Sonntagsevangelium (14)

1. Fastensonntag (B): Mk 1,12-15


Der Geist, der nach der Taufe auf Jesus herabkommt (Mk 1,10), treibt ihn in die Wüste. Markus erwähnt die Versu­chung nur kurz; von einem Fasten Jesu spricht er nicht. Für ihn liegt der Schwerpunkt auf Jesu Aufenthalt in der Wüste, verbunden mit weiteren aussagekräftigen Motiven.

Die Wüste ist der Ort, an dem Gott in der Vergangenheit bei seinem Volk war; sie galt auch als der Ort des endzeitlichen Neubeginns. Deshalb war bereits das Auftreten Johannes des Täufers in der Wüste als Zeichen des endzeitlichen Neubeginns zu werten (s. hier). Dass sich Jesus vierzig Tage in der Wüste aufhält, hat ebenfalls hintergründigen Sinn: 40 ist die Zahl, die besonders mit der Nähe zu Gott verbunden ist. Im Zusammenhang der Exodus-Erzählungen ist vor allem an die vierzigtägigen Aufenthalte des Mose auf dem Berg Sinai zu denken (Ex 24,18; 34,28, hier findet sich das Motiv des Fastens).  

Worin die Versuchung Jesu besteht, sagt Markus nicht (anders Mt 4,1-11; Lk 4,1-13). Wahrscheinlich denkt er grundsätzlich an die Auseinandersetzung zwischen Jesus als dem Träger des Gottesgeistes und Satan als der widergött­lichen Macht: Sie will Jesus von seinem Auftrag abbrin­gen, den Willen Gottes zu erfüllen. 

Die Gemeinschaft mit den wilden Tieren zeigt an, dass der paradiesische Friede wiederhergestellt ist, wie es für die Endzeit erwartet wurde (s. Jes 11,6-8). Jesus erweist sich im Bestehen der Versuchung als der neue Adam, der die Heilszeit heraufführt. Dies bestä­tigt auch der Dienst der Engel. Denn in der jüdischen Tra­dition findet sich, über Gen 2 und 3 hinaus, das Motiv, dass vor dem Sündenfall Engel Adam zu Diensten standen und ihm Fleisch brieten und Wein kühlten (babylonischer Talmud, Traktat Sanhedrin 59b). In der Schrift Leben Adams und Evas erinnert Adam Eva daran, dass sie im Garten Eden Engelsspeise gegessen hätten. Außerdem wird die Weigerung eines Teils der Engel (unter Satans Führung), den Menschen zu ehren, zum Grund für den Abfall dieser Engel von Gott und für ihren Sturz aus dem Himmel. In der Folge gelingt es Satan, das geplante vierzigtägige Bußfasten Adams und Evas nach der Vertreibung aus dem Paradies zu sabotieren und Eva zu einem frühzeitigen Abbruch zu bewegen. Bei Jesus bleibt er erfolglos.

Im Anschluss an die Bewährung beginnt Jesu öffentliches Wirken, gekoppelt an das Ende des Täuferwirkens. Dieses Nacheinander verdankt sich möglicherweise theologischem Interesse, wird so doch die Vorläuferrolle des Johannes betont: seine Sendung ist beendet, wenn Jesus auf den Plan tritt. Das Johannes-Evangelium erzählt von einem anfänglich gleichzeitigen Auftreten von Johannes und Jesus. Auch dies kann allerdings auf eine theologische Aussageabsicht zurückgehen: das Nebeneinander erweist die Überlegenheit Jesu (s. Joh 3,22-30). Eine sichere Entscheidung ist für die historische Ebene kaum möglich.


Markus verwendet in 1,15 zwei Begriffe, um die Botschaft Jesu zusammenzufassen. Evangelium ist eher kennzeichnend für die urchristliche Verkündigung und erscheint in Jesusworten vergleichsweise selten (im Markus-Evangelium noch 8,35; 10,29; außerdem in 13,10; 14,9 - hier mit deutlich nachösterlicher Orientierung). Mit der Rede vom Reich Gottes wird dagegen der zentrale Begriff aus der Verkündigung Jesu aufgenommen. Dass zunächst von der Fülle der Zeit und der Nähe des Gottesreiches gesprochen, und danach erst die Umkehrforderung erhoben wird, gibt ebenfalls einen Grundzug der Botschaft Jesu wieder: an erster Stelle steht die Zusage (Gott will mit dem Aufrichten seiner Herrschaft des Heil des Menschen); daraus erwächst als Konsequenz die Aufforderung, sein Leben zu ändern. Weil der Mensch angenommen wird von Gott, soll und kann er umkehren. 

