Kirchliche Ehelehre, Katechismus und Theologie
Die Frage, ob der Umgang der Kirche mit wiederverheirateten Geschiedenen reformiert werden könne, ist in den gegenwärtigen Debatten ein Dauerbrenner, und das heißt: eine offensichtlich brennende Frage. Der Freiburger Moraltheologe Eberhard Schockenhoff hat zu diesem Thema im Bildungshaus St. Virgil in Salzburg einen Studientag gehalten, der nicht unkommentiert geblieben ist. Die Replik von Maria Prügl lässt nicht nur erkennen, dass die Autorin mit Schockenhoffs Positionen nicht einverstanden ist. Zudem zeigt sich ein erhebliches Missverständnis über die Aufgabe der Theologie, das derzeit nicht ganz untypisch ist. Deshalb und weil Prügls Beitrag auch das Neue Testament berührt, gehe ich hier auf ihn ein.
Der »frühe Ratzinger«
Anstoß nimmt die Autorin daran, dass sich Schockenhoff wiederholt auf Aussagen Joseph Ratzingers aus dem Jahr 1969 beruft, in denen dieser dafür eintrat, wiederverheiratete Geschiedene nach einer Zeit der Reue wieder zu den Sakramenten zuzulassen. Wer diese Position anführe, müsse, so Prügl, auch sagen, dass Ratzinger
Auch der Ratzinger von 1969 ist aber nicht Schockenhoffs Meister. Wer sich auf ihn bezieht, will dadurch gewöhnlich zeigen, dass Fragen wie diejenige nach der Pastoral an wiederverheirateten Geschiedenen nicht so eindeutig beantwortbar sind, wie oft behauptet wird, und legitime Freiräume für eine Neugestaltung bleiben - auch im Respekt vor der kirchlichen Tradition, den wir ja sicher auch dem »frühen Ratzinger« nicht absprechen dürfen.
Der Vorwurf des Verschweigens
Gewiss weiß auch Schockenhoff, dass Joseph Ratzinger als Kardinal und jetzt als Papst diese frühere Meinung nicht mehr vertritt. Dass er es nicht sagt, heißt nicht, dass er es verschweigt. Der Vorwurf des Verschweigens wird häufig in Prügls Beitrag erhoben. Jeweils richtet er sich darauf, dass die lehramtliche Position nicht wiedergegeben wird.
Katechismus und Theologie
Was Schockenhoff verschwieg, wird den Lesern von Prügls Beitrag wenigstens an einem Beispiel nicht vorenthalten: die Nummer 1650 aus dem »Katechismus der Katholischen Kirche« von 1993:
Nun ist es nicht Aufgabe der Theologie, Katechismuswissen zu reproduzieren. Theologie dient der Reflexion des Glaubens, sie soll in Auseinandersetzung mit dem Denken der jeweiligen Zeit den Glauben rational verantworten. Das könnte sie nicht, wenn ihre Aufgabe auf Erläuterung und Verteidigung von Katechismus-Nummern beschränkt würde (das ist auch dem Studenten zu sagen, der hier die mangelnde Verwendung des Katechismus im Theologiestudium beklagt). Daraus folgt nicht, dass die Theologie sich vom kirchlichen Lehramt abkoppelt. Wenn sie aber nur dessen Aussagen zu untermauern hätte und nicht neue Denkwege bei der Erschließung des Evangeliums im jeweiligen kulturellen Kontext beschreiten könnte, wäre sie letztlich überflüssig. Dann könnte die Theologie auch nicht zu einem fruchtbaren Dialog mit dem Lehramt beitragen, von dem auch das Lehramt profitieren kann. Um bei der Exegese zu bleiben, wäre hier etwa die Enzyklika Divino afflante Spiritu Pius' XII. zu nennen oder die Konzilskonstitution Dei Verbum, in die Einsichten der historisch arbeitenden Bibelwissenschaft eingegangen sind.
Vor dem Hintergrund dieser Klärungen muss es dann auch nicht einem antilehramtlichen Affekt zugeschrieben werden, wenn man auf Schwächen der zitierten Katechismus-Nummer hinweist. Ich greife nur zwei Punkte heraus. (1) Hinter der Formulierung »falls die Ehe gültig war« verbirgt sich eine kirchenrechtliche Konstruktion, die man beim Blick auf mögliche Nichtigkeitsgründe als »Scheidung durch die Hintertür« empfinden kann. (2) Der komplexe neutestamentliche Befund kann mit dem Bezug auf Mk 10,11f nicht angemessen erfasst werden (s. dazu auch einen früheren Beitrag hier).
