»Professorengesocks«: inkompetent – irrelevant – arrogant

Die Stimmungsmache von kath.net gegen die Unterzeichner des Memorandums

Das Fachorgan für Beschimpfung der Theologen, die das Memorandum »Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch« unterzeichnet haben, schwört seine Leserschaft weiter gegen die »Memorandisti« ein. Nach den Pamphleten von Peter Seewald (s. dazu hier) und Pater Wolfgang Ockenfels (s. dazu hier) erschienen weitere Beiträge, mit denen in erster Linie Stimmung gemacht werden sollte. Die drei Stichworte in der Überschrift bringen die jeweilige Stoßrichtung auf den Punkt: Diese Professoren sind inkompetent (Michael Schäfer: Die 'Memorandisti' und die Theologie), sie sind irrelevant (Manfred Lütz: Theologieprofessoren sind völlig irrelevant, hier also direkt in der Überschrift), sie sind arrogant (George Weigel: Die 'Chuzpe' der deutschen Theologen; Original hier). Wie gut die Strategie auf die Leserschaft abgestimmt ist, zeigt sich in den Kommentaren, denen auch der Hoheitstitel in der Überschrift, »Professorengesocks«, entnommen ist (Martyria am 1.3.2011). 

Im Glashaus der Inkompetenten 

Unglücklicherweise entspricht der Wucht der Polemik die Tiefe des Gedankens nicht. Michael Schäfer setzt im ersten der drei genannten Beiträge zu umfassender Kompetenzbestreitung an: den Verfassern und Unterzeichnern des Memorandums mangelt es an kirchengeschichtlicher, religionssoziologischer, liturgischer und überhaupt theologischer Kompetenz. Es muss eine furchtbare Verirrung der letzten Jahre und Jahrzehnte gewesen sein, dass gleich so viele dieser umfassend Inkompetenten zu Lehrern und Lehrerinnen der Theologie werden konnten. Nun gut, mag man sich denken, es geschehen eben seltsame Dinge: in der Musikbranche hält sich auch viel unterirdisch Schlechtes über Jahre, ohne dass eine vernünftige Erklärung des Phänomens gelingt. Vielleicht ist das auch in der Theologie so? Schauen wir näher zu, wie der Inkompetenznachweis geführt wird. 

Eine erstaunliche Beobachtung gleich zu Beginn: Bis auf die Bestreitung der theologischen Kompetenz, die etwas ausführlicher behandelt wird, wird die Inkompetenz aus jeweils einem Satz abgeleitet – eine bedauerlich dünne Urteilsbasis. Bemängelt wird die Rede von der »beispiellosen Krise«, weil doch die Kirchengeschichte größere Krisen gesehen habe. Diese Kritik hat Alexander Kissler in seinem offenen Brief an die Theologen begründet, seitdem wird sie besinnungslos wiederholt (auch hier und in dem Beitrag von George Weigel, der noch besprochen wird). Man darf aber darauf hinweisen: wenn gemeint wäre, dass dies die größte Krise der Kirche sei, hätte man das auch so gesagt. »Beispiellos« ist nicht synonym mit »größter«. Es geht um eine Krise, die es in dieser Form noch nicht gegeben hat: Sie besteht wesentlich im Glaubwürdigkeitsverlust der Institution, hervorgerufen durch Fehlverhalten von Vertretern dieser Institution und vor allem durch das jahrelange Vertuschen jenes Fehlverhaltens. Man mag sich beruhigen: Auch die Unterzeichner wissen, dass es größere Krisen in der Kirchengeschichte gegeben hat. Aber das hilft uns in der gegenwärtigen Situation nicht. 

Die mangelnde religionssoziologische Kompetenz leitet Schäfer aus der Formulierung des Memorandums ab, die aus der Kirche Ausgetretenen hätten »der Kirchenleitung die Gefolgschaft gekündigt«, während der Austritt doch »in aller Regel der Endpunkt eines schleichenden Prozesses des Glaubensverlustes und der an diesen Glauben geknüpften kirchlichen Bindung« sei. Wenn die Formulierung des Memorandums dies bestreiten und den Kirchenaustritt als einen plötzlich hereinbrechenden Akt der Trennung behaupten wollte, könnte man der Kritik Schäfers zustimmen. Jene Formulierung spitzt aber auf einen bestimmten Aspekt zu und will keine umfassende religionssoziologische Analyse sein. 