Kommentare

Gerhard Mentzel hat gesagt…
Sehr geehrter Herr Prof. Häfner,

auch hier bleibt die Frage, von wem haben die Verfasser gesprochen. Denn ein junger Jude, kann es nicht gewesen sein, der in der längst (hier auch von Ihnen in Bezug auf das AT oder baylonischen Talmud) theologisch gedeuteten Wüste war, vom Satan versucht wurde und eine Wende bewirkte, bei der die vom Wort (hebr. Vernunft) ausgehende schöpferische Herrschaft wieder hergestellt wurde...

Wenn es damals Amerikaner gewesen wären, wie Andreas Metge in seiner Antwort auf meinen Kommentar verneint, wäre die Sache halbwegs erklärbar. Unseren Freunden jenseits des großen Teiches ist mit der richtigen Rhetorik charismatischer Prediger fast alles glaubhaft zu machen. Doch lässt sich das den griechisch-jüdischen Verfassern unterstellen, auf die sich berufen oder den Denkern bzw. vom Logos schreibenden, sein Wesen diskutierenden Kirchenvätern, die dann den Kanon zusammengestellt haben?

Alles was auch hier über Jesus ausgesagt wird, verweist auf ein hoheitliches Wesen, das eine wahre Wende bewirkte. Doch wie ist es denkbar, dass damals vom bildlosen jüd. Glauben begeistere Denker inmitten von Diskussionen um phil. Neubegründung des Monotheismus, jüd. Apologetik, die in Alexandrien bzw. damaliger Bildung jetzt in der Vernunft die Funktion vormaliger Göttersöhne sah und in heftiger Auseinandersetzung der Kulturvorstellen mit antiker Aufklärung (wozu auch die zur reinen Ritusversessenheit gewordene bzw. entleerte jüd. Gesetzlichkeit gehört, jetzt einen jungen Juden (dessen soz. Umfeld heute wissenschafltich untersucht wird) als eine Art Gottesbild gesehen oder so hingestellt haben sollen?

Die radikale Kritik macht es sich zu einfach. Für sie ist heute nicht nur das hoheitliche Wesen der Christologie, sondern auch alles sonst, was sich (von einem jungen Juden aus) nicht erklären lässt (und das ist dann auch das historische Wesen Jesus, nicht nur seine Wunder, sondern auch sein gesamtes Wirken) ein freies Konstukt des Glaubens bzw. der Kirchenlehre.

Doch wäre es nicht Aufgabe der Wissenschaft zu fragen, wer wirklich 40 Tage in der Wüste war und vom Satan versucht wurde? Wem das nicht nur aufgrund bisheriger Vorstellungen aufgebunden wurde?

Was der im evolutionrären Geschichtsverlauf nachweislichen Wende, den vielfältigen Bewegungen, die sich auf die Vernunft/den Logos in Gestalt/mit Namen Jesus, das lebendige Wort oder den so neuen Tempel berufen, zugrunde liegt?
Gerhard Mentzel hat gesagt…
Wenn die Wissenschaft inzwischen über Mohammed weiß, dass es um einen Hoheitstitel ging, kein Zweibeiner war, der den Geschichten/Texten des Koran zugrunde liegt, wäre es da nicht auch Aufgabe der chr. Wissenschaft, auf neue Weise über Jesus nachzudenken. Den, der selbst im Koran mehr erwähnt ist, als Mohammed,
der dort nicht (wie in der Kirchenlehre) als Sohn, sondern als lebendiges Wort vorgestellt wird und samt seiner Mutter ein messianisches Wesen war.

Oder waren die Verfasser des Koran auch Amerikaner, die auf die Rhetorik eines jungen Juden (der heute selbst von denen als historisch untersucht wird, die seine Historizät als hoheitliches Wesen hinstellen)hereingefallen sind?
Volker Schnitzler hat gesagt…
Nun existieren neben den biblischen Zeugnissen auch außerbiblische, die die historische Existenz des Jesus von Nazareth belegen. Sicherlich kann man über deren historischen Wert diskutieren. Wer auf jeden Fall historisch belegt ist, ist Johannes der Täufer (Josephus), von dem die nachösterliche Jesusbewegung die Taufe übernimmt. Jesus selbst scheint offenbar nicht getauft zu haben. Die politische Brisanz der Predigt des Johannes wird bei Josephus nur angedeutet, die Konsequenzen für das Leben dieses Wanderpredigers aber sind vielsagend. Lk 3,7-9 zeigt die brisante Botschaft des Täufers. Die Symbolik von der "Frucht tragenden Pflanze" taucht im Übrigen auch in den Gleichnissen Jesu auf.

