Diakoninnen (2)
Ein früherer Beitrag hat sich mit der Frage befasst, ob urchristliche Schriften die Existenz von Diakoninnen bezeugen. Dabei hat sich gezeigt, dass die Pastoralbriefe (1/2Tim, Tit) versuchen, Frauen aus verantwortlichen Positionen in der Gemeinde zurückzudrängen und die noch gegebene aktive Beteiligung möglichst zu verschleiern (s. hier). Nur angedeutet wurden in jenem Beitrag die Gründe, die zur Neufassung der Rolle von Frauen in christlichen Gemeinden führten. Darum soll es im Folgenden gehen. Wegen des inneren Zusammenhangs mit jenem früheren Beitrag habe ich auch den Titel aufgegriffen, obwohl sich die folgenden Überlegungen nicht speziell auf das Diakoninnenamt richten.
Warum fassen die Pastoralbriefe die Rolle von Frauen so restriktiv, wenn in der paulinischen Tradition die Akzente ursprünglich ganz anders gesetzt waren? Eine Antwort kann an zwei Überlegungen ansetzen. Die erste richtet sich auf die bekämpften Gegner, die wohl der religiösen Strömung der Gnosis zuzuordnen sind. Aus der Ablehnung der materiellen Welt folgte für die Gnostiker meist eine asketische Haltung. Aus dem 1. Timotheusbrief erfahren wir, dass die Gegner die Ehe ablehnen (1Tim 4,3). Sie stehen also in Gegensatz zum Ideal, das die Pastoralbriefe vertreten. Ihm zufolge sollen die Frauen ihre Aufgaben in Haus und Familie erfüllen:
»Innen« und »außen«
Unsere Frage ist nämlich in einen zweiten Zusammenhang eingebettet. Die Pastoralbriefe nehmen sehr deutlich die Grenze zwischen Gemeinde und Welt, zwischen »innen« und »außen« wahr. Dabei ist der Wunsch erkennbar, ungestört zu leben in einer Welt, die von den Mächten »draußen« bestimmt wird (1Tim 2,2). Dies führt aber in den Pastoralbriefen nicht zur Abgrenzung von der Welt »draußen«. Angezielt ist ein gutes Verhältnis nicht nur zur Obrigkeit, sondern auch zu »allen Menschen«: Es ist jeweils das gesellschaftliche Umfeld als ganzes im Blick, in seinen Machthabern und Mitbürgern (1Tim 2,1f; Tit 3,1f). Theologisch hängt damit eine universale Perspektive zusammen, die Verkündigung des Evangeliums zielt auf das Heil aller Menschen:
Keine Abschottung
So führt die Unterscheidung von »innen« und »außen« also nicht zu einer Abschottung von der Welt, das gesellschaftliche Umfeld nimmt umgekehrt Einfluss auf die Gemeinde. Der Episkopos (Bischof) muss in gutem Ruf stehen bei denen, die »draußen« sind (1Tim 3,7); die Glaubenden sollen in ihrem Verhalten keinen Anlass geben zu übler Nachrede (1Tim 5,14; Tit 2,8) oder zur Lästerung des Wortes Gottes (1Tim 6,1; Tit 2,5).
Meist geht es in diesen Fällen um die Erfüllung einer bestimmten Rollenerwartung: Dem Widersacher wird dann kein Anlass zur Schmähung gegeben, wenn die jüngeren Frauen heiraten, Kinder großziehen, den Haushalt führen (s.o. 1Tim 5,14; Tit 2,5); der Name Gottes und die (christliche) Lehre wird dann nicht gelästert, wenn die Sklaven gehorsam ihren Dienst verrichten (1Tim 6,1f; Tit 2,9f). Das positive Urteil der Umwelt ist also abhängig von der Erfüllung der dort vorgesehenen Rollenmuster, seien sie auf Frauen bezogen oder auf Sklaven. Der Verfasser der Pastoralbriefe nimmt diese Wertmaßstäbe auf und schwört seine Adressaten und vor allem die Adressatinnen auf sie ein.
Anpassung an den Zeitgeist?
Offensichtlich ist in dieser Zeit (Anfang bis Mitte des 2. Jh.) der Anpassungsdruck auf die Gemeinden gewachsen. Die Christen werden als Sonderlinge betrachtet und können allerlei Verdächtigungen ausgesetzt sein – in 2Tim 3,12 scheint dies unter dem Stichwort der Verfolgung kurz auf. Auf diese Situation reagieren die Pastoralbriefe nicht mit Rückzug, sondern mit einer offensiven Strategie: Die Verkündigung des Evangeliums, des universalen Retterwillens Gottes soll nicht dadurch eingeschränkt werden, dass die Christen den gesellschaftlich akzeptierten Verhaltensmustern widersprechen. Die Pastoralbriefe sind bereit, die patriarchale Ordnung auch für die Aufgabenverteilung in der Gemeinde zu übernehmen und so, um des Evangeliums willen, paulinische Tradition neu zu gestalten.
