Sonntagsevangelium (86)

16. Sonntag im Jahreskreis (C): Lk 10,38-42

Frauen spielen in der Jesusgeschichte des Lukas eine profiliertere Rolle als in den übrigen Evangelien. In Lk 8,2f werden neben den namentlich Genannten (Maria Magdalena, Johanna, Susanna) pauschal »viele andere« erwähnt, die ihr Vermögen für die Jesusbewegung einsetzten. Auch wenn Lukas sie nicht ausdrücklich als Jüngerinnen bezeichnet, so ordnet er sie doch dem engeren Kreis um Jesus zu, denn sie gehören wie die Zwölf zu jenen, die mit dem Künder der Gottesherrschaft umherziehen.

Von denen, die Jesus in einem unmittelbaren Sinn nachfolgen, sind (auch in historischer Hinsicht) Anhänger zu unterscheiden, die man als Sympathisanten und Unterstützer bezeichnen kann. Sie bleiben in ihrem Lebenskreis, sind aber Jesus und den Jüngern nicht nur durch ein oberflächliches Interesse verbunden. Maria und Marta erscheinen als Vertreterinnen solch ortsfester Sympathisanten. Im Ablauf des Lukas-Evangeliums lässt sich ein Bezug zur Jüngeraussendung herstellen, die das Kommen Jesu vorbereiten sollte: »Er sandte sie zwei und zwei in jede Stadt und jeden Ort, in die er kommen wollte.« (10,1). Nun kommt Jesus »in ein Dorf« (10,38) und wird gastlich aufgenommen. Nur in der Überleitung (10,38a) wird berücksichtigt, dass sich Jesus in Begleitung seiner Jünger befindet (»als sie weiterzogen«). Die Erzählung selbst (ab 10,38b) ist auf Jesus konzentriert (»kam er in ein Dorf«).


Das Auftreten Marias und Martas zeigt gewisse Parallelen zum Johannes-Evangelium, das ebenfalls das Schwesternpaar kennt - in vergleichbarer Rollenverteilung: Marta dient (Joh 12,2) und ist auch in der Geschichte von der Auferweckung des Lazarus aktiv, indem sie Jesus entgegengeht, während Maria im Haus sitzen bleibt (Joh 11,20). Die Vergleichbarkeit beschränkt sich aber auf einzelne Motive, der jeweilige erzählerische Zusammenhang ist grundverschieden.

Zwei Verhaltensweisen sind in der lukanischen Geschichte von Maria und Marta einander gegenübergestellt: Hören auf das Wort Jesu und Bewirtung eines Gastes (die unspezifische Rede von »vielerlei Dienst« ist wegen des szenischen Rahmens am besten auf die Bewirtung zu beziehen). Zu einer wirklichen Konfrontation kommt es allerdings erst dadurch, dass Marta Maria und zugleich Jesus kritisiert (10,40). Jesus hat die ungleiche Rollenverteilung hingenommen; nun soll er dafür sorgen, dass Maria ihrer Schwester bei der Bewirtung hilft. Jesus nimmt also nicht von sich aus Stellung zu den beiden Verhaltensweisen, sondern weist einen Einspruch zurück. Er kritisiert Marta nicht wegen ihrer Bemühungen als Gastgeberin; aber er lehnt es ab, Maria dieselbe Rolle zuzuweisen: Was sie gewählt hat, soll ihr nicht genommen werden (10,42).

Ist es »das Bessere«, wie die Einheitsübersetzung wiedergibt? Diese Übersetzung ist möglich, sichern lässt sie sich aber nicht. Wörtlich heißt es: Sie hat »den guten Teil« gewählt. Es muss also nicht um einen Vergleich der beiden Verhaltensweisen gehen. In erster Linie wird das Verhalten Marias gerechtfertigt: im Hören auf das Wort Jesu hat sie das getan, worauf es ankommt.

Kommentare

Gerhard Mentzel hat gesagt…
Sehr geehrter Herr Prof. Häfner,

auch wenn Sie das wieder weit von sich weisen. Weniger im Kommentar, der heute leider wenig auf den theologischen Inhalt eingeht, als in der Geschichte selbst wird wieder deutlich, dass hier nicht von einem egal wie gestrickte Heilsprediger und seinen Anhängerinnen berichtet wird. Von dem, der heute als historisch hinterfragt wird, ist hier, wie an keiner Stelle im NT was zu lesen. Um den ist es keinem der anfänglichen Reformjuden, Apologeten, Gnostiker oder Verfasser bzw. Christen im Namen Jesus gegangen.

Sie werden doch nicht allen Ernstes denken bzw. ihre Leser im Glauben lassen wollen, der Hellenist Lukas hätte über die Groupies eines antiken Aussteigers bzw. Wanderkynikers, jüdischen Heilspredigers... berichtet, die diesem Herrn hörig waren und die paarweise als Kundschafterinnen vorausgeschickt wurden.

Wer den Vergleich zu Johannes herstellt, sich die Geschichte betrachtet, bei der jeweils zwei Frauen unterwegs waren, der kann doch selbst dies bisher banal erscheinende Geschichten nicht weiter im buchstäblichen Sinne lesen oder verstehen wollen.

Hier kann nicht über einen Heilsprediger und Anhängerinnen, die nur auf dessen Worte hörten berichtet worden sein. Der Jesus, über den im Zusammenhang mit den Frauen berichtet wird, das kann kein umherziehender Wunderheiler gewesen sein, von dem der sonst hochtheologisch schreibende Lukas Bewirtungsstorys festgehhalten hat.

Kann man die Bibel (und damit den gesamten christlichen Glauben) mehr verfälschen, als die Welt im Glauben zu lassen, hier wäre von der Hörigkeit antiker Groupies berichtet worden, die sich einem Heilsprediger unterworfen haben?
Gerd Häfner hat gesagt…
Um auf Ihre letzte Frage zu antworten: Man kann die Bibel mehr verfälschen, indem man eine verborgene Wahrheit hinter dem Text sucht und Geschichten über einen jüdischen Wanderprediger nicht als Geschichten über einen jüdischen Wanderprediger gelten lässt. Im Übrigen möchte ich an das erinnern, was ich letzte Woche geschrieben habe: Die Diskussion um die schöpferische Vernunft will ich nicht wieder aufnehmen. Es ist alles gesagt und ständige Wiederholung nutzt niemandem.
Kunigunde Kreuzerin hat gesagt…
Vielen Dank (wie immer). Ich finde es auch ziemlich interessant, wie vorsichtig sich Lukas hier ausdrückt. Er kritisiert ja Martha nicht, sondern sagt nur, dass Marias Verhalten in Ordnung ist und sie nicht kritisiert werden darf. Ich frag mich manchmal, ob für diese bedachte lukanische Ausdrucksweise nicht auch das Verhältnis der frühen christlichen Gemeinden zu finanziellen Förderern eine Rolle spielte bzw. insbesondere auch das Verhältnis von Lukas zu Theophilus. Denn diese Förderer spiegeln in gewisser Weise ja Maria UND Martha wieder und man hätte diese vielleicht auch "vor den Kopf stoßen" können. Daher vielleicht auch diese Wortwahl bezogen auf eine sehr bemühte Martha die "sich viel zu schaffen macht".
Kunigunde Kreuzerin hat gesagt…
"Marta" natürlich ;-)

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