzt müssen wir klären, was der Unterschied zwischen einem Tisch, einem Pony und einem Pferd ist. Und schließlich wird es notwendig, über den Unterschied von lebenden Wesen und nichtlebenden Entitäten zu sprechen. Das haben wir nun davon. Für mich hat jede Definition eine grundsätzliche Schwäche: Sie schließt aus, sie begrenzt."
Darüber hinaus basiert doch auch die Mathematik auf nicht widerspruchsfreien Axiomen, die das ganze Konstrukt tragen.
Als Mathematiker möchte ich noch Herrn Schnitzler ein wenig korrigieren: "Darüber hinaus basiert doch auch die Mathematik auf nicht widerspruchsfreien Axiomen, die das ganze Konstrukt tragen."
Das stimmt so nicht ganz. Ich muss etwas ausholen, und zudem ist das bei weitem nicht mein Fachgebiet (womit sich meine Bezeichnung "als Mathematiker" fast schon wieder von selbst erledigt):
Nach Gödel kann die Mathematik die eigene Widerspruchsfreiheit nicht beweisen. Es kann sein, dass die Axiome, auf der die heutige Mathematik ruht, widerspruchsfrei sind, nur kann es dafür innerhalb des Axiomsystems keinen Beweis geben. Sollte die Mathematik widerspruchsfrei sein, so gibt es darüber hinaus Aussagen, die zwar wahr sind, aber deren Richtigkeit man weder beweisen noch widerlegen kann (wenn ich mich nicht täusche, gehört das "Auswahlaxiom" bzw. das dazu äquivalente "Zorn'sche Lemma" dazu, dessen Wahrheitsgehalt man deswegen normalerweise annimmt).
Sollte die Mathematik keine Widersprüche haben, kann man das jedenfalls nicht zeigen. Man kann aber natürlich die Widerspruchsfreiheit widerlegen, indem man eben einen Widerspruch findet, aber das ist (glücklicherweise) bis jetzt keinem gelungen.
Dass es also auch in der logischen Welt der Mathematik Grenzen der Erkenntnis gibt, ist interessant - inwiefern man daraus auch Schlüsse auf unsere Welt, Glauben und Wissen folgern kann, ist wiederum eine philosophische Frage.