Betrachtet man die Aussagen zur Gemeindestruktur in der dargelegten Weise geschichtlich, und nicht als zeitlose Anordnung, könnten sich Impulse für die heutige Diskussion um die Rolle von Frauen in der Kirche ergeben. Das patriarchale Modell hat in unserem gesellschaftlichen Umfeld keine Überzeugungskraft mehr. Welche Konsequenzen könnten sich ergeben, wenn man die Strategie der Pastoralbriefe aufgriffe und die Gemeindeordnung an den gesellschaftlich plausiblen Rollenmustern ausrichtete, »damit das Wort Gottes nicht gelästert werde«?
Den Pastoralbriefen zufolge wäre eine solche Suche nicht einfach als billige Anpassung an den »Zeitgeist« zu verurteilen, für diese Briefe »hätte das, was heute mit dem Begriff 'Zeitgeist' etwas abwertend und abweisend bezeichnet wird, nicht nur negative Bedeutung« (Lorenz Oberlinner, Die Pastoralbriefe. 3 Bde., Freiburg 1994-96, Bd. I 107).
Warum fassen die Pastoralbriefe die Rolle von Frauen so restriktiv, wenn in der paulinischen Tradition die Akzente ursprünglich ganz anders gesetzt waren? Eine Antwort kann an zwei Überlegungen ansetzen. Die erste richtet sich auf die bekämpften Gegner, die wohl der religiösen Strömung der Gnosis zuzuordnen sind. Aus der Ablehnung der materiellen Welt folgte für die Gnostiker meist eine asketische Haltung. Aus dem 1. Timotheusbrief erfahren wir, dass die Gegner die Ehe ablehnen (1Tim 4,3). Sie stehen also in Gegensatz zum Ideal, das die Pastoralbriefe vertreten. Ihm zufolge sollen die Frauen ihre Aufgaben in Haus und Familie erfüllen:
»Sie (die Fau) wird aber gerettet werden dadurch, dass sie Kinder zur Welt bringt, wenn sie bleiben mit Besonnenheit im Glauben und in der Liebe und in der Heiligung.« (1Tim 2,15)
»Ich will nun, dass jüngere Witwen heiraten, Kinder gebären, den Haushalt führen, dem Widersacher keinen Anlass zur Schmähung geben.« (1Tim 5,14)
(Die älteren Frauen sollen die jüngeren unterweisen), »ihre Männer zu lieben, ihre Kinder zu lieben, besonnen, ehrbar, mit häuslichen Arbeiten beschäftigt, gütig zu sein, den eigenen Männern sich unterzuordnen, damit das Wort Gottes nicht verlästert werde.« (Tit 2,4f).Die Propagierung dieses Ideals könnte auch dadurch bestärkt worden sein, dass die Gegner gerade unter Frauen Anhänger gewonnen haben (2Tim 3,6f). Vielleicht hat auch eine Rolle gespielt, dass Frauen bei den bekämpften Gegnern führende Funktionen übernommen haben. Die einschränkende Bestimmung der Frauenrolle als ein Aspekt des Kampfes gegen die Falschlehrer – dies ist eine mögliche, aber kaum die ganze Antwort auf die eingangs gestellte Frage.
»Innen« und »außen«
Unsere Frage ist nämlich in einen zweiten Zusammenhang eingebettet. Die Pastoralbriefe nehmen sehr deutlich die Grenze zwischen Gemeinde und Welt, zwischen »innen« und »außen« wahr. Dabei ist der Wunsch erkennbar, ungestört zu leben in einer Welt, die von den Mächten »draußen« bestimmt wird (1Tim 2,2). Dies führt aber in den Pastoralbriefen nicht zur Abgrenzung von der Welt »draußen«. Angezielt ist ein gutes Verhältnis nicht nur zur Obrigkeit, sondern auch zu »allen Menschen«: Es ist jeweils das gesellschaftliche Umfeld als ganzes im Blick, in seinen Machthabern und Mitbürgern (1Tim 2,1f; Tit 3,1f). Theologisch hängt damit eine universale Perspektive zusammen, die Verkündigung des Evangeliums zielt auf das Heil aller Menschen:
»Dies ist gut und angenehm vor unserem Retter-Gott, der will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.« (1Tim 2,3f)
»Denn dafür arbeiten und kämpfen wir, weil wir auf den lebendigen Gott hoffen, der Retter aller Menschen ist, besonders der Gläubigen.« (1Tim 4,10)
»Denn die Gnade Gottes ist erschienen, heilbringend allen Menschen.« (Tit 2,11)
Keine Abschottung
So führt die Unterscheidung von »innen« und »außen« also nicht zu einer Abschottung von der Welt, das gesellschaftliche Umfeld nimmt umgekehrt Einfluss auf die Gemeinde. Der Episkopos (Bischof) muss in gutem Ruf stehen bei denen, die »draußen« sind (1Tim 3,7); die Glaubenden sollen in ihrem Verhalten keinen Anlass geben zu übler Nachrede (1Tim 5,14; Tit 2,8) oder zur Lästerung des Wortes Gottes (1Tim 6,1; Tit 2,5).
