Vorbild Jona?

Ein »kath.net-Impuls zur Fastenzeit« von Michaela Voss befasst sich mit der Jona-Erzählung und aktualisiert die Botschaft dieses alttestamentlichen Buches recht ungeniert in die heutige kirchliche Situation. Jona, so der Tenor, das ist harte Umkehrpredigt, mit Reformdebatten kann der Prophet nichts anfangen: »Noch vierzig Tage, dann ist Ninive zerstört!« Am Propheten und an der Reaktion der Einwohner von Ninive sollen wir uns ein Beispiel nehmen. Allerdings lässt sich die Jona-Geschichte nicht ganz so eindeutig und konkret kirchenpolitisch ausschlachten, wie das hier geschieht. Ja, man muss sogar sagen: die Jona-Geschichte kommt dabei ziemlich unter die Räder. Sie darf nur die Stichworte liefern, mit deren Hilfe die heutige kirchliche Situation in erwartbarer Zuspitzung kritisiert wird. Im Folgenden eine (etwas verspätete) Analyse dieses Umgangs mit einem biblischen Text. 



Die Ausschlachtung des Ungesagten

Die Autorin beginnt mit einem kleinen Detail: Der Prophet erhält den Auftrag, der Stadt Ninive all das anzudrohen, was Gott ihm sagen werde. Auf die kleine Futurform wird eine schwere Last gepackt: weil Jona sich nicht vorbereiten könne, seien ihm all die Möglichkeiten heutigen Dialogisierens verschlossen:

»Er kann keine 'Brainstorming-Gruppe' bilden, die sich schon mal 'präventiv' mit der Problematik 'Gott und die Drohbotschaft' auseinandersetzt und die dann politisch korrekt und argumentativ ausgefeilt aus dieser Drohbotschaft kurzerhand eine 'Friede-Freude-Eierkuchenbotschaft' konstruiert, damit auch niemand erschreckt wird, wenn Jona kommt. So könnte der Auftrag Gottes sozialverträglich und ohne größere Veränderungsansprüche doch wunderbar ins Zeitgeschehen eingeflochten werden, ohne Gefahr von Protesten oder unangenehmen Zwischenfällen. ... «
Man könnte kleinlich sein und erwidern: der Prophet hätte sich zu solchen Aktionen schon deshalb nicht veranlasst gesehen, weil er der Erzählung zufolge soundso keine Lust hat, sich um den Auftrag Gottes zu kümmern. Brainstorming-Gruppen zu bilden wäre zu viel der Mühe! Aber gestehen wir dem Propheten einmal zu, dass die drei Tage im Bauch des Fisches ihm die Sinnhaftigkeit eines größeren Engagements vor Augen geführt haben. Dann bleibt immer noch das Problem, dass man in jenes Futur hineinpacken kann, was man will. Die wehrlose Zeitform müsste sich auch Folgendes gefallen lassen:
Da Gott nur von dem spricht, was er dem Propheten sagen werde, spielt der Bezug auf die Tradition keine Rolle. Jona erfährt erst, was er verkünden soll, also kann er die Niniviten nicht an ihre Überlieferungen erinnern. Die Situation ist so anders, dass der Bezug auf Altbewährtes nicht mehr trägt.
Selbstverständlich ist das Unsinn – aber auch kein größerer als der vom Verzicht auf die Bildung von Brainstorming-Gruppen, die sich mit der Relativierung der Botschaft des Propheten befassen. Wenn man sich auf das bezieht, was nicht im Text steht, eröffnet sich ein unbegrenztes Feld freier Assoziationen. Allerdings besteht bei solchen Operationen am offenen Text die Gefahr, dass der Eingriff außer Kontrolle gerät. Die Autorin greift eine weitere Nicht-Aussage auf: 
»Wir lesen hier nicht, dass er (= Jona) endlose Diskussionen führt, dass er erst mal schaut, wo die 'Randgruppen' sind, die man 'ins Boot' holen muss - das dem Untergang geweiht ist.«
Ja, das lesen wir in der Tat nicht.

Die Ausblendung des Gesagten

Wir lesen aber, dass der Prophet über das Erbarmen Gottes angesichts der Umkehr der Niniviten verärgert ist, sich sogar den Tod wünscht. Und wir lesen, dass ihm deshalb eine Lektion erteilt wird: Gott will das Leben seiner Geschöpfe, auch jener in der heidnischen Stadt. Jona, der sich am Untergang Ninives weiden will, muss lernen, dass dies dem Willen Gottes nicht entspricht. Ein Jona, der »erst mal schaut, wo die 'Randgruppen' sind, die man 'ins Boot' holen muss«, wäre viel näher am Willen Gottes, wie ihn die Erzählung vorstellt, als der kompromisslose Untergangsprediger. Michaela Voss wünscht: 
»Gebe Gott, dass wir heute auf sein Wort an uns hören und uns nicht damit aufhalten, die 'Jonas-Boten' unserer Tage erst einmal kritisch zu beurteilen«.
Eine solche kritische Beurteilung hätte allerdings keinen allzu schwachen Rückhalt: Es ist das Jona-Buch selbst, das die Gestalt des Propheten kritisch beurteilt. »Jonas-Boten« als Vorbilder hinstellen kann man nur, wenn man das 1. und das 4. Kapitel der Erzählung konsequent ausblendet.

