Spannende Unterhaltung mit Buchwerbung

Vielleicht ist es doch ein Naturgesetz, und man kann nichts dagegen unternehmen. Jedenfalls fällt auf, dass in bestimmten Zusammenhängen offenbar zwanghaft bestimmte Wörter verwendet werden. Gäbe es den Begriff »Prozess« nicht, wären religionspädagogische Texte wahrscheinlich unmöglich. Die Verkündigung des Evangeliums scheint heutzutage vorauszusetzen, dass etwas »immer wieder neu« geschieht, dem wir dann »gleichsam« irgendetwas mehr oder weniger Bildhaftes abgewinnen können, vor allem wenn dies uns in eine »Tiefe« führt, der wir »je und je«, wenigstens aber »ganz konkret« »nachspüren«.

Wechseln wir die Branche, so lässt sich ein ähnliches Phänomen beobachten. Wer Werbe- oder Klappentexte für Bücher schreibt, unterliegt entweder einem Naturgesetz (s.o.) oder wird offensichtlich unter Androhung schwerster Strafen von Verlagen darauf verpflichtet, das Adjektiv »spannend« zu verwenden. Eine Reise in die Welt der Mathematik wird von den wenigstens gebucht; wenn sie aber lesen, dass sie spannend sei (s. hier), sind sie sicher sofort dabei. Die Denkwege zwischen Phänomenologie und Philosophie des Geistes lassen eine ähnliche literarische Gestaltung wie Krimi oder historischer Roman erwarten, sie sind also spannend (s. hier) Und wer rettet die Hirnforschung aus der Hand tödlicher Langweiler? Jedenfalls ist sie »viel zu spannend, um sie den Neurobiologen zu überlassen« (s. hier). Das Adjektiv hat eine starke soziale Ader, denn häufig tritt es gemeinsam mit anderen Vertretern seiner Art auf. Dies kann in bloßen Reihungen geschehen. Gut verträgt sich unser Wort z.B. mit magisch, bewegend, amüsant, überraschend, wunderbar, anrührend (s. hier, hier, hier, hier und hier). Es mag aber auch die »ebenso … wie«-Konstruktion: ebenso unterhaltsam wie spannendebenso spannend wie aufschlussreich, oder, mit ganz besonders feiner Nuancierung, ebenso dramatisch wie spannend.

All diesen Beispielen aus dem renommierten Suhrkamp-Verlag zum Trotz schießt den Vogel doch die Werbung eines anderes Hauses ab. Herder bekennt in einem Prospekt zu theologischen Sachbüchern nicht nur offen, dass tatsächlich ein ganz und gar neues Buch herausgebracht wird, das man nach der Drucklegung nicht allzu lange zurückgehalten hat (»der brandneue Kommentar«); es muss auch der Hinweis erfolgen, dass da nicht irgendein dahergelaufenes biblisches Buch kommentiert wird: 
»Der brandneue Kommentar zum spannendsten Evangelium des Neuen Testaments« (s. hier, S.6).
Wie abgegriffen die ständig befingerte Vokabel ist, kann man daran erkennen, dass ihr inzwischen der Superlativ übergestreift werden muss, damit man sie überhaupt noch packen kann. Vieles lässt sich über das Johannes-Evangelium sagen; aber die Verheißung, es sei besonders spannend und ein exegetischer Kommentar könne dieses Profil vermitteln, ist genauso treffend wie die Bewerbung des »Struwwelpeters« als theoretisches Grundlagenwerk der Individualethik.

Eine gesetzliche Regelung mit dem Ziel, unserem Wort durch eingeschränkte Nutzung seinen Sinn zurückzugeben, scheint unter den gegebenen politischen Verhältnissen nicht durchsetzbar zu sein (in den Koalitionsverhandlungen spielt das jedenfalls keine erkennbare Rolle). So werden wir vielleicht bald Zeugen einer semantischen Verschiebung sein, an deren Ende »spannend« so viel wie »langweilig« oder »vorhersehbar« bedeutet.

Kommentare

Anonym hat gesagt…
DANKE für diese spa.... :-) ... ßigen Gedanken! Manche davon kannte ich noch gar nicht!
gouv hat gesagt…
Was allerdings nichts daran ändert, daß das Werk von Johannes Beutler nicht äußerst lesenswert wäre :)
Gerd Häfner hat gesagt…
Daran habe ich nicht den geringsten Zweifel. Aber ich empfinde es fast als Beleidigung des Autors, wenn man meint, sein Werk dadurch bewerben zu sollen, dass man es als Kommentar zum spannendsten Evangelium präsentiert.
Kunigunde Kreuzerin hat gesagt…
Ich greif das mal auf und schlag zukünftig folgende Werbung für das Johannesevangelium vor ;-) *Kichermodus an* :

"Tauchen Sie ein in die intime Gedankenwelt des Lieblingsjüngers, der beim Abendmahl einträchtig an Jesus´ Schulter lag ! Lauschen Sie den geheimen Zwiegesprächen, die Jesus mit Maria Magdalena, seinen mutigen Jüngern und allerengsten Vertrauten führte ! Verfolgen Sie das atemberaubende Schicksal, den Gang der unvergesslichen Ereignisse, die sich nunmehr vor fast 2000 Jahren in Jerusalem, der Stadt Gottes, ereigneten. Sie werden überwältigt sein !"
Kunigunde Kreuzerin hat gesagt…
Es hätte natürlich "mit der schönen Maria Magdalena" heißen müssen. Wie konnte ichs nur vergessen !

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