„Gott kann aus diesen Steinen dem Abraham Kinder erwecken!“ Abrahamskindschaft spielt keine Rolle mehr, eine Lehre, die wir bei Paulus wiederfinden. Die Brücke zwischen Johannes und Paulus ist aber die Predigt Jesu, die man vor dem Hintergrund der nachösterlichen Taufpraxis wohl nicht völlig von Johannes trennen kann. Hier kann eine durchgängige Linie nachgezeichnet werden. Die Brisanz der Predigt Jesu und deren Erfolg führen ebenfalls zum Todesurteil. Und diese Todesurteile setzen sich auch in der nachösterlichen Gemeinde fort (Stephanus, Paulus, Petrus, Jakobus etc.). Gemeinsamer Nenner sind wohl die Tempel- und die Gesetzeskritik, die am jüdischen Selbstverständnis rütteln und zu Unruhen und Streitigkeiten führen, die die römischen Besatzer nicht tolerieren wollen. Nimmt man nun jedoch Jesus aus dieser Linie heraus, weil er kein "junger Jude" war, dann kann man aus meiner Sicht die nachösterlichen historischen Ereignisse nicht schlüssig erklären, da man sich in den frühen Gemeinden auf Jesus und nicht auf Johannes den Täufer beruft! Mit dem hat man eher ein Problem, weil er Jesus taufte. Mit der Taufe muss man wohl auch ein Problem haben, wenn man Jesus nicht als historische Figur sieht, oder?! Dabei ist das vielleicht die Zuverlässigste Information über den historischen Jesus.
Stefan Wehmeier hat gesagt…
Schöpfungsmythen

So verhält es sich mit der Welt: Die Menschen erschaffen Götter und sie verehren ihre Schöpfungen. Es wäre angemessen, dass die Götter die Menschen verehren, wie es der Wahrheit entspricht.

(Nag Hammadi Library / Philippusevangelium / Spruch 85)

Götter sind durch Schöpfungsmythen – es geht um die Schöpfung von Kultur und nicht um die „Schöpfung von Natur“ – im kollektiv Unbewussten einprogrammierte, künstliche Archetypen zur Anpassung eines Kulturvolkes an eine noch fehlerhafte Makroökonomie durch selektive geistige Blindheit.

Die originale Heilige Schrift (die Bibel nur bis Genesis 11,9 sowie ein wesentlicher Teil der Nag Hammadi Schriften), die dadurch gekennzeichnet ist, dass ihre Verfasser die wirkliche Bedeutung der in Genesis 3,1-24 beschriebenen Erbsünde noch kannten, ist aufgebaut wie ein komplexes Gleichungssystem, in dem archetypische Bilder und Metaphern die "Unbekannten" darstellen. Das Gleichungssystem hat nur genau eine Lösung, die einen vollkommenen Sinn ergibt und die gesamte Kulturgeschichte der halbwegs zivilisierten Menschheit seit dem "Auszug der Israeliten aus Ägypten" bis heute erklärt.

Bei der Vielzahl von Gleichnissen, insbesondere in den Nag Hammadi Schriften, in denen immer wieder die gleichen Bilder und Metaphern in vielen Kombinationen und Zusammenhängen verwendet werden, wäre es absolut unmöglich, den makroökonomischen Sinngehalt "hineinzuinterpretieren" – und das auch noch mit 100-prozentiger Signifikanz –, wenn die originale Heilige Schrift irgendeine andere Bedeutung hätte, als die in "Der Weisheit letzter Schluss" beschriebene.

Herzlich Willkommen in der Wirklichkeit: http://www.deweles.de
Gerd Häfner hat gesagt…
Biblische Exegese befasst sich mit den biblischen Texten und versucht diese zu verstehen aus der Einbindung in die geschichtliche Situation, in der sie entstanden sind und überliefert wurden. Markus erzählt die Geschichte vom Wüstenaufenthalt im Rahmen seines Evangeliums von Jesus Christus, dem Sohn Gottes (1,1). Er schreibt diesem Jesus also durchaus hoheitliche Würde zu, aber er sieht ihn trotzdem als »jungen Juden«, es ist der Jesus, der aus Nazareth an den Jordan zu Johannes kommt, von dem er erzählt (tatsächlich ein »Zweibeiner«, ein Mensch aus Fleisch und Blut). Wenn Sie Herr Mentzel, meinen, die »im evolutionären Geschichtsverlauf nachweisliche Wende« sei so nicht zu erklären, ist das Ihre Sicht, die ich Ihnen auch nicht nehmen will. Sie lässt sich aber nicht aus dem Neuen Testament begründen.

