Christus und die Zeitrechnung
In Zeiten, in denen sich angeblich ein Land oder gleich das ganze Abendland selbst abschafft, reagiert man übersensibel auf Nachrichten, denen zufolge vertraute Symbole verschwinden sollen. Die Abneigung gegen eine political correctness wittert schnell Unterwerfung unter ein Neutralitätsdiktat, das der Preisgabe der eigenen kulturellen Identität gleichkomme. Nun können manche Formen der political correctness tatsächlich etwas lästig sein. Dies berechtigt aber nicht dazu, Sprechverbote zu beklagen, die gar nicht bestehen. Dies ist in einem Artikel des Berliner Tagesspiegels geschehen, der, aus trüben Quellen gespeist, kritisiert, die BBC habe »Christus« aus der Zeitrechnung gestrichen. Dass dies nicht zutrifft, ist anderer Stelle dokumentiert (bildblog.de). Mir geht es hier um etwas anderes, zugegebenermaßen etwas Oberlehrerhaftes (aber wenn es um die Rettung des Abendlandes geht, muss das hinnehmbar sein).
Der Tagesspiegel-Artikel hat folgenden Vorspann:
Manchmal auch zuviel des Genitivs
Gewöhnlich wird der Genitiv auf die rote Liste der vom Aussterben bedrohten grammatikalischen Arten gesetzt. Der übermächtige Dativ drohe den Lebensraum des Genitivs so einzuengen, dass der auf Dauer nicht überleben könne. Er sei, wie man vorausschauend klagt, »dem Genitiv sein Tod«. In unserem Fall ist der Genitiv lebendiger als er sein sollte, obwohl bzw. weil ihm die Geburt abhanden gekommen ist: »vor/nach Christi Geburt« wäre richtig, oder einfacher: »vor/nach Christus«.
Geburt Jesu »vor Christus«
Die zweite, einfachere Form könnte sich insofern empfehlen, als sie sich nicht ausdrücklich auf einen Zeitpunkt bezieht, von dem wir wissen, dass er falsch ist. Wenn Jesus zur Zeit Herodes d. Gr. geboren wurde (Mt 2,1; Lk 1,5), muss er spätestens 4 vor Christus geboren sein. Der Mönch Dionysius Exiguus (6. Jh.), auf den unsere Zeitrechnung zurückgeht (Geburt Jesu im Jahr 754 seit der Gründung Roms), ging offensichtlich von nicht ganz korrekten Daten aus. Natürlich bleibt es in jedem Fall gewöhnungsbedürftig, dass Jesus »vor Christus« geboren ist; aber dass dieses Ereignis »vor Christi Geburt« anzusetzen ist, klingt noch befremdlicher. Die Wendung »vor/nach Christus« könnte treffender festhalten, dass der Einschnitt der Zeitrechnung sich in einem grundsätzlichen Sinn am Kommen Christi orientiert.
Christliche Tradition als kulturprägende Faktor
Die Verwendung dieser Formulierung gehört zu unserem Kulturkreis und verstößt deshalb nicht gegen die weltanschauliche Neutralität des säkularen Staates. Aus der Sprache lassen sich solche Prägungen ebenfalls nicht einfach eliminieren. Zwar gibt es tatsächlich die Klage über »die christlichen Verschmutzungen der Sprache«; aber sie verbindet sich auch beim Beschwerdeführer nicht mit der realistischen Hoffnung, sie in absehbarer Zeit überwinden zu können (s. hier). Selbst wenn man Christus verschwiege und stattdessen »vor unserer Zeitrechnung/unserer Zeitrechnung« verwenden würde, wäre der christliche Hintergrund nur überspielt, aber nicht entfernt. Die Zahlen würden sich ja weiterhin an derjenigen Zeitrechnung bemessen, die in Christus die Wende der Zeiten erblickt.
Aus christlicher Sicht kann man damit leben, dass Anhänger eines konsequenten Laizismus religiös begründete Sprachregelungen bisweilen angreifen. Beunruhigender scheint, dass deren Verteidiger in ihnen nicht mehr ganz zu Hause sind.
Der Tagesspiegel-Artikel hat folgenden Vorspann:
»Weil der Sender (=BBC) sein multiethnisches Publikum nicht verägern (sic) will, soll künftig nur noch von vor oder nach der 'gebräuchlichen Zeitrechnung' die Rede sein, statt von vor oder nach Christi.« (Hervorhebung von mir)Man befürchtet den Ausverkauf des Abendlandes, kann aber die übliche Zeitrechnung nicht korrekt wiedergeben. Unser Herr, dem die BBC angeblich den Rücken kehrt, heißt nicht Christi, sondern Christus. »Christi« ist die lateinische Genitivform von »Christus«.
Manchmal auch zuviel des Genitivs
Gewöhnlich wird der Genitiv auf die rote Liste der vom Aussterben bedrohten grammatikalischen Arten gesetzt. Der übermächtige Dativ drohe den Lebensraum des Genitivs so einzuengen, dass der auf Dauer nicht überleben könne. Er sei, wie man vorausschauend klagt, »dem Genitiv sein Tod«. In unserem Fall ist der Genitiv lebendiger als er sein sollte, obwohl bzw. weil ihm die Geburt abhanden gekommen ist: »vor/nach Christi Geburt« wäre richtig, oder einfacher: »vor/nach Christus«.