Selektion?
Diese Beschränkung auf eine Schriftstelle, als unabänderliches Gesetz verstanden, wirkt sich in dem diskutierten Artikel von Maria Prügl unmittelbar aus. Ein Beitrag Schockenhoffs in der Hildesheimer Kirchenzeitung vor dem Deutschlandbesuch des Papstes wird mit Bezug auf Mk 10,11f abgebürstet. Dann fährt die Autorin fort:
Der »frühe Ratzinger«
Anstoß nimmt die Autorin daran, dass sich Schockenhoff wiederholt auf Aussagen Joseph Ratzingers aus dem Jahr 1969 beruft, in denen dieser dafür eintrat, wiederverheiratete Geschiedene nach einer Zeit der Reue wieder zu den Sakramenten zuzulassen. Wer diese Position anführe, müsse, so Prügl, auch sagen, dass Ratzinger
»später im Ringen um die Wahrheit diese Position ausdrücklich und überzeugt durch bessere Argumente zurückgenommen hat.«Nun war es offensichtlich nicht Schockenhoffs Aufgabe, die theologische Sicht Joseph Ratzingers zur Frage des Umgangs mit wiederverheirateten Geschiedenen zu erörtern. Wenn der »frühe Ratzinger« zitiert wird, so ist dies kein Autoritätsargument im Blick auf die Person des Zitierten. Maria Prügl kann aber offensichtlich nicht in anderen Bahnen denken. Deshalb meint sie, die Beschränkung auf die Position Ratzingers von 1969 komme »einem Judaskuss nahe; er nähert sich dem Meister und verrät ihn.« An wen der Meister verraten worden sei, sagt sie nicht.
Auch der Ratzinger von 1969 ist aber nicht Schockenhoffs Meister. Wer sich auf ihn bezieht, will dadurch gewöhnlich zeigen, dass Fragen wie diejenige nach der Pastoral an wiederverheirateten Geschiedenen nicht so eindeutig beantwortbar sind, wie oft behauptet wird, und legitime Freiräume für eine Neugestaltung bleiben - auch im Respekt vor der kirchlichen Tradition, den wir ja sicher auch dem »frühen Ratzinger« nicht absprechen dürfen.
Der Vorwurf des Verschweigens
Gewiss weiß auch Schockenhoff, dass Joseph Ratzinger als Kardinal und jetzt als Papst diese frühere Meinung nicht mehr vertritt. Dass er es nicht sagt, heißt nicht, dass er es verschweigt. Der Vorwurf des Verschweigens wird häufig in Prügls Beitrag erhoben. Jeweils richtet er sich darauf, dass die lehramtliche Position nicht wiedergegeben wird.
»Er verschweigt überhaupt alle weiteren kirchlichen Dokumente, Lehrschreiben, Entgegnungen, Entwicklungen, die es seit dem II. Vatikanischen Konzil gibt. Er hat auch kein Wort gesagt zu Johannes Paul II, dem großen Papst für Ehe und Familie, zum Apostolischen Schreiben Familiaris Consortio, zu seiner Theologie des Leibes und keine Erwähnung seiner vielen Aussagen zum Thema.«Nun ist nicht ganz unbekannt, was das römische Lehramt zu unserem Thema sagt. Der Streit geht darum, ob diese Position wirklich unabänderlich ist; ob es Argumente gibt, die zugunsten einer Alternative zur geübten Praxis vorgebracht werden können. Prügl zeigt nicht, dass Schockenhoffs Überlegungen gegen die argumentative Wucht der lehramtlichen Äußerungen nicht ankämen. Vielmehr wird der Eindruck erweckt, hier bestehe überhaupt keine Frage, weil doch von Seiten des Lehramts alles gesagt sei. Wenn dessen Äußerungen nicht verschwiegen würden, so der Duktus des Beitrags, dann würde sich die Position Schockenhoffs von selbst erledigen (dass zum Abschluss eine Argumentation aus dem Neuen Testament versucht wird, ändert an diesem Duktus nichts; s.u.).