Meist geht es in diesen Fällen um die Erfüllung einer bestimmten Rollenerwartung: Dem Widersacher wird dann kein Anlass zur Schmähung gegeben, wenn die jüngeren Frauen heiraten, Kinder großziehen, den Haushalt führen (s.o. 1Tim 5,14; Tit 2,5); der Name Gottes und die (christliche) Lehre wird dann nicht gelästert, wenn die Sklaven gehorsam ihren Dienst verrichten (1Tim 6,1f; Tit 2,9f). Das positive Urteil der Umwelt ist also abhängig von der Erfüllung der dort vorgesehenen Rollenmuster, seien sie auf Frauen bezogen oder auf Sklaven. Der Verfasser der Pastoralbriefe nimmt diese Wertmaßstäbe auf und schwört seine Adressaten und vor allem die Adressatinnen auf sie ein.
Anpassung an den Zeitgeist?
Offensichtlich ist in dieser Zeit (Anfang bis Mitte des 2. Jh.) der Anpassungsdruck auf die Gemeinden gewachsen. Die Christen werden als Sonderlinge betrachtet und können allerlei Verdächtigungen ausgesetzt sein – in 2Tim 3,12 scheint dies unter dem Stichwort der Verfolgung kurz auf. Auf diese Situation reagieren die Pastoralbriefe nicht mit Rückzug, sondern mit einer offensiven Strategie: Die Verkündigung des Evangeliums, des universalen Retterwillens Gottes soll nicht dadurch eingeschränkt werden, dass die Christen den gesellschaftlich akzeptierten Verhaltensmustern widersprechen. Die Pastoralbriefe sind bereit, die patriarchale Ordnung auch für die Aufgabenverteilung in der Gemeinde zu übernehmen und so, um des Evangeliums willen, paulinische Tradition neu zu gestalten.
Betrachtet man die Aussagen zur Gemeindestruktur in der dargelegten Weise geschichtlich, und nicht als zeitlose Anordnung, könnten sich Impulse für die heutige Diskussion um die Rolle von Frauen in der Kirche ergeben. Das patriarchale Modell hat in unserem gesellschaftlichen Umfeld keine Überzeugungskraft mehr. Welche Konsequenzen könnten sich ergeben, wenn man die Strategie der Pastoralbriefe aufgriffe und die Gemeindeordnung an den gesellschaftlich plausiblen Rollenmustern ausrichtete, »damit das Wort Gottes nicht gelästert werde«?
Den Pastoralbriefen zufolge wäre eine solche Suche nicht einfach als billige Anpassung an den »Zeitgeist« zu verurteilen, für diese Briefe »hätte das, was heute mit dem Begriff 'Zeitgeist' etwas abwertend und abweisend bezeichnet wird, nicht nur negative Bedeutung« (Lorenz Oberlinner, Die Pastoralbriefe. 3 Bde., Freiburg 1994-96, Bd. I 107).
Kommentare
Mit diesen und anderen Konjunktiven ist Ihr Artikel gespickt, Herr Prdofessor .. . Wie heißen Sie noch einmal?
Doch für uns Katholiken ist weder der Konjuntiv noch der Irrealis entscheidend, für uns zählt allein, was das Lehramt aus der Tradition als Wahrheit herausexstrahiert hat.
Das Vertraeun auf dieses Lehramt kennzeichnet ein wesentliches Proprium unseren Glaubens. Wenn uns dieser Glaube sagt, dass die Frage, ob es Diakoninnen oder gar Priesterinnen geben könne - und das Lehramt hat zumindest Letzteres ein für alle Mal verneint - , endgültig geklärt ist, so ist für jeden gläubigen Katholiken diese Frage nicht mehr relevant. Es gilt nicht mehr der Irrealis, nicht mehr der Konjunktiv, sondern der Indikativ der Kirche.
