Bewerten Sie Ihren Pastoralverkäufer!

Spiegel online hat über die Eröffnung der Seite hirtenbarometer.de berichtet. (»Schäfchen beißt Hirte«). Dort kann, wie die Betreiber mitteilen, »die Arbeit religiöser Würdenträger bewertet werden«. Damit soll dem Mangel abgeholfen werden, »dass es nur sehr wenige Informationen über die Qualität der Arbeit von Hirten gibt«. Es soll ein Feedback gegeben werden, das auch für die Hirten selbst wichtig sein kann und zu einem »Dialog auf Augenhöhe« führen soll. Ziel ist die Qualitätssteigerung:
»Hirtenbarometer macht die Arbeit von Würdenträgern sichtbarer und nutzt das dadurch steigende öffentliche Interesse dazu, um langfristig die Qualität der Arbeit von Hirten zu verbessern.«
Bewertet wird in fünf Kategorien: Gottesdienst, Glaubwürdigkeit, am Puls der Zeit, Jugendarbeit, Seniorenarbeit. Man kann Bewertungen zwischen 1 und dem Höchstwert 6 abgeben. Außerdem kann man sich in Kommentaren zum jeweiligen Hirten äußern.

Meine erste Assoziation bezog sich auf Amazon und Ebay: Bewerten Sie Ihren Verkäufer! 


Bei Ebay werden für die detaillierte Verkäuferbewertung allerdings nur vier Kategorien angeboten und auch nur fünf Bewertungsstufen. Man muss aber nicht übertrieben empfindlich sein, wenn man meint, dass die Erweiterung um eine Kategorie bzw. Bewertungsstufe nicht ausreicht, um pastoraler Arbeit gerecht zu werden. Hier geht es um ein Geschehen, dessen Komplexität sich von derjenigen eines Verkaufsvorgangs »dem Wesen und nicht bloß dem Grade nach« unterscheidet (dieses Zitat aus Lumen gentium 10 ist natürlich ganz unwissenschaftlich, weil völlig aus dem Zusammenhang gerissen).  


Wertende Auswahl

Betrachtet man die Kategorien etwas näher, wird die Sache nicht überzeugender. Auswahl und Definition geben bereits eine bestimmte Wertung vor. Auch wenn mir selbst diese Wertung nicht ganz fremd ist, halte ich sie doch für ungeeignet, um »Hirtentätigkeit« zu beurteilen. Die Kategorie »Am Puls der Zeit« wird so erläutert: 
»Ist der Hirte offen für aktuelle Themen, greift er diese Themen auf und integriert er sie in seine Arbeit? Oder verpasst er die Gegenwart und hängt längst vergangenen Zeiten nach?«
Der Fall scheint nicht undenkbar, dass ein traditionsorientierter Katholik hier Höchstnoten verteilen würde, um damit den Hirten zu kritisieren und ihm vorzuwerfen, er biedere sich an den Zeitgeist an. Abbilden ließe sich diese Absicht in dem System nicht. Umgekehrt sähe es in der Kategorie Jugendarbeit aus:
»Fährt der Hirte auch mal mit aufs Jugendlager und lebt getreu seiner Vorbildfunktion? Oder hält er es eher mit alten Traditionen und hat für die modernen Probleme junger Schäfchen kein Verständnis?«
Wer den Hirten für das Festhalten an den alten Traditionen belobigen will, müsste ihm eine niedrige Bewertung verpassen. Ich habe kein persönliches Interesse an solchem Lob, meine aber, dass ein Bewertungssystem unbrauchbar ist, das bestimmte Einschätzungen gar nicht erfassen kann.

 

Nur Jugend und Senioren?

Dass pastorale Praxis in die Felder Jugend- und Seniorenarbeit aufgeteilt wird, ist nicht nur deshalb misslich, weil damit die Altersgruppen unter den Tisch fallen, deren Angehörige sich weder zur Jugend noch zu den Senioren rechnen. Zwar wird aus jugendlicher Perspektive häufig alles, was nicht mehr jugendlich ist, der Seniorengruppe zugeordnet; außerhalb des Jugendalters wird dies aber meist differenzierter empfunden. Eine zweite Schwäche dieser Zuspitzung auf den pastoralen Umgang mit den (extremen) Altersgruppen besteht darin, dass die Bewertung sich auch auf Hirten bezieht, die mit diesen pastoralen Praxisfeldern nur sehr mittelbar zu tun haben. Wie soll ich die Jugendarbeit eines Bischofs bewerten? Von seinem Auftreten bei der Firmung? Von der Organisation der Jugendarbeit in seinem Bistum? Von punktuellen Erfahrungen in verschiedenen Pfarreien? Wenn ich gefragt würde, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihren Mitarbeitern umgeht, könnte ich dazu auf einer Skala von 1-6 zwar etwas ankreuzen, müsste es aber auswürfeln.

 

Erste Ergebnisse: 3-4

Im Übrigen fällt bei bislang abgegeben Bewertungen auf: die Gesamtbewertungen von Personen, die in der Öffentlichkeit bekannt sind, bewegen sich meist in einem recht engen Bereich zwischen 3 und 4. 
Papst Benedikt XVI.: 3,80 (183 Bewertungen) / Kardinal Marx: 3,75 (27) / Bischof Gerhard Ludwig Müller: 3,73 (76) / Kardinal Lehmann: 3,65 (68) / Erzbischof Zollitsch: 3,57 (11) / Kardinal Meisner: 3,52 (99) / Margot Käßmann: 3,27 (146).
Ausreißer nach oben oder unten gibt es nur, wenn die Bewertung auf relativ wenigen Stimmen beruht:
Bischof Bode: 4,78 (9 Bewertungen); Bichof Hanke: 4,73 (10); Bischof Overbeck: 2,92 (14); Bischof Tebartz-van Elst: 2,30 (15),
oder ein bereits Verstorbener bewertet wird (Papst Johannes Paul II.: 4,54/70). Zu besonders aussagekräftigen Ergebnissen scheint man nicht zu kommen. 