Die liturgische Kompetenz wird bestritten mit der Kritik an dem Satz: »Die Liturgie lebt von der aktiven Teilnahme der Gläubigen«. Schäfer meint: »nur umgekehrt wird ein (theologischer) Schuh daraus: 'Die Gläubigen leben von der aktiven Teilnahme an der Liturgie'.« Warum das so sein soll, sagt er nicht. Ich finde beide Sätze richtig. Entscheidend ist die aktive Teilnahme – Anliegen der liturgischen Bewegung und der Liturgiereform. 

Theologische Kompetenz wird den Unterzeichnern dort abgesprochen, »wo es um das Grundverständnis jener Kirche geht, um die sie sich so fürsorglich Gedanken machen.« Zitiert wird der Satz des Memorandums: »Die Kirche ist kein Selbstzweck.« Irritierenderweise kritisiert Schäfer diesen Satz, argumentiert selbst aber im Folgenden für die »Zweckfreiheit der Kirche«. Da im Memorandum nirgends von einem Zweck der Kirche die Rede ist, löst sich diese Spannung nur auf, wenn Schäfer folgendes annimmt: Wer einen Selbstzweck der Kirche ablehnt, nimmt einen anderen Zweck an. Diese abenteuerliche Schlussfolgerung verliert ihren Sinn völlig, sobald man die Aussagen über die Sendung der Kirche miteinander vergleicht. Schäfer schreibt: »Natürlich hat die Kirche auch eine Sendung und einen Auftrag – einen 'Zweck' hat sie nicht.« Und wie heißt im Memorandum die Fortsetzung des Satzes, der die »Selbstzwecklichkeit« der Kirche ablehnt? Die Kirche »hat den Auftrag, den befreienden und liebenden Gott Jesu Christi allen Menschen zu verkünden.« (Hervorhebungen von mir) Wenn es um Inkompetenz geht, sitzt Schäfer selbst im Glashaus ‑ möglicherweise recht einsam. 

Ein zweiter Beleg für die theologische Ahnungslosigkeit der »Memorandisten« wird aus dem Satz abgeleitet: »Nur wenn Selbst- und Fremdbild der Kirche nicht auseinanderklaffen, ist sie glaubwürdig.« Schäfer entsetzt sich über das »Ausmaß an spießigem Säkularismus ..., der sich in dem Wunsch nach Übereinstimmung von 'Selbstbild' und 'Fremdbild' ausdrückt.« An dieser Reaktion zeigt sich: Man kann Texte auch mit Gewalt missverstehen. Schäfer deutet den Satz so, dass gefordert würde, das Selbstverständnis der Kirche müsse mit dem Selbstverständnis außerhalb der Kirche übereinstimmen: »Wie könnte jemand, der der Kirche nicht angehört, also 'fremd' von außen auf sie schaut, ihr Selbstverständnis teilen? Wenn er es aber teilt, wie könnte er ihr 'fremd' bleiben?« Völlig ausgeblendet bleibt hier der Hauptsatz der zitierten Passage: »... ist sie glaubwürdig.« Beachtet man ihn, kann nur gemeint sein: Die Kirche muss dafür Sorge tragen, dass sie außerhalb ihrer selbst als das wahrgenommen kann, was sie selbst ist; andernfalls ist sie nicht glaubwürdig. Es geht also nicht um eine »Säkularisierung« der Kirche, die Spannung zwischen Kirche und Welt wird im Memorandum nicht geleugnet. Wenn man ihm aber solche Leugnung unterstellt, kann man natürlich wieder von den staatlich finanzierten Lehrstühlen sprechen und damit die Professoren mit dem Vorwurf des Eigeninteresses belasten. Auch Schäfer verzichtet nicht auf diesen Textbaustein der Kritik am Memorandum. 