Der zweifelhafte Vorteil: Auf diese Weise sind recht hemmungslose Aktualisierungen möglich. Der König von Ninive wird versuchsweise mit dem Papst parallelisiert:
»Stellen wir uns vor, der Papst würde anordnen, dass alle 'Bewohner der Katholischen Kirche samt ihren Tieren' richtig streng fasten, Bußgewänder tragen, dass niemand essen und trinken soll, dass man von Sünde umkehren soll und von den bösen Taten.«
Das käme natürlich gar nicht gut an bei den aufsässigen Katholiken. Wäre das verwunderlich? Irgendwie haben sich die Verhältnisse geändert seit der Zeit, in der das Jona-Buch entstand. Ein König, der bis hin zur Kleiderordnung und Tierfütterung bestimmen kann, was in seinem Herrschaftsgebiet geschieht, kann mit der heutigen Lebenswirklichkeit nicht ansatzweise korreliert werden. Ein Papst, der sich wie jener König verhielte, müsste ein rechter Phantast sein, wenn er einer solchen Maßnahme Erfolgsaussichten zuschriebe.

Der Charakter des Jona-Buches

Er müsste auch den literarischen Charakter des Jona-Buchs verkennen. Besorgt fragt unsere Autorin: 
»Was wäre geschehen, wenn die Leute aus Ninive so mit ihrem König umgegangen wären, wie wir mit unseren Hirten und dem Papst? Was wäre geschehen, wenn die Leute aus Ninive so mit Jonas umgegangen wären, wie wir mit unseren Priestern und den Verkündern des Wortes Gottes?«
Nun, in diesem Fall hätte der Verfasser des Jona-Buchs eine andere Geschichte schreiben müssen. Das Jona-Buch ist kein historischer Bericht, sondern eine Lehrerzählung, deren Figuren genauso agieren, wie es der Autor haben will. Die Einwohner von Ninive kehren um, weil der Verfasser sie umkehren lässt. Und er lässt sie umkehren, weil er das Erbarmen Gottes mit allen Geschöpfen darstellen will. Der Prophet Jona steht für diejenigen, die - aus welchen Gründen auch immer (s. die Diskussion hier) - mit diesem Gottesbild Schwierigkeiten haben. Im Übrigen: Die »Welle der Empörung«, die »sofort durch alle Medien gehen« würde, wenn heute einer wie Jona aufträte, hätte ihren Grund auch darin, dass die »Jona-Botschaft« für sich genommen mit dem Evangelium recht wenig zu tun hat (und, wie gesehen, auch nicht mit der Botschaft des Jona-Buches).

Vermeintliche Eindeutigkeit 

Wenn Michaela Voss meint: »Wie wichtig ist die Botschaft von Ninive für uns heute!«, dann meint sie offensichtlich, heute werde Sünde verharmlost, radikale Umkehr sei nötig. Nun soll hier die Bedeutung von Umkehr nicht kleingeredet werden; aber Jonas Predigt bietet für die Charakterisierung der heutigen Situation keine Hilfe. Hier zeigt sich das grundlegende Problem dieses Fasten-Impulses und seiner Bibel-Lektüre: Es wird eine Eindeutigkeit des Wortes Gottes suggeriert, die jedenfalls im Blick auf heutige Streitpunkte um den rechten Weg der Kirche nicht besteht.
»Gottes Ruf ist nicht diskutabel! Sünde ist Sünde - egal, was die 'Meinung der ganzen Welt' dazu gerade aktuell von sich gibt! Die Botschaft ist eindeutig: Umkehr und Buße.«
Schon recht, nur: was Sünde ist, wird im Jona-Buch nicht erläutert. Wiederholt polemisiert Michaela Voss gegen Zeitgeistanpassung. Die Predigt des Jona sei anders als heutige Verkündigung »ein schlichter Monolog: Gott ruft durch Jona und lädt nicht zu Diskussionen über sein Wort ein. Das Wort Gottes wird verkündet … ohne 'Geschenkverpackung mit attraktivem Schleifenband'«. Wenn es so einfach wäre! Wo eine Verharmlosung des Wortes Gottes beginnt, lässt sich nicht durch einfachen Rekurs auf biblische Texte bestimmen. Als »Kernbotschaft des Evangeliums« zitiert die Autorin aus den Worten des Auferstandenen in Lk 24,44-48. In der Kommentierung zieht sie wortgewaltig alle Register (nachdem sie zuvor schon die deutsche Sprache um das Wort »Kausalfolgekraft« bereichert hat):
»Das ist kein 'Weichgespülter Kuschelkurs für Couch-Christen mit Bequemlichkeitsanspruch und Geschmacksverstärker-Gewohnheiten'.« 
Mit gleichem Recht könnte man auch sagen: Die zitierten Jesusworte begründen 
keinen beinharten Hardcore-Kurs für Bußgürtel-Christen mit Sündendetektoranspruch und Versalzungsgewohnheiten. 
Der Bezug von solch zentralen Aussagen urchristlicher Verkündigung auf heutige innerkirchliche Kontroversen bleibt willkürlich; rhetorisch übertreiben kann man in jede Richtung. Auch Sätze wie Hebr 4,12 und Apg 3,19f sind in diesem Rahmen kein Argument.

Vielleicht könnte zur Umkehr auch gehören, dass wir Bibelverse und -geschichten nicht mehr als Munition in aktuellen Stellungskämpfen benutzen - eine Überlegung, die sich ausdrücklich nicht aus dem Jona-Buch ableitet. 

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