Falsche Polemik gegen den SPIEGEL

In der Reihe »Der Spiegel/Geschichte« ist ein Heft über Jesus von Nazareth erschienen. Es hat den Unmut von Rolf Hille, Vorsitzender des Arbeitskreises für Evangelikale Theologie, auf sich gezogen. Er stellt enttäuscht fest: Im »Spiegel« ist nicht der Jesus der Bibel (auch hier). Mit gleichem Recht könnte er in der Apotheken-Umschau den Sportteil vermissen. Dass ein Heft zur geschichtlichen Gestalt des Jesus von Nazareth sich auf historische Methoden beschränkt, ist kein Mangel, sondern eine Notwendigkeit.  

Objektive Fassbarkeit der Offenbarung? 

Das methodisch notwendige Absehen vom Wirken Gottes bedeutet für Hille:
»Dass Gott als Person redet und handelt, wird damit praktisch ausgeschlossen.«

Nein, es wird nur methodisch ausgeschlossen und dem Feld des Glaubens überlassen. Aber dieses Feld scheint Hille seinerseits auszublenden, denn er beklagt, es sei außerhalb des Horizonts der Autoren des Heftes,
»dass es eine objektiv fassbare Offenbarung Gottes in der Geschichte geben könnte« (Hervorhebung von mir). 
Leider erklärt er nicht, was er unter einer objektiven Fassbarkeit der Offenbarung versteht. Auch eine Rekonstruktion, die das Bekenntnis zur Gottessohnschaft Jesu in Selbstbewusstsein und Botschaft der historischen Gestalt verankert, bietet keine objektiv fassbare Offenbarung Gottes in der Geschichte. 

Ein unsinniger Vorwurf: Islamisierung Jesu
 

Der größte Unfug ist aber das Urteil, Jesus werde durch historische Jesusforschung islamisiert. Mit diesem Begriff sollen offensichtlich diffuse Ängste vor einem Erstarken des Islam mobilisiert werden, der sich jetzt angeblich auch noch in der Deutung der Gestalt Jesu durchsetzt. Man kann Hille den Vorwurf kaum ersparen, dass er die Rede von der Islamisierung Jesu mit bewusster rhetorischer Hinterlist einsetzt. Denn er weiß, dass die historische Jesusforschung mit der Epoche der Aufklärung verbunden ist, ihre Prinzipien also sicher nicht aus der Lektüre des Korans gewonnen sind. Auch logisch ist die Kategorie der Islamisierung Unsinn. Sie leitet aus der Identität von zwei Aussagen einfach ein Begründungsverhältnis ab. Dass der Koran in Jesus einen Propheten sieht, begründet nicht, dass jede Sicht Jesu als eines Propheten mit dem Islam zusammenhängt. Dies kann auch deshalb nicht sein, weil bereits in den Evangelien die Bezeichnung Jesu als Prophet begegnet, z.B. Mk 8,27f: 
»Und Jesus und seine Jünger gingen hinaus in die Dörfer von Cäsarea Philippi. Und auf dem Weg fragte er seine Jünger und sprach zu ihnen: Was sagen die Menschen, wer ich bin? Sie aber antworteten ihm und sagten: Johannes der Täufer; und andere: Elia; andere aber: einer der Propheten.« 
Man wird sich darauf einigen können, dass solches Urteil vom Islam ganz unbeeinflusst ist. Selbstverständlich bietet es im Sinne der Evangelien keine ausreichende Bestimmung der Würde Jesu. Aber es gibt in der jüdischen Tradition die Kategorie des Propheten, um einen Gottesboten zu benennen. Wer sie benutzt, um die Gestalt Jesu religionsgeschichtlich einzuordnen, betreibt also keine Islamisierung Jesu.