Geburt Jesu »vor Christus«
Die zweite, einfachere Form könnte sich insofern empfehlen, als sie sich nicht ausdrücklich auf einen Zeitpunkt bezieht, von dem wir wissen, dass er falsch ist. Wenn Jesus zur Zeit Herodes d. Gr. geboren wurde (Mt 2,1; Lk 1,5), muss er spätestens 4 vor Christus geboren sein. Der Mönch Dionysius Exiguus (6. Jh.), auf den unsere Zeitrechnung zurückgeht (Geburt Jesu im Jahr 754 seit der Gründung Roms), ging offensichtlich von nicht ganz korrekten Daten aus. Natürlich bleibt es in jedem Fall gewöhnungsbedürftig, dass Jesus »vor Christus« geboren ist; aber dass dieses Ereignis »vor Christi Geburt« anzusetzen ist, klingt noch befremdlicher. Die Wendung »vor/nach Christus« könnte treffender festhalten, dass der Einschnitt der Zeitrechnung sich in einem grundsätzlichen Sinn am Kommen Christi orientiert.
Christliche Tradition als kulturprägende Faktor
Die Verwendung dieser Formulierung gehört zu unserem Kulturkreis und verstößt deshalb nicht gegen die weltanschauliche Neutralität des säkularen Staates. Aus der Sprache lassen sich solche Prägungen ebenfalls nicht einfach eliminieren. Zwar gibt es tatsächlich die Klage über »die christlichen Verschmutzungen der Sprache«; aber sie verbindet sich auch beim Beschwerdeführer nicht mit der realistischen Hoffnung, sie in absehbarer Zeit überwinden zu können (s. hier). Selbst wenn man Christus verschwiege und stattdessen »vor unserer Zeitrechnung/unserer Zeitrechnung« verwenden würde, wäre der christliche Hintergrund nur überspielt, aber nicht entfernt. Die Zahlen würden sich ja weiterhin an derjenigen Zeitrechnung bemessen, die in Christus die Wende der Zeiten erblickt.
Aus christlicher Sicht kann man damit leben, dass Anhänger eines konsequenten Laizismus religiös begründete Sprachregelungen bisweilen angreifen. Beunruhigender scheint, dass deren Verteidiger in ihnen nicht mehr ganz zu Hause sind.
Kommentare
Ich vermute mal, daß viele der Angehörigen von nicht-christlichen Minderheiten in Großbritannien (ähnlich wie hierzulande) nun nicht die christliche Prägung der Mehrheitskultur in Abrede stellen wollen, sondern daß sie froh sind in einer multikulturellen Gesellschaft zu leben, in der Religionsfreiheit herrscht. Leider repräsentieren christliche Symbole für manche Menschen schmerzhafte Erfahrungen, die ihre Gruppe (egal ob aufgrund einer ethnischen, religiösen oder sexuellen Orientierung) in ihrer Geschichte mit dem Christentum gemacht hat (Stichwort: Diskriminierungserfahrung).
Warum diese Diskussion in Großbritannien jetzt stattfindet, kann ich nicht nachvollziehen. Schon in meiner Schulzeit im Englischunterricht wurden die Bezeichnungen CE (Common Era) und BCE (Before Common Era) vermittelt - und das an einer staatlichen Schule. Allerdings waren die meisten Englischlehrer in Amerika ausgebildet.
Innerjüdisch ist es durchaus üblich v.d.Z. abzukürzen, sei es im Gemeindeblatt oder auch in Onlinemedien. Im Gespräch oder Vortrag verwende ich die Formulierung "vor unserer Zeitrechnung" und nicht "vor Christus", weil mir diese Bezugnahme merkwürdig vorkäme. Ich sehe Jesus nicht als Messias wie Christen das tun und deshalb sage ich nicht vor oder nach Christus.
Ich finde es auch ganz gut, wenn Christen mitbekommen, daß es noch andere Bezugsrahmen gibt. Und da die Zahl, die genannt wird, die gleiche bleibt, gibt es auch nicht allzuviel Irritationen und damit verbunden Erklärungsnotstand. Und ich lebe im Alltag sowieso mit unterschiedlichen Bezügen und habe einen entsprechenden Kalender.
Dass die Sache jetzt hochkocht, hat wohl mit Gesetzen der Medienbranche zu tun: immer auf der Suche nach einer Schlagzeile, im Fall weniger seriöser Medien auch um den Preis der Wahrhaftigkeit. Die Homepage Religion-Rssorts der BBC verwendet offensichtlich schon seit vier Jahren die neutrale Bezeichnung »before common era/common era« (s. http://www.stefan-niggemeier.de/blog/der-tagesspiegel-im-kampf-gegen-factual-correctness/, am Ende des Artikels).
Die Abkürzung »BCE/CE« scheint im anglo-amerikanischen Sprachraum nicht ganz eindeutig zu sein. Mir ist jedenfalls dafür im Gespräch mit Amerikanern auch die Auflösung »before christian era/christian era« begegnet.
Natürlich kann jede(r) die Bezeichnung wählen, die er oder sie für richtig hält. Niemand ist dazu verpflichtet »vor/nach Christus« zu verwenden. Dass in jüdischem Kontext diese Redeweise nicht übernommen wird, ist selbstverständlich. Mir ging es darum, dass »vor/nach Christus« in einem christlich geprägten Kulturkreis nach wie vor verwendet werden kann und dass die Angst vor einem Verbot sachlich unbegründet ist.
Was soll daran albern sein? Wer in "Christus" mehr als den Namen heraushört, nämlich das Bekenntnis zum gekommenen Messias, dieses Bekenntnis aber ausdrücklich nicht teilt, übernimmt diese Redweise verständlicherweise nicht.