Heinrich VIII. in der Synodenaula
Manchmal wird man in der Debatte um den Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen im Vorfeld der Bischofssynode dann doch überrascht. Wenn man meint, es sei bereits ein hinreichend niederes Niveau erreicht, holt einer die Schaufel hervor und gräbt noch ein Stück tiefer. Im vorliegenden Fall müht sich Martin Grichting, Generalvikar des Bistums Chur, um die Absenkung. Dass er das in der Neuen Zürcher Zeitung, also einem säkularen Leitmedium, tun darf, stört zwar das Bild von der kirchenfeindlichen Medienwelt − aber doch nicht so sehr, dass man darüber in allzu differenziertes Denken verfallen müsste.
Das Volk, der Tyrann
Wer für eine Änderung der bisherigen Praxis eintritt, sieht sich jetzt in eine Reihe mit Heinrich VIII. und seine Parteigänger gestellt. Wie im 16. Jahrhundert gehe es
Ausgeblendete Unterschiede
Im Fall von Heinrich VIII. und und dem byzantinischen Kaiser Leo VI. wurden keine grundsätzlichen Regelungen debattiert, sondern die konkreten Ehen dieser Herrscher. Bei Leo VI. wären, wenn ich recht sehe, die damals nach östlichem Recht umstrittenen Ehen (vor allem die vierte Ehe) nach dem kanonischen Recht gar kein Problem, weil es um aufeinanderfolgende Ehen jeweils nach dem Tod der Frau ging und in diesem Fall auch eine vierte Ehe erlaubt ist. Richtig irreführend ist die Parallele mit Heinrich VIII. Grichting bezieht sich darauf, dass
Die derzeitigen Debatten drehen sich um etwas ganz anderes. Ist es möglich, trotz des Bestehens einer Ehe nach deren Scheitern im Falle einer Wiederheirat die Sakramente nicht zu verweigern? Bisweilen wird auf die Möglichkeit einer Annullierung hingewiesen – gewissermaßen als Alternative zur unmöglichen Scheidung. Das aber kann man durchaus als problematisch empfinden, weil es wie eine »Scheidung durch die Hintertür« erscheint und eine vielleicht viele Jahre bestehende Lebenswirklichkeit im Nachhinein als nichtexistent durchstreicht. Was soll jemand denken, dessen geschiedene(r) Ehepartner(in) ein kirchliches Annullierungsverfahren erfolgreich angestrengt hat und dem oder der ein kirchliches Gericht bescheinigt, da sei all die Jahre gar keine Ehe gewesen? Es muss nicht böser Wille sein, wenn man das nicht als »Das wahre Evangelium von der Familie« verstehen kann oder als »Bleiben in der Wahrheit Christi«.
Aber das nur am Rande und um zu unterstreichen: Darüber debattieren wir derzeit nicht. Heinrich VIII. wäre mit der Annullierung seiner Ehe zufrieden gewesen, im Ursprung drehte sich der Streit mit dem englischen König nicht grundsätzlich um die kirchliche Ehelehre. Dass Grichting die Parallele trotzdem herstellt, hat seinen Grund wohl in der Absicht, eine Gleichheit der Intentionen zu konstruieren: die Durchsetzung von Eigeninteressen. Wenn man dies der Gegenseite unterstellt, kann man sich die inhaltliche Auseinandersetzung sparen. Wer nur nach Erhalt seiner Privilegien strebt, hat natürlich keine ernsthaften theologischen oder pastoralen Motive.
Die angebliche Grundsatzfrage
Dann fällt es auch leichter, die Diskussionen auf eine grundsätzliche Frage zurückzuführen und die Rollen dabei eindeutig zu verteilen. Es geht dann
Dass darüber diskutiert wird, was eine evangeliumsgemäße Theologie und Pastoral im Blick auf den Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen sei, verschwindet hinter solchen Vereinfachungen. Es fällt mit dieser Strategie auch leichter, die Position der Kirche in der Frage der Unauflöslichkeit der Ehe als komprimisslos und eindeutig darzustellen. Ausgeblendet bleibt wie üblich, dass das kanonische Eherecht trotz der prinzipiell gegebenen Unauflöslichkeit die Scheidung kennt und nur eine Form davon ausschließt: die sakramentale und vollzogene Ehe, also eine Ehe zwischen Getauften, in der der »aus sich heraus zur Erzeugung von Nachkommenschaft geeignete Akt« vollzogen wurde (wenn er nicht empfängnisoffen vollzogen wurde, gilt die Ehe zwar nicht als vollzogen, aber doch als unauflösbar; s. hier mit weiteren sakramentenrechtlich relevanten Hinweisen).
Die angebliche Eindeutigkeit
Es fällt außerdem mit dieser Strategie leichter, den Eindruck zu erwecken, die kirchliche Ehelehre sei einfach das treue und kompromisslose Festhalten am Wort Jesu Christi, wie es Mk 10,11f überliefert ist. Dass dies schwer zu begründen ist, habe ich an anderer Stelle erörtert, so dass es hier nicht wiederholt werden muss (s. hier und hier).