Deshalb kommen Ihre Überlegungen und meine Versuche, neutestamentliche Texte im Rahmen historisch-kritischer Exegese zu verstehen, nicht zusammen. Ein Beispiel: Sie fragen »wäre es nicht Aufgabe der Wissenschaft zu fragen, wer wirklich 40 Tage in der Wüste war und vom Satan versucht wurde? Wem das nicht nur aufgrund bisheriger Vorstellungen aufgebunden wurde?« Antwort: Aufgabe der Exegese ist, den Sinn des Textes im Rahmen des Markus-Evangeliums zu erheben; und wenn der Text sich als theologische Erzählung zu erkennen gibt, der bestimmte Motive verwendet, um die Bedeutung des (»Zweibeiners«) Jesus von Nazareth zu umschreiben, dann führt die Frage, »wer wirklich in der Wüste war« vom Text und seiner Aussage weg. Also nochmals: Biblische Exegese hat nicht angebliche oder wirkliche Wenden »im evolutionären Geschichtsverlauf« zu erklären, sondern biblische Texte, und zwar unabhängig von späteren Geschichtskonstruktionen. Außerdem auch unabhängig von einer »originale[n] Heilige[n] Schrift«, wie sie Herr Wehmeier in Gen 1,1-11,9 und einem wesentlichen Teil der Nag-Hammadi-Schriften erkennt. Mit solchen Spekulationen kann ich als Exeget nicht ins Gespräch kommen.
Gerhard Mentzel hat gesagt…
Sehr geehrter Herr Prof. Häfner,

ich hatte sie nicht als reinen Schriftlehrer, sondern als Wissenschaftler angesprochen, der wie sie sagen, die Texte des NT bzw. die dort in Jesus/als lebendigem Wort beschriebene Wende, Neubegründung des jüd. Glaubens/bildlosen Monoth. in ihrer theologischen Bedeutung auswertet und im Kontext der Zeit deutlich macht, um was es dort geht.

Doch wenn uns aufgrund des geschichtlichen Wissens um den geistigen Kontext oder der vielfältigen Anfängen und Entstehung des Kanon, wie ich es beispielhaft immer wieder (leider ohne Antwort) aufführe, immer klarer wird, dass das, was theologisch ausgesagt wird, nicht mit einem Zweibeiner zu machen ist, ein Wanderguru nicht der Grund der vielfältigen Anfänge in antiker Aufklärung gewesen sein kann. Wie kann da die NT Wissenschaft einfach weiterlesen, wie wenn wir nichts wüssten?

Wenn die jungen Theologen in jeder Dissertation neue theologische Bedeutungsinhalte des NT erklären, können da ihre Prof. einfach weiterlesen, wie wenn ein jungen Wanderprediger mit seinen Fischerfreunden um den See gezogen wäre? Ich verstehe nicht, wieso es nicht Aufgabe der Wissenschaft sein soll, den, der in den Evangelien als Mensch aus Fleisch und Blut und gleichzweitig hoheitliche Wesen beschrieben ist -was nachweislich gegenüber gnostischer Verflüchtigung und abstrakten Lehren Alexandriens als Gegenstück zum selbst bei phil. kaiserlichen Monoth. der geltenden Götterkult die taugliche Ausdrucksweise des Logos war - auf Grundlage des Geschichtswissens auch als Ausdruck von dem nachzudenken nachzudenken, was am Anfang bzw. der Antike als Vernunft, Juden als Wort oder Weisheit galt. (Auf die dann auch Herr Wehmeier in Bezug auf Nag Hammadi verweist, Texte die ja auch nicht vom Himmel gefallen sind, sondern ein anderer Zweig dessen sind, was wir im NT lesen und auf den gleichen Stamm bzw. verweist.)

Selbst das Wissen, dass auch am Anfang Doketismus war und von den frühen Apologenten, die die menschlich-kulturgerechte Seite des Logos betonten, abgeleht wurde, muss doch nachdenken lassen, welches Wesen Thema des NT ist.

Wie sollen mündige Menschen den wissenschaftlich beschriebenen Lebensfluss als Wort verstehen, hier ihren schöpferischen Sinn/Logos als Kulturwesen sehen, wie er im NT hochtheologisch beschrieben ist. Wie sollen sie den universal geltenden Sinn des christlichen Glaubens in Vernunft verstehen und dabei weiter das Bild des jungen Juden mit Bart betrachten. Wenn die,die dessen hohe Theologie freilegen und die universalen Bedeutungsinhalte betonen, weiter gegen wachsendes Wissen festhalten: Da war nur ein junger Jude aus Fleisch und Blut, dem aus unerklärlichen Glaubensgründen das alles aufgebunden wurde oder der unerklärlich das war bzw. von den Verfassern als ein Art Gott gesehen wurde?
Andreas Metge hat gesagt…
Wenn ich den Faden zwischen den Herren Mentzel und Häfner richtig verstehe, dann haben beide sehr unterschiedliche Zugänge zu den biblischen Texten. So kann sich, wer mag, mit zwei deutlich unterschiedlichen Sichtweisen auseinandersetzen.
Mir scheint, als wolle Herr Mentzel durch seine Fragen nicht nur fragen, sondern auch überzeugen. Herr Häfner bleibt schlicht bei dem, was seine Aufgabe ist: als ntl. Exeget vom Text her zu argumentieren.
Gerd Häfner hat gesagt…
Sehr geehrter Herr Mentzel,

den Eindruck von Andreas Metge kann ich nur bestätigen: wir haben sehr unterschiedliche Zugänge zu den biblischen Texten.