Die mächtigen Irrelevanten 

Manfred Lütz erfasst ein Dilemma der Theologen: Einerseits haben sie »in Deutschland sehr viel Macht«, andererseits werden sie »nicht mehr wahrgenommen« und sind »völlig irrelevant«. Wie ist das möglich? In der Umschreibung der Macht löst sich das Rätsel: »wenn sie einmal Professor sind, können sie eigentlich machen, was sie wollen, und lehren, was sie wollen. Ihnen kann keiner mehr was.« Der despektierliche Tonfall schließt aus, dass es hier um das Humboldtsche Ideal der Freiheit von Forschung und Lehre geht. Nahegelegt wird vielmehr: die Professoren haben Freiheit zur Willkür, das ist ihre Macht. Wem solche Freiheit gelassen wird, der muss sich nicht wundern, dass er in den intellektuellen Debatten in Deutschland nicht vorkommt: nicht in den großen Zeitungen, schon gar nicht in den Talkshows, wie Lütz feststellt. Ja, die Talkshows! Da laufen, wie man weiß, die großen intellektuellen Debatten. Wie schrieb Alexander Kissler in seinem offenen Brief an die Unterzeichner des Memorandums, also in anderem Zusammenhang? »Man liest und fühlt sich veralbert.« (Nachtrag 7.3.: Arnd Brummer hat seine Erfahrung mit dem intellektuellen Niveau von Talkshows hier sehr eindrücklich beschrieben.)

Das »Altersargument«, ein weiterer Topos der Memorandums-Schelte, wird angedeutet, wenn es heißt, dass »eine bestimmte Generation immer wieder dieselben Anliegen vorbringe« und diese Generation von den »jungen Leuten« abgesetzt wird. Zumindest in der Wiedergabe auf kath.net bietet diese Position allerdings eine offene Flanke: Für Lütz stehe fest, »dass Kirchenthemen vor allem bei jungen Leuten nicht vorkommen«. Der Gegensatz zielt darauf, das Anliegen des Memorandums als Sache von gestern zu kennzeichnen, mit der die junge Generation nichts zu schaffen habe. Wenn man sich nicht auf die binnenkirchliche Perspektive beschränkt, könnte die Aussage, dass Kirchenthemen bei jungen Leuten nicht vorkommen, auf beunruhigende und viel grundsätzlichere Weise Recht haben. 

Dass der Tonfall des Memorandums nicht immer glücklich ist, gebe ich gerne zu. Wenn aber gesagt wird, es werde darin »auf die Kirche eingeprügelt«, ist entweder die Aussage falsch oder unsere Wörterbücher müssen neu geschrieben werden. Die Wortwahl vom »Einprügeln« bringt erst die Aggressivität ein, die dem Memorandum vorgeworfen wird. Abschließend wird festgestellt, ein Dialog beginne immer einseitig, nicht durch beiderseitige Dialogbereitschaft, sondern dadurch, dass einer mit einem anderen zu reden beginne. Und »je wertschätzender er das tut, je respektvoller er das tut, desto eher wird der andere Lust haben zu antworten.« Das mag so sein. Man gewinnt allerdings nicht den Eindruck, dass diese »Einseitigkeit« grundsätzlich gelten soll. Sie dient vielmehr allein als Vorwurf an die »Memorandisten«. 

Möglicherweise ist das Interview mit Manfred Lütz im Original differenzierter. In der Wiedergabe auf kath.net ist es jedenfalls so zugespitzt, dass in den Kommentaren das große Amen gesprochen werden kann: »Genauso ist es! Danke, Herr Lütz«, schreibt ein Kommentator, der sich unbescheiden Petrus Canisius nennt.

Der Herzenskenner

Viel über mich gelernt habe ich aus dem Kommentar von George Weigel. Er weiß, dass ich »[i]m Hinblick auf den bevorstehenden Heimatbesuch von Papst Benedikt XVI.« unterzeichnet habe. Das war mir zuvor gar nicht bewusst. Erstaunlich auch, welch intime Kenntnisse dieser Biograph Johannes Pauls II. über die »Verbindung der Unterzeichner zum liturgischen und pastoralen Leben der Kirche« besitzt. Nur bei wenigen sei das eine »ernstzunehmende und durchgetragene Verbindung«. Woher weiß er das? Ihm müssen geradezu übernatürliche Fähigkeiten zu Gebote stehen. 