Die Strategie Hilles ist klar: Wenn das Stichwort der Islamisierung fällt, soll historische Jesusforschung diskreditiert werden. Dies ist in doppelter Hinsicht bedenklich. Zum einen im Blick auf den erwarteten Effekt eines solchen Vorgehens: Ist unser Umgang mit dem Islam schon auf einem solchen Tiefpunkt angekommen, dass man ihn für billige rhetorische Tricks in innerchristlichen Auseinandersetzungen benützt? Es zeigt sich zum andern auch eine völlige Verkennung der Anliegen heutiger Jesusforschung. Aus ihr folgt keineswegs, dass 

»all das, was das Glaubensbekenntnis von Christus aussagt, zum Märchen gerinnt«.
Verkennung der Jesusforschung

Über einen Märchencharakter des Glaubensbekenntnisses kann historische Jesusforschung keine Aussagen treffen. Kommt sie zu dem Ergebnis, dass etwa das Bekenntnis zu Jesus als Messias und Gottessohn erst nachösterlich entstanden ist, so ist dies nur eine Aussage über den Ursprung, nicht über die Wahrheit dieses Bekenntnisses. Es ist ja nicht so, dass böswillige Exegeten das Bekenntnis zu Jesus Christus destruieren wollen. Die Texte der Evangelien selbst geben Hinweise auf den Unterschied zwischen dem Jesus der Geschichte und dem Christus des Glaubens. Einige Schlaglichter:

(1) Folgt man den synoptischen Evangelien (Markus, Matthäus, Lukas), hat Jesus das Reich Gottes verkündet, nicht sich als Messias oder Sohn Gottes. Nur im Jüngerkreis bricht die Frage nach der Identität Jesu auf (Mk 8,27-30), dann wieder im Verhör vor dem Hohen Rat (Mk 14,61f). Gegenstand der öffentlichen Verkündigung aber ist die Würde Jesu nach dem Zeugnis der Synoptiker nicht gewesen.
(2) Die Ostertraditionen der Evangelien vermitteln den Eindruck, dass die Jünger mit der Auferstehung Jesu nicht gerechnet haben. Ostern ereignet sich als etwas völlig Überraschendes. Nach Lk 24,11 wird selbst die Kunde vom leeren Grab für Geschwätz gehalten.
(3) Dass erst die Auferweckung das rechte Verständnis auf Jesus eröffnet, wird im Johannes-Evangelium punktuell verdeutlicht (Joh 2,22; 12,16). In den Abschiedsreden ist im Vorgriff auf die nachösterliche Situation davon die Rede, dass der Geist die Jünger in die ganze Wahrheit einführen wird (16,13).
(4) Die Tatsache, dass trotz der erheblichen Differenzen vier Evangelien als heilige, verbindliche Schrift anerkannt wurden, lässt sich nur erklären, wenn sie nicht wegen des Anspruchs historischer Exaktheit diesen Rang erhielten.
 

Folgerungen
 

Es kann also nicht gegen den Glauben gerichtet sein, wenn man zwischen dem Jesus der Geschichte und dem Christus des Glaubens unterscheidet. Abzulehnen ist nur der Anspruch, mit historischen Mitteln den »wirklichen Jesus« rekonstruieren oder das nachösterliche Bekenntnis nicht nur in seiner Differenz, sondern als Widerspruch zum Wirken Jesu bestimmen zu können. Die Rede vom »wirklichen Jesus« ist immer ein Kampfbegriff, sei es als Mittel zur Durchsetzung der eigenen Deutung, sei es (aus Verlagssicht) als Verkaufsargument. Und dass das österliche Bekenntnis zu Jesus als Auferweckten und Sohn Gottes in sachlichen Widerspruch zum Wirken Jesu gerate, lässt sich mit historischen Mitteln nicht erweisen.

Wenn dagegen die historische Rückfrage bei dem bleibt, was sie leisten kann - eben mit historischen Methoden nach dem Jesus der Geschichte zu fragen - kann man ihr nicht vorwerfen, dass sie das unternimmt, was ihre Aufgabe ist. Wenn uns Hille seriöse evangelische Forschung empfiehlt und auf Martin Hengel, Roland Deines und Rainer Riesner verweist, so nennt er einfach diejenigen seriös, deren Ergebnisse ihm am angenehmsten sind. Auch sie arbeiten aber mit historischen Methoden und argumentieren nicht damit, »dass Gott als Person redet und handelt«. Damit reduziert sich die Kritik am Spiegel auf den simplen Sachverhalt, dass für das Themenheft die nach Hilles Ansicht falschen Gewährsleute gewählt wurden. 