Die Trennung von »Schriftlehrer« und »Wissenschaftler« existiert in meinem Selbstverständnis gerade nicht. Als historisch-kritisch arbeitender Exeget bin ich in eine Wissenschaftsdisziplin eingeordnet, die sich dem Verständnis biblischer Texte in einem geschichtlichen Rahmen widmet. Was Sie als unumstößliche Gewissheit ansehen, bezweifle ich: Es werde »aufgrund des geschichtlichen Wissens ... immer klarer ..., dass das, was theologisch ausgesagt wird, nicht mit einem Zweibeiner zu machen ist, ein Wanderguru nicht der Grund der vielfältigen Anfänge in antiker Aufklärung gewesen sein kann.« Ich kann weder erkennen, wie das »aufgrund geschichtlichen Wissens« aussagbar sein soll, noch wird mir klar, wie das mit dem Zeugnis des Neuen Testaments oder der altkirchlichen Dogmenentwicklung vereinbar ist.

Sicher kann die neutestamentliche Christologie zu den Kategorien »Logos« oder »Weisheit« greifen, um die Bedeutung Jesu auszusagen. Und in der weiteren christologischen Entwicklung in der Alten Kirche sind Denkkategorien dazugekommen, die im Neuen Testament noch nicht begegnen (und auch historisch Jesus nicht zugeschrieben werden können). Es geht aber um eine Bedeutung, die dem Menschen Jesus von Nazareth zugeschrieben wird; beides wird nicht auseinandergerissen. Auch wenn ein Unterschied besteht zwischen dem, was sich historisch über Jesus von Nazareth aussagen lässt, und dem, was der Glaube über ihn bekennt, so heißt dies nicht, dass Jesus »aus unerklärlichen Glaubensgründen das alles aufgebunden wurde«. Die theologische Reflexion hat vielmehr im Rückblick auf dieses Leben erkannt, welche Bedeutung ihm zukam: letztgültige Offenbarung Gottes.

Ob man dem zustimmt oder nicht, ist eine Glaubensfrage. Diese lässt sich nicht mit Blick auf geschichtliche Daten oder wissenschaftliche Erkenntnisse entscheiden.
Gerhard Mentzel hat gesagt…
Ja Herr Metge,

ich will nicht nur Fragen, sondern so eine neue wissenschaftliche Nachfrage einfordern, nach dem, was geschichtlicher Grund des ursprünglich "christlichen" Glaubens und damit auch der Glaubensgeschichten war.

Denn von dem, dessen soziales Umfeld heute als wissenschaftlich untersucht wird, ist weder im NT was zu lesen, noch können die Denker/Verfasser der vielfältigen Bewegungen, die heute als Anfang gelten, die chr. Apologeten und Kirchenväter, die dann den Kanon herausgaben, von einem egal wie garteten jungen Rebellen ausgegangen sein, wie er heute einzige Hypothese sein soll.

Seit mir immmer klarer wird, welche Vernunft am Anfang war, halte ich "chr. Glaube" nicht mehr für das Blinde für wahr halten von Unglaubwürdigkeiten. Zu denen auch die Offenbarung in einem angeblichen jungen Charismatiker zählt, der mit seinen Fischerfreunden um den See gezogen wäre.

Den Verfall des chr. Glaubens, der (und noch mehr dessen Universalität) heute in Wirklichlichkeit grundlos geworden ist, weil er sich allenfalls auf Buchstaben beruft, die die Prediger selbst kaum glauben, nur in noch älteren Texten belegen, (mit all seinen Folgen in unserer Gesellschaft) geht m.E. nicht auf das Konto der Aufklärung.

Es sind die Vorstellungen von Jesus, die zwar bis zur Aufklärung getragen haben (so tauglich waren), an denen wir aber weiter festhalten, gleichwohl wir wissen, dass es so nicht gewesen sein kann.
Gerhard Mentzel hat gesagt…
Danke Herr Prof. Häfner für die Antwort,

auch wenn es keine Antwort auf die Fragen war. Denn um wen geht es im NT wirklich? Wen hatten die Verfasser vor Augen? Wer war 40 Tage in der Wüste und wurde vom Satan versucht? (Auf wen bezogen sich die hochtheologischen Aussagen.) Wer kann wie sie schreiben, in deren Augen - wie in denen, der sehr vielfältigen, auch doketistischen, gnostischen... Denker, die heute als Anfang Auszumachen sind, sich auf Jesus beriefen - die letztgültige Offenbarung gewesen sein?