Leider verlassen ihn diese Fähigkeiten, wenn er sich an überprüfbare Aussagen macht. Er behauptet, die Unterzeichner des Memorandums würden die »Weihe von verheirateten Männern und Frauen zum priesterlichen Dienstamt« unterstützen. Das steht so nicht im Text. Auch Weigel versteht »beispiellos« im Sinn von »größter« und verweist auf die viel größere Krise zur Zeit des Nationalsozialismus. Und wenn es um Wertungen geht, steht ihm plakative Anklage in höherem Maß zu Gebote als mühevolle Differenzierung. Dem Memorandum zufolge soll sich der »Katholizismus ... in eine weitere liberal-protestantische Sekte verwandeln, indem er praktisch in jedem Streitpunkt zwischen dem klassischen Christentum und der Alltagskultur des postmodernen Westens nachgibt.« Es gibt nur dieses »entweder - oder«; die Frage, wie die Vermittlung von Evangelium und Alltagskultur gelingen kann, bleibt ausgeblendet. Für das frühe Christentum war dies in Phasen des Übergangs eine sehr entscheidende Frage. Das Problem des Umgangs mit geschiedenen Wiederverheirateten wird reduziert auf die Tatsache, dass diese »in irregulären Ehen leben«. Treffend ist der rechtliche Charakter der Frage erfasst. Genau dies stellt aber eine Verengung des Problems dar. Nicht jeder Betroffene will den Weg über ein Verfahren zur Annullierung der ersten Ehe gehen, das (vorsichtig ausgedrückt) nicht immer als ehrlich empfunden wird.

Bei der Frage, ob nicht auch die Theologen Verantwortung für die schwierige Lage der Kirche trügen, wird in scharfer Analyse die historisch-kritische Bibelauslegung gebrandmarkt. Weigel fragt: »Hat die Tendenz deutscher Theologie, die Bibel eher als ein Präparat zu behandeln, das man seziert, denn als ein Geschenk, welches mit dem vollen Spektrum der Interpretationswerkzeuge (einschließlich dem Blick des Glaubens) studiert wird, etwa nichts zu tun mit der heutigen Glaubenskrise in einem Land, in welchem sogar die Sprache durch Luthers Bibelübersetzung geformt wurde?« Die Frage verdient eine Antwort, auch wenn sie keine erwartet: Nein, diese (hier tendenziös umschriebene) Tendenz hat mit der Glaubenskrise nichts zu tun. Wer's gern einfach hat, kann ja zu solchen Erklärungen flüchten. Andere könnten fragen, wie es zu solcher Bibelauslegung kam, und dabei den Zusammenhang mit der geistesgeschichtlichen Wende entdecken, die die Aufklärung bedeutete. Historisches Denken wurde nicht von böswilligen Theologen aufgebracht. Die Theologie musste auch auf diese Entwicklungen reagieren, wenn sie sich nicht in geistige Isolation begeben wollte. Dass dies mit schweren innerkirchlichen Kämpfen verbunden war, wirkt sich bis heute belastend aus (s. dazu Peter Neuner, Der Streit um den katholischen Modernismus, Frankfurt a.M. 2009). 

Den großen Coup hat sich Weigel bis zum Schluss aufbewahrt. Weil das Memorandum mit einem Bezug auf den Seewandel des Petrus endet, stellt er die beeindruckend gewitzte Frage an die Professoren: »Würde bitte ein jeder von Ihnen, der glaubt, dass Petrus auf den Wasser gegangen ist, die Hand heben?« Unser Herzenskenner weiß, auch ohne abzuzählen, dass sich wahrscheinlich keine Hand hebt. Aber was soll diese Übung? Offensichtlich soll angedeutet werden: Wer den Gang des Petrus nicht für eine historische Begebenheit hält, sondern für eine Episode über den (Klein-)Glauben, der hat kein Recht, sich auf diese Geschichte zu beziehen. Wir waren schon mal weiter. 