Katechismus und Theologie
Was Schockenhoff verschwieg, wird den Lesern von Prügls Beitrag wenigstens an einem Beispiel nicht vorenthalten: die Nummer 1650 aus dem »Katechismus der Katholischen Kirche« von 1993:
»In vielen Ländern gibt es heute zahlreiche Katholiken, die sich nach den zivilen Gesetzen scheiden lassen und eine neue, zivile Ehe schließen. Die Kirche fühlt sich dem Wort Jesu Christi verpflichtet: `Wer seine Frau aus der Ehe entläßt und eine andere heiratet, begeht ihr gegenüber Ehebruch. Auch eine Frau begeht Ehebruch, wenn sie ihren Mann aus der Ehe entläßt und einen anderen heiratet’ (Mk 10,11-12). Die Kirche hält deshalb daran fest, daß sie, falls die Ehe gültig war, eine neue Verbindung nicht als gültig anerkennen kann. Falls Geschiedene zivil wiederverheiratet sind, befinden sie sich in einer Situation, die dem Gesetze Gottes objektiv widerspricht. Darum dürfen sie, solange diese Situation andauert, nicht die Kommunion empfangen. Aus dem gleichen Grund können sie gewisse kirchliche Aufgaben nicht ausüben. Die Aussöhnung durch das Bußsakrament kann nur solchen gewährt werden, die es bereuen, das Zeichen des Bundes und der Treue zu Christus verletzt zu haben, und sich verpflichten, in vollständiger Enthaltsamkeit zu leben.«Wer kann, so scheint die Autorin zu fragen, angesichts so klarer Äußerungen noch daran zweifeln, dass der Ausschluss der wiederverheirateten Geschiedenen von den Sakramenten unumgänglich ist?
Nun ist es nicht Aufgabe der Theologie, Katechismuswissen zu reproduzieren. Theologie dient der Reflexion des Glaubens, sie soll in Auseinandersetzung mit dem Denken der jeweiligen Zeit den Glauben rational verantworten. Das könnte sie nicht, wenn ihre Aufgabe auf Erläuterung und Verteidigung von Katechismus-Nummern beschränkt würde (das ist auch dem Studenten zu sagen, der hier die mangelnde Verwendung des Katechismus im Theologiestudium beklagt). Daraus folgt nicht, dass die Theologie sich vom kirchlichen Lehramt abkoppelt. Wenn sie aber nur dessen Aussagen zu untermauern hätte und nicht neue Denkwege bei der Erschließung des Evangeliums im jeweiligen kulturellen Kontext beschreiten könnte, wäre sie letztlich überflüssig. Dann könnte die Theologie auch nicht zu einem fruchtbaren Dialog mit dem Lehramt beitragen, von dem auch das Lehramt profitieren kann. Um bei der Exegese zu bleiben, wäre hier etwa die Enzyklika Divino afflante Spiritu Pius' XII. zu nennen oder die Konzilskonstitution Dei Verbum, in die Einsichten der historisch arbeitenden Bibelwissenschaft eingegangen sind.
Vor dem Hintergrund dieser Klärungen muss es dann auch nicht einem antilehramtlichen Affekt zugeschrieben werden, wenn man auf Schwächen der zitierten Katechismus-Nummer hinweist. Ich greife nur zwei Punkte heraus. (1) Hinter der Formulierung »falls die Ehe gültig war« verbirgt sich eine kirchenrechtliche Konstruktion, die man beim Blick auf mögliche Nichtigkeitsgründe als »Scheidung durch die Hintertür« empfinden kann. (2) Der komplexe neutestamentliche Befund kann mit dem Bezug auf Mk 10,11f nicht angemessen erfasst werden (s. dazu auch einen früheren Beitrag hier).
Selektion?