Wenn wir doch wissen, dass die AT Vorstellung und insbesondere die ägyptische Sicht der Gottessöhne einen Grund im vernünftigen kosmischen Geschehen hatte, das AT allegorisch gelesen wurde und die Väter die Propheten als wahre Philosophen sahen, wie können wir dann weiter denken, damalige Denker hätten in dem, der heute an den Hochschulen als historisch gilt, die letztgültige Offenbarung gesehen?

Ist der christliche Glaube wirklich nur der Gegensatz zum Denken, Wissen und vernünftigen Schließen bzw. glauben? Wie kann ein Monotheismus, der vormals im Wort (hebr. Vernunft) allen Werdens gründete und menschliche Gottesbilder verteufelte jetzt durch einen Zweibeiner bzw. ein Gottesbild erneuert und univesalisiert worden sein?

Warum sagt mir niemand, wie in einer Zeit, in der nicht nur in Athen, sondern selbst rund um den See Genezareth der im Logos (der logischen Welterkärung der Antike) neue phil.-monoth. Modelle durchdacht wurden, jüd. Apologetik/Bildung (nicht nur in Alexandrien) darin statt Göttersöhne die wahre Offenbarung sah, griechisch-jüdische Denker auf die Idee gekommen sein können, einen jungen Juden zu einer Art Gott (oder einem Gottesbild) zu erheben, ihn als letztlgültige Offenbarung zu sehen?

Wie können Wissenschaftler, die nicht nur die Texte, sondern den geistigesgeschichtlichen Kontext berachten weiter als einzige historische Hypothese annehmen, ein junger Jude sei zu dem erklärt/als das gesehen worden, was damals als Wort/Weisheit, damit auch Sinn (Logos/Vernunft allen Werdens) galt und in antiker Aufklärung verschieden definiert wurde? Und so sei, ein junger Zimmermann dann die endgültige und für Juden und Griechen/Heiden gültige Offenbarung gewesen?
Gerd Häfner hat gesagt…
Sehr geehrter Herr Menzel,

Ich weiß nicht, was ich noch antworten soll, da Sie auf keine meiner Ausführungen eingehen und die ihrigen wiederholen. Vielleicht dies noch einmal in aller Deutlichkeit: Ihre Rekonstruktion des geistesgeschichtlichen Kontextes bestreite ich. Dass auch rund um den See Gennesareth neue philosophisch-monotheistische Modelle diskutiert wurden, kann ich nicht erkennen. Wenn Sie es für ausgeschlossen halten, dass »ein junger Zimmermann dann die endgültige und für Juden und Griechen/Heiden gültige Offenbarung gewesen« ist, dann unterscheiden sich das Neue Testament und die altkirchliche Dogmenentwicklung von Ihrer Überzeugung. Die Inkarnationsaussage gehört zum Kern des christlichen Bekenntnisses. Die Kirchenväter waren überzeugt davon, dass sich dieses Bekenntnis als vernünftig rechtfertigen lässt, und das wirft auch ein Licht auf den damaligen geistesgeschichtlichen Horizont. Wenn Sie meinen, dass sich der christliche Glaube nur unter Verzicht auf das Inkarnationsdogma als vernünftig erweisen lässt, so würde ein solcher Versuch insofern scheitern, als es dann nicht mehr der christliche Glaube wäre, der als vernünftig erwiesen wäre.
Gerhard Mentzel hat gesagt…
Sehrr geehrte Herr Prof.Hänfner,

auch hier will ich auf ihre Ausführungen, die m.E. Argumente für eine neue Frage nach dem historischen Wesen sind, eingehen.

Gerade wenn wir die Dogmenlehre und Christologie ernst nehme, sie nicht wie viele Ihrer Kollegen als kirchliche Verherrlichungslehre oder progagandistische Einfärbung verkürzen, müssen Sie doch als aufgeklärter denkender Wissenschaftler fragen, um was den damaligen Denkerns ging.

Wenn das die Verfasser der verschiedenen Evangelien und vielfälgiter hochtheologisch gedeuteter Texte keine Dorfdeppen oder von einem Guru verblendedten Schwärmer waren, es nicht um ein leeres Konstrukt der Kirche gegangen ist, muss doch auf wissenschaftliche Weise nach dem geschichtlichen Grund gefragt werden, der war und der - wie geschrieben steht - menschliche Gestalt annahm.