Ein Hauch von Differenzierung 

Es sei nicht verschwiegen, dass es auf kath.net auch zur Wiedergabe differenziert kritischer Äußerungen kommen kann (s. hier). Abtprimas Notker Wolf wird gar zitiert mit den Worten über das Memorandum: »Vieles von dem, was ich gelesen habe, sollte verwirklicht werden.« Auch das Interview mit Franz-Xaver Kaufmann aus der Frankfurter Rundschau wird angeführt, in dem das Wort von der »Entfremdung zwischen Kirchenleitung und Gläubigen« erscheint. Allerdings ist auch aufschlussreich, was aus dem Interview alles ausgelassen und den Lesern von kath.net nicht mitgeteilt wird (s. hier). Es kommt offensichtlich in erster Linie darauf an, dass die zitierten Äußerungen eingebettet sind in kritische Stellungnahmen zum Memorandum. So wird, wie die Kommentare zu diesem Beitrag zeigen, eine Verunsicherung der Leserschaft glücklich vermieden.

Kommentare

Andreas Metge hat gesagt…
Lieber Gerd!
Danke für Dein Engagement - hier: die sehr differenzierte Auseinandersetzung mit der ätzenden, niveaulosen, aber m.E. hinterhältigen Polemik derer, die Dich und Deine KollegInnen als Erstunterzeichner des Memorandums beleidigen!
Ich habe Deine Analysen der Argumente aufmerksam gelesen. Es ist ein Stil (in den Argumenten), der mir nicht nur von Angst (um den Verlust der einzig denkbaren Kirche)geprägt zu sein schein, sondern auch von unsäglicher Arroganz und Intoleranz.
Ich glaube übrigens nicht, dass Antworten auf die im Memorandum aufgeworfenen Fragen - gleich, aus welcher Richtung sie kommen - die innerkirchlichen Krisen lösen können (im Sinne von "MEHR" Glaubige, "MEHR" Glauben usw.). Aber ich finde: Die Vielen, die sich NOCH in der katholischen Kirche an so vielen Orten und in so vielen Feldern engagieren, haben es verdient, dass sie in ihren Anliegen nicht überhört oder gar abgewatscht, sonden eben angehört werden und dass sie als Menschen mit Charismen und Engagement, mit Luscht am Leben und an der Kirche ernstgenommen werden! So wünsche ich mir den innerkirchlichen Umgang!
Anonym hat gesagt…
Hallo Herr Häfner!

Eine tolle Idee, dieser Blog. Am besten gefallen mir die inhaltlichen Beiträge zum NT (der Aufsatz zur Ehelosigkeit Jesu und der Aposteln) und die wohltuend scharfsinnigen und sachlichen Analysen (etwa der letzten Stellungnahme Kard. Meisners).

Sie schreiben hier: "Möglicherweise ist das Interview mit Manfred Lütz im Original differenzierter." Ich denke, man sollte dieses Interview wirklich nicht in einem Satz mit den Kampfansagen von Seewald, Ockenfels, Schäfer usw. nennen.

"Ich mache mich darüber nicht lustig. Ich finde, dass das eine wirkliche Tragödie ist. Das sind intelligente Leute, die forschen und ein Engagement für die Kirche haben." Dieser Zusatz von Lütz (der sich in der bei Radio Vatikan veröffentlichten Zusammenfassung seines Interviews im Anschluss an seine Analyse bzgl. der "Irrelevanz" der Theologen noch findet) wird in den Medien des katholischen Net-Milieus unterschlagen. Er wäre der "Professorengesocks"-Polemik natürlich nicht dienlich. Ich finde, Sie hätten ihn hier ruhig zitieren können (gerade um die manipulativen redaktionellen Praktiken solcher Plattformen zu entlarven).

Den etwas jovialen Tonfall (dazu zähle ich auch seine Rede von der "Macht" der Professoren, die lehren können "was sie wollen", etc.) empfinde ich (wenn man den kath.net-Zusammenhang ausblendet) im Grunde nicht als despektierlich. Er ist eher der Interviewsituation oder dem persönlichen Stil geschuldet, denke ich. Was kath.net (etcetera) und deren Leser daraus machen (allein schon durch die Wahl der Überschrift), ist eine andere Sache. Unabhängig davon, ob man Lütz' Ansicht teilt, das Memorandum sei in seinen Forderungen verhärtet oder bewusst überspitzt und tauge darum nicht als Beitrag zum Dialog, meine ich aber, sein Diskussionsbeitrag ließe sich durchaus noch in die Reihe der "seriösen Kritiker des Memorandums" einordnen.