Diese Beschränkung auf eine Schriftstelle, als unabänderliches Gesetz verstanden, wirkt sich in dem diskutierten Artikel von Maria Prügl unmittelbar aus. Ein Beitrag Schockenhoffs in der Hildesheimer Kirchenzeitung vor dem Deutschlandbesuch des Papstes wird mit Bezug auf Mk 10,11f abgebürstet. Dann fährt die Autorin fort:
»Auch in Salzburg zeichnet sich Schockenhoff aus durch selektives Lesen der neutestamentlichen Schriftstellen, subjektive Interpretationen und Verschweigen. Er zitiert Markus, Matthäus und Paulus, die gewisse Sonderregelungen machten mit teils gegenläufigen Tendenzen. In der urkirchliche Praxis gebe es ein Ringen um Treue und Ausnahmeregelungen. … Die Kirchenväter in Ost und West wüssten von Abweichungen und dennoch duldete man eine zweite Ehe…«
Obwohl Schockenhoff offensichtlich erörtert hat, dass es im Neuen Testament Sonderregelungen mit gegenläufigen Tendenzen gibt, wird ihm »selektives Lesen der neutestamentlichen Schriftstellen« vorgehalten - von einer Expertin der Selektion. Denn sie sagt weder etwas zu jenen Sonderregelungen noch hält sie ihre Kritik davon ab, selbst aus kurzen Passagen, die sie aus dem Neuen Testament zitiert, das Unerwünschte auszulassen. Sie moniert, dass Schockenhoff 1Kor 11,27-29 verschwiegen habe:
»Wer unwürdig vom Brot isst und aus dem Kelch des Herrn trinkt, … der zieht sich das Gericht zu«.
Dieses Zitat ist in zweifacher Hinsicht kurios. Zum einen ist u.a. V.28 übergangen - sicher nicht unbedacht, denn dieser Vers läuft quer zum Anliegen unserer Autorin:
»Ein Mensch prüfe sich, und so soll er von dem Brot essen und aus dem Kelch trinken.«
Das unterstützt den sakramentenrechtlich verankerten Ausschluss von wiederverheirateten Geschiedenen vom Kommunionempfang gerade nicht. Außerdem spielt die Frage nach Ehe, Scheidung und Wiederheirat in 1Kor 11 überhaupt keine Rolle. Dass Schockenhoff »kein Wort« zu dieser Textstelle verliert, ist angesichts seines Themas nur sachgerecht.
Märtyrer kirchlicher Ehelehre?
Wenn dann noch John Fisher und Thomas Morus als Märtyrer »für die kirchliche Ehelehre«, angeführt werden, ist das zumindest eine grobe Verkürzung. Es ging seinerzeit in erster Linie um den Anspruch des Königs, Oberhaupt der englischen Kirche zu sein; ein Anspruch, der erhoben wurde, nachdem die Bemühung um die Annullierung der Ehe Heinrichs VIII. mit Katharina von Aragon gescheitert war. Nur am Rand: Wer heute für eine andere Pastoral an wiederverheirateten Geschiedenen eintritt, orientiert sich dabei gewöhnlich nicht an der Eheauffassung Heinrichs VIII.
Johannes de Brito mag man, wie Maria Prügl das tut, als Märtyrer der kirchlichen Ehelehre bezeichnen. Man sollte aber auch, was Maria Prügl nicht tut, hinzufügen, dass es in diesem Fall nicht um Scheidung und Wiederheirat ging, sondern um Polygamie.
Johannes den Täufer als Märtyrer kirchlicher Ehelehre hinzustellen ist dagegen in jedem Fall historisch absurd. Johannes stirbt nach Mk 6,17-29 als Märtyrer für die Tora des Mose, die sich in der Frage der Scheidung von der kirchlichen Ehelehre durchaus unterscheidet (historisch dürften bei der Beseitigung des Johannes auch politische Gründe eine Rolle gespielt haben, jedenfalls wenn man Flavius Josephus folgt [Antiquitates XVIII 116-119/5,2]).
Zum versöhnlichen Abschluss ist allerdings noch eine grundsätzliche Übereinstimmung mit Frau Prügl festzustellen. Sie schreibt:
Märtyrer kirchlicher Ehelehre?
Wenn dann noch John Fisher und Thomas Morus als Märtyrer »für die kirchliche Ehelehre«, angeführt werden, ist das zumindest eine grobe Verkürzung. Es ging seinerzeit in erster Linie um den Anspruch des Königs, Oberhaupt der englischen Kirche zu sein; ein Anspruch, der erhoben wurde, nachdem die Bemühung um die Annullierung der Ehe Heinrichs VIII. mit Katharina von Aragon gescheitert war. Nur am Rand: Wer heute für eine andere Pastoral an wiederverheirateten Geschiedenen eintritt, orientiert sich dabei gewöhnlich nicht an der Eheauffassung Heinrichs VIII.