Auch warum die Christologie Alexandriens zu abstrakt blieb, erst die bekannte Ausdruckweise/Fleischwerdung in der menschlichen Peson (Rolle/Aufgabe)kulturvernünftig war, lässt sich nachvollziehen. Ebenso warum es in Jesus um ein Wesen ging, das eine menschlich-kulturelle und eine schöpferische-kosmische Person/Wesen war. Doch wie kann ich dann einen Wanderprediger an den Anfang, wenn ich die Inkarnationslehre ernst nehme? Wie sollen damalige Denker einen jungen Guru als Vernunft allen Werdens oder gar Gott hingestellt haben?

Oder irre ich mich, wenn ich davon ausgehe, dass die Vernunftlehre in ihren verschiedenen Ausprägungen wie Stoa oder Neuplatonismus nicht nur in Alexanrien oder Athen, sondern in Galilä das Thema war?
Gerhard Mentzel hat gesagt…
Sehr geehrter Herr Prof. Häfner,

entschuldigen Sie den Gestern in Zeitnot mit vielen Fehlern geschriebenen Kommentar.

Doch gerade die kirchliche Dogmen- oder Inkarnationslehre, auf die Sie sich berufen, zwingt m.E. das historische Wesen Jesus auf neue Weise zu hinterfragen.

Mir ist klar, dass die derzeitigen Überlegungen einen jungen Juden an den Anfang stellen wollen, über den oder dessen menschlich-göttliches Wesen gestritten worden wäre. Doch ist das noch haltbar? Je mehr ich mir die frühen Jahre vor Augen führe (nicht nur in fünft Bänden von Alois Grillmeier) destor sicher werde ich, dass es den damaligen Denkern nicht um den ging, der heute selbst den Kritikern als einziges geschichtliches Wesen gilt.

Kann den frühen Apologeten angesichts des geistigen Umfeldes weiter unterstellt werden, sie hätten einen Heilsprediger, wie er heute als historischer Jesus gilt, als Logos/Vernunfterkärung (schöpferische Vergegenwärtigung) ausgegeben oder gesehen?

Kann ein aus der phil. kommender Denker wie Origenes seine gesamten theologischen Überlegungen über die wahre Vernunft oder das lebendige Wort, über das er mit zeitgemäßer Philsophielehre bzw. Celsos stritt, auf einen Wanderguru gegründet haben, wie er heute als historisch gilt?

Können Reformerdenker, die wahre Juden sein wollten und in ihrer Diskussion an die nachweislich im kausalen kosmischen Werden begründete bzw. von der Vernunftlehre ausgehende Christologie Alexandriens anknüpften, einen jungen Juden, wie er heute gesehen wird, vergöttert bzw. als Gott gesehen haben?

Kann den Flavierkaisern bzw. einem nach seinem Selbstverständnis die kosmische Ordnung verkörpernden Konstantin, dem selbst Kirchengegner eine Begeisterung für den chr. Glauben unterstellen und keine Machttaktik (weil es vor Konstantin noch keine Kirche, sondern nur vielfältige Bewegungen "Die Wilden Jahre der frühen Kirche" gab)unterstellt werden, er hätte zusammen mit chr. Denkern über das Wesen eines Wanderpredigers nachgedacht, in dem die letztgültige universale Offenbarung für seine Globalisierungshoffnung gesehen, der heute als historisch gilt?

Können die Verfasser des Koran, die sich aus dieser Diskussion abspalteten und im von Jesus öfter schrieben als von Mohammed (der heute in der Wissenschaft als hoheitliches Wesen gilt) von einem jungen Zimmermann ausgegangen sein und ihn samt seiner Mutter als messiansch oder lebendiges Wort hingestellt haben?

Kann auch nur einem der Kirchenväter, die sich u.a. mit der Neuinterpretation der Genesis im Licht der damaligen Welterklärung oder sonstigen theologischen Fragen auseinandersetzten und dabei über das Wesen des Logos diskutierten unterstellt werden, es wäre ihnen um den gegangen, die heute als historisch gilt?

Kann angesicht all dessen, was wir über den geistigen Kontext wissen, weiter den vielfältigen sich auf Jesus berufenden und sich (heute anerkannterweise) als christlich verstehenden Denkweisen des Anfangs, von Doketisten, Donnatisten, Monarchisten, Gnosis, Marcion.... bis zu Irenäus, den Herausgebern des Kanons oder den späteren Kirchenvätern unterstellt werden, sie wären von dem ausgegangen, der heute wie selbstverständlich als einzige historische Hypothese gilt?
Gerd Häfner hat gesagt…
Sehr geehrter Herr Mentzel,