Jedenfalls finde ich sein Irrelevanz-Argument und insbes. das Talkshow-Motiv in Ihrer sonst eigentlich immer fairen Analyse der Beiträge zum Memorandum ein wenig platt kolportiert. Wenn ich Lütz richtig verstehe, bedauert er explizit, dass nicht mehr Kompetentes aus Professorenmund im Fernsehen zu hören ist, wenn es um Kirchenthemen geht (weil die Macher der Sendungen, wie in solchen Formaten üblich, lieber Gäste mit polarisierenden und/oder klar einem Lager zuzuordnenden Ansichten einladen, die sich ein bisschen fetzen, wobei differenzierende Positionen regelmäßig untergehen). Diese Beobachtung habe ich auch gemacht und oft bedauert, dass das so ist und keiner auftaucht, der Dinge vertritt, die man guten Gewissens unterschreiben kann.

Der Gedanke von Lütz, dass die katholische Theologie viel zu wenig wahrgenommen wird in dem, was sie zur Versachlichung und Vertiefung alles beitragen könnte (und das sagt er ja im Grunde, wobei er gleichzeitig bedauert, dass das Memorandum aus seiner Sicht auch nur polarisiert), ist aber so ganz falsch nicht, glaube ich.

Gruß aus Köln!
Georg Küppers
Gerd Häfner hat gesagt…
@Georg Küppers

Vielen Dank für den Hinweis auf die Originalfassung des Interviews mit Manfred Lütz. In der Zwischenzeit habe ich an einem anderen Fall gesehen, dass kath.net seine Nachrichten offenbar gerne zuspitzt und tatsächlich Differenzierungen ausblendet. Es wäre angemessener gewesen, Original und Wiedergabe zu vergleichen als nur der kath.net-Wiedergabe des Interviews zu folgen. Ich gelobe Besserung.

Herzliche Grüße nach Köln!
G.H.
Anonym hat gesagt…
Sehr geehrter Herr Häfner,

ein Freund hat mich darauf hingewiesen, dass Sie meinen kleinen Beitrag auf kath.net einer recht umfassenden Würdigung unterzogen haben. Wie Sie ja selbst feststellen, handelt sich dabei um eine Wortmeldung der Kategorie "Polemik" - für eine detaillierte Analyse und Diskussion taugen solche Texte in der Regel nicht. Zumal ich ja nur ein dilettierender theologischer Laie bin. Nichtsdestotrotz möchte ich auf Ihre Anmerkungen kurz eingehen:

Die Frage, ob eine Kirchenkrise "beispiellos" sein kann, ohne auch "die Größte" zu sein, scheint ein wenig Haarspalterei zu sein. Auch unter dem Gesichtspunkt des "Glaubwürdigkeitsverlusts der Institution, hervorgerufen durch Fehlverhalten von Vertretern dieser Institution" gibt es durchaus historische Beispiele. Vor allem aber sind die Fakten, die jetzt als Beweis für die Beispiellosigkeit herhalten müssen, ja genau das nicht. Die Kirchenaustritte sind mit Schwankungen seit Jahrzehnten alarmierend.

Womit wir gleich bei der Religionssoziologie wären: hier tricksen Sie nun aber wirklich. Das Memorandum erweckt zweifelsohne den Eindruck, hier würden Menschen aus der Kirche austreten, weil sie a) der Kirchenleitung die Gefolgschaft aufkündigen oder b) durch diesen Schritt ihren Glauben vor der Institution schützen wollen. Das wäre etwas ganz anderes als der von mir angeführte und religionssoziologisch gut abgesicherte "Endpunkt eines schleichenden Prozesses des Glaubensverlustes". Die Ursachen dieses Prozesses sind vielfältig - ihn einfach der "Kirchenleitung" in die Schuhe schieben zu wollen, ist unseriös.