Johannes de Brito mag man, wie Maria Prügl das tut, als Märtyrer der kirchlichen Ehelehre bezeichnen. Man sollte aber auch, was Maria Prügl nicht tut, hinzufügen, dass es in diesem Fall nicht um Scheidung und Wiederheirat ging, sondern um Polygamie.
Johannes den Täufer als Märtyrer kirchlicher Ehelehre hinzustellen ist dagegen in jedem Fall historisch absurd. Johannes stirbt nach Mk 6,17-29 als Märtyrer für die Tora des Mose, die sich in der Frage der Scheidung von der kirchlichen Ehelehre durchaus unterscheidet (historisch dürften bei der Beseitigung des Johannes auch politische Gründe eine Rolle gespielt haben, jedenfalls wenn man Flavius Josephus folgt [Antiquitates XVIII 116-119/5,2]).
Zum versöhnlichen Abschluss ist allerdings noch eine grundsätzliche Übereinstimmung mit Frau Prügl festzustellen. Sie schreibt:
»Wie so oft findet die Manipulation vor allem dort statt, wo Wesentliches verschwiegen wird.«Möglicherweise ahnt die Autorin gar nicht, wie recht sie mit diesem Satz hat.
Kommentare
Ihre rhetorische Frage ist sicher zu bejahen: die Gerichtspredigt des Täufers in der Logienquelle zielt darauf, »sich nicht auf das Jude-Sein zu verlassen, sondern in Umkehr und Taufe die einzige Möglichkeit der Rettung zu nutzen«. Dies verhindert aber nicht, dass die Mose-Tora den Maßstab der Umkehr abgibt. In Mk 6,17-29 ist jedenfalls nicht zu erkennen, dass es einen anderen Bezugspunkt der Kritik an der Ehe mit Herodias gäbe. In Mk 6,18 wird der Vorwurf des Johannes zitiert: »Es ist dir nicht erlaubt, die Frau deines Bruders zu haben«. Im Hintergrund steht Lev 18,16.
Was soll es, die Aussagen eines angeblichen Sektentäufers abzuklappern oder bei Levitikus nachzublättern, um etwas über die heutige Wiederheirat aussagen zu können. Und was hätte hierzu die Meinung dessen der Welt zu sagen, der allgemein als eheloser historische Jesus gesehen wird?
Ohne mich mit den hier zur Diskussion stehenden Aussagen des Moraltheologen und der folgenden Replik auseinandersetzen zu wollen. Wenn man sich auf Aussagen von Glaubensgestalten beziehen muss, die dann gar als unhistorisch gelten, wundert gar nichts. Und kirchliche Dogmen und Kathechismuslehren, die sich dann darauf beziehen, können auf aufgeklärte Menschen nur noch lächerlich wirken.
Dabei hätte der Logos bzw. die universale Vernunft, auf die sich Prof. Ratzinger als mit Verstand einsehbares Wesen des christlichen Glaubens beruft (unlängst vor dem Bundestag z.B. in ökologischer Realität zu bedenken gab), durchaus auch was zum Verhalten von Kulturwesen bzw. der Ehe und Wiederverheiratung zu sagen.
Oder anders: Der, der m.E. der historische Jesus war, kann uns auch heute helfen zu fragen, was nach bestem Wissen und Gewissen für Kulturgeschöpfe menschlicher Gemeinschaft in Sachen Ehe vernünftig wäre. Zumindest könnte auf vernünftige Weise über eine zeitgemäße schöpferische Vernünftigkeit von Kulturwesen, damit einen göttlichen Willen nachgedacht werden.
Aber wo ein unhistorischer Heilsprediger als Maß der Moral gilt, da kann die schöpferische Vernunft keine Bedeutung haben. Da bleibt nur ein Nachblättern im schriftgelehrten Gestern oder eine menschliche Beliebigkeit.
