Die neue Frühjahrsoffensive

Nach einer Schonzeit schwärmen die Jagdtrupps von kath.net wieder aus und nehmen das antirömische Freiwild ins Visier, das da mutwillig die Pflanzung der katholischen Kirche in Deutschland zerbeißt. Aufgedeckt wurde ein Socken-Skandal (s. dazu auch hier [frech.fromm.frau] und hier [episodenfisch]); es wird die bislang unbekannte Stelle eines »ZdK-Theologen« eingerichtet, der natürlich keine ernst zu nehmenden Gedanken vorträgt, sondern »Ehe und Kirchengebote relativiert«; und mit Mt 5,13 als exaktem Refraktometer wird der mangelnde Salzgehalt der deutschen Funktionärskirche gemessen. 

Angefangen hat die neue Jagdsaison, als Erzbischof Robert Zollitsch auf der Lichtung der Baden-Badener Autobahnkirche erschien und dortselbst mit einer Aussage erwischt wurde, die man ihm als Kritik an Papst Benedikt XVI. auslegt. Bei einer Predigt hat er gesagt: »Nun ist es wieder interessant, katholisch zu sein. Das haben wir Papst Franziskus zu verdanken« (s. hier). Wegen dieses Wortes »stellen sich nicht wenige Katholiken« die Frage, ob es unter Papst Benedikt uninteressant gewesen sei, katholisch zu sein. Die Mengenangabe bleibt dunkel, sie könnte sich auch auf den Hinweisgeber und die Redaktion von kath.net beziehen. Wenn BILD eine Kampagne gegen jemanden oder etwas startet, heißt es oft: »Ganz Deutschland fragt sich jetzt ...« oder so ähnlich (ein Beispiel auf Bildblog hier; im Wörterbuch von bildblog.de wird »ganz Deutschland« übersetzt mit »die Redaktion von BILD«). Was Ziel der Empörungs-Aktion ist, wird im Vorgriff als Tatsache behauptet. Und in diesem Stil läuft das nach der Wiedereröffnung der Kommentarfunktion auch wieder auf kath.net: Die Empörung wird produziert. 

Was von der Predigt mitgeteilt wird, gibt keinen Hinweis, dass Erzbischof Zollitsch die zitierte Aussage in eine wertende Verbindung mit Papst Benedikt gebracht hätte. Die angebliche Kritik ist also nur eine Schlussfolgerung aus einem Satz, der Streit geht um Ungesagtes. Nun kann man grundsätzlich eine Botschaft auch zwischen den Zeilen mitteilen. Ob die in die Überschrift gehobene Schlussfolgerung (»War es unter Benedikt nicht interessant, katholisch zu sein?«) bösartig ist, entscheidet sich deshalb an der näheren Betrachtung des Inhalts der Aussage. Schauen wir sie uns etwas näher an. Wer sich nicht von vornherein auf eine anklagende Interpretation festlegen will, hat zwei Optionen. 

(1) In einem flachen Sinn von »interessant« könnte gesagt sein, dass die Art und Weise, in der Papst Franziskus sein Pontifikat begonnen hat, überrascht und neue Akzente für die gläubige Existenz von Katholiken gesetzt hat. Es ist insofern »wieder interessant, katholisch zu sein«, als man sich mit diesem Papst auf Ungeahntes gefasst machen kann. 

(2) Nehmen wir das Adjektiv »interessant« in etwas engerem Sinn, legt sich noch ein anderes Verständnis nahe. Ihm zufolge kann es für Katholiken gar nicht interessant sein, katholisch zu sein – weil sie katholisch sind. Wenn etwas für mich interessant ist, dann habe ich dazu noch eine gewisse Distanz, will es aber näher kennenlernen (wenn wir einmal von der Rede absehen, ein Gericht schmecke interessant; das heißt im Klartext so viel wie: »so etwas habe ich noch nie gegessen, will ich auch nie wieder essen« – aber das sagt man dem Koch natürlich nicht). Demnach ginge es in dem Satz also um die Außensicht auf das Katholische. Papst Franziskus hat einige neue Akzente gesetzt, seine Rolle als Papst etwas anders gefüllt als sein(e) Vorgänger; er kommt aus Lateinamerika, hat einen anderen Hintergrund und stellt neue Themen in den Vordergrund. Allein dies kann dazu führen, dass es in unseren Breiten interessant erscheint, katholisch zu sein. In der zitierten Aussage steckt keinerlei Kritik am Amtsvorgänger, weil das geweckte Interesse an Momenten anknüpft, die der Vorgänger gar nicht haben konnte. 

Es ist also keineswegs zwingend, die Äußerung von Erzbischof Zollitsch als Kritik an Benedikt XVI. zu deuten. Warum wird es dennoch getan? Offensichtlich können sich manche nicht verabschieden von dem Klischee einer »Anti-Benedikt-Kirche« in Deutschland. Und da der Rücktritt möglicherweise noch nicht verarbeitet ist und die deutsche Kirche für das traumatische Ereignis mitverantwortlich gemacht wird (s. dazu auch hier), schlagen die Seismographen in Linz aus, wenn sich eine Fliege auf der Autobahnkirche Baden-Baden niederlässt. 