Dass mein Satz "Die Gläubigen leben von der aktiven Teilnahme an der Liturgie" gegenüber einem Theologen begründungspflichtig sein soll, macht mich ein klein bisschen fassungslos. Wenn wir uns nicht mehr darüber einigen können, dass der Katholik von den Sakramenten lebt und nicht die Sakramente von ihm, dann weiss ich nicht so recht, wie man weiter diskutieren sollte. Entscheidend sei die aktive Teilnahme - da kann ich mit. Wobei man sich über das Adjektiv "aktiv" unterhalten müsste, denn hier leidet das von Ihnen angesprochene Anliegen der Liturgiereform häufig unter einer schlimmen Verwechslung von "außen" und "innen".
Anonym hat gesagt…
Der Abschnitt über die Kirche als Selbstzweck ist missverständlich - das gebe ich Ihnen gerne zu. Mit etwas gutem Willen sollte mein Anliegen aber erkennbar sein: die Kirche geht in der Sendung, das Evangelium zu verkünden, nicht einfach auf - sie ist auch schon "ein Stück Himmel auf Erden" - deswegen wird auch kein Gläubiger auf die Kirchengliedschaft verzichten wollen, selbst wenn es um die äußere Gestalt und auch die "Glaubwürdigkeit" gerade nicht zum besten steht (wann war das eigentlich anders?).

Meine Kritik an der gewünschten Übereinstimmung von Selbst- und Fremdbild haben sie (Pardon) nicht verstanden. Ich bin in der Tat der Meinung, dass die Kirche von außen nie als das wahrgenommen werden kann, was sie selbst ist - das erschließt sich nur "von innen". Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass die Welt (ja, ich meine das pejorativ - wie das Evangelium)sie auch nicht so wahrnehmen will, wie sie ist. Dass die Kirche auf der anderen Seite den Menschen keine Hindernisse in den Weg legen darf, um von außen nach innen zu kommen, kann ich gerne zugeben. Die Kategorie "Glaubwürdigkeit" scheint mir in letzter Zeit im Zusammenhang mit der Kirche arg überstrapaziert zu sein. Lassen wir den Begriff doch in der Politik - dort wird mit ihm schon genügend Schindluder getrieben.

Den "Makel des Eigeninteresses" können die deutschen Theologen sehr einfach loswerden. Sie müssten in ihr Reformpaket nur die Abschaffung der Kirchensteuer aufnehmen. Denn dass die Kirche vom Staat zwangsweise Geld eintreiben lässt, noch dazu mittlerweile überwiegend von Menschen, die ihr nicht mehr im Vollsinne angehören, ist ohne Zweifel ein Punkt, der ihr Erscheinungsbild erheblich belastet - ich kann mich auf jeden Fall an unzählige Gespräche mit Freunden und Bekannten erinnern, wo die Ablehnung der Kirche (Sie würden von mangelnder Glaubwürdigkeit sprechen) mit genau diesem Argument begründet wurde.

Mit fröhlichen Grüßen aus dem Glashaus
Ihr Michael Schäfer
Gerd Häfner hat gesagt…
Sehr geehrter Herr Schäfer,

zunächst einmal herzlichen Dank für Ihre Bereitschaft, das Gespräch aufzunehmen. Ich will nun meinerseits die Mühe nicht scheuen und auf Ihre Antwort eingehen.

1. Den Vorwurf der Haarspalterei gebe ich gerne zurück. Ich fand es ein wenig kleinlich, dass angesichts der m.E. nicht zu leugnenden Krise, die die Kirche im letzten Jahr in verstärktem Maß erfasst hat, das Attribut »beispiellos« derartig kritisiert wurde, wie es geschehen ist. Wenn man aber darauf herumreitet, dann sollte man dem Memorandum nicht Dinge unterstellen, die es nicht gesagt hat, und daraus nicht mangelnde Kompetenz der Unterzeichner ableiten. Bei Ihrer Replik, es gebe durchaus historische Beispiele für den »Glaubwürdigkeitsverlust der Institution, hervorgerufen durch Fehlverhalten von Vertretern dieser Institution« lassen Sie im Zitat meines Textes im Übrigen genau den Teil weg, auf den es vor allem ankam: die jahrzehntelange Vertuschung. Im Blick auf die Abwendung von der Kirche hat es keinen Sinn, sich etwas vorzumachen. »Der Anstieg der Kirchenaustritte im Jahr 2010 steht auch für einen Vertrauensverlust, den die Kirche besonders durch die Missbrauchsfälle erlitten hat«, so der Kölner Generalvikar Dominik Schwaderlapp gegenüber »Christ & Welt« angesichts der jetzt veröffentlichten Austrittszahlen des Jahres 2010.