Doch "Gott sein Dank" dürfen wir heute wissen, dass vor 2000 Jahren nicht nur bei Johannes "Ich aber sage Euch", sondern auch in den sontigen Aussagen Jesus, nicht die Meinung eines jungen Zimmermanns zu lesen ist. Vielmehr in seiner menschlichen Person (Rolle/Aufgabe)schöpferische Vernunft kulturgerecht zum Ausdruck gebracht wurde: Eine von Schöpfung ausgehende Weisheit für Menschen in Kultur-Gemeinschaft, die auch in jüdischen Weisheitstexten tonangebend war. In Jesus nun universal verstanden wurde und maßgebend war.
Wenn es wie die neutestamentliche Wissenschaft sagt, Logien waren, die dann zu Evangeliengeschichten wurden, dann kann es bei Licht betrachtet nicht um Mitschnitte von Meinungesäußerungen eines ehescheuen Wandergesellen gegangen sein, den seine Anhänger oder wer auch immer für Gott hielten. Hier hat das gesprochen, was den Griechen als Logos, Weltgesetz, Vernunft galt, für die Juden Wort (hebr. Vernunft) war. Nur so lässt sich auch die Auseinandersetzung mit der zum Selbstzweck verkommenen Gesetzlichkeit (nicht nur hinsichtlich Sabatt) Jesus versethen.
Wer das alte schöpferische Gesetz des Moses nicht ablöste, sondern z.B. in der Bergpredigt überbot, kann kein junger Besserwisser gewesen sein, sondern das Gesetz (Schöpfungs-/Naturgesetz in menschlicher Umsetzung) in Person. Nicht alte Glaubens-Vorschriften oder menschliche Meinung bzw. rein phil. definierte "goldene Regeln" und Verhaltensweisen waren das Maß, sondern von Schöpfung und somit gemeinsamem Sinn (Logos) ausgehende Vernunft, die zurecht den jüdischen Namen Josua/gr. Jesus hatte.
Die lebenslange Ehe scheint mir ein Gebot schöpferischer Vernunft für Kulturgeschöpfe zu sein. Doch lässt sich das weder beim Jordantäufer,in Jesussprüchen oder der Moraltheologie des frühen Ratzingers und sonstiger Dogmatiker begründen.
Die schöpferische Vernunft, auf die sich das Oberhaupt der kath. Kirche oft beruft und als Kenner der Kirchengeschichte als "Wesen des christlichen Glaubens hinstellt, lebt. Sie sagt uns z.B. in den Sozialausgabe der Kommunen für Alleinerziehene oder im Leid der Kinder zerrütteter Ehen, aber auch in anderer Weise, wie wichtig auf Lebenslänge angelegt schöpferische Beziehung für Kulturwesen wäre.
Allein die menschlich-phil. Einsicht in das, was vernünftig war, scheint mir noch nicht die schöpferische Vernunft gewesen zu sein, die im NT gesprochen hat. Das wäre zu wenig. Das Wort, die Sprache der Vernunft, ging den Verfassern m.E. nicht von Menschen und deren Moralmeinung aus.
noch unangenehmer als den Artikel von Frau Prügl empfand ich den am selben Tag und wohl in Absprache mit Prügl erschienenen Artikel "Auch Jesus hat Rechte" des Churer Bischofsvikars Christoph Casetti in der "Tagespost". Casetti verfolgt dieselbe Stoßrichtung, nennt Schockenhoff allerdings nur am Rande und nicht namentlich.
Mit seinem Titel will Casetti dem Recht eines entsprechend disponierten Gläubigen zum Sakramentenempfang (gem. cann. 218, 843 §1) offenbar ein (frei erfundenes) „Recht Jesu“ auf würdige Kommunionempfänger gegenüberstellen und siedelt die sakramentale Wirklichkeit damit in einer Art „geistlichem Rechtsraum“ an, was schon rein sakramententheologisch Unfug ist. Das Recht der Gläubigen besteht natürlich gegenüber der Kirche, die die Sakramente „verwaltet“, nicht gegenüber Gott, der sie (unverdient) schenkt!
Zur Begründung liefert er eine in meinen Augen regelrecht verfälschende Auslegung des Paulus-Wortes vom "Gericht essen" (1Kor 11,27-29), das ja auch in den kirchenamtlichen Dokumenten als biblische Grundlage für den Kommunionausschluss "habitueller schwerer Sünder" genannt ist. Er zitiert die Passage auch vollständig und übergeht den von Ihnen genannten V.28 keineswegs (stellt ihn vielmehr besonders heraus). Er erwähnt auch, dass 'anaxios' (unwürdig) hier ein Adverb ist und beweist damit, dass er den Text und die üblichen Auslegungsargumente genau kennt.