Allen, die daran Anstoß nehmen, steht die Konversion zu unseren protestantischen "Brüdern und Schwestern" offen.
Um Missverständnisse und etwaige Gewissenskonflikte auszuschließen, ist angesichts der Darstellung des anonymen Kommentators die Art der Verbindlichkeit von "Ordinatio Sacerdotalis" (1994) etwas präziser zu beleuchten.
Diesem Apostolischen Schreiben zufolge hat die Kirche keinerlei Vollmacht, Frauen zu weihen, weil dies im Einvernehmen aller Bischöfe in Geschichte und Gegenwart niemals geschehen ist und auch Jesus und die Apostel keine Frauen geweiht haben.
Ausgeschlossen ist für den Gläubigen damit die Vorstellung, es sei der Kirche aus rein disziplinarischen Erwägungen heraus heute ohne Weiteres möglich, die alte kirchliche Praxis zu ändern, einfach weil wir sie nicht mehr zeitgemäß finden. Einer solchen Einstellung erteilt der Papst eine Absage, und darin müssen wir ihm folgen.
Entscheidend ist also der geschichtliche Auftrag Jesu und dessen Umsetzung in der Tradition der Kirche. Auf diesen "Vorrang der Geschichtlichkeit" weist auch der Theologe Joseph Ratzinger immer wieder hin.
Der Papst hat 1994 bewusst nicht die für unfehlbare Akte übliche Formulierung gewählt. Das geschah wohl aufgrund eines 1976 erstellten Gutachtens der päpstlichen Bibelkommission, das zu dem Schluss kam, es gebe für die Ablehnung der Frauenordination keinen Schriftbeweis.
Die Unfehlbarkeit der Lehre von der Unmöglichkeit der Frauenordination liegt also darin begründet, dass es „immer schon“ von der Kirche so praktiziert wurde. Papst Johannes-Paul II. hat dies "endgültig" lehramtlich festgestellt. Diese "endgültige" Feststellung an sich ist aber selbst nicht unfehlbar.
In diesem Sinn erläuterte diesen Sachverhalt auch Kardinal Ratzinger in seinem 1996 veröffentlichten ersten Interviewbuch mit Peter Seewald (dort auf S. 171-174 nachzulesen, der Buchauszug ist auch bei kath.net online abrufbar).
Auch eine offiziöse Erklärung des Vatikans im Osservatore Romano hielt fest, dass in diesem Fall "ein in sich nicht unfehlbarer Akt des ordentlichen päpstlichen Lehramts" den unfehlbaren Charakter einer Lehre „attestiert“ (bestätigt), "die schon im Besitz der Kirche ist". Das Gleiche bestätigen führende Dogmatiker (allen voran H.J. Pottmeyer in seinem Aufsatz "Auf fehlbare Weise unfehlbar?" in den Stimmen der Zeit (Heft 4, April 1999).
Daran ändert auch die 1998 eingeführte kirchenrechtliche (und prinzipiell auch strafbewehrte) Pflicht nichts, derartigen "endgültigen" Lehräußerungen als Katholiken zuzustimmen (can. 750 §2 CIC).
Wir haben dem Papst demzufolge in seiner Lehre zuzustimmen, dass die Kirche den Auftrag Jesu und die überkommene kirchliche Praxis nicht eigenmächtig ändern darf. Sollte sich dagegen herausstellen, dass die Kirche die Frauenordinationsfrage in der Geschichte doch nicht immer so gehandhabt hat, hätte der Papst sich bezüglich dieser historischen Tatsache eben geirrt (was kein Problem darstellt) und sein Statement wäre schlicht und einfach überholt.
Ein historischer (oder biblischer) Gegenbeweis bleibt also selbstverständlich möglich; es ist nicht verboten, seriös zu forschen und zu diskutieren. Das unfehlbare Lehramt legt keine historischen Fakten fest, sondern es stützt seine Aussagen auf die vom Papst als sicher angenommene Faktenlage. Sollte sich (wider Erwarten) erweisen, dass die vom Papst angenommene Faktenlage unrichtig war, bindet seine Aussage aber natürlich nicht mehr.
Soviel zur Klarstellung dieses etwas komplizierten und oft polemisch zugespitzten Themas.
vielen Dank für die Ausführungen. Als Protestant bin ich oft verwndert nd irritiert durch die in der römisch-katholischen Kirche existierenden Unfehlbarkeiten. Daß eine an sich unfehlbare Aussage durch Änderng der zu Grunde liegenden Faktenlage immer noch kippen kann, war mir absolut neu und gibt mir neue Hoffnung für die Ökumene.