auch ich meine nicht, dass die altkirchlichen Theologen beim Nachdenken über die Christologie den historischen Jesus im Blick hatten. Der historische Jesus ist eine Rekonstruktion, die historische Methoden voraussetzt, und deshalb ein Merkmal des modernen Denkens. Aber es ging doch nicht um einen reinen Vernunft-Diskurs. Ausgangs- und Bezugspunkt der christologischen Entwicklung war und blieb – sofern nicht gnostische Abwertung der materiellen Welt im Spiel war – Leben und Wirken des Jesus von Nazareth. Die synoptische Tradition zeigt uns keinen Jesus und deshalb auch keine Träger der Jesusüberlieferung, die in philosophische Debatten um einen Vernunftbegriff verwickelt gewesen wären. Sicher sind die Kirchenväter über diesen Horizont hinausgegangen und haben philosophische Kategorien ihrer Zeit und Welt aufgegriffen, um die Bedeutung Jesu zu entfalten. Aber es ging dabei – jedenfalls in den Kreisen, die für die Kanonentwicklung entscheidend waren – eben immer darum, die Bedeutung Jesu zu entfalten, die Bedeutung einer geschichtlichen Gestalt.

In der deutenden Rückschau erschließt sich, wer Jesus eigentlich war – auch mithilfe von Kategorien, die der irdische Jesus nicht gebraucht hat oder auch nur verstanden hätte. Diese »eigentliche Bedeutung« ist Wahrheit des Glaubens, die der historischen Analyse nicht zugänglich ist. Aber es ist eine Wahrheit, die auf jenen »jungen Juden« zielt, der mit seinen »Fischerfreunden« durch Galiläa zog und nach menschlichen Maßstäben am Kreuz gescheitert ist. Wenn wir diesen Ursprung beim geschichtlichen Jesus von Nazareth preisgeben, sehe ich nicht, wie wir der Konsequenz entgehen können, damit den Kern des christlichen Bekenntnisses preiszugeben.

Ich kann hier nicht über die philosophischen Hintergründe der christologischen Entwicklung in der Alten Kirche diskutieren; das ist nicht mein Feld. Aber daran zu erinnern und daran festzuhalten, dass alle Christologie auf die geschichtliche Person Jesus von Nazareth bezogen bleiben muss, gehört wohl zu den Aufgaben eines Auslegers des Neuen Testaments.
Gerhard Mentzel hat gesagt…
Danke Herr Häfner für die Antwort,

denn auch ich gehe davon aus, dass der historische Jesus sich nicht vom hoheitlichen trennen lässt und Bezugpunkt der Christologie der Kirchenväter war.

Wenn aber, wie Sie eingangs sagen, der heute als historisch rekonstruierte nicht das Thema der Christologen war, die auch den Kanon herausgaben, auf den Sie berufen, wie kann es dann als einzig wissenschaftlich gelten, einen Jungen mit Bart als unumstößliche Hyothese an den Anfang stellen zu wollen?

Denn, dass es auch den Verfassern des NT um ein hoheitliches christologisches Wesen ging, das in der Wüste war oder auf dem Berg nach dem 6. Tag als letztlichgültige Offenbarung über alte Glaubensgestlaten hinaus galt, machen Sie in all ihrer Exegese deutlich.

Wenn aber weder den Christologen, noch den Verfassern des NT oder den vielfältigen heute als Anfang geltenden Bewegungen, die sich alle auf Jesus beriefen, nur ein rebellischer Jude unterstellt werden kann, wie er heute als historisch gilt, wieso ist es dann einzig wissenschaftlich, diesen als historischen Jesus anzunehmen?

Warum erst der Ausdruck der menschlichen Person (Rolle/Aufgabe) wie wir ihn aus dem Kanon kennen, die Kultur im Einklang mit dem alten auf das "Wort/Vernunft" gründenden bildlosen Monotheismus weiterführte, kann klar gemacht werden. Bereits vor seinem ersten Deutschlandbesuch habe ich den Papst (dem damals als Vernunfttheologen von der FAZ Rückfall ins Mysterium vorgeworfen wurde) geben, beim Besuch des Schleiertuches vom Auferstandenen in Monopele den deutschen Intellekt nachdenken zu lassen, warum dieses Bild kulturvernünftig war und bis zur Aufklärung getragen, letztlich diese ermöglicht hat, sich alle Gnosis und phil. Lehren verflüchtigt hätten, kulturuntauglich waren.

Und was den Kern des chrisltichen Glaubens betrifft, der kann nach der Aufklärung mit dem, der heute als historisch gilt, schon lange nicht mehr aufrecht erhalten werden. Was aber ein neues wissenschaftliches Fragen nach dem wahren Wesen des chr. Glaubens für den Kern des Glaubens bringt, habe ich vesucht unter "Vision schöpferischer Vernunft" (nach dem - im Vorjahr leider ausgebliebenen - päpstlichen Denkanstoß)deutlich zu machen: ("www.theologie-der-vernunft.de)

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