Dass die Vereinfachungen ständig wiederholt werden, ist allerdings schwer erträglich. Und noch schwerer, dass schräge historische Analogien bemüht werden, um in der Debatte zu punkten. Unlautere Motive zu unterstellen ist billig und doch »um den Preis bedeutender Verluste« erkauft, wenn auch nicht »wie in England vor 500 Jahren«. Auf der Strecke bleiben Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft.
Das Volk, der Tyrann
Wer für eine Änderung der bisherigen Praxis eintritt, sieht sich jetzt in eine Reihe mit Heinrich VIII. und seine Parteigänger gestellt. Wie im 16. Jahrhundert gehe es
»wieder einmal um die Frage nach der Unauflöslichkeit der Ehe. Und auch diesmal sind breit abgestützte Bittschriften nach Rom gesandt worden, verbunden − wie schon vor 500 Jahren − mit gelehrten Abhandlungen, die ein Abweichen von der bisherigen Lehre für angezeigt halten.«Nicht die Fragestellung sei neu, sondern die Petenten:
»In der Vergangenheit waren es gekrönte Häupter − nicht erst Heinrich VIII., sondern bereits im 10. Jahrhundert etwa der byzantinische Kaiser Leo VI. −, welche die Kirche zur Legitimierung von Scheidung und Wiederverheiratung zwingen wollten. Bedingt durch die seither eingetretene Demokratisierung, ist nunmehr das Volk der Souverän.«Und wie der neue Souverän seine Macht ausspielt! Eine Macht, die sich in den deutschsprachigen Ländern vor allem auf die zur Verfügung stehenden Geldmittel stützt – mit schädlichen Folgen:
»Und für manche gilt es nun offenbar, diese Herrschaft, notfalls auch auf Kosten der Substanz, zu verteidigen.«Die mit großer Staatsnähe verbundenen Privilegien gerieten nämlich in Gefahr, wenn man mit seiner Botschaft aneckt und nicht mehr mehrheitsfähig ist. Erinnert wird an die Freiburger Konzerthausrede, in der Papst Benedikt bei seinem Deutschlandbesuch 2011
»bekanntlich zum Entsetzen der Funktionäre das Bild einer 'entweltlichten' Kirche entworfen (hat), die sich nicht um der Privilegien willen Ansprüchen beugt, die dem Evangelium widersprechen.«Gegenüber diesem Erklärungsversuch ist die Rückführung der Debatte auf eine »60er/70er Jahre Reformagenda« (s. hier) geradezu sympatisch. Da spielten ja wenigstens Inhalte noch eine Rolle. Jetzt geht es angeblich nur noch um Geld und Macht. Um das zu zeigen, stellt Grichting absurde historische Parallelen her.
Ausgeblendete Unterschiede
Im Fall von Heinrich VIII. und und dem byzantinischen Kaiser Leo VI. wurden keine grundsätzlichen Regelungen debattiert, sondern die konkreten Ehen dieser Herrscher. Bei Leo VI. wären, wenn ich recht sehe, die damals nach östlichem Recht umstrittenen Ehen (vor allem die vierte Ehe) nach dem kanonischen Recht gar kein Problem, weil es um aufeinanderfolgende Ehen jeweils nach dem Tod der Frau ging und in diesem Fall auch eine vierte Ehe erlaubt ist. Richtig irreführend ist die Parallele mit Heinrich VIII. Grichting bezieht sich darauf, dass
»von Mitgliedern des englischen Oberhauses Druck auf den Papst ausgeübt wurde, die Ehe des Königs mit Katharina von Aragon für nichtig zu erklären.« (Hervorhebung von mir)Grichting ist habilitierter Kirchenrechtler. Er weiß also genau, dass Scheidung und Nichtigerklärung zwei sehr verschiedene Dinge sind. Im zweiten Fall wird durch ein kirchliches Gericht festgestellt, dass eine Ehe nicht gültig zustande gekommen ist. Es erfolgt keine Scheidung; eine nach einem solchen Urteil eingegangene Ehe gilt nicht als Wiederheirat, weil nie ein Eheband bestanden hat. Die Forderung nach Annullierung einer Ehe kann sich immer nur auf einen konkreten Fall beziehen, wie es bei Heinrich VIII. ja auch gewesen ist.
Die derzeitigen Debatten drehen sich um etwas ganz anderes. Ist es möglich, trotz des Bestehens einer Ehe nach deren Scheitern im Falle einer Wiederheirat die Sakramente nicht zu verweigern? Bisweilen wird auf die Möglichkeit einer Annullierung hingewiesen – gewissermaßen als Alternative zur unmöglichen Scheidung. Das aber kann man durchaus als problematisch empfinden, weil es wie eine »Scheidung durch die Hintertür« erscheint und eine vielleicht viele Jahre bestehende Lebenswirklichkeit im Nachhinein als nichtexistent durchstreicht. Was soll jemand denken, dessen geschiedene(r) Ehepartner(in) ein kirchliches Annullierungsverfahren erfolgreich angestrengt hat und dem oder der ein kirchliches Gericht bescheinigt, da sei all die Jahre gar keine Ehe gewesen? Es muss nicht böser Wille sein, wenn man das nicht als »Das wahre Evangelium von der Familie« verstehen kann oder als »Bleiben in der Wahrheit Christi«.