Das hindert ihn nicht daran, im Anschluss vom "unwürdigen Zustand" des in ehebrecherischer Situation verbleibenden Ehegatten zu reden, und von der "geforderten Würdigkeit", die sich angeblich in dem an Mt 8,8 angelehnten Messgebet "Herr, ich bin nicht würdig usw." manifestiere. Die "Spaltungen", von denen Paulus im Kontext des Einsetzungsberichtes spricht, bezieht er auf den Ehebruch, der "als Spaltung unter den Gläubigen zu deuten" sei.
Der Leib des Herrn werde Paulus zufolge unwürdig empfangen, wenn man ihn nicht von gewöhnlicher Nahrung unterscheide (das habe ich auch so gelernt). Da der Leib aber auch die Kirche sei, werde er auch unwürdig empfangen, wenn man die Kirche geringschätzt und Spaltungen aufrechterhält, also z.B. eine ehebrecherische Situation.
Diese, sagen wir mal "zielführende" Auslegung findet ihre Krönung wie bei Prügl im Judaskuss-Motiv, das Casetti aber anders als Prügl nicht auf Schockenhoff, sondern auf den Bigamisten anwendet, denn dieser "verrät seinerseits den Menschensohn mit einem Kuss", wenn er sich der Eucharistie nähert (woher das stammt, weiß ich nicht, bei Paulus steht das nicht), und verurteile sich damit "selbst als des ewigen Lebens unwürdig" (!).
Dass die "Verurteilung" (krima), von der Paulus ohne bestimmten Artikel spricht, nicht mit dem Endgericht identisch ist, sondern V.32 zufolge (den Casetti nicht mehr zitiert) im Sinne einer Zurechtweisung oder Züchtigung gerade dazu dienen soll, die endgültige Verdammung (katakrima) zu vermeiden, wird nicht gesagt.
Das Wort vom "Gericht essen" wird im katholischen Internet in letzter Zeit sehr oft zitiert und immer so verstanden, als sei derjenige, der die Kommunion in "unwürdigem" (=sündhaften) Zustand nimmt, Paulus zufolge quasi automatisch in die Hölle fährt.
Persönlich halte ich es für durchaus katholisch und richtig, dass man vor der Kommunion mit sich ins Gericht gehen und notwendigenfalls vorher beichten sollte, keine Frage (wenn das überhaupt geht, Wiederverheiratete erhalten ja keine Absolution). Andererseits habe ich das Messgebet "Herr, ich bin nicht würdig ..." von Kindheit an immer als Bestätigung dafür aufgefasst, dass selbstverständlich niemand würdig ist, den Leib Christi zu empfangen, und dass über die Erkenntnis der eigenen Unwürdigkeit hinaus auch keine besondere "Würdigkeit" dafür erforderlich bzw. überhaupt möglich ist.
Wenn Casetti jetzt schreibt, "ein Christ, der im Ehebruch lebt", könne niemals "in seinem Fleisch den Tod des Herrn verkünden", und wer als solcher kommuniziert, habe "seinen [Jesu] Leib profaniert", indem er ihn "ohne Rücksicht auf seine Passion gegessen" und damit im paulinischen Sinn nicht unterschieden habe, sträuben sich mir die Haare.
Darum diese Bitte, einmal aus bibelwissenschaftlicher Sicht zu dieser verbreiteten Theorie über 1Kor 29 Stellung zu nehmen.
Der Casetti-Artikel ist glaube ich nicht frei online abrufbar, aber wenn Sie die "Tagespost" vom 7.2. (S. 6) nicht vorliegen haben, schicke ich Ihnen gern einen Scan.
Den Artikel von Casetti kenne ich nicht. Sie können ihn mir gerne an die Mail-Adresse zusenden (Gerd. Haefner@lmu.de), dann werde ich bei Gelegenheit darauf eingehen. Es scheint, dass mit dem Bezug der Spaltungen aus 1Kor 11 auf Ehebruch ganz neue Kontexte konstruiert werden.