2. Was die Religionssoziologie betrifft, so war mein Hauptpunkt, dass das Memorandum nicht den Anspruch erhebt, eine entsprechende Analyse vorzulegen. Es ist ein Appell an die Kirchenleitung, weshalb es auf einen bestimmten Aspekt zuspitzt. Ich habe das Memorandum nicht unterschrieben, weil ich der Kirchenleitung die Schuld am Prozess des Glaubensverlustes in die Schuhe schieben wollte. Ich fand auch die Formulierung des Memorandums nicht glücklich, Austretende hätten ihr Glaubensleben »vor der Institution schützen« wollen. Man kann an solchen Formulierungen Kritik üben, sollte aber die Intention der »Textgattung« nicht außer Acht lassen.

3. Bei den Aussagen zur Liturgie haben Sie mich missverstanden. Der Satz »Warum das so sein soll, sagt er nicht«, bezieht sich nicht auf die Aussage, dass die Gläubigen von der aktiven Teilnahme an der Liturgie lebten, sondern auf das Urteil, aus dem Satz des Memorandums (»die Liturgie lebt von der aktiven Teilnahme der Gläubigen«) werde »nur umgekehrt … ein (theologischer) Schuh daraus«. Ich habe Ihren Satz in voller Länge zitiert, so dass der Bezug nicht unklar bleibt, zumal ich nachgeschoben habe: »Ich halte beide Sätze für richtig.«

4. Selbst- und Fremdbild der Kirche: Meine Kritik richtete sich darauf, dass Ihre Kritik dem Memorandum eine Aussage unterstellt, die es nicht trifft: den Wunsch nach Übereinstimmung mit dem Selbstverständnis außerhalb der Kirche. Sie haben in Ihrem Beitrag geschrieben: »Wie könnte jemand, der der Kirche nicht angehört, also 'fremd' von außen auf sie schaut, ihr Selbstverständnis teilen? Wenn er es aber teilt, wie könnte er ihr 'fremd' bleiben?« Ich sehe nicht, wie ich diesen Satz anders verstehen könnte, als ich es in meinem Beitrag getan habe. Ich kann auch nicht erkennen, wie es sich die Kirche heute leisten könnte, die Kategorie der »Glaubwürdigkeit« der Politik zu überlassen.

5. Sie zeigen einen Weg auf, wie die Theologen den »Makel des Eigeninteresses« loswerden könnten. Ich empfinde es aber als unfair, dieses Eigeninteresse überhaupt zu unterstellen. Damit wird den Unterzeichnern die Ernsthaftigkeit ihres Anliegens bestritten: sie wollen nur ihre Pfründe sichern; deshalb ist ihnen an dem reibungslosen Zusammenspiel von Kirche und Staat gelegen. Auch wenn man meint, das Memorandum sei theologisch und kirchlich auf dem Holzweg, sollte man seinen Unterzeichnern nicht bestreiten, dass sie aus ehrlicher Sorge um die Kirche handeln.
Gerd Häfner hat gesagt…
6. Anfangs Ihrer Replik schreiben Sie, Ihr Beitrag gehöre zur Kategorie »Polemik« und solche Texte taugten »für eine detaillierte Analyse und Diskussion … in der Regel nicht«. Das gilt m.E. für Texte, die sich ohne inhaltliche Substanz darauf beschränken, polemisch zu sein. Das traf für Ihren Beitrag (anders als für die Interviews mit Peter Seewald und Pater Ockenfels) nicht zu. Unabhängig davon kann man aber sehen, wie die Polemik auf kath.net wirkt: Sie wird von vielen als Zustandsbeschreibung verstanden (z.B. uvato, 17.2.2011: »Hervorragende Analyse«). Da sieht man sich darin bestätigt, dass auf den Lehrstühlen nur inkompetente Theologen sitzen (»Professorengesocks«), denen es nur um den Erhalt der Beamtenbezüge geht, die aber für die Kirche nicht das Geringste übrig haben. Das wollte ich nicht unwidersprochen stehen lassen.

In der Hoffnung, dass dies ein Schritt zur Versachlichung der Debatte ist, herzliche Grüße
Ihr Gerd Häfner

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