Kommentare

Volker Schnitzler hat gesagt…
Danke für diese notwendige Kritik an diesem Hille. Offensichtlich formiert sich da eine innige Verbindung zwischen evangelikalen und erzkonservativen Katholiken. Der wird auf kath.net ja geradezu gefeiert. Liegt wohl auch daran, dass er die Bücher des Papstes als Alternative zum Spiegel empfiehlt, was trotz seines wirren Ansatzes kein schlechter Tipp ist ;-)

Es wird Sie nicht wundern, dass mir zu Ihren Aussagen auch noch das ein oder andere einfällt.

Sicherlich waren die Ereignisse in Jerusalem, die mit der Kreuzigung endeten, ein Bruch in der Jesusbewegung. Unter dem Kreuz standen offensichtlich (in einiger Entfernung) nur noch die Frauen, die Jünger waren auf der Flucht in ihre Heimat. Ähnliches berichten die Ostergeschichten vom leeren Grab. Markus spricht gar von einem Jüngerunverständnis, wenn er durchweg darauf aufmerksam macht, dass die, die Jesus am nächsten waren, nicht verstanden, wer er war.

Insofern kann man Ihnen nur zustimmen, wenn Sie die österlichen Ereignisse als entscheidend für das Christusbekenntnis herausstellen.

Was mich allerdings interessiert, sind die Linien, die zu diesem Bekenntnis führen, die die Auferstehung in diesem Licht erscheinen lassen. Alleine die Tatsache, dass jemand von den Toten aufersteht, scheint zumindest in der Welt der Evangelien noch nicht auszureichen.

Und in diesem Zusammenhang habe ich den Eindruck, dass gerade die Aussagen, die man mit historischen Methoden als relativ zuverlässig dem historischen Jesus zuschreiben kann, weil sie sowohl für das Judentum als auch für das frühe Christentum untypisch sind, einige dieser Linien darstellen.

Da ist einmal all das, was man mit Gesetzes- und Tempelkritik umschreiben kann. Etwas, was gerade der Judenchrist Matthäus zu relativieren sucht, was aber über die Linie Johannes der Täufer (Gott macht aus Steinen Nachkommen Abrahams), Jesus (Reinheitsvorschriften, Sabbat, Fasten, Scheidung), Stephanus (redet gegen den Tempel und das Gesetz des Mose), Paulus (Gesetz rettet nicht) nachzuweisen ist.

Dann das Auftreten Jesu: Er sammelt die 12 Stämme, setzt den 12er-Kreis ein. Welche Position nimmt er ein? Sie selbst schreiben auf Ihrer Folie zu dieser Sammlung Israels: "Gott stellt jetzt sein Volk endzeitlich wieder her." Offensichtlich zeigt sich hierin und in seiner Kritik an Gesetz und Tempel ein ungemeines Selbstbewusstsein Jesu.

Und offensichtlich ist er auch von seiner Reich-Gottes-Botschaft kaum zu trennen, da dieses Reich-Gottes um ihn herum beginnt. Blinde sehen, Lahme gehen.... Diese Heilungen, Wunder und Dämonenaustreibungen gehören wohl zu Jesus wie der 12er-Kreis, das dokumentieren die Evangelien. Von keinem antiken Menschen sind mehr Wundergeschichten überliefert als von Jesus. Und ich finde es problematisch, diese aus einer modernen Sicht heraus zu relativieren oder als Legenden abzutun (Mk 5,1–20). Ja, sie sind mit historischen Methoden nicht zu fassen, gehören in den Bereich des Glaubens, die historische Dokumentation ist allerdings äußerst stark und konstitutiv für die Person Jesu. Und so eine weitere Linie, die zum Christusbekenntnis führt. Mit einem gesetzestreuen Jesus, der friedlich im Tempel sitzt und sich dafür einsetzt, dass kein Jota des Gesetzes verändert wird, kann man wohl weder die Kreuzigung noch die nachösterlichen Ereignisse erklären.

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