Sonntagsevangelium (18)

5. Fastensonntag (B): Joh 12,20-33

Ehe die Darstellung des öffentlichen Wirkens Jesu im Johannes-Evangelium abgeschlossen ist, treten »Griechen« (Heiden) an Philippus heran und bitten, Jesus sehen zu können. Philippus schaltet Andreas ein - den zweiten Jünger mit griechischem Namen -, um das Anliegen der Bittsteller an Jesus zu vermitteln (12,20f). Wie schon in der Berufungsszene (1,35-51; s. dazu hier) zeigt sich der Gedanke, dass der Zugang zu Jesus vermittelt ist über Menschen, die glauben.


Allerdings kommt es zu keinem Treffen zwischen Jesus und den Heiden. Jesus nimmt die Bitte vielmehr zum Anlass, um über seinen Tod zu spre­chen - wie sich zeigen wird, nur scheinbar zusammenhanglos. In der Antwort Jesu dominieren paradoxe Aussagen: die Stunde des Todes ist die Stunde der Verherrlichung, der Rückkehr in die göttliche Sphäre (12,23.27f); die Kreuzigung deutet als  »Erhöhung über die Erde« auf die Erhöhung Jesu zu Gott (12,32f; s. zu diesem Begriff von Erhöhung auch hier); das Bildwort vom Weizenkorn spricht vom Sterben als der Voraussetzung des Fruchtbringens (12,24). 

Paulus verwendet dieses Bild für die Totenauferstehung (1Kor 15,36f), bei Johannes hat es eine weitere Bedeutung. Es geht nicht um die Auferstehung Jesu, sondern um die Frucht, die aus seinem Tod erwächst. Den Glaubenden wird durch diesen Tod ewiges Leben eröffnet, wenn sie Jesus auf dem Weg der Lebenshingabe nachfolgen (12,25f). Das starke Wort vom Hassen des eigenen Lebens meint nicht Selbst- oder Lebensverachtung, sondern bezieht sich zusammen mit dem Gegenbegriff zum Lieben auf die Bestimmung von Wertigkeiten: es geht um Vorzug und Nachordnung. Wer sein irdisches Leben an die erste Stelle setzt, baut auf Vergängliches; er wird es mit dem Tod verlieren. Wer dieses Leben in der Nachfolge Jesu nicht als höchsten Wert erachtet, gewinnt etwas Neues: ewiges Leben. 

Dass der drohende physische Tod aber auch den Jesus des Johannes-Evangeliums nicht unberührt lässt, zeigt sich V.27: »Jetzt ist meine Seele erschüttert.« Man hat diesen Vers die johanneische Gethsemane-Szene genannt. Dies ist insofern berechtigt, als die Abfolge von Erschütterung angesichts des bevorstehenden Sterbens und Ergebung in den Willen Gottes auch Mk 14,32-42 prägt. Dennoch sind die Unterschiede erheblich. Nicht zufällig beschränkt sich Johannes auf den kurzen Satz Jesu innerhalb einer öffentlichen Rede und gestaltet keine Szene, in der das Zittern und Zagen Jesu den Lesern vor Augen gestellt wird. Anstelle einer Bitte um die Wegnahme des Kelches (Mk 14,36) erscheint die auf Verneinung zielende Frage: »Was soll ich sagen: Vater, rette mich aus dieser Stunde?« Anders als für den Beter von Ps 6, auf den der Vers anspielt (Ps 6,3-8), kommt eine solche Bitte für Jesus im Johannes-Evangelium nicht in Frage. 


Die bedrängende Nähe des Todes wird in der Rede unterstrichen durch den häufigen Gebrauch des Zeitadverbs jetzt (V.27.31) oder den Verweis auf die Stunde, die gekommen ist (V.23.27). Der Begriff der »Stunde« hat im Johannes-Evangelium einen deutlichen Bezug auf die Passion (z.B. 7,30; 13,1). Wenn es heißt, diese Stunde sei »jetzt« gekommen, werden die zeitlichen Dimensionen verdichtet: in der Situation, in der Jesus die Rede hält, ist die Stunde eigentlich noch nicht da; aber sie steht doch so unmittelbar bevor, dass das Kreuz schon das Jetzt prägt. Und so kann das Ineinander von Gegenwart und Zukunft auch direkt ausgedrückt werden: »Jetzt wird der Herrscher dieser Welt hinausgeworfen werden« (V.31)


Weil dies erst noch geschehen wird, kommt es zu keiner Begegnung zwischen Jesus und den Griechen, die Jesus zu sehen wünschen. Die Aussagen über den Tod in der Rede Jesu weisen darauf hin, dass sich jener Wunsch erst nachösterlich erfüllt. Das Hinzukommen der Heiden gehört zur Frucht des Todes Jesu (V.24). In diesem Zusammenhang hat die Ankündigung, Jesus werde als Erhöhter alle an sich ziehen (V.32), einen universalen Akzent (s.a. 10,16; 11,51f). 

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