Das Ranken höret niemals auf?

Ich gebe zu, eine gewisse Abneigung gegen ständiges Bewerten zu haben. Ich klicke nicht auf »Like-Buttons«, will keine Hotline-Mitarbeiter evaluieren, und es reizt mich nicht zur Antwort, wenn ich am Ende einer Internet-Seite die Frage lese: »War diese Seite hilfreich?« Vielleicht bin ich auch beruflich geschädigt, da ich in diesem Rahmen viel bewerten muss und dies als durchaus schwierig und anstrengend empfinde. Es wird nach meinem Geschmack derzeit sicher nicht zu wenig »gerankt« und »Exzellenz« erhoben; Sehnsucht nach pastoralen Ranglisten habe ich jedenfalls nicht. Dennoch ist es hoffentlich nicht nur eine persönliche Geschmacksfrage, wenn mir im Blick auf die Pastoral vor Ort eine andere Form des Feedbacks sinnvoller erscheint: das persönliche Gespräch. Wenn das nicht möglich sein sollte und nur die distanzierte digitale Äußerung von Lob und Tadel als angemessen erschiene, wäre für die Pastoral ein beklagenswerter Zustand erreicht.

 

Schwankender Luftdruck

Die Barometer-Metapher ist wahrscheinlich in Anlehnung an das Politbarometer des ZDF gewählt. Ein Barometer misst den Luftdruck, der meist nicht über längere Zeit stabil bleibt. Dies mag auf die Bewertung von Politikern oder von Fragen des politischen Tagesgeschäfts gut übertragbar sein. Im Falle der Evaluation von pastoraler Arbeit ist die Barometer-Metapher eher Problemanzeige als treffendes Bild. Eine Note will ich aber für hirtenbarometer.de trotzdem nicht vergeben.

Kommentare

Volker Schnitzler hat gesagt…
Vielleicht passt hier eine Aussage von Kardinal Schönborn bei einer Priesterweihe in Wien am letzten Freitag: "Gehorsam heißt auch, den Mut zu haben, dem Bischof das Herz zu öffnen und ihm auch Unangenehmes zu sagen: aber nicht über die Medien, sondern von Angesicht zu Angesicht, persönlich."

Das könnte man doch gut auf das Verhältnis zwischen Laien und Priestern übertragen.
Lina Sforza hat gesagt…
Hier muss ich Herrn Schnitzler zustimmen, zumal sich ein solches Verhalten für gemeindeinterne (aber vielleicht auch Streitigkeiten auf höherer Ebene?) Streitigkeiten auf die Weisungen in Mt 18,15-17 beziehen könnte, die dann in den Versen 21 und 22 das ganze nochmals aufbrechen und erweitern.
Mit einer direkten Rede- und Streitkultur in der Kirche, wären so einige Dinge vielleicht ganz anders verlaufen...
Stefan Kraft hat gesagt…
Wobei ja von manchen kritisiert wird, dass das Theologenmemorandum gerade über die Medien verteilt wurde und nicht den Bischöfen "von Angesicht zu Angesicht, persönlich" vorgetragen wurde. (Ich persönlich stehe dem Memorandum weit näher als der Petition pro Ecclesia, allerdings ist der oben genannte Vorwurf etwas, was ich manchmal gelesen habe; da ich zugegebenermaßen die ganze Entwicklung um die beiden Unterschriftslisten nicht vollständig mitverfolgt habe, kann ich das nicht recht bewerten.)
Stefan Kraft hat gesagt…
Unabhängig von meinem obigen Kommentar (der ja eigentlich nichts mit dem Thema des Blogeintrags zu tun hat):
Ich stimme Herrn Häfner zu, dass man wirklich nicht alles in Noten gießen und bewerten muss (und ob man das überhaupt kann). Und ob alle Fragen im Fragebogen wirklich glücklich formuliert sind?

Überhaupt scheint das Ganze eher eine katholische Veranstaltung zu sein:
"Die religiösen Würdenträger heißen hier Hirten, die Mitglieder Schäfchen."
Ob das alle Protestanten (Priestertum aller Getauften) so pauschal unterschreiben können? (Natürlich ist mir klar, was bei dem oben genannten Zitat wirklich gemeint ist.)
Regina hat gesagt…
@ Stefan Kraft :

na, ob das Hirtenbarometer katholischer Herkunft ist, mag ich schon bezweifeln. Hirten und Schafe ist auch eine gängige Metapher in protestantischen Kreisen :) - wenn selbstkritische und vor allem selbstdenkende Christen sich inzwischen die Bezeichnung "Schaf" energisch verbitten, da das oberhirtliche Gebaren so gar nichts mehr mit einem Hirten zu tun hat ( wunderbare Predigt von Markus Schlagnitweit zum Thema Hirten : http://madonna.khg.jku.at/schlagnitweit/Predigten/Lesejahr%20A%20-%202010-11/Fastenzeit%20-%20Osterzeit/Ostersonntag04.pdf )

Übrigens hat die österreichische Laieninitiative vor geraumer Zeit einen "Bischöflichen Beurteilungsbogen " auf den Weg gebracht, siehe hier :

http://www.laieninitiative.at/bischofsbeurteilungsbogen


bzw. die pdf- Variante :

http://www.laieninitiative.at/media/documents/bischofsbeurteilung_lai.pdf

Man könnte ihn auch auf Priester anwenden, erweitert und modifiziert sicherlich.

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