Der Überempfindlichkeit im Blick auf eine nur mühsam erschließbare Kritik an Benedikt XVI. entspricht auf der anderen Seite ein etwas zwanghafter Hang, die Kontinuität zwischen dem jetzigen Papst und seinem Vorgänger zu betonen. In diesem Klima wird eine lobende Äußerung über den neuen Papst leicht als Kritik am alten aufgefasst. Wenn beteuert wird, zwischen beide passe kein Blatt Papier, so ist schon die Tatsache, dass solches öffentlich beteuert wird, eine Problemanzeige – ganz gleich ob damit Reformhoffnungen oder Reformbefürchtungen gedämpft werden sollen. Im vergangenen Jahr hat das Präsidium des FC Bayern München gezeigt, in welchen Zusammenhängen man hervorkehrt, dass zwischen bestimmte Personen kein Blatt Papier passe: wenn man eine bestehende Differenz bearbeiten und deshalb einen »Friedensgipfel« inszenieren muss. Ich behaupte nicht, dass diese Differenz besteht, aber das öffentlich vorgetragene Ergebnis der Abstandsberechnung macht eher misstrauisch, als dass es beruhigt. Immerhin beschrieben einst Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder ihr Verhältnis mit der verhandelten Blatt-Papier-Metapher. Letztlich war es dann doch die 30-bändige Brockhaus-Ausgabe, die zwischen den beiden untergebracht werden konnte. 

Weil es sich bei dem eingangs erwähnten angeblichen »ZdK-Theologen« um den sehr geschätzten Kollegen an der Münchener Fakultät Konrad Hilpert handelt, noch einige Bemerkungen zur Jagd auf ihn. Aus seinem Referat bei der Vollversammlung werden einige Sätze herausgepickt und mit der tendenziösen Überschrift versehen, hier würden Ehe und Kirchengebote relativiert. Nicht einmal der gebotene Ausschnitt legt diese Folgerung nahe. Wer der kirchlichen Sexualethik »ein erhebliches Glaubwürdigkeitsproblem« bescheinigt, beschreibt einen gegebenen Zustand in der öffentlichen Wahrnehmung. Man kann davor die Augen verschließen; das Faktum zu bestreiten setzt aber eine ähnliche Wirklichkeitsverweigerung wie die Behauptung voraus, der Schweizer Kanton Appenzell-Innerrhoden sei die Keimzelle der Frauenemanzipation gewesen. Wer die Aufforderung, auf den »Gestus des Belehrens« zu verzichten und Sexualethik nicht auf das Raster »Ehe oder Nicht-Ehe« zu reduzieren, als Relativierung von Ehe und Kirchengebot brandmarkt, kann wohl nur im Rahmen angeblich objektiver Normen denken und fasst jede Anfrage als identitätsbedrohende Gefahr. Wie verzerrend die Überschrift des kath.net-Beitrags ist und wie sehr es Konrad Hilpert darum geht, dass die kirchliche Sexualethik wieder Gehör finden könne, kann man sich bei Lektüre des ganzen Vortrags leicht vor Augen führen (s. hier, kath.net-Lesern wird der Link nicht geboten, sondern nur die E-Mail Adresse Konrad Hilperts  zur Absonderung von Hass-Mails).

Die absurden Folgen der tendenziösen und verzerrenden Überschrift sind in den Leserkommentaren dokumentiert, in denen »reilia7« einen aussichtslosen Kampf kämpft. Aus den übrigen greife ich einen Fall heraus, der besonders krass die erkenntnisleitende Funktion der Überschrift zeigt (auch wenn die Rede von »Erkenntnis« hier übertrieben ist). Kommentator »Qurinusdecem« schreibt:
»Vom Regen in die Traufe........ oder das wie das Denken nicht von 12 bis Mittag reicht......Stichwort 'Beziehungsethik' gesehen werden. Dann sei Sexualität 'eine 'spezielle Art von Kommunikation', in der personale Güter wie Zuneigung, Wertschätzung, Fürsorge, Annahme und Trost mitgeteilt werden.' Interessant! Dann drückt der Freier, der zu einer Prostituierten geht also Fürsorge, Annahme und Trost aus. Oder wäre diese 'Kommunikation' beziehugsunethisch. Wenn ja, wer bestimmt was beziehungsetisch ist ? Müsse Eltern jetzt ihre Liebe zu ihren Kinder auch sexuell ausdrücken, um die volle Kommunikation zur Übermittlung von Fürsorge und Zuneigung zu gewährleisten? Wo kriegen diese Leute eigentlich ihrer Titel her? Kann man die kaufen?«
Die Forderung nach einer beziehungsethischen Sicht von Sexualität wird hier also zunächst so verstanden, als sei jede Form von Sexualität in sich beziehungsethisch qualifiziert (»Dann drückt der Freier ...«). Der aufblitzende Zweifel an dieser Sicht (»Oder wäre diese Kommunikation beziehungsunethisch?«) führt aber nicht zu Verständnis, sondern zum nächsten logischen Fehler: Die Forderung nach einer beziehungsethischen Sicht von Sexualität gilt als Forderung, alle Beziehung sei sexuell auszudrücken. 

Wenn Leute dieses geistigen Kleinkalibers dann noch unverschämte Fragen nach dem Erwerb akademischer Titel stellen, steigen ganz unfreundliche Gedanken auf, die ich hier nicht niederschreiben will. Nur soviel: Die verhandelte Internet-Seite gehört wohl zu jenen, die durch ihre Leser gestraft werden.

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