Aber das nur am Rande und um zu unterstreichen: Darüber debattieren wir derzeit nicht. Heinrich VIII. wäre mit der Annullierung seiner Ehe zufrieden gewesen, im Ursprung drehte sich der Streit mit dem englischen König nicht grundsätzlich um die kirchliche Ehelehre. Dass Grichting die Parallele trotzdem herstellt, hat seinen Grund wohl in der Absicht, eine Gleichheit der Intentionen zu konstruieren: die Durchsetzung von Eigeninteressen. Wenn man dies der Gegenseite unterstellt, kann man sich die inhaltliche Auseinandersetzung sparen. Wer nur nach Erhalt seiner Privilegien strebt, hat natürlich keine ernsthaften theologischen oder pastoralen Motive.
Die angebliche Grundsatzfrage
Dann fällt es auch leichter, die Diskussionen auf eine grundsätzliche Frage zurückzuführen und die Rollen dabei eindeutig zu verteilen. Es geht dann
»nicht nur um die Familie und die Unauflöslichkeit der Ehe. Das Selbstverständnis der Kirche in einer säkularisierten Gesellschaft steht infrage.«Gemeint ist: Diejenigen, die die Position der Kirche zu wiederverheirateten Geschiedenen für reformabel halten, liefern die Kirche der säkularisierten Gesellschaft aus. Achtet man dagegen nicht auf den »Machterhalt«, sondern auf den »Primat des Evangeliums«, darf sich in der verhandelten Frage nichts ändern – koste es, was es wolle: »schlimmstenfalls auch, wie in England vor 500 Jahren, um den Preis bedeutender Verluste.«
Dass darüber diskutiert wird, was eine evangeliumsgemäße Theologie und Pastoral im Blick auf den Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen sei, verschwindet hinter solchen Vereinfachungen. Es fällt mit dieser Strategie auch leichter, die Position der Kirche in der Frage der Unauflöslichkeit der Ehe als komprimisslos und eindeutig darzustellen. Ausgeblendet bleibt wie üblich, dass das kanonische Eherecht trotz der prinzipiell gegebenen Unauflöslichkeit die Scheidung kennt und nur eine Form davon ausschließt: die sakramentale und vollzogene Ehe, also eine Ehe zwischen Getauften, in der der »aus sich heraus zur Erzeugung von Nachkommenschaft geeignete Akt« vollzogen wurde (wenn er nicht empfängnisoffen vollzogen wurde, gilt die Ehe zwar nicht als vollzogen, aber doch als unauflösbar; s. hier mit weiteren sakramentenrechtlich relevanten Hinweisen).
Die angebliche Eindeutigkeit
Es fällt außerdem mit dieser Strategie leichter, den Eindruck zu erwecken, die kirchliche Ehelehre sei einfach das treue und kompromisslose Festhalten am Wort Jesu Christi, wie es Mk 10,11f überliefert ist. Dass dies schwer zu begründen ist, habe ich an anderer Stelle erörtert, so dass es hier nicht wiederholt werden muss (s. hier und hier).
Dass die Vereinfachungen ständig wiederholt werden, ist allerdings schwer erträglich. Und noch schwerer, dass schräge historische Analogien bemüht werden, um in der Debatte zu punkten. Unlautere Motive zu unterstellen ist billig und doch »um den Preis bedeutender Verluste« erkauft, wenn auch nicht »wie in England vor 500 Jahren«. Auf der Strecke bleiben Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft.
Kommentare
weil Sie das Thema scheinbar sehr bewegt. Dass eine Ehe auf Lebenszeit angelegt sein muss, ist ein Gebot schöpferischer Vernunft, die bei den Propheten als Wort (hebr. Vernunfthandlung) galt: Nicht allein weil durch beliebige Lebensabschnittsbeziehungen keine Gesellschaft auf Dauer existieren kann, unsere Gesellschaft ohne dauerhaufte zweigeschlechtliche Partnerschaften nicht da wäre, wo sie ist, ich zusammen mit der Oma weit mehr für meine Brut bzw. vier Enkel bewegen kann, als.... Selbst das Leid/der Liebes- bzw.
Lebensverlust der Scheidungskinder, die Schlaglöcher in der Straße, die die Gemeinde nicht flicken kann, weil sie das Geld für die notwendige Unterstüztung von Alleinerziehenden ausgeben muss, spricht eine deutlichere Sprache, als dies alte theologische bzw. biblische Texte oder Heinricht VIII. & Co. können. Wenn die Kardinäe jetzt nur aufgrund alter Lehren darüber diskutieren, werden sie dem nicht gerecht, was Jesus war: Das lebendige Wort, schöpferische Vernunft in gegenwärtiger Person (menschlicher Ausdruckweise, Rolle).
Aber auch, dass eine Wiederverheiratung dann, wenn es trotz gutem Willen nicht funktionieren sollte, sinnvoll ist, lässt sich weder in Humanismus, nocht im Gestern begründen, sondern in gegenwärtiger schöpferischer Vernunft.